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M. TULLI CICERONIS
ORATIO, QUA L. CATILINAM EMISIT
IN SENATU HABITA |
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M. TULLIUS CICERO
REDE, MIT DER ER L.CATILINA VERTRIEB
IM SENAT GEHALTEN |
I. Exordium
(1-6a) |
Eingang [1] (1-5a): Dass Catilina im Senat erscheint, ist erstaunlich frech: Der Senat kennt seine Pläne und er, der Konsul Cicero, hätte ihn eigentlich längst töten lassen sollen. Beispiele aus der Geschichte zeigen exemplarisch, dass angesehene Römer Leute, die den Staat gefährdeten, getötet haben. Der dazu legitimierende Senatsbeschluss gegen Catilina, das SCU, liegt seit dem 22. Okt. vor. [2] (5b-6a) Solche Senatsbeschlüsse hatten unter anderen Gaius Gracchus und Saturninus das Leben gekostet. Dafür, dass Cicero bisher Catilina entgegen diesen Beispielen noch verschont hat, legt er seine Gründe dar: Catilina soll sich durch sein Verhalten entlarven, so dass kein Römer mehr an seiner Schuld Zweifel hege. |
1. (1,1)
Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? quam diu etiam
furor iste tuus nos eludet? quem ad finem sese effrenata iactabit
audacia? Nihilne te nocturnum praesidium Palati, nihil urbis vigiliae,
nihil timor populi, nihil concursus bonorum omnium, nihil hic munitissimus
habendi senatus locus, nihil horum ora voltusque moverunt? Patere
tua consilia non sentis, constrictam iam horum omnium scientia teneri
coniurationem tuam non vides? Quid proxima, quid superiore nocte
egeris, ubi fueris, quos convocaveris, quid consili ceperis, quem
nostrum ignorare arbitraris? |
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(1) Wie
weit, Catilina,
wirst du es am Ende noch treiben im Missbrauch unserer Geduld? Wie
lange noch wird jenes dein rasendes Beginnen uns verhöhnen?
Wo wird die zügellose Frechheit, die so trotzig sich brüstet,
ihr Ziel finden? Vermochten nicht die nächtliche Besetzung
des Palatium,
nicht die Wachen in der Stadt, nicht die Bestürzung des Volkes,
nicht der Zusammentritt aller Gutgesinnten nicht dieser wohlbefestigte Ort der Senatsversammlung,
nicht die Blicke und Mienen dieser Männer dich zu erschüttern?
Merkst du nicht, dass deine Pläne entdeckt sind? Siehst du
nicht, wie deine Verschwörung durch die Mitwisserschaft aller,
die hier sind, bereits umgarnt und gehemmt ist? Wem von uns, meinst
du, sei es unbekannt, was du in der letzten, der vorletzten Nacht
getrieben, wo du gewesen, welche Leute du um dich versammelt, welche
Pläne du gefasst hast? |
(1,2)
O tempora, o mores! Senatus haec intellegit, consul videt; hic tamen
vivit. Vivit? immo vero etiam in senatum venit, fit publici consili
particeps, notat et designat oculis ad caedem unum quemque nostrum.
Nos autem, fortes viri, satis facere rei publicae videmur, si istius
furorem ac tela vitamus. Ad mortem te, Catilina, duci iussu consulis
iam pridem oportebat, in te conferri pestem, quam tu in nos omnis
iam diu machinaris. (1,3)
An vero vir amplissimus, P. Scipio, pontifex maximus, Ti. Gracchum
mediocriter labefactantem statum rei publicae privatus interfecit:
Catilinam orbem terrae caede atque incendiis vastare cupientem nos
consules perferemus? Nam illa nimis antiqua praetereo, quod C. Servilius
Ahala Sp. Maelium novis rebus studentem manu sua occidit. Fuit,
fuit ista quondam in hac re publica virtus, ut viri fortes acrioribus
suppliciis civem perniciosum quam acerbissimum hostem coercerent.
Habemus senatus consultum in te, Catilina, vehemens et grave, non
deest rei publicae consilium neque auctoritas huius ordinis: nos,
nos, dico aperte, consules desumus. |
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(2) O Zeiten!
O Sitten! Der Senat weiß es, der Konsul sieht es und doch lebt dieser Mensch noch.
Er lebt? Ja, er erscheint sogar im Senat,
er nimmt Teil an der öffentlichen Beratung, er bestimmt und
bezeichnet mit seinen Blicken jeden unter uns für den Mord.
Wir aber, wir tapfere Männer, meinen genug für den Staat
zu tun, wenn wir uns gegen die Wut und die Mordwaffen dieses Menschen
decken? Schon längst hättest du, Catilina,
durch den Befehl des Konsuls zum Tod geführt werden sollen,
auf dein Haupt hätte jenes Verderben, worüber du gegen
uns alle schon lange brütest, sich entladen sollen. (3) Konnte
doch der hochachtbare Mann Publius
Scipio, der Oberpriester, als Privatmann den Tiberius
Gracchus, weil dieser eine minder bedeutende Erschütterung
des Bestandes der Republik bewirken wollte, töten: und wir,
die Konsuln, sollten es dulden, dass Catilina die ganze Welt mit Mord und Brand zu verwüsten trachtet? Denn
ich übergehe jene veraltete Geschichte, wo Quintus
Servilius Ahala den Spurius
Maelius, der eine Staatsumwälzung beabsichtigte, mit eigener
Hand erschlug. Es war ja, ja es war einmal in diesem Staat so viel
männliche Kraft, dass die wackeren Männer mit härteren
Strafen den verderblichen Bürger als den gehasstesten Feind
niederhielten. Wir haben einen Senatsbeschluss gegen dich, Catilina;
er ist nachdrücklich und streng, es fehlt dem Staat nicht an
klugen Maßregeln, nicht an den Beschlüssen dieses Standes:
an uns, ich sage es offen, an uns Konsuln fehlt es. |
2. (1,4)
Decrevit quondam senatus, uti L. Opimius consul videret, ne quid
res publica detrimenti caperet: nox nulla intercessit: interfectus
est propter quasdam seditionum suspiciones C. Gracchus, clarissimo
patre, avo, maioribus; occisus est cum liberis M. Fulvius consularis.
Simili senatus consulto C. Mario et L. Valerio consulibus est permissa
res publica: num unum diem postea L. Saturninum tribunum plebis
et C. Servilium praetorem mors ac rei publicae poena remorata est?
At vero nos vicesimum iam diem patimur hebescere aciem horum auctoritatis.
Habemus enim eius modi senatus consultum, verum inclusum in tabulis,
tamquam in vagina reconditum, quo ex senatus consulto confestim
te interfectum esse, Catilina, convenit. Vivis, et vivis non ad
deponendam, sed ad confirmandam audaciam. Cupio, patres conscripti,
me esse clementem, cupio in tantis rei publicae periculis non dissolutum
videri, sed iam me ipse inertiae nequitiaeque condemno. (1,5)
Castra sunt in Italia contra populum Romanum in Etruriae faucibus
conlocata, crescit in dies singulos hostium numerus; eorum autem
castrorum imperatorem ducemque hostium intra moenia atque adeo in
senatu videtis intestinam aliquam cotidie perniciem rei publicae
molientem. Si te iam, Catilina, comprehendi, si interfici iussero,
credo, erit verendum mihi, ne non hoc potius omnes boni serius a
me quam quisquam crudelius factum esse dicat. |
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(4) Es beschloss
einst (121) der Senat,
der Konsul Lucius
Opimius solle zusehen, dass der Staat nicht zu Schaden komme.
Keine Nacht war dazwischen, so war schon Gaius
Gracchus, weil er einigermaßen der Erregung von Aufständen
verdächtig war, getötet, er, der Sprössling eines
hochberühmten Vaters, Großvaters und glänzender Ahnen: Erschlagen wurde mitsamt seinen Kindern
der ehemalige Konsul Marcus
Fulvius. Durch einen ähnlichen Senatsbeschluss wurde den
Konsuln Gaius
Marius und Lucius
Valerius das Wohl des Staates in die Hände gelegt. Hat
auch nur einen Tag von da an gegen den Volkstribunen Lucius
Saturninus und den Praetor Gaius
Servilius der Tod und die Staatsstrafe gesäumt? Wir aber
lassen schon seit zwanzig Tagen die Schärfe des Beschlusses
dieser Senatoren sich abstumpfen. Denn wir haben einen solchen Senatsbeschluss,
doch niedergelegt in den Protokollen, wie ein in der Scheide steckendes
Schwert: einen Senatsbeschluss, in Folge dessen du, Catilina,
augenblicklich hättest getötet werden sollen. Du lebst
noch, und lebst nicht, um deine Frechheit abzulegen, sondern um
dich noch in derselben zu bestärken. Ich wünsche, versammelte
Väter, milde zu handeln; ich wünsche, bei so drohenden
Gefahren des Staates nicht leichtsinnig zu erscheinen, aber nun
muss ich mich selbst eine tadelnswerten Untätigkeit beschuldigen.
