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Publius Ovidius Naso

METAMORPHOSES - Verwandlungen

LIBER VI - lat.-dtsch.

1. Arachne (1-143), 2. Niobe (146-312), 3. Lykische Bauern (313-381), 4. Marsyas (382-400), 5. Pelops (401-411), 6. Tereus, Procne und Philomela (412-674), 7. Boreas und Orithyia (675-721)

lat. - dtsch. | I | II | III | IV | V | VI | VII | VIII | IX | X | XI | XII | X | XI | XII
lateinisch: | I | II | III | IV | V | VI | VII | VIII | IX | X | XI | XII | X | XI | XII
deutsch: | I | II | III | IV | V | VI | VII | VIII | IX | X | XI | XII | X | XI | XII
Kompos.: | I | II | III | IV | V | VI | VII | VIII | IX | X | XI | XII | X | XI | XII
  1. Arachne (1-143)
1


Praebuerat dictis Tritonia talibus aures
carminaque Aonidum iustamque probaverat iram;
tum secum: 'laudare parum est, laudemur et ipsae
numina nec sperni sine poena nostra sinamus.'
Achtsam hatte gelauscht Tritonia dieser Erzählung
Und den Gesang und den Zorn der aonischen Mädchen gebilligt.
"Loben ist wenig", begann sie für sich, "selbst muss ich gelobt sein,
Und schwer büße die Schuld, wer Hohn spricht unserer Gottheitl"
5



Maeoniaeque animum fatis intendit Arachnes,
quam sibi lanificae non cedere laudibus artis
audierat. non illa loco nec origine gentis
clara, sed arte fuit: pater huic Colophonius Idmon
Phocaico bibulas tinguebat murice lanas;
Auf der Arachne Geschick, der Maionerin, sinnt sie im Geiste,
Die, wie sie hatte gehört, an Lob in der Wollebereitung
Nicht nachstand ihr selbst. Nicht Ort, noch edele Herkunft,
Kunst nur brachte ihr Ruhm. Ihr Vater, aus Kolophon Idmon,
Tauchte die saugende Woll' in den Saft phokaiischer Schnecken.
occiderat mater, sed et haec de plebe suoque
aequa viro fuerat; Lydas tamen illa per urbes
quaesierat studio nomen memorabile, quamvis
orta domo parva parvis habitabat Hypaepis.
huius ut adspicerent opus admirabile, saepe
Tot war die Mutter bereits, doch die auch war aus dem Volke
Und mit dem Mann ganz gleich. Doch rings in den lydischen Städten
Hatte sich jene durch Fleiß denkwürdigen Namen erworben,
Ob auch niedrer Geburt sie bewohnte das kleine Hypaipa.
Oftmals, dort zu besehn die bewunderungswürdige Arbeit,
deseruere sui nymphae vineta Timoli,
deseruere suas nymphae Pactolides undas.
nec factas solum vestes, spectare iuvabat
tum quoque, cum fierent: tantus decor adfuit arti,
sive rudem primos lanam glomerabat in orbes,
Kamen die Nymphen herzu von den Weinhöhn ihres Timolos,
Kamen, entstiegen dem Fluss, herzu die paktolischen Nymphen,
Und nicht sahen sie bloß mit Ergötzen die fertigen Zeuge,
Auch die Fertigung selbst - es paarte Geschick sich mit Anmut –
Wenn zum Ballen zuerst sie vereinte die gröbere Wolle,
seu digitis subigebat opus repetitaque longo
vellera mollibat nebulas aequantia tractu,
sive levi teretem versabat pollice fusum,
seu pingebat acu; scires a Pallade doctam.
quod tamen ipsa negat tantaque offensa magistra
Wenn mit den Fingern den Stoff sie schlichtete oder geschmeidig
Machte mit häufigem Strich dem Nebel vergleichbare Flocken
Oder mit gleitendem Daumen umschwang die gerundete Spindel
Oder wenn stickend sie saß; sie lernte, so schien es, von Pallas.
Doch sie leugnet' erzürnt, dass Meisterin wäre die Göttin:
'certet' ait 'mecum: nihil est, quod victa recusem!'
Pallas anum simulat: falsosque in tempora canos
addit et infirmos, baculo quos sustinet, artus.
tum sic orsa loqui 'non omnia grandior aetas,
quae fugiamus, habet: seris venit usus ab annis.
"Streite sie", sprach sie, "mit mir! Nichts will ich bezwungen verweigern."
Greisengestalt nimmt Pallas und fügt sich verstellt an die Schläfen
Trügliches Grau und stützt mit dem Stab die gebrechlichen Glieder.
Drauf hob also sie an: "Nicht bringen die höheren Jahre
Unannehmliches nur; es kommt mit dem Alter Erfahrung.
consilium ne sperne meum: tibi fama petatur
inter mortales faciendae maxima lanae;
cede deae veniamque tuis, temeraria, dictis
supplice voce roga: veniam dabit illa roganti.'
adspicit hanc torvis inceptaque fila relinquit
Unseren Rat nicht achte gering. Bei den Sterblichen magst du
Immer den größten Ruhm in der Wollarbeit dir erstreben;
Weiche der Göttin jedoch und reuig erbitte Verzeihung
Für das vermessene Wort. Der Bittenden wird sie verzeihen."
Grimm schaut jene sie an und lässt vom begonnenen Faden,
vixque manum retinens confessaque vultibus iram
talibus obscuram resecuta est Pallada dictis:
'mentis inops longaque venis confecta senecta,
et nimium vixisse diu nocet. audiat istas,
si qua tibi nurus est, si qua est tibi filia, voces;
Und kaum haltend die Hand und Zorn in den Mienen bekennend
Gibt sie folgender Art der verkleideten Pallas zur Antwort:
"Arm an Verstand und geschwächt vom lastenden Alter erscheinst du.
Schlimm, wer gar zu lange gelebt. So fades Gerede
Höre, wenn eine du hast, die Schnur an oder die Tochter.
consilii satis est in me mihi, neve monendo
profecisse putes, eadem est sententia nobis.
cur non ipsa venit? cur haec certamina vitat?'
tum dea 'venit!' ait formamque removit anilem
Palladaque exhibuit: venerantur numina nymphae
Rat schon find' ich genug bei mir selbst. Dass deine Vermahnung
Fruchtet, wähne du nicht; wir bleiben bei unserem Sinne.
Warum kommt sie nicht selbst? Warum scheut jene die Wette?"
"Wohl", sprach Pallas, "sie kam." Und der Greisengestalt sich begebend,
Stand als Göttin sie da. Ihr zollen die Nymphen Verehrung
Mygdonidesque nurus; sola est non territa virgo,
sed tamen erubuit, subitusque invita notavit
ora rubor rursusque evanuit, ut solet aer
purpureus fieri, cum primum Aurora movetur,
et breve post tempus candescere solis ab ortu.
Und die mygdonischen Fraun; frei nur vom Schreck ist die Jungfrau.
Aber sie ward doch rot, und von selbst ging über ihr Antlitz
Plötzliche Glut und schwand gleich wieder hinweg, wie in Purpur
Pflegt zu erscheinen die Luft, wenn früh Aurora heraufzieht
Und nach geringem Verzug verblasst von den Strahlen der Sonne.
perstat in incepto stolidaeque cupidine palmae
in sua fata ruit; neque enim Iove nata recusat
nec monet ulterius nec iam certamina differt.
haud mora, constituunt diversis partibus ambae
et gracili geminas intendunt stamine telas:
Doch sie beharrt im Entschluss, und nach törichter Palme begierig
Rennt sie in ihren Verderb. Nicht weigert sich Iupiters Tochter,
Noch auch warnt sie mehr und verschiebt nicht länger den Wettstreit.
Ohne Verzug nun nehmen sie Stand an gesonderten Stellen,
Und jedwede bespannt mit feinstem Gespinste den Webstuhl.
tela iugo vincta est, stamen secernit harundo,
inseritur medium radiis subtemen acutis,
quod digiti expediunt, atque inter stamina ductum
percusso paviunt insecti pectine dentes.
utraque festinant cinctaeque ad pectora vestes
Fest ist der Zettel am Baum und vom Rohre geschieden der Aufzug.
Zwischengefügt wird jetzt vom spitzigen Schiffchen der Einschlag,
Den abwickelt die Hand, und quer durch die Fäden gezogen
Von des gestoßenen Kamms durchbrochenen Zähnen verdichtet.
Beide beeilen das Werk und rühren, am Busen gegürtet,
bracchia docta movent, studio fallente laborem.
illic et Tyrium quae purpura sensit aenum
texitur et tenues parvi discriminis umbrae;
qualis ab imbre solent percussis solibus arcus
inficere ingenti longum curvamine caelum;
Während die Müh' ihr Eifer verkürzt, die kundigen Arme.
Dort wird Purpur gewebt, der tyrischen Kessel empfunden,
Schatten dazu so zart und kaum zu gewahrenden Wechsels,
Wie beim Regenguss, wenn die Strahlen sich brechen, ein Bogen
Pflegt mit gewaltigem Rund zu zeichnen die Weite des Himmels;
in quo diversi niteant cum mille colores,
transitus ipse tamen spectantia lumina fallit:
usque adeo, quod tangit, idem est; tamen ultima distant.
illic et lentum filis inmittitur aurum
et vetus in tela deducitur argumentum.
Licht erglänzten darin zahllose verschiedene Farben,
Doch die Veränderung selbst entgeht dem betrachtenden Auge:
So ist, was sich berührt, ganz gleich, das Entferntere ungleich.
Dort durchwirken sie auch mit geschmeidigem Golde die Fäden,
Und im Gewebe erhebt sich ein altertümlicher Inhalt.
Cecropia Pallas scopulum Mavortis in arce
pingit et antiquam de terrae nomine litem.
bis sex caelestes medio Iove sedibus altis
augusta gravitate sedent; sua quemque deorum
inscribit facies: Iovis est regalis imago;
Auf der kekropischen Burg stellt Pallas den Felsen des Mavors
Dar und aus früherer Zeit den Streit um den Namen des Landes.
Harrend in würdigem Ernst auf erhöhten Sesseln, in Mitten
Iupiter, sitzen die zwölf Unsterblichen. Jeden der Götter
Zeichnet besondre Gestalt. Hochherrlich ist Iupiters Aussehn.
stare deum pelagi longoque ferire tridente
aspera saxa facit, medioque e vulnere saxi
exsiluisse fretum, quo pignore vindicet urbem;
at sibi dat clipeum, dat acutae cuspidis hastam,
dat galeam capiti, defenditur aegide pectus,
Stehend erscheint der Beherrscher des Meers, und mit mächtigem Dreizack
Stößt er auf rauhes Gestein und lockt aus der Wunde des Felsens
Springende Flut, durch solchen Beweis die Stadt zu gewinnen.
Doch sich gibt sie den Schild und mit schneidender Spitze die Lanze
Und auf dem Haupte den Helm; die Brust ist beschützt von der Aigis.
percussamque sua simulat de cuspide terram
edere cum bacis fetum canentis olivae;
mirarique deos: operis Victoria finis.
ut tamen exemplis intellegat aemula laudis,
quod pretium speret pro tam furialibus ausis
Dar dann stellt sie im Bild, wie getroffen von ihr mit dem Speere
Zeugte das Land samt Beeren den Schoss des graulichen Ölbaums
Und wie die Götter gestaunt. Ihr Sieg ist das Ende der Arbeit.
Dass an anderen auch des Ruhms Mitwerberin lerne,
Was sie zu hoffen als Lohn für dies unsinnige Wagnis,
quattuor in partes certamina quattuor addit,
clara colore suo, brevibus distincta sigillis:
Threiciam Rhodopen habet angulus unus et Haemum,
nunc gelidos montes, mortalia corpora quondam,
nomina summorum sibi qui tribuere deorum;
Fügt vier Wetten sie bei in gleichviel Ecken des Werkes,
Sichtlich in farbigem Glanz und in zierlichen Bildchen gezeichnet.
Rhodope zeigt ein Winkel dem Blick und den thrakischen Haimos,
Frostige Höhn nunmehr, doch vormals sterbliche Leiber,
Die sich zu nennen gewagt mit den Namen der obersten Götter.
altera Pygmaeae fatum miserabile matris
pars habet: hanc Iuno victam certamine iussit
esse gruem populisque suis indicere bellum;
pinxit et Antigonen, ausam contendere quondam
cum magni consorte Iovis, quam regia Iuno
Aber ein anderer Teil enthält der pygmaiischen Mutter
Trauriges Los. Die musste, besiegt in der Wette, zum Kranich
Werden auf Iunos Geheiß und bekriegen das eigene Völklein.
Auch Antigones Bild ist gewirkt, die sich mit der Gattin
Iupiters einst zu messen gewagt. Die Königin Iuno
in volucrem vertit, nec profuit Ilion illi
Laomedonve pater, sumptis quin candida pennis
ipsa sibi plaudat crepitante ciconia rostro;
qui superest solus, Cinyran habet angulus orbum;
isque gradus templi, natarum membra suarum,
Schuf zum Vogel sie um. Nicht Ilion mochte sie schützen,
Vater Laomedon nicht, dass nicht sie in weißem Gefieder
Beifall gebe sich selbst als Storch mit dem klappernden Schnabel.
Die von den Ecken noch frei, nimmt Kinyras auf, den verwaisten:
Der hält jammernd umfasst die Stufen des Tempels, der Tochter
amplectens saxoque iacens lacrimare videtur.
circuit extremas oleis pacalibus oras
(is modus est) operisque sua facit arbore finem.
Maeonis elusam designat imagine tauri
Europam: verum taurum, freta vera putares;
Glieder zuvor, und scheint auf die Steine gesunken zu weinen.
Außen umgibt sie den Rand mit des Ölbaums friedlichen Zweigen.
Das ist der Schluss, und sie endet das Werk mit dem heiligen Baume.
Doch die Maionerin malt Europa, berückt von des Stieres
Trugbild. Wirklich erschien der Stier und wirklich die Meerflut.
ipsa videbatur terras spectare relictas
et comites clamare suas tactumque vereri
adsilientis aquae timidasque reducere plantas.
fecit et Asterien aquila luctante teneri,
fecit olorinis Ledam recubare sub alis;
Nach dem verlassenen Land - so wähnte man - blickte die Jungfrau,
Und man ersah, wie sie rief die Gefährtinnen und die Berührung
Scheute der hüpfenden Flut und die furchtsame Sohle zurückzog.
Auch Asterie malt sie, gefasst von dem ringenden Adler;
Leda bildet sie auch, wie der Schwan sie deckt mit den Flügeln;
addidit, ut satyri celatus imagine pulchram
Iuppiter inplerit gemino Nycteida fetu,
Amphitryon fuerit, cum te, Tirynthia, cepit,
aureus ut Danaen, Asopida luserit ignis,
Mnemosynen pastor, varius Deoida serpens.
Dann, wie Iupiter sich in der Hülle des Satyrs versteckend
Füllte mit doppelter Frucht die reizende Tochter des Nykteus;
Wie er Amphitryon war, da er dir, Tiryntherin, nahte;
Wie er zu Danae kam als Gold, als Feuer Aigina,
Deos Tochter als Schlange, als Hirt Mnemosyne täuschte.
te quoque mutatum torvo, Neptune, iuvenco
virgine in Aeolia posuit; tu visus Enipeus
gignis Aloidas, aries Bisaltida fallis,
et te flava comas frugum mitissima mater
sensit equum, sensit volucrem crinita colubris
Dich auch zeigt sie, Neptunus, gesellt zur aiolischen Jungfrau,
Die als grimmiger Stier du gewannst. In Gestalt des Enipeus
Zeugst du Aloeus' Geschlecht, bist Widder der Bisaltide.
Sie auch, golden an Haar, der Frucht allgütige Mutter,
Fühlt dich als Ross; dich fühlt als Vogel die schlangenbehaarte
mater equi volucris, sensit delphina Melantho:
omnibus his faciemque suam faciemque locorum
reddidit. est illic agrestis imagine Phoebus,
utque modo accipitris pennas, modo terga leonis
gesserit, ut pastor Macareida luserit Issen,
Mutter des fliegenden Pferds; als Delphin auch fühlt dich Melantho.
Allen verleiht sie getreue Gestalt und bildet die Gegend
Ebenso treu. Da steht auch Phoibos in bäurischer Bildung,
Hier mit der Hülle vom Leu, dort mit dem Gefieder des Habichts;
Wie er berückt als Hirte die Tochter des Makareus, Isse;
Liber ut Erigonen falsa deceperit uva,
ut Saturnus equo geminum Chirona crearit.
ultima pars telae, tenui circumdata limbo,
nexilibus flores hederis habet intertextos.
Non illud Pallas, non illud carpere Livor
Wie als Traube verstellt Erigone Liber betrogen;
Wie Saturnus gezeugt als Ross den zwiefachen Cheiron.
Wo an dem äußersten Rand sich schmal ein Streifen herumzieht,
Webt noch Blumen sie ein durchflochten mit Efeuranken.
Nicht kann Pallas das Werk, nicht kann es verkleinern die Missgunst.
possit opus: doluit successu flava virago
et rupit pictas, caelestia crimina, vestes,
utque Cytoriaco radium de monte tenebat,
ter quater Idmoniae frontem percussit Arachnes.
non tulit infelix laqueoque animosa ligavit
Aber es kränkt der Erfolg die männliche blonde Minerva,
Und sie zerreißt das bunte Gewirk, die himmlischen Laster,
Und wie gerade sie hielt vom kytorischen Berge das Webschiff,
Schlug sie drei, vier Mal auf die Stirne die Tochter des Idmon.
Nicht trägt jene die Schmach, und sie schnürt sich entschlossen die Kehle
guttura: pendentem Pallas miserata levavit
atque ita 'vive quidem, pende tamen, inproba' dixit,
'lexque eadem poenae, ne sis secura futuri,
dicta tuo generi serisque nepotibus esto!'
post ea discedens sucis Hecateidos herbae
Zu mit dem Strick. Mitleidig erlöst die Hangende Pallas:
"Lebe denn", sagte sie, "fort, doch ständig, du Frevlerin, hange,
Und dies selbe Gericht, dass nicht dich getröste die Zukunft,
Sei auch deinem Geschlecht und den spätesten Enkeln gesprochen."
Und sie besprengt mit dem Saft hekateischen Krautes im Weggehn
sparsit: et extemplo tristi medicamine tactae
defluxere comae, cum quis et naris et aures,
fitque caput minimum; toto quoque corpore parva est:
in latere exiles digiti pro cruribus haerent,
cetera venter habet, de quo tamen illa remittit
Jener den Leib, und sofort, wie das traurige Gift sie berührte,
Schwinden die Haare hinweg und die Nase zugleich und die Ohren.
Klein einschrumpfet das Haupt, und klein wird alles am Körper;
Schmächtige Finger bekommt an der Stelle der Beine die Seite;
Sonst ist alles nur Bauch. Aus dem noch sendet sie immer
stamen et antiquas exercet aranea telas. Fäden und fügt mit Fleiß als Spinne die alten Gewebe.
  2. Niobe (146-312)



