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Gerechtigkeit (δικαιοσύνη, iustitia)


Zentrale Begriffe aus dem Bereich der griechischen Sprache und Geistesgeschichte

 

Gerechtigkeit (δικαιοσύνη, iustitia)

Textstellen:
Verwandte Begriffe:
  • δίκαιος
  • δίκη
  • ἀρετή
  • ἀδικία
  • σωφροσύνη
  • θέμις
  • τὸ ἐπιεικές - Billigkeit

 

Der Begriff der "Gerechtigkeit" setzt den des Rechts (δίκη, θέμις, ius) voraus; denn Gerechtigkeit bezeichnet als Tugendbegriff die innere Bereitschaft, das Recht zu wahren. Wird das Recht als die naturgewollte Ordnung des Staates angesehen (z.B.: Aristot.Polit.1252b37-39), so ist die Gerechtigkeit die staatstragende Tugend par excellence. Die Sophisten allerdings kritisieren beim Recht eher seinen Zwangscharakter, sehen in ihm also eine Fessel, die das "starke" Individuum sprengen sollte. Der Politiker und Rhetor Demosthenes allerdings erklärt, dass Macht, die auf Unrecht aufbaut, keinen Bestand haben kann. 

Neben dem Tugendbegriff der Gerechtigkeit ist die Verteilungsgerechtigkeit von Wichtigkeit, die klärt, wem was zusteht. Sie korreliert eng mit dem Begriff der Gleichheit. Nach dem fundamentalen Grundsatz, dass jedem das Seine zusteht, ist es gerecht, dass (bezogen auf den jeweiligen Vergleichspunkt) Gleichen Gleiches und Ungleichen Ungleiches zusteht, z.B. gleicher Lohn bei gleicher Leistung, unterschiedlicher Lohn bei unterschiedlicher Leistung (Plat.Nom.757c).  

 

Preis und Kritik der Gerechtigkeit

LXX Proverb. (14,34) δικαιοσύνη ὑψοῖ ἔθνος,
ἐλασσονοῦσι δὲ φυλὰς ἁμαρτίαι.
 NT Matth. (5,6) μακάριοι οἱ πεινῶντες καὶ διψῶντες τὴν δικαιοσύνην,
ὅτι αὐτοὶ χορτασθήσονται.
Pascal (Gedanken über die Religion) Die Neigung oder der Hass ändern die Gerechtigkeit. 
Pascal (Gedanken über die Religion) Die Grundgesetze wechseln. Das Recht hat seine Zeiten. Eine schöne Gerechtigkeit, die ein Fluss oder ein Gebirge begrenzt! Wahrheit diesseits der Pyrenäen, Irrtum jenseits. 
Kant (Metaph.d. Sitten) Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben.

 Philosophischer Index:

Plat.Prot.323a Alle Menschen haben Anteil an der Gerechtigkeit
Plat.Polit.618e Allein auf die Gerechtigkeit kommt es an
Plat.Polit.433a Gerechtigkeit durch Arbeitsteilung definiert 
Aischyl.Ag.772 Gerechtigkeit wohnt oft bei der Armut
Dionys.Trag.fr.5 Das Auge der Gerechtigkeit sieht alles
Plat.Polit.331d Gerechtigkeit durch Ehrlichkeit definiert 
Plat.Polit.359b Entstehung der Gerechtigkeit
Plat.Polit.367c Gerechtigkeit ist um ihrer selbst willen erstrebenswert
Antiph.Soph.44A1 Gerechtigkeit durch Gehorsam gegenüber positivem und natürlichem Recht definiert 
Plat.Polit.472b Gerechtigkeit der Gemeinschaft ist dieselbe wie die des Einzelnen
Xen.Mem.4,4,18 / Xen.Mem.4,6,5 Gerechtigkeit durch Gehorsam gegenüber dem Gesetz definiert 
Plat.Nom.757c Politische Gerechtigkeit besteht nicht in äußerlicher Gleichheit
Plat.Polit.358a Gerechtigkeit für menschliches Glück notwendig
Aristoph.Nub.902 / Aristoph.Nub.1082 Leugnen göttlicher Gerechtigkeit 
Soph.El.173 Ein Gott sorgt für Gerechtigkeit
Plat.Polit.332a / Plat.Polit.334b Gerechtigkeit definiert als Freunden Gutes tun
Plat.Polit.443c Gerechtigkeit definiert als innere Harmonie
Plat.Apol.32a Nicht öffentlich für die Gerechtigkeit kämpfen
Plat.Polit.368b Mit allen Kräften für die Gerechtigkeit kämpfen
Eurio.Hipp.426 Gerechtigkeit kommt dem Leben an Wert gleich
Xen.Kyr.1,2,6 Kinder müssen Gerechtigkeit lernen
Pind.Ol.2,68 Lohn der Gerechtigkeit auf den Inseln der Seligen
Plat.Polit.333d Gerechtigkeit von geringem Nutzen
Plat.Polit.365c Nur den Schein der Gerechtigkeit wahren
Plat.Gorg.504d Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung als Ordnung der Seele
Plat.Polit.368e Gerechtigkeit im Rahmen des Staates untersuchen
Xen.Symp.3,4 Gibt es eine Theorie der Gerechtigkeit?
Plat.Polit.433c Gerechtigkeit als erste und oberste aller Tugenden
Plat.Symp.209a Gerechtigkeit als oberste Tugend
Plat.Nom.864a Gerechtigkeit definiert als Herrschaft der Vernunft über die Begierden
Plat.Polit.331e Gerechtigkeit definiert als Erfüllung aller Pflichten.
Plat.Polit.589c / Plat.Polit.354a Gerechtigkeit ist in jeder Hinsicht vorteilhafter
Eurip.Rhes.875 Das Auge der Gerechtigkeit weiß alles
Plat.Nom.904e Weltordnung der göttlichen Gerechtigkeit
Plat.Kleit.410b Gerechtigkeit nicht lehren, ohne ihr Wesen zu erkennen
 

Quelle: G.Th.Schwarz

 