(5) Ein Lager ist in Italien gegen den Staat in den etruskischen Pässen errichtet, es wächst mit jedem Tag die Zahl der
Feinde. Den Befehlshaber jenes Lagers aber, den Anführer der
Feinde, sehen wir innerhalb unserer Mauern, sogar im Senat,
täglich irgend einen verderblichen Plan gegen das Innere des
Staates anspinnen. Wenn ich dich, Catilina,
auf der Stelle ergreifen, wenn ich dich töten lasse, werde
ich nicht etwa eher zu befürchten haben, es möchten alle
Gutgesinnten sagen, es sei dies zu spät durch mich geschehen,
als dass irgend jemand sagen würde, ich habe zu grausam gehandelt.
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Verum ego
hoc, quod iam pridem factum esse oportuit, certa de causa nondum
adducor, ut faciam. Tum denique interficiere, cum iam nemo tam improbus,
tam perditus, tam tui similis inveniri poterit, qui id non iure
factum esse fateatur. (1,6)
Quam diu quisquam erit, qui te defendere audeat, vives, et vives
ita, ut nunc vivis, multis meis et firmis praesidiis obsessus, ne
commovere te contra rem publicam possis. Multorum te etiam oculi
et aures non sentientem, sicut adhuc fecerunt, speculabuntur atque
custodient. |
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Doch wiewohl
dies schon längst hätte geschehen sollen, so kann ich
mich doch aus einem gewissen Grund noch nicht entschließen,
es zu tun. Dann erst werde ich dich töten, wenn niemand mehr
sich finden wird, der so ruchlos und so schlecht wäre, nicht
zu erkennen, dass es mit Recht geschehen sei.(6) Solange es aber
noch irgend jemanden gibt, der dich in Schutz zu nehmen wagt, so
lange sollst du leben; und zwar leben, so wie du jetzt lebst, umlagert
von meinen vielen und starken Wachen, so dass du dich gegen den
Staat nicht rühren kannst. Es werden dich, ohne dass du es
wahrnimmst, viele, wie bisher, mit Augen und Ohren belauern und
hüten. |
II.Hauptteil
(6b-32) |
Den Hauptteil [3-12] (6b-30) beherrscht Ciceros Appell an Catilina, die Stadt endlich zu verlassen. Der Abschnitt vereinigt eng mit einander verbunden Elemente der narratio, argumentatio und refutatio. Die Gründe, mit denen Cicero den rhetorischen Druck aufbaut, wechseln, und bilden im Hauptteil gliedernde Schwerpunkte.- [3] (6b-8a) Catilinas weiteren Pläne sind allgemein bekannt. Alles was bisher geschehen ist, hatte Cicero vorher angekündigt. Ein weiteres Versteckspiel ist nicht mehr möglich. Catilina ist zum Handeln gezwungen.
- [4] (8b-10a) Cicero unterrichtet die Anwesenden wie zum Beweis seiner These über die neueste konspirative Sitzung der Verschwörer in der Nacht zuvor im Haus des Laeca und über den vereitelten Mordanschlag gegen ihn persönlich
- [5] (10b-13a) Catilinas Anwesenheit in der Stadt ist für alle eine unerträgliche Gefahr: Cicero kann sich weder selbst weiterhin durch private Maßnahmen schützen, noch der Staat insgesamt, kann seine Gefährdung hinnehmen.
- [6] (13b-16a) Catilina sollte die Stadt verlassen, weil man ihn in Rom abgrundtief verabscheut. Aufzählung seiner Verbrechen.
- [7] (16b-18) Dass er im Senat isoliert ist und gemieden wird, hat er bei seinem Erscheinen selbst erlebt. Das ganze Vaterland hasst und fürchtet ihn als seinen Feind.
- [8] (19-21) Ciceros Aufforderung, Catilina solle die Stadt verlassen, findet allgemeine Zustimmung: Einmal hatte Catilina selbst angeboten, sich unter libera custodia zu begeben; zum anderen zeigt der Senat durch sein Stillschweigen sein Einverständnis. Die Ritter und übrigen Bürger vertreten denselben Wunsch: Catilina muss die Stadt verlassen.
- [10] (25-27a) Catilina hat selbst schon seine Abreise in Gang gesetzt. In Etrurien wird er seinen Heerhaufen treffen, Leute seines Schlages, unter denen er sich wohlfühlen wird.
- [11-12] (27b-30) Cicero entkräftet den Vorwurf, er hätte Catilina, statt ihn aus der Stadt zu jagen, töten müssen: a) Eine Hinrichtung hätte Mitleid hervorgerufen und Sympathie für die Catilinarier geweckt. b) Wenn aber Catilina aus der Stadt zu seinen Leuten flieht, liefert er den stärksten Beweis für seine Verbrechen.
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3. Etenim
quid est, Catilina, quod iam amplius exspectes, si neque nox tenebris
obscurare coetus nefarios nec privata domus parietibus continere
voces coniurationis tuae potest, si inlustrantur, si erumpunt omnia?
Muta iam istam mentem, mihi crede, obliviscere caedis atque incendiorum.
Teneris undique; luce sunt clariora nobis tua consilia omnia, quae
iam mecum licet recognoscas. (1,7)
Meministine me ante diem xii Kalendas Novembris dicere in senatu
fore in armis certo die, qui dies futurus esset ante diem VI. Kal.
Novembris, C. Manlium, audaciae satellitem atque administrum tuae?
Num me fefellit, Catilina, non modo res tanta tam atrox tamque incredibilis,
verum, id quod multo magis est admirandum, dies? Dixi ego idem in
senatu caedem te optimatium contulisse in ante diem V. Kalendas
Novembris, tum cum multi principes civitatis Roma non tam sui conservandi
quam tuorum consiliorum reprimendorum causa profugerunt. Num infitiari
potes te illo ipso die meis praesidiis, mea diligentia circumclusum
commovere te contra rem publicam non potuisse, cum tu discessu ceterorum
nostra tamen, qui remansissemus, caede contentum te esse dicebas? |
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Denn was
kannst du, Catilina,
noch weiter hoffen, wenn weder die Nacht mit ihrem Dunkel die verbrecherischen
Unternehmungen deiner Verschwörung zu verhüllen, noch
ein Privathaus in seinen Wänden die Worte derselben zu verheimlichen
vermag, wenn alles heraus und ans Tageslicht kommt? Gib diesen deinen
Entschluss auf! Glaube mir: Vergiss Mord und Brandstiftung! Von
allen Seiten hält man dich fest; heller als der Tag liegen
alle deine Pläne vor uns; du kannst sie mit mir jetzt im einzelnen
durchmustern. (7) Weißt du noch, wie ich am 21. Oktober im Senat sagte, dass an
einem bestimmten Tag, nämlich am 27. Oktober, Gaius
Manlius, der Schildträger und Gehilfe deiner Frechheit,
unter den Waffen stehen werde? Ist, Catilina,
meine Ankündigung nicht allein dieses so großen , so
grässlichen, so unglaublichen Ereignisses, sondern auch, was
noch mehr zu verwundern ist, selbst des Tages nicht eingetroffen?
Ich habe ferner im Senat gesagt, du hättest die Ermordung der rechtschaffenen Leute
auf den 28. Oktober festgesetzt, damals, als viele der vornehmsten
Männer aus Rom entflohen, nicht sowohl um sich zu retten, als
um deinen Plänen entgegen zu arbeiten. Kannst du es leugnen,
dass du gerade an diesem Tag durch die von mir ausgestellten Wachen
und durch meine Tätigkeit so umschlossen warst, dass du dich
gegen den Staat nicht rühren konntest; damals, als du beim
Weggang der übrigen äußertest, du seist zufrieden,
wnn nur wir, die wir zurückgeblieben waren, gemordet werden? |
(1,8)
Quid? cum te Praeneste Kalendis ipsis Novembribus occupaturum nocturno
impetu esse confideres, sensistin illam coloniam meo iussu meis
praesidiis, custodiis, vigiliis esse munitam? Nihil agis, nihil
moliris, nihil cogitas, quod [non] ego non modo audiam, sed etiam
videam planeque sentiam. |
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Weiter:
als du gewiss glaubtest, gerade am 1. November durch einen nächtlichen
Angriff Praeneste überrumpeln zu können, hast du es gemerkt, dass jene Kolonie
auf meinen Befehl durch Verteidigungsmaßnahmen, Besatzung
und Wachen gedeckt war? Du tust nichts, du unternimmst nichts, ohne
dass ich es nicht allein höre, sondern auch sehe und vollkommen
gewahr werde. |
4. Recognosce
mecum tandem noctem illam superiorem; iam intelleges multo me vigilare
acrius ad salutem quam te ad perniciem rei publicae. Dico te priore
nocte venisse inter falcarios - non agam obscure - in M. Laecae
domum; convenisse eodem compluris eiusdem amentiae scelerisque socios.