Lydia tota fremit, Phrygiaeque per oppida facti
rumor it et magnum sermonibus occupat orbem.
ante suos Niobe thalamos cognoverat illam,
tum cum Maeoniam virgo Sipylumque colebat;
Durch ganz Lydien geht und Phrygiens Städte die Kunde
Solchen Geschicks und erfüllt mit Gerede die Weite der Länder.
Niobe hatte gekannt die Gewandelte vor der Vermählung,
Als in Maionien noch am Sipylos wohnte die Jungfrau.
nec tamen admonita est poena popularis Arachnes,
cedere caelitibus verbisque minoribus uti.
multa dabant animos; sed enim nec coniugis artes
nec genus amborum magnique potentia regni
sic placuere illi, quamvis ea cuncta placerent,
Doch nicht ward sie gemahnt von der Strafe der Landesgenossin,
Himmlischen nachzustehn und minder vermessen zu reden.
Vieles erweckte den Stolz; doch weder die Künste des Gatten,
Noch ihr beider Geschlecht und die Größe des mächtigen Reiches
Freueten so ihr Gemüt, obwohl das alles sie freute,
ut sua progenies; et felicissima matrum
dicta foret Niobe, si non sibi visa fuisset.
nam sata Tiresia venturi praescia Manto
per medias fuerat divino concita motu
vaticinata vias: 'Ismenides, ite frequentes
Wie der Kinder Besitz, und Niobe wäre von allen
Glücklichste Mutter genannt, wenn sie nicht sich selbst es geschienen.
Denn des Teiresias Kind, die zukunftwissende Manto,
Schritt in den Gassen einher, weil göttlicher Drang sie ergriffen,
Mit dem begeisterten Ruf: "Kommt, all' ihr ismenischen Weiber,
et date Latonae Latonigenisque duobus
cum prece tura pia lauroque innectite crinem:
ore meo Latona iubet.' paretur, et omnes
Thebaides iussis sua tempora frondibus ornant
turaque dant sanctis et verba precantia flammis.
Bringt der Latona zugleich und den beiden Latonagezeugten
Rauch mit frommem Gebet, und das Haar durchflechtet mit Lorbeer.
Solches gebietet Latona durch mich." Die thebanischen Frauen
Folgen gesamt, und geschmückt mit gebotenem Laube die Schläfen
Bringen sie heiligem Brand Weihrauch und bittende Worte.
Ecce venit comitum Niobe celeberrima turba
vestibus intexto Phrygiis spectabilis auro
et, quantum ira sinit, formosa; movensque decoro
cum capite inmissos umerum per utrumque capillos
constitit, utque oculos circumtulit alta superbos,
Da kommt Niobe her, umringt von der Schar des Gefolges,
Prächtig im phrygischen Kleid, das reich mit Golde durchwirkt war,
Schön, soweit es der Zorn zuließ; bewegend das schmucke
Haupt mit dem lockigen Haar, das über die Schultern herabfiel,
Stand sie, gehoben das Haupt, und rief, stolz wendend die Blicke:
'quis furor auditos' inquit 'praeponere visis
caelestes? aut cur colitur Latona per aras,
numen adhuc sine ture meum est? mihi Tantalus auctor,
cui licuit soli superorum tangere mensas;
Pleiadum soror est genetrix mea; maximus Atlas
"Welch ein verblendeter Wahn, den gesehenen Göttern gehörte
Vorzuziehn! Warum ist Latona geehrt an Altären,
Und mir huldigt ihr nicht mit Weihrauch? Mir ist der Erzeuger
Tantalos, welcher allein beim Mahl mit den Göttern gesessen.
Nah den Pleiaden verwandt ist die Zeugerin. Atlas der starke
est avus, aetherium qui fert cervicibus axem;
Iuppiter alter avus; socero quoque glorior illo.
me gentes metuunt Phrygiae, me regia Cadmi
sub domina est, fidibusque mei commissa mariti
moenia cum populis a meque viroque reguntur.
Ist mein Ahn, der trägt mit dem Nacken die Achse des Aithers.
Iupiter auch ist mein Ahn, und ich rühme mich seiner als Schwähers.
Mich scheut Phrygiens Volk, mir steht zu Gebote des Kadmos
Königsitz, und die Mauern, gefügt von den Saiten des Gatten,
Werden beherrscht von mir und dem Mann mit den Stämmen des Landes.
in quamcumque domus adverti lumina partem,
inmensae spectantur opes; accedit eodem
digna dea facies; huc natas adice septem
et totidem iuvenes et mox generosque nurusque!
quaerite nunc, habeat quam nostra superbia causam,
Wohin immer den Blick in den Räumen des Hauses ich wende,
Stellt unendliches Glück sich dar. Auch blühende Schönheit,
Göttinnen ziemend, ist mein, und Jünglinge sieben und Töchter
Gleichviel rechnet dazu und bald Eidame und Schnuren.
Fragt denn nun, ob der Grund zu meinem Stolze berechtigt,
nescio quoque audete satam Titanida Coeo
Latonam praeferre mihi, cui maxima quondam
exiguam sedem pariturae terra negavit!
nec caelo nec humo nec aquis dea vestra recepta est:
exsul erat mundi, donec miserata vagantem
Und dann wagt es und zieht mir vor die Titane Latona,
Die ein Koios gezeugt, und der die geräumige Erde,
Als in den Nöten sie war, die kärgliche Stätte geweigert.
Himmel und Wasser und Land war euerer Göttin verschlossen,
Und es verstieß sie die Welt, bis der Schweifenden Delos in Mitleid
"hospita tu terris erras, ego" dixit "in undis"
instabilemque locum Delos dedit. illa duorum
facta parens: uteri pars haec est septima nostri.
sum felix (quis enim neget hoc?) felixque manebo
(hoc quoque quis dubitet?): tutam me copia fecit.
Zurief: ‚Fremd irrst du auf dem Festland, ich in den Wogen",
Und ihr bewegliche Statt einräumte. Mutter von zweien
Wurde sie dort: das ist von meinen Geburten ein Siebtel.
Mein ist das Glück - wer leugnet es wohl? -, und glücklich verbleib' ich:
Des auch bin ich gewiss. Mich sichert die Fülle des Segens;
maior sum quam cui possit Fortuna nocere,
multaque ut eripiat, multo mihi plura relinquet.
excessere metum mea iam bona. fingite demi
huic aliquid populo natorum posse meorum:
non tamen ad numerum redigar spoliata duorum,
Ich bin höher, als dass Fortuna vermöchte zu schaden.
Vieles entreiße sie mir, viel mehr doch muss sie mir lassen.
Über die Furcht ist hinaus mein reicher Besitz. Und gesetzt auch,
Einige könnt' ich vielleicht einbüßen vom Volke der Kinder,
Nie doch werd' ich so arm, dass zwei nur blieben, Latonas
Latonae turbam, qua quantum distat ab orba?
ite - satis, properate, sacri - laurumque capillis
ponite!' deponunt et sacra infecta relinquunt,
quodque licet, tacito venerantur murmure numen.
Indignata dea est summoque in vertice Cynthi
Sämtliche Schar. Wie viel sind die wohl besser als keine?
Lasset den heiligen Dienst! Schnell geht, und leget den Lorbeer
Ab von dem Haupt!" Sie legen ihn ab, verlassen die Feier;
Aber mit stillem Gebet - das dürfen sie - flehn sie zur Gottheit.
Zorn ist der Göttin erregt, und hoch auf dem Gipfel des Kynthos
talibus est dictis gemina cum prole locuta:
'en ego vestra parens, vobis animosa creatis,
et nisi Iunoni nulli cessura dearum,
an dea sim, dubitor perque omnia saecula cultis
arceor, o nati, nisi vos succurritis, aris.
Trat zu den Zwillingen sie und sprach die folgenden Worte:
"Ich, die Mutter ihr nennt, die stolz auf eure Geburt ist
Und nur Iuno allein, sonst keiner der Göttinnen, nachsteht,
Soll nicht Göttin sein, und von immer geehrten Altären
Werd' ich verdrängt, o Kinder, wenn ihr nicht meiner euch annehmt.
nec dolor hic solus; diro convicia facto
Tantalis adiecit vosque est postponere natis
ausa suis et me, quod in ipsam reccidat, orbam
dixit et exhibuit linguam scelerata paternam.'
adiectura preces erat his Latona relatis:
Nicht das kränkt mich allein; auch Schmähungen fügte zum Frevel
Tantalos' Tochter hinzu, und unter die eigenen Kinder
Stellte sie euch, und verwaist - das falle zurück auf sie selber –
Nannte sie mich und bewies, die Verruchte, die Zunge des Vaters."
Bitten mit diesem Bericht noch wollte vereinen Latona.
'desine!' Phoebus ait, 'poenae mora longa querella est!'
dixit idem Phoebe, celerique per aera lapsu
contigerant tecti Cadmeida nubibus arcem.
Planus erat lateque patens prope moenia campus,
adsiduis pulsatus equis, ubi turba rotarum
Nicht das kränkt mich allein; auch Schmähungen fügte zum Frevel
Tantalos' Tochter hinzu, und unter die eigenen Kinder
Stellte sie euch, und verwaist - das falle zurück auf sie selber –
Nannte sie mich und bewies, die Verruchte, die Zunge des Vaters."
Bitten mit diesem Bericht noch wollte vereinen Latona.
duraque mollierat subiectas ungula glaebas.
pars ibi de septem genitis Amphione fortes
conscendunt in equos Tyrioque rubentia suco
terga premunt auroque graves moderantur habenas.
e quibus Ismenus, qui matri sarcina quondam
Und der zermalmende Huf daliegende Schollen gelockert.
Mutige Rosse besteigt von den sieben Erzeugten Amphions
Dort ein Teil, und von tyrischem Stoff rotglänzenden Rücken
Sitzen sie auf und lenken von Gold schwer wiegende Zügel.
Jetzt, wie einer davon, den einst als früheste Bürde
prima suae fuerat, dum certum flectit in orbem
quadripedis cursus spumantiaque ora coercet,
'ei mihi!' conclamat medioque in pectore fixa
tela gerit frenisque manu moriente remissis
in latus a dextro paulatim defluit armo.
Niobe trug, Ismenos, den Lauf des trabenden Tieres
Hielt im gemessenen Kreis und das schäumende Maul ihm bezähmte,
Rief er: "Weh mir!" aus und trug in der Mitte des Busens
Haftenden Pfeil, und aus sterbender Hand loslassend die Zügel
Sank er vom Bug rechtshin allmählich hinab auf die Seite.
proximus audito sonitu per inane pharetrae
frena dabat Sipylus, veluti cum praescius imbris
nube fugit visa pendentiaque undique rector
carbasa deducit, ne qua levis effluat aura:
frena tamen dantem non evitabile telum
Sipylos, diesem zunächst, der hörte das Klirren des Köchers,
Floh, die Zügel verhängt, wie der Steuerer, ahnend das Wetter,
Flieht, wenn er schaut das Gewölk, und alle die hangenden Segel
Lässt von den Rahen herab, auf dass kein Lüftchen entschlüpfe.
Aber der Jagende ward von dem unvermeidlichen Pfeile
consequitur, summaque tremens cervice sagitta
haesit, et exstabat nudum de gutture ferrum;
ille, ut erat, pronus per crura admissa iubasque
volvitur et calido tellurem sanguine foedat.
Phaedimus infelix et aviti nominis heres
Dennoch erreicht, und zitternd am Schaft saß oben im Nacken
Fest das Geschoss, und nackt stand vor aus der Kehle das Eisen.
Vorgeneigt, wie er war, stürzt über die Mähn' am gestreckten
Hals er hinab und befleckt mit rauchendem Blute die Erde.
Tantalos, der von dem Ahn den Namen geerbt, und der arme
Tantalus, ut solito finem inposuere labori,
transierant ad opus nitidae iuvenale palaestrae;
et iam contulerant arto luctantia nexu
pectora pectoribus, cum tento concita nervo,
sicut erant iuncti, traiecit utrumque sagitta.
Phaidimos hatten gerad', einstellend bisherige Übung,
Sich zu der Jünglinge Lust, zum glänzenden Ringen gewendet,
Und schon hielten sie sich und rangen in enger Umschlingung,
Brust anstemmend an Brust, als sausend vom schnellenden Strange,
So wie sie waren verschränkt, ein Pfeil durchbohrte die beiden.
ingemuere simul, simul incurvata dolore
membra solo posuere, simul suprema iacentes
lumina versarunt, animam simul exhalarunt.
adspicit Alphenor laniataque pectora plangens
advolat, ut gelidos conplexibus adlevet artus,
Beide stöhnten zugleich; die im Schmerz sich windenden Glieder
Ließen sie sinken zugleich und verdrehten, gestreckt an den Boden,
Sterbend die Augen zugleich und verhauchten die Seele gemeinsam.
Diese gewahrt Alphenor, und wund sich schlagend den Busen
Eilt er hinzu, sie umarmend die kalten Glieder zu heben.
inque pio cadit officio; nam Delius illi
intima fatifero rupit praecordia ferro.
quod simul eductum est, pars et pulmonis in hamis
eruta cumque anima cruor est effusus in auras.
at non intonsum simplex Damasicthona vulnus
Er auch fällt bei dem liebenden Dienst; denn der delische Jüngling
Bohrt in die innerste Brust ihm das unheilschwangere Eisen.
Mit dem entzogenen geht ein Stück von der Lunge, am Haken
Haftend, heraus, und das Blut strömt aus in die Luft mit dem Leben.
Doch nicht warf in den Staub ein einziger Schuss Damasichthon,
adficit: ictus erat, qua crus esse incipit et qua
mollia nervosus facit internodia poples.
dumque manu temptat trahere exitiabile telum,
altera per iugulum pennis tenus acta sagitta est.
expulit hanc sanguis seque eiaculatus in altum
Wallenden Haars. Ihn traf das Geschoss am beginnenden Schenkel,
Wo sich das sehnige Knie einbiegt zur weichen Vertiefung.
Während herauszuziehn er versucht die verderbliche Waffe,
Dringt ihm ein anderer Pfeil in den Hals bis an das Gefieder.
Wieder hinaus stößt diesen das Blut, und im treibenden Sprudel
emicat et longe terebrata prosilit aura.
ultimus Ilioneus non profectura precando
bracchia sustulerat 'di' que 'o communiter omnes,'
dixerat ignarus non omnes esse rogandos
'parcite!' motus erat, cum iam revocabile telum
Spritzt es empor und zerteilt weithin mit dem Strahle die Lüfte.
Der noch übrig allein, Ilioneus streckte die Arme
Flehend umsonst und rief: "O, all ihr Götter gemeinsam", -
Wusst' er doch nicht, dass Gebet nicht wäre vonnöten zu allen, -
"Schonung!" Gerührt war jetzt, da er nicht mehr konnte das Eisen
non fuit, arcitenens; minimo tamen occidit ille
vulnere, non alte percusso corde sagitta.
Fama mali populique dolor lacrimaeque suorum
tam subitae matrem certam fecere ruinae,
mirantem potuisse irascentemque, quod ausi
Hemmen, der schießende Gott; doch litt von gelindester Wunde
Jener den Tod, denn es schnitt in das Herz nur wenig die Spitze.
Jammern des Volks und Gerücht von dem Leid und der Ihrigen Tränen
Brachten vom plötzlichen Fall bald sichere Kunde der Mutter,
Und sie erstaunt, dass solches vermocht die Götter, und eifert,
hoc essent superi, quod tantum iuris haberent;
nam pater Amphion ferro per pectus adacto
finierat moriens pariter cum luce dolorem.
heu! quantum haec Niobe Niobe distabat ab illa,
quae modo Latois populum submoverat aris
Dass sie es hätten gewagt, dass soviel Recht sie besäßen.
Denn der Gemahl Amphion, die Brust durchstoßen vom Stahle,
Hatte verscheidend zugleich mit dem Leben geendet die Trauer.
Wie war Niobe jetzt der anderen Niobe ungleich,
Die noch eben das Volk wegtrieb von Latonas Altären
et mediam tulerat gressus resupina per urbem
invidiosa suis; at nunc miseranda vel hosti!
corporibus gelidis incumbit et ordine nullo
oscula dispensat natos suprema per omnes;
a quibus ad caelum liventia bracchia tollens
Und in der Mitte der Stadt mit erhobenem Nacken einherschritt,
Weckend der Ihrigen Neid, nun mitleidswürdig dem Feinde.
Über die Leichname wirft sie sich hin, und ohne zu wählen
Spendet sie Küsse umher an alle die Söhne zum Abschied.
Dann zum Himmel gestreckt die geröteten Arme beginnt sie:
'pascere, crudelis, nostro, Latona, dolore,
pascere' ait 'satiaque meo tua pectora luctu!
dum pars nostra iacet, et dum per funera septem
efferor: exsulta victrixque inimica triumpha!
cur autem victrix? miserae mihi plura supersunt,
"Weide dich nun an unserem Schmerz, grausame Latona,
Weide," sagt sie, " dein hartes Herz an unserer Trauer,
Während ein Teil von uns liegt und getragen ich werde in sieben
Leichen zu Grab. Frohlock' und jauchze, du siegende Feindin!
Doch wie, Siegerin du? Mir bleibt mehr übrig im Elend,
quam tibi felici; post tot quoque funera vinco!'
Dixerat, et sonuit contento nervus ab arcu;
qui praeter Nioben unam conterruit omnes:
illa malo est audax. stabant cum vestibus atris
ante toros fratrum demisso crine sorores;
Als dein eigen im Glück. Nach soviel Leichen noch sieg' ich."
Niobe sprach's. Da tönt am gespannten Bogen die Sehne,
Dass jedweder erbebt, nur Niobe nicht, vor Entsetzen.
Unglück hat sie gestählt. In schwarze Gewänder gekleidet
Standen mit hangendem Haar an den Bahren der Brüder die Schwestern.
e quibus una trahens haerentia viscere tela
inposito fratri moribunda relanguit ore;
altera solari miseram conata parentem
conticuit subito duplicataque vulnere caeco est.
[oraque compressit, nisi postquam spiritus ibat]
Eine davon, ausziehend den Pfeil, der stak im Geweide,
Starb verblutend dahin, auf den Bruder gesenkt mit dem Antlitz.
Eine, zu trösten bemüht die unglückselige Mutter,
War urplötzlich verstummt, und gekrümmt von verborgener Wunde
Hielt sie die Lippen gepresst, bis dass ihr entflohen der Atem.
haec frustra fugiens collabitur, illa sorori
inmoritur; latet haec, illam trepidare videres.
sexque datis leto diversaque vulnera passis
ultima restabat; quam toto corpore mater,
tota veste tegens 'unam minimamque relinque!
Fliehend umsonst sank diese dahin; auf der Schwester verhauchte
Jene den Geist; die hält sich versteckt; die irrt in Verzweiflung.
Sechs nun litten den Tod, an verschiedenen Wunden erlegen;
Nur die Letzte verblieb, die ganz mit dem Leibe die Mutter,
Ganz mit dem Kleide bedeckt, "O, lass mir die eine, die Jüngste!"
de multis minimam posco' clamavit 'et unam.'
dumque rogat, pro qua rogat, occidit: orba resedit
exanimes inter natos natasque virumque
deriguitque malis; nullos movet aura capillos,
in vultu color est sine sanguine, lumina maestis
Ruft sie, "Eine ja nur von den Vielen, die Jüngste begehr' ich."
Während sie fleht, sinkt auch die Erflehte. Zwischen den Toten
Saß sie vereinsamt da, bei dem Mann, den Söhnen und Töchtern,
Und ward starr von dem Weh. Kein Haar regt wehender Luftzug;
Blutes beraubt ist bleich das Gesicht; aus traurigen Wangen
stant inmota genis, nihil est in imagine vivum.
ipsa quoque interius cum duro lingua palato
congelat, et venae desistunt posse moveri;
nec flecti cervix nec bracchia reddere motus
nec pes ire potest; intra quoque viscera saxum est.
Stiert untätiger Blick. Nichts Lebendes ist an dem Bilde.
Auch die Zunge sogar wird mit dem erharschenden Gaumen
Innen zu Stein, und den Adern gebricht das Vermögen zu schlagen.
Nicht mehr beugt sich der Hals; nicht dreht sich der Arm im Gelenke,
Noch kann schreiten der Fuß, und Gestein auch sind die Geweide.
flet tamen et validi circumdata turbine venti
in patriam rapta est: ibi fixa cacumine montis
liquitur, et lacrimas etiam nunc marmora manant.
Doch hat Tränen sie noch, und ein Wirbel gewaltigen Sturmes
Reißt sie zum Heimatland. Dort fest auf dem Gipfel des Berges
Steht sie und weint, und Zähren verströmt noch heute der Marmor.
  3. Lykische Bauern (313-381)

