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Publius Cornelius Tacitus

Agricola

1-3

 Das Leben des Gnaeus Iulius Agricola - De vita Cn.Iulii Agricolae

Prooemium
 
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(1) Ausgezeichneter Männer Tun und Wesen der Nachwelt zu überliefern, was von alters her Brauch war, hat selbst in unserer Zeit das Menschengeschlecht, obwohl es gegen seine eigenen Angehörigen gleichgültig ist, nicht unterlassen, sooft sich ein großes und augenfälliges Verdienst durchsetzen und sich über das gemeinsame Gebrechen kleiner wie großer Staaten emporschwingen konnte, die Unkenntnis des Rechten und die Missgunst. (2) Aber wie bei den Früheren leicht war, denkwürdige  Taten  zu vollbringen, und dafür ein offenes Feld war, so ließ sich auch der am reichsten Begabte fern von Parteilichkeit oder Gunstsucht einzig durch den Lohn des guten Bewusstseins leiten, dem Verdienst ein Denkmal zu setzen. (3) Ja, gar viele sahen in der Darstellung ihres eigenen Lebens viel mehr Zutrauen auf ihre Handlungsweise als Selbstüberhebung; auch tat dies bei Rutilius und Scaurus ihrer Glaubwürdigkeit oder Anerkennung keinen Abbruch. So wahr ist es, dass das Verdienst immer gerade in denjenigen Zeiten am besten gewürdigt wird, in denen es am leichtesten aufkeimt. (4) Ich dagegen, der ich jetzt im Begriff bin, das Leben eines verstorbenen Mannes zu beschreiben, bedurfte einer Entschuldigung, um die ich nicht nachgesucht hätte, wenn ich hätte anklagen wollen: so feindselig und dem Verdienst abträglich sind die Zeiten.  (1,1) Clarorum virorum facta moresque posteris tradere, antiquitus usitatum, ne nostris quidem temporibus quamquam incuriosa suorum aetas omisit, quotiens magna aliqua ac nobilis virtus vicit ac supergressa est vitium parvis magnisque civitatibus commune, ignorantiam recti et invidiam. (1,2) sed apud priores ut agere digna memoratu pronum magisque in aperto erat, ita celeberrimus quisque ingenio ad prodendam virtutis memoriam sine gratia aut ambitione bonae tantum conscientiae pretio ducebatur. (1,3) ac plerique suam ipsi vitam narrare fiduciam potius morum quam adrogantiam arbitrati sunt, nec id Rutilio et Scauro citra fidem aut obtrectationi fuit: adeo virtutes isdem temporibus optime aestimantur, quibus facillime gignuntur. (1,4) at nunc narraturo mihi vitam defuncti hominis venia opus fuit, quam non petissem incusaturus: tam saeva et infesta virtutibus tempora. 
(1) Wir haben gelesen, dass des Arulenus Rusticus Lobschrift auf Paetus Thrasea und des Herennius Senecio auf Priscus Helvidius beiden den Tod gebracht habe, und dass man nicht nur gegen die Person der Verfasser,  sondern auch gegen ihre Schriften streng eingeschritten sei, indem man den Triumvirn den Auftrag erteilte, die Denkmäler jener ruhmreichen Geister auf dem Forum und Comitium zu verbrennen. (2) Bildete man sich doch ein, mit jenem Feuer die Stimme des römischen Volkes, die Unabhängigkeit des Senats, das Gewissen des Menschengeschlechts zu vertilgen, nachdem man überdies die Lehrer der Weisheit ausgestoßen und alles edle Tun in die Verbannung getrieben hatte, damit ja nichts Besseres mehr in den Weg käme. (3) Wahrlich, wir haben eine gewaltige Probe von Geduld abgelegt; und wie die alte Zeit die äußerste Grenze der Freiheit erlebt hat, so wir die der Knechtschaft, da wir infolge der Bespitzelung nicht einmal durch Sprechen  und Hören miteinander verkehren konnten. (4) Selbst das Gedächtnis hätten wir mitsamt der Sprache verloren, wenn das Vergessen ebenso in unserer Gewalt stände wie das Schweigen.  (2,1) Legimus, cum Aruleno Rustico Paetus Thrasea, Herennio Senecioni Priscus Helvidius laudati essent, capitale fuisse, neque in ipsos modo auctores, sed in libros quoque eorum saevitum, delegato triumviris ministerio ut monumenta clarissimorum ingeniorum in comitio ac foro urerentur. (2,2) scilicet illo igne vocem populi Romani et libertatem senatus et conscientiam generis humani aboleri arbitrabantur, expulsis insuper sapientiae professoribus atque omni bona arte in exilium acta, ne quid usquam honestum occurreret. (2,3) dedimus profecto grande patientiae documentum; et sicut vetus aetas vidit, quid ultimum in libertate esset, ita nos, quid in servitute, adempto per inquisitiones etiam loquendi audiendique commercio. (2,4) memoriam quoque ipsam cum voce perdidissemus, si tam in nostra potestate esset oblivisci quam tacere. 