Num negare audes? quid taces? Convincam, si negas. Video enim esse
hic in senatu quosdam, qui tecum una fuerunt. |
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Durchmustere
mit mir endlich die Geschichte der letzten Nacht und du wirst dich
bald überzeugen, dass ich viel eifriger für die Rettung
des Staates war als du für sein Verderben. Ich behaupte, dass
du in der vorigen Nacht durch die Sensenstraße – ich will
unverhohlen sprechen – in das Haus des Marcus
Laeca gekommen bist, dass sich eben da noch mehrere ebenso wahnsinnige
Menschen, die Genossen deines Frevels, sich versammelt haben. Wagst
du es zu leugnen? Was schweigst du? Ich will dich überführen,
wenn du leugnest; denn ich sehe, dass hier im Senat gewisse Leute sind, die mit dir waren. |
(1,9)
O di immortales! ubinam gentium sumus? quam rem publicam habemus?
in qua urbe vivimus? Hic, hic sunt in nostro numero, patres conscripti,
in hoc orbis terrae sanctissimo gravissimoque consilio, qui de nostro
omnium interitu, qui de huius urbis atque adeo de orbis terrarum
exitio cogitent. Hos ego video consul et de re publica sententiam
rogo, et quos ferro trucidari oportebat, eos nondum voce volnero! |
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(9)O ihr
unsterblichen Götter! Unter welchem Volke sind wir! Was für
eine Verfassung haben wir! In welcher Stadt leben wir! Hier, hier,
in unserer Mitte, versammelte Väter, in dieser hochheiligen
und ehrwürdigsten Versammlung der ganzen Welt sind Leute, die
zu meinem und unser aller Untergang, zum Verderben dieser Stadt,
ja sogar der ganzen Welt Pläne ersinnen. Ich, der Konsul, sehe
diese Menschen vor mir, ich rufe sie zur Abstimmung über die
Angelegenheiten des Staates auf; und sie, die mit dem Schwert niedergehauen
werden sollten, verwunde ich nicht einmal durch ein Wort! |
Fuisti
igitur apud Laecam illa nocte, Catilina, distribuisti partis Italiae,
statuisti, quo quemque proficisci placeret, delegisti, quos Romae
relinqueres, quos tecum educeres, discripsisti urbis partis ad incendia,
confirmasti te ipsum iam esse exiturum, dixisti paulum tibi esse
etiam nunc morae, quod ego viverem. Reperti sunt duo equites Romani,
qui te ista cura liberarent et se illa ipsa nocte paulo ante lucem
me in meo lecto interfecturos esse pollicerentur. (1,10)
Haec ego omnia vixdum etiam coetu vestro dimisso comperi; domum
meam maioribus praesidiis munivi atque firmavi, exclusi eos, quos
tu ad me salutatum mane miseras, cum illi ipsi venissent, quos ego
iam multis ac summis viris ad me id temporis venturos esse praedixeram. |
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Du warst
also in dieser Nacht bei Laeca, Catilina, du hast
di Rollen in Italien verteilt, du hast beschlossen, wohin jeder zeihen solle; du hast
diejenigen ausgewählt, die du in Rom zurücklassen und
die du mit dir nehmen wolltest; du hast die Quartiere der Stadt
zur Brandstiftung verteilt; du hast die Versicherung gegeben, dass
du bald abreisen werdest; du hast gesagt, nur der Umstand, dass
ich noch lebe, halte dich noch eine Weile zurück. Es haben
sich zwei
römische Ritter gefunden, die dich dieser Sorge entledigen
wollten und sich erboten, eben in dieser Nacht, kurz vor Tag, mich
in meinem Bett zu ermorden. Kaum war eure Versammlung auseinander
gegangen, als ich dies schon erfuhr. Ich verwahrte und deckte mein
Haus mit stärkeren Schutzmaßnahmen. Ich ließ die
nicht vor mich, die du ausgesandt hattest, um mir einen Morgenbesuch
zu machen, als eben jene Leute sich meldeten, von denen ich bereits
vielen angesehenen Männern vorher gesagt hatte, dass sie um
diese Zeit zu mir kämen. |
5. Quae
cum ita sint, Catilina, perge quo coepisti: egredere aliquando ex
urbe; patent portae; proficiscere. Nimium diu te imperatorem tua
illa Manliana castra desiderant. Educ tecum etiam omnis tuos, si
minus, quam plurimos; purga urbem. Magno me metu liberaveris, modo
inter me atque te murus intersit. Nobiscum versari iam diutius non
potes; non feram, non patiar, non sinam. |
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Da dem
so ist, Catilina,
gehe nur in deiner eingeschlagenen Richtung weiter: verlasse endlich
einmal die Stadt, die Tore stehen offen; reise! Allzu lange schon
vermisst jenes dein Manlisches Lager dich als Oberbefehlshaber. Nimm auch alle deine Anhänger
mit fort, wenn nicht alle, so doch in größtmöglicher
Zahl; säubere die Hauptstadt! Du wirst mich einer großen
Furcht entledigen, wenn nur einmal zwischen mir und dir die Mauer
liegt. Unter uns kannst die nicht länger weilen; ich werde
dies nicht zugeben, nicht ertragen, nicht dulden. |
(1,11)
Magna dis immortalibus habenda est atque huic ipsi Iovi Statori,
antiquissimo custodi huius urbis, gratia, quod hanc tam taetram,
tam horribilem tamque infestam rei publicae pestem totiens iam effugimus.
Non est saepius in uno homine summa salus periclitanda rei publicae.
Quam diu mihi consuli designato, Catilina, insidiatus es, non publico
me praesidio, sed privata diligentia defendi. Cum proximis comitiis
consularibus me consulem in campo et competitores tuos interficere
voluisti, compressi conatus tuos nefarios amicorum praesidio et
copiis nullo tumultu publice concitato; denique, quotienscumque
me petisti, per me tibi obstiti, quamquam videbam perniciem meam
cum magna calamitate rei publicae esse coniunctam. |
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(11) Großen
Dank sind wir den unsterblichen Göttern schuldig, und besonders
auch diesem Iupiter
Stator, dem urältesten Bewahrer dieser Stadt, dass wir
dieser so verabscheuungswürdigen, so furchtbaren, so verderblichen
Pest des Staates schon so oft entronnen sind. Öfter darf das
Gesamtwohl des Staates durch einen Menschen nicht in Gefahr kommen.
Solange du, Catilina,
mir als ernanntem Konsul nachstelltest, habe ich mich nicht durch
öffentliche Schutzmaßnahmen , sondern durch persönliche
Aufmerksamkeit gesichert. Als du aber bei der letzten Versammlung
zur Konsulwahl mich, den Konsul, und deine Mitbewerber auf dem Marsfeld
töten wolltest, habe ich dein verruchtes Beginnen durch den
Schutz und die große Zahl meiner Freunde zurückgewiesen,
ohne einen öffentlichen Auflauf zu erregen. Kurz, so oft du
auf mich losgingst, habe ich dir für mich selbst widerstanden,
wiewohl ich einsah, dass mein Tod ein großes Unglück
für den Staat sein würde. |
(1,12)
Nunc iam aperte rem publicam universam petis, templa deorum immortalium,
tecta urbis, vitam omnium civium, Italiam totam ad exitium et vastitatem
vocas. Qua re, quoniam id, quod est primum, et quod huius imperi
disciplinaeque maiorum proprium est, facere nondum audeo, faciam
id, quod est ad severitatem lenius, ad communem salutem utilius.