Tum vero cuncti manifestam numinis iram
femina virque timent cultuque inpensius omnes
Da nun fürchten gesamt so Männer wie Frauen der Gottheit
Sichtbar rächenden Zorn, und eifriger dienend verehren
magna gemelliparae venerantur numina divae;
utque fit, a facto propiore priora renarrant.
e quibus unus ait: 'Lyciae quoque fertilis agris
non inpune deam veteres sprevere coloni.
res obscura quidem est ignobilitate virorum,
Alle die göttliche Macht der Zwillingsmutter Latona.
Und, wie es geht, man kommt von dem Neuen auf Altes zu sprechen.
Einer von ihnen beginnt: "In des fruchtbaren Lykiens Äckern
Trotzeten auch vordem nicht straflos Bauern der Göttin.
Zwar ist's wenig bekannt ob des niedrigen Standes der Männer,
mira tamen: vidi praesens stagnumque locumque
prodigio notum. nam me iam grandior aevo
inpatiensque viae genitor deducere lectos
iusserat inde boves gentisque illius eunti
ipse ducem dederat, cum quo dum pascua lustro,
Doch merkwürdig genug. Selbst sah ich den See und die Stätte,
Wo sich das Wunder begab. Mir hatte der Vater befohlen,
Schon zu alt und zum Weg untüchtig, erlesene Rinder
Herzuholen von dort, und mir als Führer gegeben
Einen vom Lykiervolk. Als wir durchschritten die Triften,
ecce lacu medio sacrorum nigra favilla
ara vetus stabat tremulis circumdata cannis.
restitit et pavido "faveas mihi!" murmure dixit
dux meus, et simili "faveas!" ego murmure dixi.
Naiadum Faunine foret tamen ara rogabam
Sieh, da stand inmitten des Sees, von der Asche der Opfer
Schwarz, ein alter Altar, umgeben von schwankendem Rohre.
Stehn blieb jener und sprach: 'Sei gnädig!' mit scheuem Geflüster,
Und ich sprach es ihm nach: 'Sei gnädig!' mit gleichem Geflüster.
Ob den Naiaden der Herd, ob Faunus gehörete, fragt' ich,
indigenaene, dei, cum talia rettulit hospes:
"non hac, o iuvenis, montanum numen in ara est;
illa suam vocat hanc, cui quondam regia coniunx
orbem interdixit, quam vix erratica Delos
orantem accepit tum, cum levis insula nabat;
Ob einheimischem Gott, und also versetzte der Fremde:
,Diesen Altar hat nicht, o Jüngling, inne ein Berggott:
Für sie steht er erhöht, der Iuno die Königin weiland
Untersagte die Welt, der Zuflucht kaum auf der Irrfahrt
Delos die irrende gab, als leicht noch die Insel umherschwamm.
illic incumbens cum Palladis arbore palmae
edidit invita geminos Latona noverca.
hinc quoque Iunonem fugisse puerpera fertur
inque suo portasse sinu, duo numina, natos.
iamque Chimaeriferae, cum sol gravis ureret arva,
Dort kam endlich, gestemmt an der Pallas Baum und die Palme,
Der Stiefmutter zum Trotz mit Zwillingen nieder Latona.
Aber von dort auch floh vor Iuno die Wöchnerin, sagt man,
Während sie trug an der Brust die beiden unsterblichen Kinder.
Lykiens Fluren betrat, das Land der Chimaira, die Göttin,
finibus in Lyciae longo dea fessa labore
sidereo siccata sitim collegit ab aestu,
uberaque ebiberant avidi lactantia nati.
forte lacum mediocris aquae prospexit in imis
vallibus; agrestes illic fruticosa legebant
Matt von der langen Beschwer, und sie lechzte, da drückende Sonne
Sengte das Feld, vor Durst von der dörrenden Glut des Gestirnes,
Und leer hatten die Brust ihr gesogen die hungrigen Kinder.
Sieh, da zeigt sich dem Blick mit mäßigem Wasser ein Weiher
Unten im Tal. Dort sammelten ein Landleute mit Binsen
vimina cum iuncis gratamque paludibus ulvam;
accessit positoque genu Titania terram
pressit, ut hauriret gelidos potura liquores.
rustica turba vetat; dea sic adfata vetantis:
'quid prohibetis aquis? usus communis aquarum est.
Buschiges Weidengesträuch und sumpfanwohnendes Schilfrohr.
Dahin lenkte den Schritt die Titane und beugte zur Erde
Nieder das Knie, zum Trunk sich kühlende Wellen zu schöpfen.
Aber das Landvolk wehrt. Zu den Wehrenden redet die Göttin:
,Wasser verweigert ihr mir? Zu aller Gebrauch ist das Wasser.
nec solem proprium natura nec aera fecit
nec tenues undas: ad publica munera veni;
quae tamen ut detis, supplex peto. non ego nostros
abluere hic artus lassataque membra parabam,
sed relevare sitim. caret os umore loquentis,
Sonne und Luft schuf nicht die Natur zu besondrem Besitze,
Noch das flüssige Nass. Ich kam zum gemeinsamen Gute.
Dennoch fleh' ich zu euch: o gebt es mir. Nicht ja gedacht' ich
Hier zu spülen den Leib und die abgematteten Glieder,
Sondern zu löschen den Durst. Dem Mund fehlt Feuchte zum Reden;
et fauces arent, vixque est via vocis in illis.
haustus aquae mihi nectar erit, vitamque fatebor
accepisse simul: vitam dederitis in unda.
hi quoque vos moveant, qui nostro bracchia tendunt
parva sinu,' et casu tendebant bracchia nati.
Trocken ist Gaumen und Schlund, und kaum ist Weg für die Stimme.
Trunk wird Nektar mir sein, und dass ich das Leben empfangen,
Werd' ich bekennen mit Dank. Ihr gebt mir im Wasser das Leben.
Sie auch rühren euch wohl, die an meinem Busen die Ärmchen
Halten gestreckt.' Und eben ausstreckten die Arme die Kleinen.
quem non blanda deae potuissent verba movere?
hi tamen orantem perstant prohibere minasque,
ni procul abscedat, conviciaque insuper addunt.
nec satis est, ipsos etiam pedibusque manuque
turbavere lacus imoque e gurgite mollem
Wen nicht hätten gerührt die dringlichsten Bitten der Göttin?
Aber der Haufe beharrt bei der Weigerung; scheltende Worte
Fügen sie zu und drohn, wenn nicht sie hinweg sich begebe.
Solches genügt noch nicht; sie machen mit Händen und Füßen
Trübe den See auch selbst, und mit Bosheit übenden Sprüngen
huc illuc limum saltu movere maligno.
distulit ira sitim; neque enim iam filia Coei
supplicat indignis nec dicere sustinet ultra
verba minora dea tollensque ad sidera palmas
'aeternum stagno' dixit 'vivatis in isto!'
Wühlen sie hier und dort aus dem Grund den weichen Morast auf.
Durst wich nun vor dem Zorn. Nicht flehte die Tochter des Koios
Mehr die Verworfenen an, und unter der Würde der Göttin
Redete länger sie nicht. Zu den Sternen gehoben die Hände
Sagte sie: "Lebt denn hier für ewige Zeit in dem Teiche!"
eveniunt optata deae: iuvat esse sub undis
et modo tota cava submergere membra palude,
nunc proferre caput, summo modo gurgite nare,
saepe super ripam stagni consistere, saepe
in gelidos resilire lacus, sed nunc quoque turpes
Und es geschah, wie die Göttin gewünscht. Im Wasser zu weilen
Freut sie und bald mit dem Leib ganz unterzutauchen im Sumpfe,
Bald hervorzustrecken das Haupt, bald oben zu schwimmen,
Oft an dem Ufer des Teichs zu sitzen und oft in die kalte
Lache zurückzuspringen in Hast. Schmähsüchtige Zungen
litibus exercent linguas pulsoque pudore,
quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant.
vox quoque iam rauca est, inflataque colla tumescunt,
ipsaque dilatant patulos convicia rictus;
terga caput tangunt, colla intercepta videntur,
Üben sie jetzt auch noch und schreien mit schamloser Frechheit;
Ob auch Wasser sie deckt, keck zanken und keifen sie immer.
Heiser erschallt ihr Ruf, und es schwillt der geblähete Hals auf;
Ihr weit offenes Maul schreit Lästerung noch in die Weite.
Schulter berührt sich und Kopf, und der Hals scheint mitten zu fehlen.
spina viret, venter, pars maxima corporis, albet,
limosoque novae saliunt in gurgite ranae."'
Grün ist der Rücken und weiß der Bauch, an dem Leibe das Größte,
Und so hüpfen sie nun als Frösche im schlammigen Wasser."
  4. Marsyas (382-400)