(1) Jetzt erst kehrt das Leben wieder; und obwohl schon beim ersten Beginn dieser hochbeglückten Periode Nerva Caesar zwei sonst unverträgliche Dinge vereinigt hat, Einzelherrschaft und Freiheit, und täglich noch Nerva Traianus den reichen Segen unserer Zeit erhöht, und die öffentliche Sicherheit nicht mehr bloß Hoffnung und Wunsch geblieben ist, sondern die starke Zuversicht auf Erfüllung dieses Wunsches  gewonnen hat: so wirken doch nach dem Wesen der menschlichen Schwachheit die Heilmittel langsamer als die Übel; und wie unser Körper langsam erstarkt, schnell hinstirbt, so lassen sich auch Talent und wissenschaftliche Tätigkeit leichter erdrücken als wieder beleben. Schleicht sich ja allmählich auch die Süßigkeit des Nichtstuns in uns ein, und der anfangs verhasste Müßiggang wird zuletzt liebgewonnen. (2) Wie vollends, wenn in den fünfzehn Jahren - ein mächtiger Zeitraum für das Menschenleben - viele durch zufälliges Missgeschick, gerade die Entschlossensten aber durch die Blutrünstigkeit des Herrschers umgekommen sind? Nur wenige haben wir sozusagen nicht nur andere, sondern auch uns selbst überlebt, da uns mitten aus dem Leben so viele Jahre entrissen wurden, in denen wir still und stumm, soweit wir jung waren, ins Greisenalter gelangt sind, soweit  wir Greise waren, fast unmittelbar an die Grenzen des abgelaufenen Lebens. (3) Dennoch soll es mich nicht verdrießen, wenn auch in ungewandter und kunstloser Sprache, ein Denkmal der früheren Knechtschaft und ein Zeugnis des jetzigen Glücks abzufassen. Einstweilen mag diese, der Ehre meines Schwiegervaters Agricola gewidmete Schrift als Kundgebung liebevoller Anhänglichkeit entweder Anerkennung finden oder Entschuldigung.  (3,1) Nunc demum redit animus; et quamquam primo statim beatissimi saeculi ortu Nerva Caesar res olim dissociabilis miscuerit, principatum ac libertatem, augeatque cotidie felicitatem temporum Nerva Traianus, nec spem modo ac votum securitas publica, sed ipsius voti fiduciam ac robur adsumpserit, natura tamen infirmitatis humanae tardiora sunt remedia quam mala; et ut corpora nostra lente augescunt, cito extinguuntur, sic ingenia studiaque oppresseris facilius quam revocaveris: subit quippe etiam ipsius inertiae dulcedo, et invisa primo desidia postremo amatur. (3,2) quid, si per quindecim annos, grande mortalis aevi spatium, multi fortuitis casibus, promptissimus quisque saevitia principis interciderunt, pauci et, ut ita dixerim, non modo aliorum sed etiam nostri superstites sumus, exemptis e media vita tot annis, quibus iuvenes ad senectutem, senes prope ad ipsos exactae aetatis terminos per silentium venimus? (3,3) non tamen pigebit vel incondita ac rudi voce memoriam prioris servitutis ac testimonium praesentium bonorum composuisse. hic interim liber honori Agricolae soceri mei destinatus, professione pietatis aut laudatus erit aut excusatus.
  1. Welche Bedeutung für die taciteische Interpretation der römischen Geschichte spielen im Prooemium des Agricola die Begriffe servitus und libertas?
    • libertas ist das Thema von Cap. 1: Die libertas der Vorfahren, war es, die Leistung (virtus) freisetzte. Sie ging nach und nach verloren und mit ihr die Bereitschaft Leistung zu erbringen und anzuerkennen. 
    • servitus ist das Themawort von Cap. 2: Der Prinzipat muss sich seinem Wesen nach durch die libertas bedroht fühlen und muss deswegen gegen sie vorgehen. Prinziat und libertas sind unvereinbare Gegensätze: "sicut vetus aetas vidit, quid ultimum in libertate esset, ita nos, quid in servitute"