Nam si te interfici iussero, residebit in re publica reliqua coniuratorum
manus; sin tu, quod te iam dudum hortor, exieris, exhaurietur ex
urbe tuorum comitum magna et perniciosa sentina rei publicae. |
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(12) Nun
aber sind deine Pläne offen gegen die Gesamtheit des Staates
gerichtet: die Tempel der unsterblichen Götter, die Wohnungen
der Stadt, das Leben aller Bürger, ja ganz Italien willst du dem Verderben und der Zerstörung weihen. Daher will
ich, weil, was die nächste Maßregel und diesem Reiche
und der Sitte der Vorfahren angemessen wäre, noch nicht zu
vollziehen wage, etwas tun, was, vom Gesichtspunkt der Strenge betrachtet,
zu gelind, für das öffentliche Wohl aber ersprießlicher
ist. Wenn ich nämlich den Befehl zu deiner Hinrichtung gebe,
wird die übrige Schar der Verschwörer im Staat zurückbleiben.
Wofern aber du, wozu ich dich schon längst aufrufe, dich entferntest,
so wird der starke und dem Staat Verderben drohende Bodensatz deiner
Genossen sich aus der Hauptstadt entleeren. |
(1,13)
Quid est, Catilina? num dubitas id me imperante facere, quod iam
tua sponte faciebas? Exire ex urbe iubet consul hostem. Interrogas
me, num in exsilium? Non iubeo, sed, si me consulis, suadeo. |
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(13) Wie, Catilina, zögerst
du, was du schon freiwillig tun wolltest, auf meinen Befehl hin
zu tun? Der Konsul gebietet dem Feind, die Stadt zu verlassen. Du
fragst mich, ob du in die Verbannung gehen solltest? Das befehle
ich nicht; aber ich rate dazu, wenn du mich um Rat fragst. |
6. Quid
est enim, Catilina, quod te iam in hac urbe delectare possit? in
qua nemo est extra istam coniurationem perditorum hominum, qui te
non metuat, nemo, qui non oderit. Quae nota domesticae turpitudinis
non inusta vitae tuae est? quod privatarum rerum dedecus non haeret
in fama? quae libido ab oculis, quod facinus a manibus umquam tuis,
quod flagitium a toto corpore afuit? cui tu adulescentulo, quem
corruptelarum inlecebris inretisses non aut ad audaciam ferrum aut
ad libidinem facem praetulisti? (1,14)
Quid vero? nuper cum morte superioris uxoris novis nuptiis locum
vacuefecisses, nonne etiam alio incredibili scelere hoc scelus cumulavisti?
quod ego praetermitto et facile patior sileri, ne in hac civitate
tanti facinoris immanitas aut exstitisse aut non vindicata esse
videatur. Praetermitto ruinas fortunarum tuarum, quas omnis proximis
Idibus tibi impendere senties: ad illa venio, quae non ad privatam
ignominiam vitiorum tuorum, non ad domesticam tuam difficultatem ac turpitudinem, sed
ad summam rem publicam atque ad omnium nostrum vitam salutemque
pertinent. |
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Denn was, Catilina,
kann für dich in dieser Stadt noch einen Reiz haben, in der,
jene verschworene Bande verzweifelter Menschen ausgenommen, niemand
ist, der dich nicht fürchtet, niemand, der dich nicht hasst?
Wo gibt es ein Brandmal häuslicher Schande, das deinem Leben
nicht aufgedrückt wäre? (vgl. Sall.Cat.14ff.).
Wo eine Schmach in Privatverhältnissen, die deinem Rufe nicht
anhinge? Welche Frechheit ist deinen Augen, welcher Greuel deinen
Händen, welche Entbehrung ist deinem ganzen Körper je
fremd geblieben? Welchem jungen Menschen, den du mit den Netzen
der Verführung umstricktest, hast du nicht entweder zu verwegenen
Untaten den Mordstahl oder zu Ausschweifungen die Fackel vorangetragen?
Ja, hast du nicht vor kurzem nachdem du durch den Tod deiner ersten
Gattin für eine neue Heirat in deinem Hause Raum gemacht, diesem
Frevel noch durch einen anderen unglaublichen Frevel die Krone aufgesetzt? Doch ich gehe darüber hinweg und will es gern dem
Stillschweigen übergeben, damit man nicht glauben müsse,
es sei in diesem Staat ein so unmenschliches Verbrechen vorgekommen
oder nicht bestraft worden. Ich will nichts erwähnen von dem
völligen Ruin deines Vermögensstandes, der dir, wie du
erfahren wirst, an den nächsten Iden bevorsteht. Ich komme auf das, was nicht die besondere Schmach deiner
Ausschweifungen, nicht deine häusliche Verlegenheit und Schande,
sondern die Gesamtheit des Staates und unser aller Leben und Sicherheit
angeht. |
(1,15)
Potestne tibi haec lux, Catilina, aut huius caeli spiritus esse
iucundus, cum scias esse horum neminem, qui nesciat te pridie Kalendas
Ianuarias Lepido et Tullo consulibus stetisse in comitio cum telo,
manum consulum et principum civitatis interficiendorum causa paravisse,
sceleri ac furori tuo non mentem aliquam aut timorem tuum sed Fortunam
populi Romani obstitisse? Ac iam illa omitto - neque enim sunt aut
obscura aut non multa commissa postea - quotiens tu me designatum,
quotiens vero consulem interficere conatus es! quot ego tuas petitiones
ita coniectas,
ut vitari posse non viderentur, parva quadam declinatione et, ut
aiunt, corpore effugi! Nihil agis, nihil adsequeris, neque tamen
conari ac velle desistis. |
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(15) Kann
es dir, Catilina,
angenehm sein, hier am hellen Tag zu verweilen und die Luft dieses
Himmels einzuatmen, da du weißt, dass es keinem Anwesenden
unbekannt ist, dass du unter dem Konsulat des Lepidus und Tullus (66 v.Chr.), am letzten
Dezember, bewaffnet auf dem Wahlplatz standest und zur Ermordung
der Konsuln und der Vornehmsten im Staat eine Bande zusammengebracht
hattest, dass dein rasender Frevel nicht durch irgend eine Überlegung
oder Besorgnis von deiner Seite, sondern durch das Glück, das
über dem römischen Volke waltet, hintertrieben wurde?
Und davon will ich jetzt nicht weiter reden, denn es ist nicht allein
gar nicht unbekannt, sondern es fehlt auch nicht an vielen späteren
Vergehen. Wie oft hast du mich, seit ich designiert war, wie oft,
seit ich Konsul bin, zu ermorden versucht? Wie viele deiner Angriffe,
bei denen du so gegen mich ausholtest, dass ich mich gegen sie nicht
decken zu können schien, bin ich durch eine ganz kleine Wendung
und, wie man zu sagen pflegt, mit dem Leibe ausgewichen! Wo nimmst
du noch den Mut her, dies zu ertragen? Du richtest nichts aus, du
erreichst nichts und dennoch lässt du nicht davon ab, es zu
versuchen und zu wünschen. |
(1,16)
Quotiens iam tibi extorta est ista sica de manibus, quotiens excidit
casu aliquo et elapsa est! Quae quidem quibus abs te initiata sacris
ac devota sit, nescio, quod eam necesse putas esse in consulis corpore
defigere.
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(16) Wie
oft ist dir nicht jener Dolch aus den Händen gewunden worden!
Wie oft ist er dir aber auch durch einen Zufall entfallen und entschlüpft!
Und doch kannst du dich fernerhin nicht von ihm trennen: ich weiß
nicht, unter welchen Zeremonien du denselben eingeweiht und dem
Fluche gewidmet hast, dass du ihn dem Konsul ind den Leib stoßen
zu müssen meinst. |
7. Nunc
vero quae tua est ista vita? Sic enim iam tecum loquar, non ut odio
permotus esse videar, quo debeo, sed ut misericordia, quae tibi
nulla debetur. Venisti paulo ante in senatum. Quis te ex hac tanta
frequentia, tot ex tuis amicis ac necessariis salutavit? Si hoc
post hominum memoriam contigit nemini, vocis exspectas contumeliam,
cum sis gravissimo iudicio taciturnitatis oppressus? Quid, quod
adventu tuo ista subsellia vacuefacta sunt, quod omnes consulares,
qui tibi persaepe ad caedem constituti fuerunt, simul atque adsedisti,
partem istam subselliorum nudam atque inanem reliquerunt, quo tandem
animo tibi ferendum putas? |
|
Wie magst
du nun aber so leben, wie du lebst? Denn ich will jetzt so mit dir
reden, dass man erkennen kann, ich sei nicht von dem Hass, der dir
von meiner Seite gebührt, sondern von Mitleid, das dir nicht
gebührt, beseelt. Du bist vor einigen Augenblicken in den Senat eingetreten. Wer hat dich aus dieser großen Zahl von deinen
vielen Freunden und Vertrauten gegrüßt? Wenn das seit
Menschengedenken niemandem begegnete, willst du noch eine Beschimpfung
durch Worte abwarten, da durch das entscheidende Urteil des Schweigens
schon geschlagen bist? Wie? Sind nicht bei deinem Eintreten jene
Bänke leer geworden? Haben nicht alle Konsularen, die du so
oft dir zur Ermordung bezeichnetest, sobald du dich niederließest,
jenen Teil der Bänke leer und öde gelassen? Wo nimmst
du noch den Mut her, dies zu ertragen? |
(1,17)
Servi mehercule mei si me isto pacto metuerent, ut te metuunt omnes
cives tui, domum meam relinquendam putarem: tu tibi urbem non arbitraris?