Sic ubi nescio quis Lycia de gente virorum
rettulit exitium, satyri reminiscitur alter,
quem Tritoniaca Latous harundine victum
Als das endliche Los der Leute vom lykischen Volke
Also einer erzählt, da gedenkt ein andrer des Satyrn,
Der, auf tritonischem Rohr dem Spross der Latona erlegen,
adfecit poena. 'quid me mihi detrahis?' inquit;
'a! piget, a! non est' clamabat 'tibia tanti.'
clamanti cutis est summos direpta per artus,
nec quicquam nisi vulnus erat; cruor undique manat,
detectique patent nervi, trepidaeque sine ulla
Züchtigung litt. "Warum entziehst du mich", schrie er "mir selber?
Ach, mich gereut's. Soviel ist ja nicht an der Flöte gelegen."
Während er schreit, ist die Haut ihm über die Glieder gezogen.
Wunden bedecken ihn ganz, und das Blut strömt über und über.
Offen und bloß sind die Nerven zu sehn; die zuckenden Adern
pelle micant venae; salientia viscera possis
et perlucentes numerare in pectore fibras.
illum ruricolae, silvarum numina, fauni
et satyri fratres et tunc quoque carus Olympus
et nymphae flerunt, et quisquis montibus illis
Schlagen, der Hülle beraubt, und die wallend bewegten Geweide
Konnte man zählen genau und der Brust durchscheinende Fasern.
Tränen vergossen des Hains Gottheiten, die ländlichen Faune,
Satyrn, die Brüder, um ihn und der schon ruhmreiche Olympos
Samt dem Nymphengeschlecht, und wer nur dort im Gebirge
lanigerosque greges armentaque bucera pavit.
fertilis inmaduit madefactaque terra caducas
concepit lacrimas ac venis perbibit imis;
quas ubi fecit aquam, vacuas emisit in auras.
inde petens rapidus ripis declivibus aequor
Weidete wolliges Vieh und hörnergewaffnete Rinder.
Aber das fruchtbare Land ward feucht, und die fallenden Tränen
Sog es hinab und schlürfte sie ein in die untersten Adern.
Dort ward Wasser daraus; das quoll an die offenen Lüfte;
Dann zu dem stürmischen Meer hinstrebend in hangenden Ufern
Marsya nomen habet, Phrygiae liquidissimus amnis. Heißt es der Marsyasfluss, von den phrygischen Strömen der klarste.
  5. Pelops (401-411)