Nach dem Lemma bei Liddell-Scott-Jones

ἡ δικαιοσύνη
  1. Gerechtigkeit
    1. Gerechtigkeit, Rechtlichkeit (Gesinnung und Tat), Theogn.147, Herod.1,96 u.a., Plat.Polit.433a, LXX Ge. 15.6 , etc.; δικαιοσύνη δικαστική Gesetzmäßigkeit, Aristot.Pol.1291a27; Ggstz.:. ἐπιείκεια, Aristot.Nic.Eth.1137a32.
    2. Erfüllung des Gesetzes, LXX Is. 26.2 , al., Ev.Matt. 3.15 , al.
  2. Rechtspflege Plat.Gorg.464b, Plat.Gorg.464c (v.l. δικαστική ), Plat.Cleit.408b.
  3. Δικαιοσύνη personifiziert, AP 9.164 ; Ἶσις Δικαιοσύνη SIG 1131 (Delos), IG 3.203 .
  4. Pythag. Bezeichnung für "vier", Theol.Ar. 23 .
  5. δικαιοσύνη· ἡ χοῖνιξ, μυστικῶς, Hsch.

 

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Kurze Definitionen

Thuk.5,89

Im Melierdialog zur Kennzeichnung der Maximen athenischer Machtpolitik: δίκαια μὲν ἐν τῷ ἀνθρωπείῳ λόγῳ ἀπὸ τῆς ἴσης ἀνάγκης κρίνεται, δυνατὰ δὲ οἱ προύχοντες πράσσουσι καὶ οἱ ἀσθενεῖς ξυγχωροῦσιν.

Ulpian (Ulp.dig.1,1 pr.) Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi.
Thomas Aquinas (Sum.th.2,80,1C) Ratio iustitiae consistit in hoc, quod alteri reddatur, quod ei debetur secundum aequalitatem.
Chr. Wolf (Eth.2,576) Iustitia - virtus est, qua ius suum cuique tribuitur.

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Die Pythagoreer

Für die Pythagoreer bestimmt sich Gerechtigkeit als "Quadratzahl" (ἀριθμὸς ἰσάκις ἴσος)
  Aristot.MM (cap.1,1; 1182a) πρῶτος μὲν οὖν ἐνεχείρησεν Πυθαγόρας περὶ ἀρετῆς εἰπεῖν, οὐκ ὀρθῶς δέ· τὰς γὰρ ἀρετὰς εἰς τοὺς ἀριθμοὺς ἀνάγων οὐκ οἰκείαν τῶν ἀρετῶν τὴν θεωρίαν ἐποιεῖτο· οὐ γάρ ἐστιν ἡ δικαιοσύνη ἀριθμὸς ἰσάκις ἴσος. Als erster unternahm es Pythagoras sich über Tugend zu äußern, allerdings nicht zutreffend: Indem er nämlich die Tugenden auf die Zahlen bezog, stellte er die Betrachtung nicht tugendspezifisch an. Denn die Gerechtigkeit ist keine Gleich-mal-gleich-Zahl (Quadratzahl)

Pythag.58B4 

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Demokrit

 
  Demokrit 68A166 EPIPHAN. adv. haer. III , [D. ] Δ. ὁ τοῦ Δαμασίππου Ἀβδηρίτης τὸν κόσμον ἄπειρον ἔφη καὶ ὑπὲρ κενοῦ κεῖσθαι. ἔφη δὲ καὶ ἓν τέλος εἶναι τῶν πάντων καὶ <εὐθυμίαν> τὸ κράτιστον εἶναι, τὰς δὲ λύπας ὅρους κακίας. καὶ τὸ δοκοῦν δίκαιον οὐκ εἶναι δίκαιον, ἄδικον δὲ τὸ ἐναντίον τῆς φύσεως. ἐπίνοιαν γὰρ κακὴν τοὺς νόμους ἔλεγε καὶ οὐ χρὴ νόμοις πειθαρχεῖν τὸν σοφόν, ἀλλὰ ἐλευθερίως ζῆν.  
 

 

 

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Theognis 147

Der umfassende Charakter von Gerechtigkeit

 1 
2
3
4

Βούλεο δ' εὐσεβέων ὀλίγοις σὺν χρήμασιν οἰκεῖν
     ἢ πλουτεῖν ἀδίκως χρήματα πασάμενος.
ἐν δὲ δικαιοσύνηι συλλήβδην πᾶσ' ἀρετή 'στι,
     πᾶς δέ τ' ἀνὴρ ἀγαθός, Κύρνε, δίκαιος ἐών.

 

 

Plat.Polit.338c

Der Sophist Thrasymachos:
 

Ἄκουε δή, ἦ δ' ὅς. φημὶ γὰρ ἐγὼ εἶναι τὸ δίκαιον οὐκ ἄλλο τι ἢ τὸ τοῦ κρείττονος συμφέρον.

[Im Zusammenhang] [Zur Diskussion des Gerechtigkeitsbegriffs in Platons Staat]

 

Plat.Polit.358c-359b: Glaukon als "advocatus Thrasymachi"

Der Sophist Thrasymachos hat, wie Glaukon glaubt, in der Auseinandersetzung mit Sokrates zu früh das Handtuch geworfen. Deswegen will er den "advocatus diaboli" spielen und die Rechtsauffassung des Sophisten in der Diskussion vertreten; wohlgemerkt aus methodischen Gründen, nicht aus Gründen der Überzeugung. [Cicero hat dieses Verfahren später im dritten Buch seiner "Res publica" nachgeahmt und Philus die Rolle des "advocatus diaboli" übertragen.]