et si me meis civibus iniuria suspectum tam graviter atque offensum
viderem, carere me aspectu civium quam infestis omnium oculis conspici
mallem: tu, cum conscientia scelerum tuorum agnoscas odium omnium
iustum et iam diu tibi debitum, dubitas, quorum mentis sensusque
volneras, eorum aspectum praesentiamque vitare? Si te parentes timerent
atque odissent tui neque eos ratione ulla placare posses, ut opinor, ab eorum oculis aliquo concederes. Nunc te patria,
quae communis est parens omnium nostrum, odit ac metuit et iam diu
nihil te iudicat nisi de parricidio suo cogitare: huius tu neque
auctoritatem verebere nec iudicium sequere nec vim pertimesces? |
|
(17) Fürwahr,
wenn meine Sklaven mich auf diese Weise fürchteten, wie alle
deine Mitbürger dich fürchten, ich würde glauben,
mein Haus verlassen zu müssen; und du glaubst nicht, die Stadt
verlassen zu müssen? Und würde ich sehen, dass ich von
meinen Mitbürgern auch mit Unrecht so schwer verdächtigt
würde und ihnen anstößig sei, so würde ich
mich lieber dem Anblick meiner Mitbürger entziehen, als mich
von allen mit feindlichen Augen ansehen lassen. Und du, da du doch
im Bewusstsein deiner Frevel anerkennst, dass der allgemeine Hass
gegen dich gerecht sei, und du ihn schon lange verschuldest habest,
- du kannst dich noch bedenken, den Anblick und die Gegenwart derer
zu meiden, deren Vorstellungen und Gefühle du verletztest?
Würden deine Eltern dich fürchten, und hassen, und könntest
du sie durch kein Mittel versöhnen, so würdest du dich,
denke ich, fern von ihren Blicken irgendwohin zurückziehen:
nun hasst und fürchtet dich aber das Vaterland, welches unser
aller gemeinsame Mutter ist, und glaubt schon lange nichts anderes
von dir, als dass du auf sein Verderben sinnst: Wirst du weder sein
Urteil scheuen, noch seinem Ausspruch folgen, noch seine Gewalt
fürchten? |
(1,18)
Quae tecum, Catilina, sic agit et quodam modo tacita loquitur: 'Nullum
iam aliquot annis facinus exstitit nisi per te, nullum flagitium
sine te; tibi uni multorum civium neces, tibi vexatio direptioque
sociorum impunita fuit ac libera; tu non solum ad neglegendas leges
et quaestiones verum etiam ad evertendas perfringendasque valuisti.
Superiora illa, quamquam ferenda non fuerunt, tamen, ut potui, tuli;
nunc vero me totam esse in metu propter unum te, quicquid increpuerit,
Catilinam timeri, nullum videri contra me consilium iniri posse,
quod a tuo scelere abhorreat, non est ferendum. Quam ob rem discede
atque hunc mihi timorem eripe; si est verus, ne opprimar, sin falsus,
ut tandem aliquando timere desinam.' |
|
(18) Dieses
Vaterland, Catilina,
verhandelt so mit dir und spricht gleichsam schweigend zu dir: „Seit
einer beträchtlichen Zahl von Jahren schon ist kein frevelhaftes
Unternehmen von einem andern als von dir ausgegangen, keine Schandtat
geschehen ohne dich; dir allein ist die Ermordung vieler Bürger
und die Quälerei und Beraubung der Bundesgenossen frei und
ungestraft hingegangen. Du hast nicht allein zur Herabwürdigung
der Gesetze und gerichtlichen Untersuchungen mitgewirkt, sondern
auch dazu, sie zu untergraben und ihre Schranken zu durchbrechen.
Jene früheren Taten habe ich, wiewohl sie nicht hätten
geduldet werden sollen, doch , so gut ich konnte, ertragen: dass
nun aber, wegen deiner Person allein, ich in Gesamtheit in Angst
sein soll, dass bei jedem Lärm Catilina gefürchtet wird, dass, wie es scheint, keine Umtriebe, die
für deine Lasterhaftigkeit zu arg wären, gegen mich gemacht
werden können, das ist nicht mehr zu ertragen. Entferne dich
also und befreie mich von dieser Furcht, wenn sie begründet
ist, damit ich nicht unterdrückt werde; und wenn sie unbegründet
wäre, dass ich doch endlich einmal mich nicht mehr fürchten
muss." |
8. (1,19)
Haec si tecum, ut dixi, patria loquatur, nonne impetrare debeat,
etiam si vim adhibere non possit? Quid, quod tu te in custodiam
dedisti, quod vitandae suspicionis causa ad M'. Lepidum te habitare
velle dixisti? A quo non receptus etiam ad me venire ausus es, atque,
ut domi meae te adservarem, rogasti. Cum a me quoque id responsum
tulisses, me nullo modo posse isdem parietibus tuto esse tecum,
quia magno in periculo essem, quod isdem moenibus contineremur,
ad Q. Metellum praetorem venisti. A quo repudiatus ad sodalem tuum,
virum optimum, M. Metellum demigrasti, quem tu videlicet et ad custodiendum
te diligentissimum et ad suspicandum sagacissimum et ad vindicandum
fortissimum fore putasti. Sed quam longe videtur a carcere atque
a vinculis abesse debere, qui se ipse iam dignum custodia iudicarit? |
|
(19) Wenn
das Vaterland so zu dir spricht, sollte es nicht Gewährung
erwarten dürfen, wenn es auch keine Gewalt zu gebrauchen vermöchte?
Ja, hast du dich nicht selbst unter Gewahrsam gestellt? Hast du
nicht sogar erklärt, du wolltest, um den Verdacht zu beseitigen,
bei Manius
Lepidus wohnen? Als du von diesem nicht aufgenommen wurdest,
wagtest du auch, zu mir zu kommen, und batest, ich möchte dich
in meinem Haus unter Aufsicht nehmen. Als du auch von mir die Antwort
erhieltest, ich könne durchaus nicht unter dem selben Dach
sicher mit dir wohnen, da ich schon in großer Gefahr sei,
weil wir uns innerhalb der selben Mauern befinden, so gingst du
zu dem Praetor Quintus
Metellus. Von diesem zurückgewiesen zogst du zu deinem
Vertrauten Marcus
Marcellus, dem trefflichen Mann, dem du natürlicherweise
Gewissenhaftigkeit genug, um dich zu bewachen, Scharfsinn genug,
um Pläne zu erraten, und Mut genug, um Rache zu üben,
zutrautest. Aber wie nahe, darf man glauben, dass der dem Kerker
und den Banden bereits stehe, der sich selbst schon des Gewahrsams
würdig erklärt hat? |
(1,20)
Quae cum ita sint, Catilina, dubitas, si emori aequo animo non potes,
abire in aliquas terras et vitam istam multis suppliciis iustis
debitisque ereptam fugae solitudinique mandare? |
|
(20) Und
wie kannst du dich unter diesen umständen noch bedenken, Catilina,
wenn du nicht Gleichmut genug hast zu sterben, in irgend ein Land
auszuwandern und dieses dein Leben vor vielen gerechten und wohlverschuldeten
Strafen zu retten und der Flucht und Einsamkeit anzuvertrauen? |
'Refer',
inquis, 'ad senatum'; id enim postulas et, si hic ordo placere sibi
decreverit te ire in exsilium, obtemperaturum te esse dicis. Non
referam, id quod abhorret a meis moribus, et tamen faciam, ut intellegas,
quid hi de te sentiant. Egredere ex urbe, Catilina, libera rem publicam
metu, in exsilium, si hanc vocem exspectas, proficiscere. Quid est?
ecquid attendis, ecquid animadvertis horum silentium? Patiuntur,
tacent. Quid exspectas auctoritatem loquentium, quorum voluntatem
tacitorum perspicis? (1,21)
At si hoc idem huic adulescenti optimo P. Sestio, si fortissimo
viro M. Marcello dixissem, iam mihi consuli hoc ipso in templo senatus
iure optimo vim et manus intulisset. De te autem, Catilina, cum
quiescunt, probant, cum patiuntur, decernunt, cum tacent, clamant,
neque hi solum, quorum tibi auctoritas est videlicet cara, vita
vilissima, sed etiam illi equites Romani, honestissimi atque optimi
viri, ceterique fortissimi cives, qui circumstant senatum, quorum
tu et frequentiam videre et studia perspicere et voces paulo ante
exaudire potuisti. Quorum ego vix abs te iam diu manus ac tela contineo,
eosdem facile adducam, ut te haec, quae vastare iam pridem studes,
relinquentem usque ad portas prosequantur. |
|
„Trage
die Sache“, sprichst du, „formgerecht dem Senat vor!“ Denn das verlangst du ja und sagst, wenn dieser Stand beschließe,
er wolle, dass du in die Verbannung gehst, so werdest du gehorchen.