Talibus extemplo redit ad praesentia dictis
vulgus et exstinctum cum stirpe Amphiona luget;
mater in invidia est: hanc tunc quoque dicitur unus
flesse Pelops umeroque, suas a pectore postquam
Gläubig vernahm es das Volk; dann kehrt man zum nahen Begebnis
Wieder und klagt um den Fall Amphions und seines Geschlechtes.
Niobe nur trifft Hass. Auch jetzt noch ward sie von einem,
Sagt man, von Pelops beweint, der, als er das Kleid von dem Busen
deduxit vestes, ebur ostendisse sinistro.
concolor hic umerus nascendi tempore dextro
corporeusque fuit; manibus mox caesa paternis
membra ferunt iunxisse deos, aliisque repertis,
qui locus est iuguli medius summique lacerti,
Wegzog, Elfenbein ließ sehn an der linken der Schultern.
Die war früher zur Zeit der Geburt gleichfarbig der rechten
Schulter und auch von Fleisch. Bald, heißt es, zerstückt von dem Vater,
Wurden die Glieder vereint von den Göttern, und alles das andre
Fanden sie, aber das Stück, das zwischen dem Arm und dem Halse,
defuit: inpositum est non conparentis in usum
partis ebur, factoque Pelops fuit integer illo.
Fehlete. Elfenbein ward an des verlorenen Teiles
Stelle gesetzt und also ergänzt der verjüngete Pelops.
  6. Tereus, Procne und Philomela (412-674)