Die Thesendisposition seines Beitrages:

  1. πρῶτον μὲν ἐρῶ δικαιοσύνην οἷον εἶναί φασιν καὶ ὅθεν γεγονέναι
  2. δεύτερον δὲ ὅτι πάντες αὐτὸ οἱ ἐπιτηδεύοντες ἄκοντες ἐπιτηδεύουσιν ὡς ἀναγκαῖον ἀλλ' οὐχ ὡς ἀγαθόν
  3. τρίτον δὲ ὅτι εἰκότως αὐτὸ δρῶσι· πολὺ γὰρ ἀμείνων ἄρα ὁ τοῦ ἀδίκου ἢ ὁ τοῦ δικαίου βίος
 

Πεφυκέναι γὰρ δή φασιν τὸ μὲν ἀδικεῖν ἀγαθόν, τὸ δὲ ἀδικεῖσθαι κακόν, πλέονι δὲ κακῷ ὑπερβάλλειν τὸ ἀδικεῖσθαι ἢ ἀγαθῷ τὸ ἀδικεῖν, ὥστ' ἐπειδὰν ἀλλήλους ἀδικῶσί τε καὶ ἀδικῶνται καὶ ἀμφοτέρων γεύωνται, τοῖς μὴ δυναμένοις τὸ μὲν ἐκφεύγειν (359a) τὸ δὲ αἱρεῖν δοκεῖ λυσιτελεῖν συνθέσθαι ἀλλήλοις μήτ' ἀδικεῖν μήτ' ἀδικεῖσθαι· καὶ ἐντεῦθεν δὴ ἄρξασθαι νόμους τίθεσθαι καὶ συνθήκας αὑτῶν, καὶ ὀνομάσαι τὸ ὑπὸ τοῦ νόμου ἐπίταγμα νόμιμόν τε καὶ δίκαιον· καὶ εἶναι δὴ ταύτην γένεσίν τε καὶ οὐσίαν δικαιοσύνης, μεταξὺ οὖσαν τοῦ μὲν ἀρίστου ὄντος, ἐὰν ἀδικῶν μὴ διδῷ δίκην, τοῦ δὲ κακίστου, ἐὰν ἀδικούμενος τιμωρεῖσθαι ἀδύνατος ᾖ· τὸ δὲ δίκαιον ἐν μέσῳ ὂν τούτων ἀμφοτέρων ἀγαπᾶσθαι οὐχ (b) ὡς ἀγαθόν, ἀλλ' ὡς ἀρρωστίᾳ τοῦ ἀδικεῖν τιμώμενον· ἐπεὶ τὸν δυνάμενον αὐτὸ ποιεῖν καὶ ὡς ἀληθῶς ἄνδρα οὐδ' ἂν ἑνί ποτε συνθέσθαι τὸ μήτε ἀδικεῖν μήτε ἀδικεῖσθαι· μαίνεσθαι γὰρ ἄν. ἡ μὲν οὖν δὴ φύσις δικαιοσύνης, ὦ Σώκρατες, αὕτη τε καὶ τοιαύτη, καὶ ἐξ ὧν πέφυκε τοιαῦτα, ὡς ὁ λόγος.

Von Natur nämlich sagen sie, sei das Unrechttun gut, das Unrechtleiden aber übel; das Unrechtleiden aber zeichne sich aus durch größeres Übel, als durch Gutes das Unrechttun. So daß, wenn sie unrecht einander getan und voneinander gelitten und beides gekostet haben, es denen, die nicht vermögend sind, das eine zu vermeiden und nur das andere zu wählen, vorteilhaft erscheint, sich gegenseitig darüber zu vertragen, weder unrecht zu tun noch zu leiden. Und daher haben sie denn angefangen Gesetze zu errichten und Verträge untereinander, und das von dem Gesetz Aufgelegte das Gesetzliche und Gerechte zu nennen. Und dies also sei die Entstehung sowohl als auch das Wesen der Gerechtigkeit, welche in der Mitte liege zwischen dem Vortrefflichsten, wenn einer unrechttun kann ohne Strafe zu leiden, und dem Übelsten, wenn man unrecht leiden muß, ohne sich rächen zu können. Das Gerechte aber, mitten inne liegend zwischen diesen beiden, werde nicht als gut geliebt, sondern durch das Unvermögen, unrecht zu tun, sei es zu Ehren gekommen. Denn wer es nur ausführen könnte, und der wahrhafte Mann wäre, würde auch nicht mit einem den Vertrag eingehen, weder unrecht zu tun noch sich tun zu lassen; er wäre ja wohl wahnsinnig. Die Natur der Gerechtigkeit also, o Sokrates, ist diese und keine andere, und dies ist es, woraus sie entstanden ist, wie die Rede geht. [Schleiermacher]

[Im Zusammenhang]

 

Dem.2,9-10

Demosthenes erklärt den Athenern, warum Philipps Macht weit weniger gefestigt ist, als es scheint
  (9) Καὶ μὴν εἴ τις ὑμῶν ταῦτα μὲν οὕτως ἔχειν ἡγεῖται, οἴεται δὲ βίᾳ καθέξειν αὐτὸν τὰ πράγματα τῷ τὰ χωρία καὶ λιμένας καὶ τὰ τοιαῦτα προειληφέναι, οὐκ ὀρθῶς οἴεται. ὅταν μὲν γὰρ ὑπ' εὐνοίας τὰ πράγματα συστῇ καὶ πᾶσι ταὐτὰ συμφέρῃ τοῖς μετέχουσι τοῦ πολέμου, καὶ συμπονεῖν καὶ φέρειν τὰς συμφορὰς καὶ μένειν ἐθέλουσιν ἅνθρωποι· ὅταν δ' ἐκ πλεονεξίας καὶ πονηρίας τις ὥσπερ οὗτος ἰσχύσῃ, ἡ πρώτη πρόφασις καὶ μικρὸν πταῖσμα ἅπαντ' ἀνεχαίτισε καὶ διέλυσεν. (10) οὐ γὰρ ἔστιν, οὐκ ἔστιν, ὦ ἄνδρες Ἀθηναῖοι, ἀδικοῦντα κἀπιορκοῦντα καὶ ψευδόμενον δύναμιν βεβαίαν κτήσασθαι, ἀλλὰ τὰ τοιαῦτ' εἰς μὲν ἅπαξ καὶ βραχὺν χρόνον ἀντέχει, καὶ σφόδρα γ' ἤνθησ' ἐπὶ ταῖς ἐλπίσιν, ἂν τύχῃ, τῷ χρόνῳ δὲ φωρᾶται καὶ περὶ αὑτὰ καταρρεῖ. ὥσπερ γὰρ οἰκίας, οἶμαι, καὶ πλοίου καὶ τῶν ἄλλων τῶν τοιούτων τὰ κάτωθεν ἰσχυρότατ' εἶναι δεῖ, οὕτω καὶ τῶν πράξεων τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς ὑποθέσεις ἀληθεῖς καὶ δικαίας εἶναι προσήκει. τοῦτο δ' οὐκ ἔνι νῦν ἐν τοῖς πεπραγμένοις Φιλίππῳ. Aber gibt etwa einer unter euch dies alles zu, meint jedoch, Philipp werde sich durch die festen Plätze, die Häfen und ähnliche Vorteile, die er vorweggenommen, mit Gewalt behaupten, so urteilt er nicht richtig. Ist eine Macht auf gegenseitiges Wohlwollen gegründet, und erwarten alle Teilnehmer an einem Krieg gleiche Vorteile, dann mag jeder gern mitarbeiten, die Unfälle mitertragen und treu bleiben. Ist aber jemand durch Habsucht und Schlechtigkeit mächtig geworden, so wie dieser Mensch, dann pflegt der erste Anlass und ein kleines Unglück alles umzustürzen und aufzulösen. Denn es ist unmöglich, ja unmöglich, Athener, dass der Ungerechte, der Meineidige, der Lügner eine dauerhafte Macht gründe. Solche Zustände halten einmal und eine kurze Zeit aus, stehen auch gar, wenn's trifft, in voller Blüte in den Augen der Menschen, aber die Zeit entlarvt sie, und sie sinken in sich selbst zusammen. Denn wie bei einem Haus, einem Schiff und ähnlichen Dingen der unterste Teil zugleich der stärkste sein muss, so soll auch bei den Handlungen Wahrheit und Gerechtigkeit ihren Grund und ihre Unterlage bilden. Dies ist jedoch bei Philipps gegenwärtigen Handlungen nicht der Fall. (nach Döderlein)