Ich werde diesen nicht Antrag stellen: es ist meiner Gemütsart
zuwider. Jedoch will ich machen, dass du merken kannst, was diese
von dir denken. Gehe aus der Stadt, Catilina,
befreie die Republik von der Angst; begib dich in die Verbannung,
wenn es dieses Wort ist, das du erwartest. Wie nun, Catilina?
Gibst du Acht? Bemerkst du, wie die Anwesenden schweigen? Sie dulden
es; sie verstummen. Was wartest du auf einen Beschluss der Redenden,
wenn du die Gesinnung der Schweigenden vernimmst? (21) Hätte
ich das selbe diesem trefflichen jungen Mann Publius
Sestius oder dem tapferen Marcus
Marcellus gesagt: der Senat würde sogar in diesem Tempel gegen mich, den Konsul, mit vollem
Recht sogleich Gewalt gebraucht und Hand an mich gelegt haben. Indem
sie aber bei dir, Catilina,
so ruhig sind, billigen sie meine Rede und beschließen, indem
sie diese dulden; und ihr Schweigen ist eine laute Erklärung!
Und nicht diese allein sind es, deren Spruch dir natürlich
viel wert ist, obgleich du ihr Leben gering achtest, sondern auch
jene römischen Ritter,
hochachtbare und treffliche Männer, und die übrigen höchst
wackeren Bürger, welche die Senatsversammlung umstehen, deren
große Anzahl du sehen, ihre Gesinnung vernehmen und ihren
Ausruf vor wenigen Augenblicken hören konntest. Schon lange
kann ich ihre Hände und Waffen kaum von dir zurückhalten
und werde sie leicht dahinbringen, dass, wenn du diesen Ort, den
du zu verwüsten schon geraume Zeit im Sinne hast, verlässt,
sie dich zu den Toren begleiten. |
9. (1,22)
Quamquam quid loquor? te ut ulla res frangat, tu ut umquam te corrigas,
tu ut ullam fugam meditere, tu ut ullum exsilium cogites? Utinam
tibi istam mentem di immortales duint! tametsi video, si mea voce
perterritus ire in exsilium animum induxeris, quanta tempestas invidiae
nobis, si minus in praesens tempus recenti memoria scelerum tuorum,
at in posteritatem impendeat. Sed est tanti, dum modo tua ista sit
privata calamitas et a rei publicae periculis seiungatur. Sed tu
ut vitiis tuis commoveare, ut legum poenas pertimescas, ut temporibus rei
publicae cedas, non est postulandum. Neque enim is es, Catilina,
ut te aut pudor a turpitudine aut metus a periculo aut ratio a furore
revocarit. |
|
Doch wozu
sage ich dies? Damit du durch irgend etwas gebeugt werdest? Damit
du irgend einmal dich besserst? Damit du auf irgend eine Art von
Flucht denkst? Damit du dich zu einer Verbannung entschließt?
Möchten die unsterblichen Götter diesen Gedanken dir in
den Sinn geben! Zwar sehe ich wohl, welcher Sturm des Hasses, wenn
du durch meine Rede geschreckt dich entschließt, in die Verbannung
zu gehen, wo nicht in der Gegenwart, da deine Frevel noch in frischem
Andenken sind, doch für die Zukunft uns bedroht. Doch ich will
dieses Opfer der Sache bringen, sofern nur das Unglück meine
Person trifft und keine Gefahren für den Staat herbeiführt.
Aber von dir darf man nicht verlangen, dass du durch das Bewusstsein
deiner Laster erschüttert wirst, dass du vor der Strafe der
Gesetze erzitterst, dass du den Verhältnissen des Staates ein
Opfer bringst: denn du, Catilina,
bist nicht der Mann, der sich durch Schamgefühl von der Schande,
durch Furcht von der Gefahr, durch vernünftige Überlegung
von einer wahnsinnigen Handlung zurückhalten lässt. |
(1,23)
Quam ob rem, ut saepe iam dixi, proficiscere ac, si mihi inimico,
ut praedicas, tuo conflare vis invidiam, recta perge in exsilium;
vix feram sermones hominum, si id feceris, vix molem istius invidiae,
si in exsilium iussu consulis iveris, sustinebo. Sin autem servire
meae laudi et gloriae mavis, egredere cum importuna sceleratorum
manu, confer te ad Manlium, concita perditos civis, secerne te a
bonis, infer patriae bellum, exsulta impio latrocinio, ut a me non
eiectus ad alienos, sed invitatus ad tuos isse videaris. |
|
(23) Daher,
wie ich dir schon oft gesagt habe, reise ab; und wenn du mir, der
ich, wie du rühmst, dein Feind bin, Hass auf den Hals laden
willst, so gehe geradezu in die Verbannung. Kaum werde ich das Gerede
der Leute aushalten können, wenn du das tust, kaum werde ich
die Bürde des üblen Leumunds tragen können, wenn
du auf das Geheiß des Konsuls in die Verbannung gehst. Willst
du aber lieber meinen Ruhm und mein Verdienst unterstützen,
so ziehe mit jener beschwerlichen Bande von Bösewichtern aus:
begib dich zu Manlius,
wiegle verzweifelte Bürger auf, sage dich los von den Gutgesinnten,
beginne den Krieg gegen das Vaterland, frohlocke in ruchlosem Räubersinn,
dass man meine, du seiest nicht durch mich zu fremden Leuten hinausgestoßen,
sondern von mir eingeladen zu den Deinigen weggezogen. |
(1,24)
Quamquam quid ego te invitem, a quo iam sciam esse praemissos, qui
tibi ad forum Aurelium praestolarentur armati, cui sciam pactam
et constitutam cum Manlio diem, a quo etiam aquilam illam argenteam,
quam tibi ac tuis omnibus confido perniciosam ac funestam futuram,
cui domi tuae sacrarium sceleratum constitutum fuit, sciam esse
praemissam? Tu ut illa carere diutius possis, quam venerari ad caedem
proficiscens solebas, a cuius altaribus saepe istam impiam dexteram
ad necem civium transtulisti? |
|
(24) Doch
wozu soll ich noch einladen, da ich weiß, dass du schon Leute
vorausgeschickt hast, die bei Forum
Aurelium bewaffnet auf dich warten sollen; da ich weiß,
dass du mit Manlius wegen des Tages deiner Ankunft im voraus schon übereingekommen
bist; da ich weiß, dass du auch jenen silbernen
Adler, der, wie ich zuverlässig hoffe, dir und all den
Deinigen Verderben und Trauer bringen wird, dem in deinem Hause
eine Kapelle zur Weihe deiner Verbrechen angewiesen war, vorausgeschickt
hast? (vgl.Sall.Cat.59,1).
Kannst du diesen Adler länger entbehren, den du, wenn du zum
Mord auszogst, zu verehren pflegtest, von dessen Altären weg
du deine frevlerische Faust zum Blutvergießen gegen deine
Mitbürger wandtest? |
10. (1,25)
Ibis tandem aliquando, quo te iam pridem tua ista cupiditas effrenata
ac furiosa rapiebat; neque enim tibi haec res adfert dolorem, sed
quandam incredibilem voluptatem. Ad hanc te amentiam natura peperit,
voluntas exercuit, fortuna servavit. Numquam tu non modo otium sed
ne bellum quidem nisi nefarium concupisti. Nactus es ex perditis
atque ab omni non modo fortuna verum etiam spe derelictis conflatam
improborum manum. |
|
(25) Du
wirst endlich dahin gehen, wohin dich längst deine zügellose
und wahnsinnige Begierde zog; denn so etwas verursacht dir keine
Betrübnis, sondern eine Art von unbeschreiblicher Wollust.