Finitimi proceres coeunt, urbesque propinquae
oravere suos ire ad solacia reges,
Argosque et Sparte Pelopeiadesque Mycenae
Edele kamen zu ihm ringsher, und die Städte der Nähe
Baten, mit Troste zu nahn dem Trauernden, ihre Gebieter:
Argos und Sparta zugleich mit dem Pelopssitze Mykenai,
et nondum torvae Calydon invisa Dianae
Orchomenosque ferax et nobilis aere Corinthus
Messeneque ferox Patraeque humilesque Cleonae
et Nelea Pylos neque adhuc Pittheia Troezen,
quaeque urbes aliae bimari clauduntur ab Isthmo
Kalydon, die noch nicht von der grimmen Diana gehasst war,
Auch Orchomenos, reich an Frucht, und die starke Messene,
Patrai, Korinthos, berühmt durch Erz, und die kleine Kleonai,
Pylos, des Neleus Stadt, noch nicht pittheisch Troizene,
Alle, die sonst abschließt das Doppelgestade des Isthmos,
exteriusque sitae bimari spectantur ab Isthmo;
credere quis posset? solae cessastis Athenae.
obstitit officio bellum, subvectaque ponto
barbara Mopsopios terrebant agmina muros.
Threicius Tereus haec auxiliaribus armis
Oder die außen erblickt das Doppelgestade des Isthmos.
Doch wer hätt' es gedacht? Du nur warst säumig, Athenai.
Krieg hielt dich ab von dem schuldigen Dienst. Auf dem Meere gekommen
Setzte barbarisches Volk in Furcht die mopsopischen Mauern;
Tereus aber, der Fürst der Thraker, mit helfenden Waffen
fuderat et clarum vincendo nomen habebat;
quem sibi Pandion opibusque virisque potentem
et genus a magno ducentem forte Gradivo
conubio Procnes iunxit; non pronuba Iuno,
non Hymenaeus adest, non illi Gratia lecto:
Trieb sie hinweg und gewann durch den Sieg einen glänzenden Namen.
Ihn, der reich an Gebiet und Mannen vom großen Gradivus
Selber das starke Geschlecht herleitete, wählte zum Eidam
König Pandion und gab ihm Prokne. Doch nicht Hymenaios,
Iuno die ehliche nicht, noch die Grazien standen beim Lager:
Eumenides tenuere faces de funere raptas,
Eumenides stravere torum, tectoque profanus
incubuit bubo thalamique in culmine sedit.
hac ave coniuncti Procne Tereusque, parentes
hac ave sunt facti; gratata est scilicet illis
Furien hielten vom Brand der Bestattung genommene Fackeln,
Furien richteten zu das Bett. Ein verrufener Uhu
Hockt' auf dem Dach und saß auf dem Giebel der bräutlichen Kammer.
Schrecknis drohte beim Fest, das Prokne vereinte mit Tereus;
Schrecknis droht', als Mutter sie ward. Glück wünschete freilich
Thracia, disque ipsi grates egere; diemque,
quaque data est claro Pandione nata tyranno
quaque erat ortus Itys, festum iussere vocari:
usque adeo latet utilitas. Iam tempora Titan
quinque per autumnos repetiti duxerat anni,
Thrakiens Volk, und sie selbst auch dankten den Göttern und hießen
Festlich begehen den Tag, da die Tochter des Königs Pandion
Freite der mächtige Fürst, und jenen, da Itys geboren.
Also ruhet in Nacht, was frommt. Schon war vom Titanen
Durch fünf Herbste geführt die Zeit im Wechsel der Jahre,
cum blandita viro Procne 'si gratia' dixit
'ulla mea est, vel me visendae mitte sorori,
vel soror huc veniat: redituram tempore parvo
promittes socero; magni mihi muneris instar
germanam vidisse dabis.' iubet ille carinas
Als mit bittendem Mund dem Gemahl so schmeichelte Prokne:
"Hast du mich lieb, lass mich entweder besuchen die Schwester,
Oder sie komme zu mir. In kurzem, versprichst du dem Schwäher,
Kehre sie wieder zurück. Vergönnst du die Schwester zu schauen,
Dank' ich es dir wie ein Göttergeschenk." Er befiehlt in die Meerflut
in freta deduci veloque et remige portus
Cecropios intrat Piraeaque litora tangit.
ut primum soceri data copia, dextera dextrae
iungitur, et fausto committitur omine sermo.
coeperat, adventus causam, mandata referre
Niederzuziehen den Kiel und fährt mit Segel und Ruder
In die kekropische Bucht und berührt die piraiische Küste.
Als er zum Schwäher gelangt, fügt sich in die Rechte die Rechte,
Und das Gespräch hebt an, und auf Glück schien alles zu deuten.
Kaum erst hatte den Grund des Besuchs und der Gattin Begehren
coniugis et celeres missae spondere recursus:
ecce venit magno dives Philomela paratu,
divitior forma; quales audire solemus
naidas et dryadas mediis incedere silvis,
si modo des illis cultus similesque paratus.
Jener gesagt und gelobt der Gesendeten baldige Heimkehr:
Sieh, da kommt glanzreich in prächtigem Schmuck Philomela,
Reicher an Schönheit noch, so wie zu vernehmen wir pflegen,
Dass sich Naiaden ergehn und Dryaden inmitten der Wälder,
Wenn nur ähnliche Tracht und Schmuck du ihnen verleihest.
non secus exarsit conspecta virgine Tereus,
quam si quis canis ignem supponat aristis
aut frondem positasque cremet faenilibus herbas.
digna quidem facies; sed et hunc innata libido
exstimulat, pronumque genus regionibus illis
Wie er die Jungfrau sieht, brennt Tereus ähnlich im Innern,
Wie wenn einer vielleicht anzündete gelbliche Ähren
Oder getrocknetes Laub und Heu auf dem Boden verbrennte.
Lockend ist schon die Gestalt. Doch angeborne Begierde
Stachelt ihn auch; denn geneigt ist das Volk zum Dienste der Venus
in Venerem est: flagrat vitio gentisque suoque.
impetus est illi comitum corrumpere curam
nutricisque fidem nec non ingentibus ipsam
sollicitare datis totumque inpendere regnum
aut rapere et saevo raptam defendere bello;
Dort in dem Land. Durch Hang des Stamms und durch eigenen glüht er.
Rege ist gleich der Entschluss, zu bestechen die Hut der Begleiter
Und der Erzieherin Treu' und die Jungfrau selbst zu gewinnen
Durch unendliches Gut und sogar sein Reich zu vergeben,
Oder zu rauben das Weib und in trotzigem Krieg zu behaupten.
et nihil est, quod non effreno captus amore
ausit, nec capiunt inclusas pectora flammas.
iamque moras male fert cupidoque revertitur ore
ad mandata Procnes et agit sua vota sub illa.
facundum faciebat amor, quotiensque rogabat
Nichts ist, was er, gedrängt von dem zügellosen Verlangen,
Scheuete; Raum hat nicht in der Brust die verschlossene Flamme.
Schwer schon fällt ihm Verzug, und er kommt mit begehrlichem Munde
Wieder auf Proknes Wunsch und betreibt für jene den eignen.
Sehnsucht macht ihn beredt, und so oft er drängte mit Bitten
ulterius iusto, Procnen ita velle ferebat.
addidit et lacrimas, tamquam mandasset et illas.
pro superi, quantum mortalia pectora caecae
noctis habent! ipso sceleris molimine Tereus
creditur esse pius laudemque a crimine sumit.
Über Gebühr, gab immer er vor, so wolle es Prokne.
Tränen vergoss er dazu, als heischt' auch diese der Auftrag.
O, ihr Götter, wie blind hält sterbliche Herzen befangen
Finstere Nacht! Da Frevel allein er sinnet, erscheinet
Tereus bieder und treu und gewinnt noch Lob von der Arglist.
quid, quod idem Philomela cupit, patriosque lacertis
blanda tenens umeros, ut eat visura sororem,
perque suam contraque suam petit ipsa salutem.
spectat eam Tereus praecontrectatque videndo
osculaque et collo circumdata bracchia cernens
Selber begehrt Philomela es auch; um die Schultern des Vaters
Schlingt sie zärtlich den Arm und bittet ihn dringend bei ihrem
Heil und gegen ihr Heil, dass sie dürfe besuchen die Schwester.
Tereus schaut sie an und schwelgt mit Blicken im voraus,
Und wie die Küsse er sieht und die Arme geschmiegt um den Nacken,
omnia pro stimulis facibusque ciboque furoris
accipit, et quotiens amplectitur illa parentem,
esse parens vellet: neque enim minus inpius esset.
vincitur ambarum genitor prece: gaudet agitque
illa patri grates et successisse duabus
Wird das alles für ihn wie Stachel und Zunder und Nahrung
Liebender Wut, und so oft Philomela umarmte den Vater,
Wünscht' er der Vater zu sein; denn so auch sänn' er Verruchtes.
Einigen Bitten der Zwei willfährt der Erzeuger, und freudig
Sagte die Tochter ihm Dank und wähnte, die Arme, gelungen
id putat infelix, quod erit lugubre duabus.
Iam labor exiguus Phoebo restabat, equique
pulsabant pedibus spatium declivis Olympi:
regales epulae mensis et Bacchus in auro
ponitur; hinc placido dant turgida corpora somno.
Ihr und der Schwester zum Heil, was beiden sich wandte zum Unheil.
Schon war wenige Müh noch übrig dem Sol, und die Rosse
tampften mit kräftigem Hufe die Bahn am geneigten Olympos.
Königlich steht auf den Tischen das Mahl, und die Gabe des Bakchos
Blinket in Gold; dann gibt man die Glieder dem friedlichen
at rex Odrysius, quamvis secessit, in illa
aestuat et repetens faciem motusque manusque
qualia vult fingit quae nondum vidit et ignes
ipse suos nutrit cura removente soporem.
lux erat, et generi dextram conplexus euntis
Schlummer. Doch der odrysische Fürst, obwohl allein im Gemache,
Lodert für sie, und Gesicht und Bewegung und Hände sich denkend
Bildet er, was noch nicht er gesehn, nach Gefallen und nähret
Selber die brennende Lust, da den Schlaf wegscheuchte die Sorge.
Tag war's. Jetzt empfahl Pandion dem scheidenden Eidam,
Pandion comitem lacrimis commendat obortis:
'hanc ego, care gener, quoniam pia causa coegit,
et voluere ambae (voluisti tu quoque, Tereu)
do tibi perque fidem cognataque pectora supplex,
per superos oro, patrio ut tuearis amore
Herzlich ihm drückend die Hand, die Gefährtin mit quellenden Tränen:
"Diese, mein teurer Sohn, da mich zwingt nachgebende Liebe,
Da sie beid' es gewollt, du, Tereus, auch es gewollt hast,
Geb' ich dir mit. Bei Treu' und Verwandtschaft und bei den Göttern
Bitt' ich flehentlich dich: wie ein Vater beschütze sie liebreich,
et mihi sollicitae lenimen dulce senectae
quam primum (omnis erit nobis mora longa) remittas;
tu quoque quam primum (satis est procul esse sororem),
si pietas ulla est, ad me, Philomela, redito!'
mandabat pariterque suae dabat oscula natae,
Und, die der süßeste Trost für mich im bekümmerten Alter,
Schicke sie baldigst zurück - lang wird mir jeder Verzug sein.
Du auch kehre mir bald - denn genug, dass fern ist die Schwester –
Wenn du irgend mich liebst, bald kehre zurück, Philomela!"
Also mahnte der Greis und bedeckte mit Küssen die Tochter,
et lacrimae mites inter mandata cadebant;
utque fide pignus dextras utriusque poposcit
inter seque datas iunxit natamque nepotemque
absentes pro se memori rogat ore salutent;
supremumque vale pleno singultibus ore
Und mild rannen herab bei dem Auftrag reichliche Tranen.
Dann von beiden verlangt' er zum Pfände der Treue die Rechte,
Nahm und fügete sie in einander und hieß in der Ferne
Grüßen die Tochter von ihm und den Enkel gedenkenden Mundes.
Scheidend sprach er mit Müh: "Leb wohl!", da Schluchzen die Stimme
vix dixit timuitque suae praesagia mentis.
Ut semel inposita est pictae Philomela carinae,
admotumque fretum remis tellusque repulsa est,
'vicimus!' exclamat, 'mecum mea vota feruntur!'