[Im Zusammenhang] [Zur Diskussion des Gerechtigkeitsbegriffs in Platons Staat]

 

Plat.Polit.433a ff.

 
 

Ἀλλ', ἦν δ' ἐγώ, ἄκουε εἴ τι ἄρα λέγω. ὃ γὰρ ἐξ ἀρχῆς ἐθέμεθα δεῖν ποιεῖν διὰ παντός, ὅτε τὴν πόλιν κατῳκίζομεν, τοῦτό ἐστιν, ὡς ἐμοὶ δοκεῖ, ἤτοι τούτου τι εἶδος ἡ δικαιοσύνη. ἐθέμεθα δὲ δήπου καὶ πολλάκις ἐλέγομεν, εἰ μέμνησαι, ὅτι ἕνα ἕκαστον ἓν δέοι ἐπιτηδεύειν τῶν περὶ τὴν πόλιν, εἰς ὃ αὐτοῦ ἡ φύσις ἐπιτηδειοτάτη πεφυκυῖα εἴη.

Ἐλέγομεν γάρ.

Καὶ μὴν ὅτι γε τὸ τὰ αὑτοῦ πράττειν καὶ μὴ πολυπραγμονεῖν δικαιοσύνη ἐστί, καὶ τοῦτο ἄλλων τε πολλῶν ἀκηκόαμεν καὶ αὐτοὶ πολλάκις εἰρήκαμεν.

Εἰρήκαμεν γάρ.

Τοῦτο τοίνυν, ἦν δ' ἐγώ, ὦ φίλε, κινδυνεύει τρόπον τινὰ γιγνόμενον ἡ δικαιοσύνη εἶναι, τὸ τὰ αὑτοῦ πράττειν. οἶσθα ὅθεν τεκμαίρομαι; [...]

Ἔστι ταῦτα.

Ἰδὲ δὴ ἐὰν σοὶ ὅπερ ἐμοὶ συνδοκῇ. τέκτων σκυτοτόμου ἐπιχειρῶν ἔργα ἐργάζεσθαι ἢ σκυτοτόμος τέκτονος, ἢ τὰ ὄργανα μεταλαμβάνοντες τἀλλήλων ἢ τιμάς, ἢ καὶ ὁ αὐτὸς ἐπιχειρῶν ἀμφότερα πράττειν, πάντα τἆλλα μεταλλαττόμενα, ἆρά σοι ἄν τι δοκεῖ μέγα βλάψαι πόλιν;

Οὐ πάνυ, ἔφη.

Ἀλλ' ὅταν γε οἶμαι δημιουργὸς ὢν ἤ τις ἄλλος χρηματιστὴς φύσει, ἔπειτα ἐπαιρόμενος ἢ πλούτῳ ἢ πλήθει ἢ ἰσχύι ἢ ἄλλῳ τῳ τοιούτῳ εἰς τὸ τοῦ πολεμικοῦ εἶδος ἐπιχειρῇ ἰέναι, ἢ τῶν πολεμικῶν τις εἰς τὸ τοῦ βουλευτικοῦ καὶ φύλακος ἀνάξιος ὤν, καὶ τὰ ἀλλήλων οὗτοι ὄργανα μεταλαμβάνωσι καὶ τὰς τιμάς, ἢ ὅταν ὁ αὐτὸς πάντα ταῦτα ἅμα ἐπιχειρῇ πράττειν, τότε οἶμαι καὶ σοὶ δοκεῖν ταύτην τὴν τούτων μεταβολὴν καὶ πολυπραγμοσύνην ὄλεθρον εἶναι τῇ πόλει.

Παντάπασι μὲν οὖν.

Ἡ τριῶν ἄρα ὄντων γενῶν πολυπραγμοσύνη καὶ μεταβολὴ εἰς ἄλληλα μεγίστη τε βλάβη τῇ πόλει καὶ ὀρθότατ' ἂν προσαγορεύοιτο μάλιστα κακουργία.

Κομιδῇ μὲν οὖν.