Diese Raserei ist dir von Natur angeboren, deine Gesinnung hat sich
darin geübt und das Schicksal hat dich dazu erhalten. Niemals
hast du, ich will nicht sagen, nach Ruhe, sondern auch nicht einmal
nach einem anderen als einem ruchlosen Krieg getrachtet. Du hast
eine aus liederlichen und nicht allein von allem Glück, sondern
auch von aller Hoffnung verlassenen Menschen zusammengerottete Bande
von Bösewichtern gefunden. |
(1,26)
Hic tu qua laetitia perfruere, quibus gaudiis exsultabis, quanta
in voluptate bacchabere,
cum in tanto numero tuorum neque audies virum bonum quemquam neque
videbis! Ad huius vitae studium meditati illi sunt, qui feruntur
labores tui, iacere humi non solum ad obsidendum stuprum verum etiam
ad facinus obeundum, vigilare non solum insidiantem somno maritorum
verum etiam bonis otiosorum. Habes, ubi ostentes tuam illam praeclaram
patientiam famis, frigoris, inopiae rerum omnium, quibus te brevi
tempore confectum esse senties. |
|
(26) Welcher
hohe Genuss wird dir dort zu Teil werden! In welcher Freude wirst
du dich drt tummeln! In welcher Wollust wirst du schwelgen, wenn
du in der großen Zahl der Deinigen einen rechtschaffenen Mann
weder hören noch sehen wirst! Für die Geschäfte eines
solchen Lebens waren eine Vorübung jene Anstrengungen, die
man an dir rühmt: auf dem Boden zu liegen, um nicht allein
den Augenblick einer Buhlschaft abzuwarten, sondern auch die Tat
zu vollbringen; zu wachen, nicht allein um den Schlaf der Ehemänner
zu belauern, sondern auch den Gütern der Ruhenden aufzulauern.
Da hast du nun Gelegenheit, deine hochgerühmte Kraft im Ertragen
des Hungers, der Kälte, des Mangels an allen Bedürfnissen
zu zeigen: und bald wirst du dich durch dieses Ãœbel entkräftet
fühlen. |
(1,27)
Tantum profeci, cum te a consulatu reppuli, ut exsul potius temptare
quam consul vexare rem publicam posses, atque ut id, quod esset
a te scelerate susceptum, latrocinium potius quam bellum nominaretur. |
|
(27) Den Vorteil habe ich damals errungen, als ich dich vom Konsulat abschlug,
dass es dir nun zwar möglich ist, den Staat als Verbannter
zu beunruhigen, aber nicht, ihn als Konsul zu Schaden zu bringen,
und dass deine frevelhafte Unternehmung eher ein Räuberangriff
als ein Krieg genannt wird. |
11. Nunc,
ut a me, patres conscripti, quandam prope iustam patriae querimoniam
detester ac deprecer, percipite, quaeso, diligenter, quae dicam,
et ea penitus animis vestris mentibusque mandate. Etenim si mecum
patria, quae mihi vita mea multo est carior, si cuncta Italia, si
omnis res publica loquatur: 'M. Tulli, quid agis? Tune eum, quem
esse hostem comperisti, quem ducem belli futurum vides, quem exspectari
imperatorem in castris hostium sentis, auctorem sceleris, principem
coniurationis, evocatorem servorum et civium perditorum, exire patiere,
ut abs te non emissus ex urbe, sed immissus in urbem esse videatur?
Nonne hunc in vincla duci, non ad mortem rapi, non summo supplicio
mactari imperabis? Quid tandem te impedit? mosne maiorum? |
|
Damit ich
nun, versammelte Väter, gegen eine fast gerechte Klage des
Vaterlandes mich feierlich verwahre und entschuldige, bitte ich
euch, auf meine Worte genau zu merken und sie eurem Geist und Gemüt
tief einzuprägen. Denn wenn das Vaterland, das mir viel teurer
als das Leben ist, wenn ganz Italien,
wenn die ganze Republik so zu mir redete: „Was machst du, Marcus
Tullius? Willst du einen Menschen, von dessen feindlicher Gesinnung
du Beweise hast, in dem du einen künftigen Kriegsführer
erblickst, von dem du weißt, dass er als Befehlshaber im Lager
der Feinde erwartet wird, - willst du den Anstifter der Frevel,
das Haupt der Verschwörung, den Aufwiegler der Sklaven und
schlechter Bürger ziehen lassen, so dass man glauben kann,
er sei von dir nicht aus der Stadt gewiesen, sondern gegen die Stadt
losgelassen? Wirst du nicht befehlen, ihn ins Gefängnis zu
führen, ihn zum Tode zu schleppen und durch die härtesten
Todesmartern hinzuschlachten? Was ist es doch wohl, das dich zurückhält?
Ist es die Sitte der Vorfahren? |
(1,28)
At persaepe etiam privati in hac re publica perniciosos civis morte
multarunt. An leges, quae de civium Romanorum supplicio rogatae
sunt? At numquam in hac urbe, qui a re publica defecerunt, civium
iura tenuerunt. An invidiam posteritatis times? Praeclaram vero
populo Romano refers gratiam, qui te, hominem per te cognitum, nulla commendatione maiorum tam mature ad summum imperium per omnis honorum gradus extulit, si propter invidiam aut alicuius periculi metum salutem
civium tuorum neglegis. |
|
(28) Aber
gar oft haben sogar Privatmänner in diesem Staat verderbliche
Bürger mit dem Tod bestraft. Oder sind es die Gesetze, die
über die Todesstrafe römischer Bürger gegeben sind?
Aber niemals haben in dieser Stadt solche, die der Republik untreu
wurden, die Rechte der Bürger behalten dürfen. Oder fürchtest
du das tadelnde Urteil der Nachwelt? Wahrlich, einen herrlichen
Dank erweist du dem römischen Volk, das dich, einen Mann, der
nur durch sich selbst und nicht nur durch die Empfehlung seiner
Ahnen sich Ruf erworben, so bald durch alle Ehrenstufen zur höchsten
Befehlsgewalt erhoben hat, wenn du jenes Tadels wegen oder aus Furcht
vor irgend einer Gefahr das Wohl deiner Mitbürger vernachlässigst! |
(1,29)
Sed si quis est invidiae metus, non est vehementius severitatis
ac fortitudinis invidia quam inertiae ac nequitiae pertimescenda.
An, cum bello vastabitur Italia, vexabuntur urbes, tecta ardebunt,
tum te non existimas invidiae incendio conflagraturum?' |
|
(29) Aber
wofern du jenen Tadel fürchtest, ist der Vorwurf der Strenge
und der Tapferkeit mehr als der der Feigheit und Schlechtigkeit
zu fürchten? Oder glaubst du, wenn Italien durch den Krieg verwüstet wird, wenn die Städte ein Opfer
der Misshandlung und die Wohnungen ein Raub der Flammen werden,
dass dich dann der Brand des Hasses nicht mitverzehren werde? |
12. His
ego sanctissimis rei publicae vocibus et eorum hominum, qui hoc
idem sentiunt, mentibus pauca respondebo. Ego, si hoc optimum factu
iudicarem, patres conscripti, Catilinam morte multari, unius usuram
horae gladiatori isti ad vivendum non dedissem. Etenim si summi
viri et clarissimi cives Saturnini et Gracchorum et Flacci et superiorum
complurium sanguine non modo se non contaminarunt sed etiam honestarunt,
certe verendum mihi non erat, ne quid hoc parricida civium interfecto
invidiae mihi in posteritatem redundaret. Quod si ea mihi maxime
impenderet, tamen hoc animo fui semper, ut invidiam virtute partam
gloriam, non invidiam putarem. |
|
Auf diesen
ehrwürdigen Ruf des Staates und die Ansichten derer, die ebenso
denken, will ich mit einigen Worten erwidern: Würde ich es
für das Geratenste halten, versammelte Väter, wenn Catilina mit dem Tode bestraft würde, so hätte ich diesem Schlächter
nicht eine Stunde länger Frist zum Leben gelassen. Denn wenn
die größten Männer und berühmtesten Bürger
durch das vergossene Blut eines Saturninus,
der Gracchen,
eines Flaccus und mehrerer aus der älteren Zeit sich nicht nur nicht befleckt,
sondern Ehre erworben haben, so hatte ich doch gewiss nicht zu befürchten,
dass die Tötung dieses Bürgermörders einige für
meinen Ruf nachteilige Folgen für mich haben möchte. Würde
ich davon auch aufs Äußerste mich bedroht sehen, so war
ich doch stets so gesinnt, dass ich eine durch tugendhaftes Betragen
mir zugezogenen schlimme Nachrede nicht als üble Nachrede betrachtete. |
(1,30)
Quamquam non nulli sunt in hoc ordine, qui aut ea, quae imminent,
non videant aut ea, quae vident, dissimulent, qui spem Catilinae
mollibus sententiis aluerunt coniurationemque nascentem non credendo
conroboraverunt, quorum auctoritate multi non solum improbi verum
etiam imperiti, si in hunc animadvertissem, crudeliter et regie
factum esse dicerent. Nunc intellego, si iste, quo intendit, in
Manliana castra pervenerit, neminem tam stultum fore, qui non videat
coniurationem esse factam, neminem tam improbum, qui non fateatur.