exsultatque et vix animo sua gaudia differt
Drängte zurück, und er erschrak vor den Ahnungen seines Gemütes.
Als Philomela den Bord des bemaleten Schiffes bestiegen
Und durch Rudern das Meer nah kam und die Küste zurückwich,
Rief der Barbar: "Wir haben gesiegt: mit fährt die Ersehnte!"
So frohlockt er und kann dem Gelüst kaum länger verschieben
barbarus et nusquam lumen detorquet ab illa,
non aliter quam cum pedibus praedator obuncis
deposuit nido leporem Iovis ales in alto;
nulla fuga est capto, spectat sua praemia raptor.
Iamque iter effectum, iamque in sua litora fessis
Seinen Genuss und wendet von ihr nun nimmer das Auge:
Ähnlicher Art, wie wenn mit den Krallen der raubende Vogel
Iupiters niedergesetzt im erhabenen Horste den Hasen –
Nirgends ist möglich die Flucht, und die Beute betrachtet der Räuber.
Nun war zu Ende die Fahrt, und sie waren gestiegen vom müden
puppibus exierant, cum rex Pandione natam
in stabula alta trahit, silvis obscura vetustis,
atque ibi pallentem trepidamque et cuncta timentem
et iam cum lacrimis, ubi sit germana, rogantem
includit fassusque nefas et virginem et unam
Kiel an den heimischen Strand; da bringt zum entlegenen Hofe
Mitten im düsteren Wald Pandions Tochter der König.
Dort, wie sie zagend erblasst und zittert und alles befürchtet
Und schon fragt, wo die Schwester denn sei, mit rinnenden Zähren,
Schließt er sie ein und verstellt sich nicht und bewältigt die Jungfrau,
vi superat frustra clamato saepe parente,
saepe sorore sua, magnis super omnia divis.
illa tremit velut agna pavens, quae saucia cani
ore excussa lupi nondum sibi tuta videtur,
utque columba suo madefactis sanguine plumis
Wie sie allein, ob auch zum öfteren jene den Vater
Rief und die Schwester umsonst und zumeist die waltenden Götter.
Siehe, sie bebt wie ein ängstliches Lamm, das wund aus des Wolfes
Grimmigem Rachen befreit noch nicht sich sicher bedünket,
Und wie die Taube, benetzt am Gefieder von eigenem Blute,
horret adhuc avidosque timet, quibus haeserat, ungues.
mox ubi mens rediit, passos laniata capillos,
lugenti similis caesis plangore lacertis
intendens palmas 'o diris barbare factis,
o crudelis' ait, 'nec te mandata parentis
Noch sich entsetzt und bangt vor den Krallen, darin sie verstrickt war.
Bald, als die Sinne gekehrt, zerrauft sie das fliegende Haupthaar
Nach Leidtragender Art und schlägt wehklagend die Arme,
Streckt die Hände empor und ruft: "Ha, grässliche Schandtat!
Ha, grausamer Barbar! Nicht konnte des Vaters Ermahnung,
cum lacrimis movere piis nec cura sororis
nec mea virginitas nec coniugialia iura?
omnia turbasti; paelex ego facta sororis,
tu geminus coniunx, hostis mihi debita Procne!
quin animam hanc, ne quod facinus tibi, perfide, restet,
Die er mit Tränen dir gab, noch die Sorge der Schwester dich rühren,
Noch die ehliche Pflicht, noch auch jungfräuliche Reinheit!
Du hast alles verstört. Mitbuhlerin ward ich der Schwester,
Du zwiefacher Gemahl, dass Prokne Feindin mir sein muss.
Nimm dies Leben mir auch, auf dass, Treuloser, dir bleibe
eripis? atque utinam fecisses ante nefandos
concubitus: vacuas habuissem criminis umbras.
si tamen haec superi cernunt, si numina divum
sunt aliquid, si non perierunt omnia mecum,
quandocumque mihi poenas dabis! ipsa pudore
Nichts Ruchloses zu tun! O hättest du vor der Entehrung
Schon es getan! Frei wäre von Schuld dort unten mein Schatten.
Wenn die Götter jedoch dies schaun, wenn göttliches Walten
Irgend besteht, wenn nicht mit mir nun alles vorbei ist,
Büßest du mir, wann immer es sei. Selbst will ich verkünden,
proiecto tua facta loquar: si copia detur,
in populos veniam; si silvis clausa tenebor,
inplebo silvas et conscia saxa movebo;
audiet haec aether et si deus ullus in illo est!'
Talibus ira feri postquam commota tyranni
Ohne zu achten der Scham, wie du freveltest. Wenn es nur möglich,
Tret' ich unter das Volk, und bleib' ich umschlossen von Walde,
Will ich erfüllen den Wald und bewegen die wissenden Felsen,
Dass es der Aither vernimmt, und wenn irgend ein Gott in dem Aither."
Als darob sich geregt in dem wilden Tyrannen der Jähzorn
nec minor hac metus est, causa stimulatus utraque,
quo fuit accinctus, vagina liberat ensem
arreptamque coma fixis post terga lacertis
vincla pati cogit; iugulum Philomela parabat
spemque suae mortis viso conceperat ense:
Und nicht minder die Furcht, da macht er, gestachelt durch beides,
Frei von der Scheide das Schwert, das er trug vom Gurte gehalten,
Und sie ergreifend am Haar und zurück ihr beugend die Arme,
Zwängt er in Banden sie ein. Da reichte den Hals Philomela,
Die vom gesehenen Schwert den Tod zu empfangen vermeinte;
ille indignantem et nomen patris usque vocantem
luctantemque loqui conprensam forcipe linguam
abstulit ense fero. radix micat ultima linguae,
ipsa iacet terraeque tremens inmurmurat atrae,
utque salire solet mutilatae cauda colubrae,
Aber wie fort und fort sie entrüstet den Namen des Vaters
Ruft und zu reden sich müht, haut weg mit dem Schwert er die Zunge,
Die mit der Zang' er gepackt. Schnell zucket die Wurzel der Zunge;
Aber sie selbst liegt zitternd und lallt zur dunkelen Erde;
Wie sich hüpfend bewegt der Schwanz der zerhauenen Natter,
palpitat et moriens dominae vestigia quaerit.
hoc quoque post facinus (vix ausim credere) fertur
saepe sua lacerum repetisse libidine corpus.
Sustinet ad Procnen post talia facta reverti;
coniuge quae viso germanam quaerit, at ille
Zappelt sie noch und sucht hinsterbend der Eignerin Spuren.
Auch nach der schändlichen Tat - kaum kann ich es glauben -, erzählt man,
Hab' er die Lust noch öfter gebüßt am verstümmelten Körper.
Heimzukehren vermag er nach solchem Beginnen zu Prokne.
Die fragt, wie den Gemahl sie erblickt, nach der Schwester, und jener
dat gemitus fictos commentaque funera narrat,
et lacrimae fecere fidem. velamina Procne
deripit ex umeris auro fulgentia lato
induiturque atras vestes et inane sepulcrum
constituit falsisque piacula manibus infert
Seufzt in geheucheltem Schmerz und erzählt ihr erlogenes Ende.
Glauben gewann durch Tränen das Wort. Da reißt von den Schultern
Prokne herab ihr Kleid, das glänzte von goldenem Streifen,
Hüllt sich in schwarzes Gewand und errichtet ein lediges Grabmal
Und bringt Sühnungen dar den erdichteten Manen und trauert
et luget non sic lugendae fata sororis.
Signa deus bis sex acto lustraverat anno;
quid faciat Philomela? fugam custodia claudit,
structa rigent solido stabulorum moenia saxo,
os mutum facti caret indice. grande doloris
Um der Schwester Geschick, die so nicht war zu betrauern.
Sol, vollendend das Jahr, war durch zwölf Zeichen gegangen.
Was soll tun Philomela? Die Flucht ist versperrt von der Wache;
Fest aus Steinen gefügt stehn starr die Mauern des Hofes;
Stumm ist der Mund und versagt Anzeige der Tat. Doch im Schmerze
ingenium est, miserisque venit sollertia rebus:
stamina barbarica suspendit callida tela
purpureasque notas filis intexuit albis,
indicium sceleris; perfectaque tradidit uni,
utque ferat dominae, gestu rogat; illa rogata
Wird sinnreich der Verstand, und erfinderisch machen die Leiden.
Aufzug spannte sie schlau an den Baum des barbarischen Webstuhls,
Und in das weiße Gewebe einfügte sie purpurne Züge,
Kund zu geben den Greuel. Dann gab sie vollendet es einer,
Die mit Gebärden sie bat, es der Herrin zu bringen. Zu Prokne
pertulit ad Procnen nec scit, quid tradat in illis.
evolvit vestes saevi matrona tyranni
germanaeque suae fatum miserabile legit
et (mirum potuisse) silet: dolor ora repressit,
verbaque quaerenti satis indignantia linguae
Trägt sie's, wie ihr Begehr, und weiß nicht, was sie ihr bringe.
Jetzt entfaltet den Stoff des grausen Tyrannen Gemahlin,
Und sie gewahrt und liest die schreckliche Kunde der Schwester,
Und - wer hielt' es für möglich? - sie schweigt. Schmerz schloss ihr die Lippen;
Worte, genügend dem Grimm, kann nicht auffinden die Zunge;
defuerunt, nec flere vacat, sed fasque nefasque
confusura ruit poenaeque in imagine tota est.
Tempus erat, quo sacra solent trieterica Bacchi
Sithoniae celebrare nurus: (nox conscia sacris,
nocte sonat Rhodope tinnitibus aeris acuti)
Auch ist der Lauf den Tränen versagt, und sie rast, mit dem Unrecht
Blind zu verwirren das Recht, und lebt in Gedanken an Rache.
Grade genaht war die Zeit, wo sithonische Frauen des Bakchos
Dreijahrfeier begehn. Die Nacht ist Vertraute des Festes.
Nachts hallt Rhodope rings vom Geklirr helltönigen Erzes;
nocte sua est egressa domo regina deique
ritibus instruitur furialiaque accipit arma;
vite caput tegitur, lateri cervina sinistro
vellera dependent, umero levis incubat hasta.
concita per silvas turba comitante suarum
Nachts entschreitet dem Haus die Königin, und sie bequemt sich
Ganz dem göttlichen Brauch und empfängt die wilden Geräte.
Weinlaub deckt ihr das Haupt; ein übergeworfenes Hirschfell
Hängt von der Linken herab, und der Stab ruht leicht auf der Schulter.
Mit dem begleitenden Schwärm rennt Prokne in schrecklicher Wildheit
terribilis Procne furiisque agitata doloris,
Bacche, tuas simulat: venit ad stabula avia tandem
exululatque euhoeque sonat portasque refringit
germanamque rapit raptaeque insignia Bacchi
induit et vultus hederarum frondibus abdit
Durch die Wälder einher, und von Wut des Schmerzes getrieben
Heuchelt sie bacchische Wut. Zu dem einsam liegenden Hofe
Kommt sie zuletzt, heult auf, schreit Euhoi! bricht durch die Türe,
Reißt die Schwester hinweg und stattet sie aus mit des Bakchos
Festlicher Tracht und verbirgt ihr mit Efeuranken das Antlitz
attonitamque trahens intra sua moenia ducit.
Ut sensit tetigisse domum Philomela nefandam,
horruit infelix totoque expalluit ore;
nacta locum Procne sacrorum pignora demit
oraque develat miserae pudibunda sororis
Und zieht fort mit sich die Betäubte zu ihren Gemächern.
Als Philomela gemerkt, dass sie war in der ruchlosen Wohnung,
Bebt die Arme vor Schreck und erblasst im ganzen Gesichte.
Prokne, zur Stelle gelangt, nimmt ab die Zeichen der Weihe,
Und sie enthüllt das verschämte Gesicht der duldenden Schwester,
amplexumque petit; sed non attollere contra
sustinet haec oculos paelex sibi visa sororis
deiectoque in humum vultu iurare volenti
testarique deos, per vim sibi dedecus illud
inlatum, pro voce manus fuit. ardet et iram
Ihre Umarmung begehrt sie. Doch nicht wagt jene die Blicke
Aufzuschlagen nach ihr, Mitbuhle der Schwester sich dünkend.
Wie sie, das Auge gesenkt, als Zeugen die Götter zu rufen
Und zu schwören gedenkt, dass Schimpf sie erlitten gewaltsam,
War an der Statt der Stimme die Hand. Da brennt im Gemüte
610