    • In Cap. 3 sieht Tacitus die Möglichkeit einer ausgleichenden Synthese zwischen libertas und principatus durch Nerva und Traian eingeleitet: "Nerva Caesar res olim dissociabilis miscuerit, principatum ac libertatem". Die Gefahr liegt seitens der libertas in der Verführung der inertia; seitens des Princeps in der Verführung der Macht.
  2. In welchen Erscheinungsformen des öffentlichen Lebens drückt sich die servitus aus?
    • die unterdrückte Stimme des Volkes (vox populi Romani)
    • die verlorene Freiheit des Senates (libertas senatus)
    • die Bewusstseinslage der Menschen (conscientia generis humani)
  3. Welche Auswirkungen hat die Veränderung der innenpolitischen Verhältnisse auf den Stellenwert der biographischen Geschichtsschreibung?
    • In der virtusfreundlichen Zeit der Republik war es nicht nur selbstverständlich die Leistungen anderer als exempla virtutis  hervorzuheben, sondern sogar die Autobiographie erweckte keinen Anstoß.
    • In der virtusfeindlichen Zeit des Domitian sind rühmende Biographien todeswürdige Verbrechen
    • Die Zeitenwende unter Nerva und Traian ermöglicht nicht nur wieder die Abfassung einer Biographie, sondern auch von eigentlichen Geschichtswerken. 
  4. Kann sich Tacitus Wirkungen seiner Biographie auf das Staatsbürgerliche Bewusstsein seiner Leser versprechen?
    • Er beabsichtigt, eine "memoria virtutis" zu errichten.
    • Ermutigung: Am Beispiel des Agricola wird deutlich, wie auf grund einer persönlichen Haltung auch in einer virtusfeindlichen Zeit virtus verwirklicht werden kann.
    • Appell, die Chancen der neuen Zeit zu ergreifen, und nicht der Verführung zum Nichtstun zu verfallen.
  5. Wie fügt sich der Agricola in den Plan des historischen Lebenswerkes des Tacitus ein?
    • Agricola: Die Zeit der Flavier und des Nerva und Traianus als Darstellung  der  überstandenen Knechtschaft und des gegenwärtigen Glücks.
    • Historien: Nerva und Traianus werden für ein Alterswerk aufgespart. 
    • Annales: Die Geschichte der julisch-claudischen Dynastie. Keine Erwähnung der "praesentia bona" mehr.
    • Ein unausgeführtes drittes annalistisches Werk wollte allein den Prinzipat des Augustus darstellen.
    • Somit drängt Tacitus den auf die Gegenwart bezognen Teil seines ursprünglichen Planes immer mehr zu Gunsten einer Geschichte der servitus zurück, um die verlorene virtus nachträglich in ihr Recht zu setzen.. 
  6. Welches Verständnis von Geschichtsschreibung zeigt sich im Agricola und im taciteischen Gesamtwerk?
    • Das Geschichtswerk ist nach altrömischer Weise gewissermaßen als der Raum aufgefasst, in dem gute und böse Vorbilder (bona et mala exempla) zum Gebrauch der Nachwelt aufbewahrt werden. Der Geschichtsschreiber hat also hauptsächlich auf virtus und ihr Gegenteil zu achten und dafür zu sorgen, dass Leistung als Leistung und Minderwertigkeit als Minderwertigkeit erkannt werden (nach Klingner)
      • Tac.hist.1,2: Auf Größe stnad unfehlbar der Tod
      • Tac.ann.3,65: Die vorzüglichste Aufgabe der Geschichtsschreibung ist es, die Tugend nicht in Vergessenheit geraten zu lassen
  7. Literatur:
Deutsche Übersetzung nach: Teuffel, W.S. bearbeitet von E.Gottwein
Sententiae excerptae:
Lat. zu "Tac" und "Agr"
Literatur:
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P.Cornelius Tacitus, Werke. I: Die Kleineren Schriften (Agricola, Germania, Dialogus), nebst allgemeiner Einleitung auf Grundlage der H.Gutmann's Ãœbersetzung neu bearbeitet v. W.S.Teuffel
Stuttgart (Metzler) 1858
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Tacitus / Wotke
Auswahl aus den Schriften des P. Cornelius Tacitus. Mit Einleitung und Namensverzeichnis herausgegeben von Dr. Friedrich Wotke. Text und Kommentar. 9. Auflage von Dr. H. Malicsek
München (G.Freytag Verlag) o.J.
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Einführung in Leben und Werk des Tacitus, Sonderdruck aus Röver-Till: Lehrerkommentar I zu Tacitus, Annalen 1-6
Stuttgart (Klett) 1968
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Vogt-Lüerssen, Maike
Neros Mutter : Agrippina die Jüngere und ihre Zeit
Mainz-Kostheim : Probst, 1/2002
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