Κακουργίαν δὲ τὴν μεγίστην τῆς ἑαυτοῦ πόλεως οὐκ ἀδικίαν φήσειςεἶναι;

Πῶς δ' οὔ;

Also, sprach ich, höre, ob etwas daran ist. Nämlich was wir von Anfang an festgesetzt haben, was jeder durchgängig tun müsste, als wir die Stadt gründeten, ebendieses oder doch eine Art davon ist, wie mich dünkt, die Gerechtigkeit. Denn wir haben ja festgesetzt und oftmals gesagt, wenn du dich dessen erinnerst, dass jeder sich nur auf eines befleißigen müsse von dem, was zum Staate gehört, wozu nämlich seine Natur sich am geschicktesten eignet. 

Das haben wir freilich gesagt. 

Und gewiss, dass das Seinige tun und sich nicht in vielerlei mischen Gerechtigkeit ist, auch das haben wir von vielen andern gehört und gewiss auch öfters selbst gesagt. 

Gewiss haben wir es gesagt. 

Dieses also, o Lieber, sprach ich, wenn es auf gewisse Weise geschieht, scheint die Gerechtigkeit zu sein, dass jeder das Seinige verrichtet. Weißt du, woher ich das schließe?

Nein, sondern sage es! antwortete er. 

Mich dünkt nämlich, sprach ich, das noch übrige in der Stadt, außer dem, was wir schon betrachtet haben, der Besonnenheit, Tapferkeit und Vernünftigkeit, müsse dasjenige sein, was jenen insgesamt die Kraft gibt, dazusein, und müsse auch jenes, nachdem es nun da ist, erhalten, solange es selbst vorhanden ist. Nun aber sagten wir doch, die Gerechtigkeit müsse dasjenige sein, was noch fehle, wenn wir die drei andern würden gefunden haben. 

Und das ist auch notwendig so, sagte er. 

Aber doch, sprach ich, wenn man nun entscheiden sollte, welche von diesen wohl vorzüglich unsere Stadt gut mache durch ihre Anwesenheit, so möchte schwer zu entscheiden sein, ob die Eigentümlichkeit der Herrschenden und Beherrschten oder der gesetzmäßigen Vorstellung von dem, was furchtbar ist, oder nicht Aufrechthaltung unter den Kriegsmännern, oder die den Herrschenden einwohnende Einsicht und Obhut, oder ob das sie vorzüglich gut macht, wenn sich bei Kindern und Weibern, Knechten und Freien, gemeinen Arbeitern und Herrschenden und Beherrschten dieses findet, dass jeder, wie er einer ist, auch nur das Seinige tut und sich nicht in vielerlei mischt! 

Schwer zu entscheiden, sagte er, allerdings. 

Es wetteifert also in bezug auf die Tugend der Stadt mit der Weisheit und Besonnenheit und Tapferkeit diese Eigenschaft, dass jeder in ihr das Seinige tut. 

Gar sehr, sagte er. 

Und du würdest doch wohl nur der Gerechtigkeit einen Wettstreit mit jenen in bezug auf die Tugend der Stadt zugestehen? 

Allerdings. [Schleiermacher]

V.Pöschl (Römischer Staat und griechisches Staatsdenken bei Cicero, Darmstadt (WBG) 1962, S. 111 f.) zum δικαιοσύνη-Begriff Platons in der Politeia

"In der δικαιοσύνη glaubt Platon die Formel, das Prinzip in der Hand zu haben, das die Ordnung des ganzen Seins umgreift. Die sokratische Definitionsfrage des ersten Politeiabuches weitet sich aus zu der Ordnung des Staates, zur Ordnung der Seele, ja schließlich im Schlussmythos... zur Ordnung der ganzen Welt, des Kosmos: hier wird die δικαιοσύνη des Menschen und des Staates an die göttliche Weltordnung, symbolisiert in der Spindel der Ananke, geknüpft. Die δικαιοσύνη ist das Prinzip der großen Ordnungen, in denen sich menschliches Dasein vollzieht. Auf der Höhe des ganzen Werkes erscheint die δικαιοσύνη als Idee, die ihr Licht vom Gotte selbst, von der Sonne des ἀγαθόν empfängt. Der Staat ist nur eine Erscheinungsform der immer gleichen Idee. Die Gerechtigkeit, nicht der Staat, ist Anfang und Ende des Ganzen."

 

Aristot.eth.Nic.1129a3-1130a13

Die Gerechtigkeit ist eine soziale Tugend. Sie erfüllt sich im Bezug auf den anderen
  (1130) αὕτη μὲν οὖν ἡ δικαιοσύνη ἀρετὴ μέν ἐστι τελεία, ἀλλ' οὐχ ἁπλῶς ἀλλὰ πρὸς ἕτερον. καὶ διὰ τοῦτο πολλάκις κρατίστη τῶν ἀρετῶν εἶναι δοκεῖ ἡ δικαιοσύνη, καὶ οὔθ' ἕσπερος οὔθ' ἑῷος οὕτω θαυμαστός· καὶ παροιμιαζόμενοί φαμεν "ἐν δὲ δικαιοσύνῃ συλλήβδην πᾶσ' ἀρετὴ ἔνι." καὶ τελεία μάλιστα ἀρετή, ὅτι τῆς τελείας ἀρετῆς χρῆσίς ἐστιν. τελεία δ' ἐστίν, ὅτι ὁ ἔχων αὐτὴν καὶ πρὸς ἕτερον δύναται τῇ ἀρετῇ χρῆσθαι, ἀλλ' οὐ μόνον καθ' αὑτόν· πολλοὶ γὰρ ἐν μὲν τοῖς οἰκείοις τῇ ἀρετῇ δύνανται χρῆσθαι, ἐν δὲ τοῖς πρὸς ἕτερον ἀδυνατοῦσιν. καὶ διὰ τοῦτο εὖ δοκεῖ ἔχειν τὸ τοῦ Βίαντος, ὅτι ἀρχὴ ἄνδρα δείξει· πρὸς ἕτερον γὰρ καὶ ἐν κοινωνίᾳ ἤδη ὁ ἄρχων. διὰ δὲ τὸ αὐτὸ τοῦτο καὶ ἀλλότριον ἀγαθὸν δοκεῖ εἶναι ἡ δικαιοσύνη μόνη τῶν ἀρετῶν, ὅτι πρὸς ἕτερόν ἐστιν· ἄλλῳ γὰρ τὰ συμφέροντα πράττει, ἢ ἄρχοντι ἢ κοινωνῷ. κάκιστος μὲν οὖν ὁ καὶ πρὸς αὑτὸν καὶ πρὸς τοὺς φίλους χρώμενος τῇ μοχθηρίᾳ, ἄριστος δ' οὐχ ὁ πρὸς αὑτὸν τῇ ἀρετῇ ἀλλὰ πρὸς ἕτερον· τοῦτο γὰρ ἔργον χαλεπόν. αὕτη μὲν οὖν ἡ δικαιοσύνη οὐ μέρος ἀρετῆς ἀλλ' ὅλη ἀρετή ἐστιν, οὐδ' ἡ ἐναντία ἀδικία μέρος κακίας ἀλλ' ὅλη κακία. τί δὲ διαφέρει ἡ ἀρετὴ καὶ ἡ δικαιοσύνη αὕτη, δῆλον ἐκ τῶν εἰρημένων· ἔστι μὲν γὰρ ἡ αὐτή, τὸ δ' εἶναι οὐ τὸ αὐτό, ἀλλ' ᾗ μὲν πρὸς ἕτερον, δικαιοσύνη, ᾗ δὲ τοιάδε ἕξις ἁπλῶς, ἀρετή.