Hoc autem uno interfecto intellego hanc rei publicae pestem paulisper
reprimi, non in perpetuum comprimi posse. Quod si sese eiecerit
secumque suos eduxerit et eodem ceteros undique conlectos naufragos
adgregarit, exstinguetur atque delebitur non modo haec tam adulta rei publicae pestis verum
etiam stirps ac semen malorum omnium. |
|
Zwar gibt
es einige von diesem Stand, die entweder, was bevorsteht, nicht
sehen oder, was sie sehen, zu verbergen suchen. Diese haben Catilinas Hoffnung durch ihre milden Abstimmungen genährt und die Entstehung
der Verschwörung durch ihr Nichtglauben gestärkt. Ihrem
Urteil folgend würden viele, nicht nur schlechte Menschen,
sondern auch Leute von beschränkter Einsicht, wenn ich diesen
bestraft hätte, behauptet haben, ich hätte grausam und
wie ein König gehandelt. Nun weiß ich, wenn dieser Mensch
in das Lager des Manlius,
wohin er zu gehen beabsichtigt, sich begeben haben wird, dass niemand
so töricht ist, nicht einzusehen, dass die Verschwörung
eine Tatsache ist, dass niemand so ruchlos ist, dies nicht anzuerkennen.
Wird aber dieser als einziger getötet, so kann, wie ich wohl
weiß, diese Pest des Staates nur auf kurze Zeit zurückgehalten,
nicht aber für immer unterdrückt werden. Wenn er sich
hingegen selbst verbannt, die Seinigen mitnimmt und alle anderen
überall aufgelesenen Schiffbrüchigen am selben Ort zu
einer Bande vereinigt hat, wird nicht allein diese schon so weit
gediehene Pest des Staates, sondern auch der Keim und die Wurzel
aller Übel ausgerottet und vertilgt werden. |
13. (1,31)
Etenim iam diu, patres conscripti, in his periculis coniurationis
insidiisque versamur, sed nescio quo pacto omnium scelerum ac veteris
furoris et audaciae maturitas in nostri consulatus tempus erupit.
Nunc si ex tanto latrocinio iste unus tolletur, videbimur fortasse
ad breve quoddam tempus cura et metu esse relevati, periculum autem
residebit et erit inclusum penitus in venis atque in visceribus
rei publicae. Ut saepe homines aegri morbo gravi, cum aestu febrique
iactantur, si aquam gelidam biberunt, primo relevari videntur, deinde
multo gravius vehementiusque adflictantur, sic hic morbus, qui est
in re publica relevatus, istius poena vehementius reliquis vivis
ingravescet. |
|
(31) Schon
lange nämlich, versammelte Väter, treiben wir uns unter
diesen Gefahren der Verschwörung und unter Nachstellungen herum;
aber ich weiß nicht, wie es kommt, dass die Reife aller Verbrechen
und der alten Rasereien und Frechheiten in der Zeit unseres Konsulats
ausbrechen musste. Wird von der großen Räuberbande dieser
allein aus dem Weg geräumt, so werden wir vielleicht glauben,
eine kleine Weile die Sorgen und die Furcht loszusein; aber die
Gefahr wird zurückbleiben und in den Adern und Eingeweiden
der Republik tief eingeschlossen haften. Wie oft Menschen, die an
einer schweren Krankheit leiden, wenn Hitze und Fieber sie schüttelt,
und sie kaltes Wasser trinken, zuerst Erleichterung zu spüren
glauben, aber nachher weit heftiger und schwerer angegriffen werden,
so wird diese Krankheit, die den Staat ergriffen hat, wenn sie durch
die Bestrafung dieses Menschen eine Erleichterung erhält, dadurch
dass die übrigen am Leben bleiben, noch heftiger und gefährlicher
ausbrechen. |
(1,32)
Qua re secedant improbi, secernant se a bonis, unum in locum congregentur,
muro denique, quod saepe iam dixi, secernantur a nobis; desinant
insidiari domi suae consuli, circumstare tribunal praetoris urbani,
obsidere cum gladiis curiam, malleolos et faces ad inflammandam
urbem comparare; sit denique inscriptum in fronte unius cuiusque,
quid de re publica sentiat. Polliceor hoc vobis, patres conscripti,
tantam in nobis consulibus fore diligentiam, tantam in vobis auctoritatem,
tantam in equitibus Romanis virtutem, tantam in omnibus bonis consensionem,
ut Catilinae profectione omnia patefacta, inlustrata, oppressa,
vindicata esse videatis. |
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(32) Weichen
mögen also die Schlechten, versammelte Väter; absondern
mögen sie sich von den Gutgesinnten und an einem Ort sich zusammenrotten.
Ja, durch die Mauer der Stadt, was ich schon oft sagte, mögen
sie sich von uns scheiden: Nicht mehr sollen sie dem Konsul in seiner
Wohnung nachstellen, den Richterstuhl des Stadtpraetors umstehen
und mit Schwertern die Kurie umlagern, noch Brandpfeile und Fackeln zur Anzündung der Stadt
bereit halten! Ja, es sei jedem auf die Stirn geschrieben, welche
Gewinnung er gegen den Staat hege. Das verspreche ich euch, versammelte
Väter: Wir Konsuln werden solche Sorgfalt, ihr so großes
Ansehen, die römischen Ritter solche Tapferkeit und alle Gutgesinnten so große Eintracht
erproben, dass ihr sehen werdet, wie durch die Abreise des Catilina alles offenbar ans Licht gebracht, niedergeschlagen und bestraft
werden wird. |
III.
Peroratio (33) |
(1,33)
Hisce ominibus, Catilina, cum summa rei publicae salute, cum tua
peste ac pernicie cumque eorum exitio qui se tecum omni scelere
parricidioque iunxerunt, proficiscere ad impium bellum ac nefarium.
Tu, Iuppiter, qui isdem, quibus haec urbs auspiciis a Romulo es
constitutus, quem Statorem huius urbis atque imperi vere nominamus,
hunc et huius socios a tuis ceterisque templis, a tectis urbis ac
moenibus, a vita fortunisque civium omnium arcebis et homines bonorum
inimicos, hostis patriae, latrones Italiae scelerum foedere inter
se ac nefaria societate coniunctos aeternis suppliciis vivos mortuosque
mactabis. |
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(33) Unter
diesen Vorbedeutungen, Catilina,
ziehe hin, zum entschiedenen Heil des gesamten Staates, zu deinem
Unglück und Verderben und zum Untergang jener, die sich mit
dir zu allen Verbrechen und zum Hochverrat verbunden haben. Ziehe
hin in den ruchlosen und fluchbeladenen Krieg! Dann wirst du, Iupiter,
dessen Bild unter der selben heilbedeutenden Weihe wie diese Stadt
von Romulus aufgerichtet wurde, du, den wir mit Recht den Erhalter
dieser Stadt und des Reiches nennen, diesen Menschen und seine Genossen
von deinen Altären und anderen geweihten Plätzen, von
den Wohnungen und Mauern der Stadt, vom Leben und Vermögen
aller Bürger fernhalten und alle Hasser der Gutgesinnten, die
Feinde des Vaterlandes, die Räuber Italiens,
die durch einen Bund des Verbrechens und eine fluchwürdige
Gemeinschaft unter sich vereint sind, mit ewigen Strafen im Leben
und im Tod in reichem Maße heimsuchen. |
Mit dem Ende der Rede war Catilina vollständig isoliert und fühlte sich auch so; denn nach wenigen vorausgehenden Zwischenrufen verließ er, ohne ein Wort zu entgegnen, Rom und begab sich auf den Weg zu Manlius nach Etrurien. |
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