non capit ipsa suam Procne fletumque sororis
corripiens 'non est lacrimis hoc' inquit 'agendum,
sed ferro, sed si quid habes, quod vincere ferrum
possit. in omne nefas ego me, germana, paravi:
aut ego, cum facibus regalia tecta cremabo,
Prokne und hat nicht Raum für den Zorn, und das Weinen der Schwester
Schilt sie und spricht: "Hier dürfen wir nicht Rat suchen in Tränen,
Sondern im Stahl, und wenn eines du weißt, das über den Stahl noch
Ginge. Zu jeglicher Tat bin ich, o Schwester, entschlossen:
Sei's nun, dass ich das Haus des Königs verbrenne mit Fackeln
615



artificem mediis inmittam Terea flammis,
aut linguam atque oculos et quae tibi membra pudorem
abstulerunt ferro rapiam, aut per vulnera mille
sontem animam expellam! magnum quodcumque paravi;
quid sit, adhuc dubito.' Peragit dum talia Procne,
Und in die Glut ihn werfe hinein, den tückischen Tereus,
Oder mit schneidendem Stahl ihm die Zung' ausreiße, die Augen
Oder das Glied, das dich entehrte, oder mit tausend
Wunden den schuldigen Geist austreib'. Ein Großes beginn' ich,
Was nur, weiß ich noch nicht." Indes so redete Prokne,
ad matrem veniebat Itys; quid possit, ab illo
admonita est oculisque tuens inmitibus 'a! quam
es similis patri!' dixit nec plura locuta
triste parat facinus tacitaque exaestuat ira.
ut tamen accessit natus matrique salutem
Nahte ihr Itys, der Sohn. Der ward ihr plötzlich Mahnung,
Was sie vermöge zu tun, und mit grimmigem Blick ihn betrachtend
Sagte sie: "Ha, wie dem Vater du gleichst!" Nicht Weiteres redend
Sinnet sie grässliche Tat und wallt von verschwiegenem Zorne.
Doch als näher der Sohn ihr trat und die Mutter begrüßte
attulit et parvis adduxit colla lacertis
mixtaque blanditiis puerilibus oscula iunxit,
mota quidem est genetrix, infractaque constitit ira
invitique oculi lacrimis maduere coactis;
sed simul ex nimia mentem pietate labare
Und liebkosend den Hals zu sich mit den Ärmchen herabzog
Und mit Küssen zugleich sein kindliches Schmeicheln vereinte,
Wurde die Mutter bewegt, und es ruhte gebrochen die Rachsucht,
Und von Tränen benetzt ward unwillkürlich ihr Auge.
Aber sobald ihr Herz durch allzu zärtliche Liebe
sensit, ab hoc iterum est ad vultus versa sororis
inque vicem spectans ambos 'cur admovet' inquit
'alter blanditias, rapta silet altera lingua?
quam vocat hic matrem, cur non vocat illa sororem?
cui sis nupta, vide, Pandione nata, marito!
Wanken sie fühlt, kehrt wieder von ihm zur Schwester sich Prokne;
Dann mit wechselndem Blick hinschauend auf beide beginnt sie:
"Warum schmeichelt der ein' und schweiget die andere sprachlos?
Da er Mutter mich nennt, was nennt nicht jene mich Schwester?
Sieh, wer dich als Gemahl heimführete, Tochter Pandions!
degeneras! scelus est pietas in coniuge Tereo.'
nec mora, traxit Ityn, veluti Gangetica cervae
lactentem fetum per silvas tigris opacas,
utque domus altae partem tenuere remotam,
tendentemque manus et iam sua fata videntem
Ha, du entartest? Denn Greul ist's, den Gatten zu lieben in Tereus!"
Ohne Verzug schleppt Itys sie fort, wie ein Tiger am Ganges
Schleppt durch schattigen Wald das saugende Junge der Hindin.
Als sie gelangt zum entlegenen Teil des stattlichen Hauses,
Stößt ihm, während die Händ' ausstreckend und ahnend sein Schicksal
et 'mater! mater!' clamantem et colla petentem
ense ferit Procne, lateri qua pectus adhaeret,
nec vultum vertit. satis illi ad fata vel unum
vulnus erat: iugulum ferro Philomela resolvit,
vivaque adhuc animaeque aliquid retinentia membra
"Mutter, ach Mutter!" er rief und den Hals ihr wollte umfassen,
Prokne das Schwert in den Leib, wo die Brust sich schließt an die Seite,
Ohne zu wenden den Blick. Ihm war zum Tode die eine
Wunde genug; in den Hals noch sticht Philomela das Eisen,
Und sie zerstücken den Leib, der warm noch war und des Lebens
dilaniant. pars inde cavis exsultat aenis,
pars veribus stridunt; manant penetralia tabo.
His adhibet coniunx ignarum Terea mensis
et patrii moris sacrum mentita, quod uni
fas sit adire viro, comites famulosque removit.
Noch nicht völlig beraubt. Ein Teil wallt kochend im Kessel;
Anderes zischt am Spieß. Das Gemach ist feucht von dem Blute.
Zu so scheußlichem Mahl ruft Prokne den arglosen Gatten.
Heiligen Dienst, von den Vätern vererbt, vorschützend, wobei nur
Zutritt habe ihr Mann, wies Diener sie fort und Begleiter.
ipse sedens solio Tereus sublimis avito
vescitur inque suam sua viscera congerit alvum,
tantaque nox animi est, 'Ityn huc accersite!' dixit.
dissimulare nequit crudelia gaudia Procne
iamque suae cupiens exsistere nuntia cladis
Tereus aber, erhöht auf dem stattlichen Sessel der Ahnen,
Schmaust mit Behagen und häuft sein Fleisch in den eigenen Magen,
Und so blind ist der Geist: "Her bringt mir", sagt er, "den Itys."
Prokne vermag nicht mehr zu verhehlen die grausame Freude,
Und von dem Wunsche gedrängt, ihr eigenes Leid zu verkünden,
'intus habes, quem poscis' ait: circumspicit ille
atque, ubi sit, quaerit; quaerenti iterumque vocanti,
sicut erat sparsis furiali caede capillis,
prosiluit Ityosque caput Philomela cruentum
misit in ora patris nec tempore maluit ullo
Sagte sie: "Drinnen ist, was du verlangst." Um schaute sich Tereus
Und fragt, wo er denn sei. Wie er fragt und wieder ihn rufet,
Springt Philomela hervor, wie sie war, bluttriefend das Haupthaar
Von dem entsetzlichen Mord, und wirft dem Erzeuger ins Antlitz
Itys' blutiges Haupt, und niemals hätte sie lieber
posse loqui et meritis testari gaudia dictis.
Thracius ingenti mensas clamore repellit
vipereasque ciet Stygia de valle sorores
et modo, si posset, reserato pectore diras
egerere inde dapes semesaque viscera gestit,
Sprache gehabt und die Freude bezeugt durch würdige Worte.
Da stößt weg laut schreiend den Tisch der thrakischc König,
Ruft aus dem stygischen Tal die schlangenumringelten Schwestern
Und ist bemüht, wenn möglich, hervor aus geöffnetem Schlunde
Wieder das grässliche Mahl, die gewürgten Stücke, zu drängen, -
flet modo seque vocat bustum miserabile nati,
nunc sequitur nudo genitas Pandione ferro.
corpora Cecropidum pennis pendere putares:
pendebant pennis. quarum petit altera silvas,
altera tecta subit, neque adhuc de pectore caedis
Oder er weint und nennt sich trauriges Grab des Erzeugten;
Jetzt mit gezogenem Schwert verfolgt er die Töchter Pandions.
Fittiche schienen empor die kekropischen Weiber zu heben;
Fittiche hoben sie auch. In den Wald flieht eine; die andre
Birgt sich unter dem Dach. Noch sind von dem Morde die Spuren
excessere notae, signataque sanguine pluma est.
ille dolore suo poenaeque cupidine velox
vertitur in volucrem, cui stant in vertice cristae.
prominet inmodicum pro longa cuspide rostrum;
nomen epops volucri, facies armata videtur.
Nicht verwischt an der Brust, und Blut fleckt noch das Gefieder.
Jener, von heftigem Schmerz und von Sucht nach Rache beflügelt,
Nimmt des Vogels Gestalt, dem hoch auf dem Scheitel ein Busch steht.
Über die Maßen gedehnt ragt ähnlich dem Schwerte der Schnabel.
Wiedehopf ist er genannt. Sein Haupt sieht aus wie bewaffnet.
  7. Boreas und Orithyia (675-721)
Hic dolor ante diem longaeque extrema senectae
tempora Tartareas Pandiona misit ad umbras.
sceptra loci rerumque capit moderamen Erectheus,
iustitia dubium validisne potentior armis.
quattuor ille quidem iuvenes totidemque crearat
Vor dem Tage bereits und dem Ziel langdauernden Alters
Sandte der Gram Pandion hinab zu des Tartaros Schatten.
Szepter und Herrschergewalt im Staat gewinnet Erechtheus,
Gleich durch rechtlichen Sinn und kräftige Waffen gewaltig.
Vier vom Männergeschlecht und Jungfraun ebenso viele
femineae sortis, sed erat par forma duarum.
e quibus Aeolides Cephalus te coniuge felix,
Procri, fuit; Boreae Tereus Thracesque nocebant,
dilectaque diu caruit deus Orithyia,
dum rogat et precibus mavult quam viribus uti;
Hatt' er gezeugt; doch gleich war nur bei zweien die Schönheit.
Davon hatte beglückt den Kephalos, Aiolos' Enkel,
Prokris; vor Boreas warnt des Tereus Tat und die Thraker.
Lang entbehrte der Gott die erkorene Oreithyia,
Wahrend er warb und statt der Gewalt erst Bitten versuchte.
ast ubi blanditiis agitur nihil, horridus ira,
quae solita est illi nimiumque domestica vento,
'et merito!' dixit; 'quid enim mea tela reliqui,
saevitiam et vires iramque animosque minaces,
admovique preces, quarum me dedecet usus?
Doch da göttliches Wort nichts fruchtete, tobt' er im Zorne,
Wie er gewohnt und nur zu eigen dem nördlichen Winde:
"Recht so!" sprach er, "warum auch ließen wir unsere Waffen,
Ungestüm und Gewalt und den Grimm und das dräuende Schnauben?
Warum wendet' ich mich zu schlecht mir ziemenden Bitten?
apta mihi vis est: vi tristia nubila pello,
vi freta concutio nodosaque robora verto
induroque nives et terras grandine pulso;
idem ego, cum fratres caelo sum nactus aperto
(nam mihi campus is est), tanto molimine luctor,
Mir ist gerecht die Gewalt. Mit Gewalt fortjag' ich die Wolken,
Rühr' ich die Fluten empor und stürze die knorrigen Eichen,
Härte den flockigen Schnee und schlage mit Hagel die Erde.
Wenn ich die Brüder erreicht in den Räumen des offenen Himmels, -
Das ist eben mein Feld - dann ring' ich mit wuchtiger Stärke,
ut medius nostris concursibus insonet aether
exsiliantque cavis elisi nubibus ignes;
idem ego, cum subii convexa foramina terrae
supposuique ferox imis mea terga cavernis,
sollicito manes totumque tremoribus orbem.
Dass von unserem Prall laut dröhnt in der Mitte der Aither
Und von dem Stoß aus hohlem Gewölk das Feuer hervorspringt.
Wenn ich in hohles Geklüft mich unter die Erde begebe
Und mit dem Rücken im Trotz an die untersten Höhlen mich stemme,
Störe die Manen ich auf mit dem Ruck und die sämtlichen Lande.
hac ope debueram thalamos petiisse, socerque
non orandus erat mihi sed faciendus Erectheus.'
haec Boreas aut his non inferiora locutus
excussit pennas, quarum iactatibus omnis
adflata est tellus latumque perhorruit aequor,
Also musst' ich mir auch erwerben die Braut, und erzwingen
Hätt' ich sollen, anstatt zu erbitten, den Schwäher Erechtheus."
Als so oder gewiss nicht glimpflicher jener geredet,
Setzt er die Flügel in Schwung, und rings von dem mächtigen Schlage
Spürt die Erde das Wehn, und weit aufschauert die Meerflut.
pulvereamque trahens per summa cacumina pallam
verrit humum pavidamque metu caligine tectus
Orithyian amans fulvis amplectitur alis.
dum volat, arserunt agitati fortius ignes,
nec prius aerii cursus suppressit habenas,
Über Gebirg' und Höhn nachschleifend den staubigen Mantel
Fegt er den Grund, und um die erbebende Oreithyia
Schlägt er, in Dunkel gehüllt, voll Liebe die gelblichen Flügel.
Wahrend er flog, entbrannte gefacht noch stärker die Flamme,
Und nicht hielt er zurück auf der Fahrt in Lüften die Zügel,
quam Ciconum tenuit populos et moenia raptor.
illic et gelidi coniunx Actaea tyranni
et genetrix facta est, partus enixa gemellos,
cetera qui matris, pennas genitoris haberent.
non tamen has una memorant cum corpore natas,
Bis der Kikonen Geschlecht und Mauern erreicht der Entführer,
Wo die Aktaierin ward des frostigen Herrschers Gemahlin
Und bald Zeugerin auch; denn Zwillingssöhne gebar sie,
Die von der Mutter den Leib und Fittiche hatten vom Vater.
Doch nicht wuchsen zugleich, wie es heißt, mit dem Körper die Flügel,
barbaque dum rutilis aberat subnixa capillis,
inplumes Calaisque puer Zetesque fuerunt;
mox pariter pennae ritu coepere volucrum
cingere utrumque latus, pariter flavescere malae.
ergo ubi concessit tempus puerile iuventae,
Sondern so lange der Bart nicht kam zu dem rötlichen Haupthaar,
Waren noch Zetes der Knab' und Kalais ohne Gefieder.
Bald dann wurde zugleich nach der Weise der Vögel von Federn
Jede der Seiten bedeckt und gebräunt vom Flaume die Wange.
Nun, da die kindliche Zeit vor dem Jünglingsalter gewichen,
vellera cum Minyis nitido radiantia villo
per mare non notum prima petiere carina.
Zog mit den Minyern aus das Paar auf dem ersten der Schiffe
Über entlegenste Flut nach dem Vlies mit der strahlenden Wolle.
     
  Übersetzung nach R.Suchier bearbeitet von E.Gottwein
Sententiae excerptae:
Lat. zu "Ov" und "met"
49
bella gerant alii, tu, felix Austria, nube! bella gerant alii, Protesilaus amet!)
Andere mögen Krieg führen, du, glückliches Österreich heirate! Andere mögen Krieg führen, du Protesilaos liebe!)
*Ov.her.13,82

224
perlucidior vitro
durchsichtiger als Glas
Hor.c.1,18,16 (cf.Ov.met.13,791)

105
Labitur occulte fallitque volatilis aetas.
Unbemerkt entgleitet und täuscht uns die flüchtige Zeit.
Ov.met.10,519

120
nihil est annis velocius
nichts ist schneller als die Jahre
Ov.met.10,520

860
Qui timet amicum, vim non novit nominis.
Wer Angst hat vor dem Freund, verkennt des Wortes Sinn.
Publil.Syr.Q40


Literatur:
zu "Ovid" und "met.6,"
4579
Reinhardt, Udo
Arachne und die Liebschaften der Götter
Freiburg/Fr.: Rombach 2014 (Reihe Paradeigmata 22)

4580
Rossi, Christina
Eine Betrachtung der Figuren Echo und Arachne in Christoph Ransmayrs Roman Die Letzte Welt unter literaturtheoretischen Aspekten
GRIN Verlag, 1/2012


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