 

 

Plat.Nom.756e-758a

Die Gerechtigkeit und die beiden Arten der zugrunde liegenden Gleichheit
  (756e) H μὲν αἵρεσις οὕτω γιγνομένη μέσον ἂν ἔχοι μοναρχικῆς καὶ δημοκρατικῆς πολιτείας, ἧς ἀεὶ δεῖ μεσεύειν τὴν πολιτείαν· (757a) δοῦλοι γὰρ ἂν καὶ δεσπόται οὐκ ἄν ποτε γένοιντο φίλοι, οὐδὲ ἐν ἴσαις τιμαῖς διαγορευόμενοι φαῦλοι καὶ σπουδαῖοι - τοῖς γὰρ ἀνίσοις τὰ ἴσα ἄνισα γίγνοιτ' ἄν, εἰ μὴ τυγχάνοι τοῦ μέτρου - διὰ γὰρ ἀμφότερα ταῦτα στάσεων αἱ πολιτεῖαι πληροῦνται. παλαιὸς γὰρ λόγος ἀληθὴς ὤν, ὡς ἰσότης φιλότητα ἀπεργάζεται, μάλα μὲν ὀρθῶς εἴρηται καὶ ἐμμελῶς· ἥτις δ' ἐστί ποτε ἰσότης ἡ τοῦτο αὐτὸ δυναμένη, διὰ τὸ μὴ σφόδρα σαφὴς εἶναι σφόδρα ἡμᾶς διαταράττει. (757b) δυοῖν γὰρ ἰσοτήτοιν οὔσαιν, ὁμωνύμοιν μέν, ἔργῳ δὲ εἰς πολλὰ σχεδὸν ἐναντίαιν, τὴν μὲν ἑτέραν εἰς τὰς τιμὰς πᾶσα πόλις ἱκανὴ παραγαγεῖν καὶ πᾶς νομοθέτης, τὴν μέτρῳ ἴσην καὶ σταθμῷ καὶ ἀριθμῷ, κλήρῳ ἀπευθύνων εἰς τὰς διανομὰς αὐτήν· τὴν δὲ ἀληθεστάτην καὶ ἀρίστην ἰσότητα οὐκέτι ῥᾴδιον παντὶ ἰδεῖν. Διὸς γὰρ δὴ κρίσις ἐστί, καὶ τοῖς ἀνθρώποις ἀεὶ σμικρὰ μὲν ἐπαρκεῖ, πᾶν δὲ ὅσον ἂν ἐπαρκέσῃ πόλεσιν ἢ καὶ ἰδιώταις, πάντ' ἀγαθὰ ἀπεργάζεται· (757c) τῷ μὲν γὰρ μείζονι πλείω, τῷ δ' ἐλάττονι σμικρότερα νέμει, μέτρια διδοῦσα πρὸς τὴν αὐτῶν φύσιν ἑκατέρῳ, καὶ δὴ καὶ τιμὰς μείζοσι μὲν πρὸς ἀρετὴν ἀεὶ μείζους, τοῖς δὲ τοὐναντίον ἔχουσιν ἀρετῆς τε καὶ παιδείας τὸ πρέπον ἑκατέροις ἀπονέμει κατὰ λόγον. ἔστιν γὰρ δήπου καὶ τὸ πολιτικὸν ἡμῖν ἀεὶ τοῦτ' αὐτὸ τὸ δίκαιον· οὗ καὶ νῦν ἡμᾶς ὀρεγομένους δεῖ καὶ πρὸς ταύτην τὴν ἰσότητα, ὦ Κλεινία, ἀποβλέποντας, τὴν νῦν φυομένην κατοικίζειν πόλιν. (757d) ἄλλην τε ἄν ποτέ τις οἰκίζῃ, πρὸς ταὐτὸν τοῦτο σκοπούμενον χρεὼν νομοθετεῖν, ἀλλ' οὐ πρὸς ὀλίγους τυράννους ἢ πρὸς ἕνα ἢ καὶ κράτος δήμου τι, πρὸς δὲ τὸ δίκαιον ἀεί, τοῦτο δ' ἐστὶ τὸ νυνδὴ λεχθέν, τὸ κατὰ φύσιν ἴσον ἀνίσοις ἑκάστοτε δοθέν· ἀναγκαῖόν γε μὴν καὶ τούτοις παρωνυμίοισί ποτε προσχρήσασθαι πόλιν ἅπασαν, εἰ μέλλει στάσεων ἑαυτῇ μὴ προσκοινωνήσειν κατά τι μέρος (757e) - τὸ γὰρ ἐπιεικὲς καὶ σύγγνωμον τοῦ τελέου καὶ ἀκριβοῦς παρὰ δίκην τὴν ὀρθήν ἐστιν παρατεθραυμένον, ὅταν γίγνηται - διὸ τῷ τοῦ κλήρου ἴσῳ ἀνάγκη προσχρήσασθαι δυσκολίας τῶν πολλῶν ἕνεκα, θεὸν καὶ ἀγαθὴν τύχην καὶ τότε ἐν εὐχαῖς ἐπικαλουμένους ἀπορθοῦν αὐτοὺς τὸν κλῆρον πρὸς τὸ δικαιότατον. οὕτω δὴ χρηστέον ἀναγκαίως μὲν τοῖν ἰσοτήτοιν ἀμφοῖν, ὡς δ' ὅτι μάλιστα ἐπ' ὀλιγίστοις τῇ ἑτέρᾳ, τῇ τῆς τύχης δεομένῃ. (758a) Ταῦτα οὕτως διὰ ταῦτα, ὦ φίλοι, ἀναγκαῖον τὴν μέλλουσαν σῴζεσθαι δρᾶν πόλιν.

(756e) Eine Wahl, welche so vor sich geht, wird die Mitte halten zwischen monarchischer und demokratischer Einrichtung, zwischen denen eben eine gute Verfassung immer die Mitte halten muss, (757a) denn Sklaven und Herren werden schwerlich jemals Freunde werden und ebenso wenig schlechte und tüchtige Männer in gleichen Ehren und Würden, weil die gleichen Dinge ungleich werden wenn sie an ungleiche Leute kommen, und somit das richtige Maßverhältnis aufhört; und durch jene beiden Verfassungen müssen daher die Staaten voll Aufruhr und Zwiespalt werden. Denn ein altes und wahres Sprichwort drückt sich zwar sehr richtig und treffend dahin aus, dass gleich und gleich sich gern gesellt, aber was für eine Gleichheit es ist, die dies zu bewirken vermag, das ist großer Unklarheit unterworfen und bringt daher auch große Verwirrung bei uns Menschen zuwege. (757b) Es gibt nämlich zwei Arten von Gleichheit, welche zwar nur einen Namen führen, aber doch in Wahrheit in vielen Dingen einander beinahe geradezu entgegengesetzt sind, und die eine kann jeder Staat und jeder Gesetzgeber leicht in die Besetzung der Ehrenstellen einführen, nämlich die Gleichheit nach Maß, Zahl und Gewicht, indem er sie durch Anwendung des Loses bei der Verteilung derselben herstellt; die eigentliche und beste Gleichheit dagegen ist nicht mehr so leicht für jedermann zu erkennen, denn nur Zeus hat über sie das Urteil und die Entscheidung, und den Menschen ist allezeit nur weniges von ihr verliehen; soviel aber nur immer Staaten oder Privatleuten von ihr zuteil geworden ist, das bringt nichts als Gutes zuwege. (757c) Sie nämlich ist es, die dem Größeren mehr und dem Kleineren weniger zuteilt und ihre Gaben überhaupt im rechten Verhältnis zu der Natur des jedes Mal zu Begabenden verleiht. Und dem gemäß verteilt sie denn auch die Ehrenstellen nach Verhältnis, indem sie denen, welche reicher an Tugend sind auch reichere Ehren erweist und denen, welche sich dagegen an Tugend und Bildung umgekehrt verhalten, gleichfalls das ihnen hiernach Gebührende zukommen lässt. Und das Recht und die Gerechtigkeit, welche eben hierin besteht, sind doch wohl eben auch unsere eigentliche Staatsklugheit, und eben nach ihnen müssen wir auch jetzt bei der Gründung unseres jetzt im Entstehen begriffenen Staates hinstreben und diese Art Gleichheit bei derselben vor Augen haben, (757d) und ebenso muss, wer sonst einmal einen neuen Staat begründet, ebendies Ziel bei seiner Gesetzgebung seinem Blicke vorschweben lassen, nicht die Herrschaft eines oder mehrerer Tyrannen oder des ganzen Volkes, sondern vielmehr die des Rechts, welches, wie gesagt, eben darin besteht, dass ungleichen Leuten dasjenige verliehen werde, was der Natur eines jeden gleichkommt und entspricht. Indessen ist es notwendig, dass der gesamte Staat auch von jener anderen, ebenfalls sogenannten Gleichheit, zuweilen Gebrauch mache, wenn er anders sich vor Aufruhr in allen seinen Teilen sicherstellen will. (757e) Denn auch Billigkeit und Gnade sind ein Abbruch vom Vollkommenen und Genauen und ihre Anwendung ein Verlassen des strengen Rechts, und so ist es denn auch notwendig, die Gleichheit des Loses ebenfalls anzuwenden, um die Unzufriedenheit der Menge nicht rege zu machen, und es bleibt da nur übrig, Gott und das gute Glück anzuflehen, dass sie das Los so ausfallen lassen mögen, wie es am gerechtesten ist. So muss man denn also beide Arten von Gleichheit in Anwendung bringen, aber nur in möglichst wenigen Fällen diejenige von ihnen, welche vom Glücke abhängt. (758a) So, und zwar aus solchen Gründen, Freunde, muss ein Staat notwendig verfahren, welcher bei Bestand bleiben will. [Schleiermacher]

 

 

 

Zum Transfer: 
Stefan Dietrich: Modernes Gottesgnadentum, in FAZ 28.11.2002, Nr. 277 S. 1

   
  [...] Gerechtigkeit ist ein Wieselwort, das man nur in juristischen Gefilden zu fassen bekommt. Im politischen Raum wechselt es ständig seine Farbe, seinen Inhalt, seinen Geruch, ohne dabei seine positive Konnotation, die Aura eines in Stein gemeißelten, nicht hinterfragbaren höchsten Wertes zu verlieren. Das macht die Gerechtigkeit gerade bei Politikern so beliebt. [...] Eine gerechte Welt ist das Leitziel der Menschheit schlechthin, besser gesagt: die Leitutopie, denn erreichbar ist sie hienieden nicht. In der Annäherung an diese Utopie hat es der demokratische Rechtsstaat - darin liegt seine zivilisatorische Überlegenheit - immerhin am weitesten gebracht. Mit der Verwirklichung des Grundsatzes, dass die zur Erhaltung der Gesellschaft notwendigen Einschränkungen der Freiheit für alle gelten müssten, hat er eine wesentliche Voraussetzung von Gerechtigkeit geschaffen: die Gleichheit vor dem Gesetz. Sinnbild dieser Gleichbehandlung ohne Ansehen von Person, Geschlecht oder Stand sind die verbundenen Augen der Justitia.

Die Justitia der "sozialen Gerechtigkeit" dagegen kommt mit weit geöffneten Augen daher, prüft mit scharfem Blick, wem es schlecht geht, und gibt ihm dann von dem, was der Bessergestellte hat. Sie ist auch keine Göttin, sondern ganz und gar Mensch in Politikergestalt. Soziale Gerechtigkeit ist genau das Gegenteil von Gleichheit vor dem Gesetz, nämlich gewollte Ungleichbehandlung: der Versuch, die Tücken des Schicksals zu korrigieren. Das fängt bei der Steuerprogression an und hört bei der Hilfe zum Unterhalt in besonderen Lebenslagen noch lange nicht auf. Sosehr das "im Prinzip" gesellschaftlich erwünscht ist, so sehr verlangen gerade die handgesteuerten Eingriffe in die Freiheit des einzelnen ihrerseits nach einem zugrunde liegenden Prinzip, damit aus willkürlicher Umverteilung ein als gerecht empfundener sozialer Ausgleich werden kann.

Der vor wenigen Tagen verstorbene amerikanische Philosoph John Rawls hat auch der Justitia der sozialen Gerechtigkeit die Augen verbunden. Gerecht nannte Rawls eine Gesellschaft, in der Bildungschancen, Informationszugänge und Vermögensverteilung so geregelt sind, dass sie von einem objektiven Standpunkt aus - unabhängig von individueller Betroffenheit - von allen als "fair" akzeptiert werden können. Die Politik sei ständig danach zu befragen, meinte Rawls, ob ihre Maßnahmen der Herstellung und Fortentwicklung einer so eingerichteten Gesellschaft dienten.
  1. Was ist mit "Wieselwort" gemeint? Warum lieben Politiker angeblich solche Wieselwörter?

    "Wieselwort" meint (nach einer speziellen Art des Wiesels, Eier zu leeren) das selbe wie  "Leerbegriff". Solche Leerbegriffe spielen in der politischen Propaganda eine bevorzugte Rolle, weil man sich durch ihren Gebrauch nicht auf eine eindeutige Aussage festlegt. Was bedeutet z.B. "Lebensqualität"? Es wäre aber falsch, den Begriff der Gerechtigkeit als bloßes "Wieselwort" abzutun. Vielmehr bezeichnet er eine Idealvorstellung, der man sich zwar nähern, die man aber nie adäquat verwirklichen kann. Platon hat, um sich dem Ziel der Gerechtigkeit zu nähern, seine Politeia als Gerechtigkeitsmodell entworfen.  

  2. Macht es Sinn, zwei miteinander in Widerspruch stehende Gerechtigkeitsbegriffe zu unterscheiden? Muss dann nicht der eine den anderen aufheben, so dass sich erneut die Frage nach der Gerechtigkeit stellt?

    Wir glauben, dass es sinnvoller ist, die hier getroffene Unterscheidung nicht der Gerechtigkeit, sondern der Gleichheit zuzuschreiben. Dann ergibt sich der einheitliche Gerechtigkeitsbegriff: Jedem das Seine: Gleichen Gleiches, Ungleichen Ungleiches. Auch die verbundenen Augen der Iustitia dürfen nicht ohne Ansehen der Person alle und alles über einen Kamm scheren. Getreu der Warnung "summum ius summa iniuria" muss sie bezogen auf erschwerende oder mildernde Umstände, von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen, das heißt, neben dem strengen Recht auch Billigkeit walten lassen. Auch die "soziale Gerechtigkeit" muss Gleiche gleich behandeln.  

  3. Zielt  Platon in seinem Modellstaat nur auf einen der beiden hier unterschiedenen Gerechtigkeitstypen (juridisch, sozial)  oder gelingt es ihm, beide als Einheit zu sehen?  

 

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Sententiae excerptae:Literatur:
zu "Gerechtigkeit"
1563
Balot, R.
Aristotle"s cititque of Phaleas: Justice, Equality, and Pleonexia
in: Herm.129/2001, 99
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3410
Balot, Ryan
Aristotle"s cititque of Phaleas: Justice, Equality, and Pleonexia
in: Herm. 129/2001, 32
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1474
Engisch, K.
Auf der Suche nach der Gerechtigkeit. Hauptthemen der Rechtsphilosophie
München (Piper) 1971
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44
Friedrich, W.H.
Tod des Tyrannen. Poetische Gerechtigkeit.. (Geschichtschreibung, Herodot)
in: AuA 18/1972,97
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3491
Hueber, Walter
Gerechtigkeitskonzeptionen bei Homer und Hesiod
1986
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538
Johann, H.-T. (Hg.)
Gerechtigkeit und Nutzen. Studien zur ciceronischen und hellenistischen Naturrechts- und Staatslehre
Heidelberg (Winter) 1981
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4417
Kerber, W. / Westermann, C. / Spörlein, B.
Gerechtigkeit
in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, TBd.17, (Herder) Freiburg, Basel, Wien, 1981
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3169
Klingner, Friedrich
Römische Geisteswelt
München, Ellermann, 5/1965
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3492
Laumann, Wolfgang
Die Gerechtigkeit der Götter in der Odyssee, bei Hesiod und bei den Lyrikern
Rheinfelden, Schäuble, 1988
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4426
Schwan, A.
Legitimation
in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, TBd.27, (Herder) Freiburg, Basel, Wien, 1982
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1496
Seeck, Gustav Adolf
Nicht-Denkfehler und natürliche Sprache bei Platon. Gerechtigkeit und Frömmigkeit in Platons Protagoras
München (Beck) 1997 (Zetemata 96 )
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3506
Wismann, Heinz
Der Begriff des Gesetzes bei Hesiod und den Vorsokratikern
in: Gesetz und Gesetzlichkeit in den Wissenschaften (2006), S.1-10
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