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Sappho
Das Arignotalied oder Das Atthis-Gedicht (96LP) und
der Kölner Neufund (58LP / 65aD)
Franyó
/ Snell III S. 9f: Wie Sappho mit den Mädchen ihres Kreises
die Erinnerung an alles Schöne wachhält, das sie gemeinsam
erlebt haben, zeigt am deutlichsten ein weiteres Gedicht; vielleicht
enthält es sogar mehr, als man beim ersten Lesen merkt. Es ist
an das Mädchen Atthis gerichtet (Vers 16). Zwei andere Bruchstücke
(Fr. 40 und 137) zeigen, dass Sappho dieses Mädchen geliebt hat,
ohne die erhoffte Gegenliebe zu finden. Jetzt erzählt Sappho
ihr, dass ein Mädchen namens Arignota, das zu Sapphos Kreis |
gehörte, in Sardes lebt: "Früher, als sie noch bei
uns war", sagt Sappho zu Atthis, "pries sie dich als göttergleich
und liebte am meisten deinen Gesang." Dies ist ein Kompliment
der Sappho an Atthis, aber zart und mittelbar durch den Mund der Arignota.
Auch der fernen Arignota, die so sehnsuchtsvoll an Atthis denkt, sagt
Sappho Freundliches, kann aber über die in der Ferne Weilende
unverblümter sprechen: "In Lydien strahlt sie als die Schönste...
und verzehrt sich das Herz in Sehnsucht nach dir." Zum Schluss
heißt es: "Sie ruft uns: kommt herüber zu mir!"
Dieses "uns" - wie eng verbindet es Sappho und Atthis, und
nicht nur in den Gedanken der fernen Arignota.
B. Snell,
S.112: "Wir wissen aus anderen Gedichten Sapphos, dass Atthis
ihr viel Grund zur Eifersucht gegeben hat, und Arignota hat, solange
sie im Kreis der Sappho lebte, die Atthis besonders geliebt. Jetzt,
da Sappho mit der geliebten Atthis zurückgeblieben ist, malt
sie aus, wie Arignota in der Sommernacht von Sardes bei Vollmond
herüberdenkt und sich zurücksehnt nach den gemeinsam verlebten
Tagen. Da spricht sich ein Gefühl der Verbundenheit aus, trotz
der räumlichen Trennung, die nur im Geistig-Seelischen liegt,
in der Erinnerung und in der Liebe."
Fatouros,
G.: [194] "Der Vergleich einer (jungen) Frau mit dem Mond
ist sowohl in der antiken als auch in der modernen Literatur keineswegs
selten. [...] Nun handelt es sich in dem Fall des Fragments um einen
besonders eigenartigen Vergleich: Wie bereits (andere) erkannt haben,
geht das Gleichnis plötzlich und unvermittelt in eine Beschreibung
der Natur über, die nun der mit Arignota verglichene Mond real
beleuchtet. [...] Man sieht (...) ohne die Stelle missverstanden
zu haben, wie das Mondgleichnis gleich vergessen und nunmehr das
Mondlicht, das sich zwischen Lesbos und Kleinasien ausbreitet, poetisch
beschrieben und verherrlicht wird. Oder, wie Page es formuliert
hat, der Mond fängt als Symbol für die Schönheit
des Mädchens an und endet als realer Mond; d.h. das Gleichnis,
das ganz natürlich eingeleitet wurde, wird ganz abrupt abgeschlossen
oder, wenn man es genauer formulieren will, wird gar nicht abgeschlossen.
[...]"
[195] "Der Vergleich mit einigen "Mondgedichten"
Goethes wäre m.E. aufschlussreich: Nehmen wir zunächst
Goethes "An den Mond" zur Gegenüberstellung.
Mit dem Gedicht Sapphos hat es die gleiche symbolträchtige
Verbindung der nicht mehr anwesenden geliebten Person mit dem Mond
gemeinsam: Der Mond wird von dem Dichter (der Dichterin) als geheimnisvolle
Kraft empfunden und mit der abwesenden Arignota bzw. Charlotte von
Stein auf das gleiche psychische Niveau gestellt. Darüber hinaus
ist das Gedicht Goethes nicht nur ein Gedicht der Erinnerung und
Sehnsucht, sondern auch ein Gedicht der Verbitterung und vielleicht
auch der Klage; beide Elemente, soviel man vom erhaltenen Überrest
beurteilen kann, fehlen im Arignotalied. Nichtsdestoweniger ist
die Funktion des Mondlichts in beiden Gedichten die gleiche: Durch
die Identifizierung mit der abwesenden geliebten Person bewirkt
der Mond eine Selbstbesinnung des Dichters und eine Subjektivierung
der Gedichtstruktur [...] Eine traumhafte Vereinigung mit der Geliebten
vollzieht sich in der vom Mondschein zauberhaft erhellten Landschaft.
Füllest wieder Busch und
Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick
Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud und
Schmerz
In der Einsamkeit
Fließe, fließe, lieber
Fluss!
Nimmer werd ich froh,
So verrauschte Scherz und Kuss,
Und die Treue so.
Ich besaß es doch einmal,
Was so köstlich ist!
Dass man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergisst!
Rausche, Fluss, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,
Wenn Du in der Winternacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.
Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Hast verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt;
Was, von Menschen nicht gewusst
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
[198] "Uns soll hier [...] die Konzeptionsverwandtschaft und
die identische Symbolik der beiden Gedichte interessieren, hinter
welcher die Liebeserfahrung des empirischen Ichs des Dichters steckt.
Die innere Stimmung ist in beiden Fällen stark erotisch und wird
mit der Stimmung identifiziert, die das Mondlicht der Natur verleiht.
Hauptelement der letzteren ist die reinigende Kraft, die das Mondlicht
auf die Landschaft überträgt, und diese wiederum scheint
der Dichter als Ausdruck der Reinheit der Liebe zu betrachten, die
ihn mit der geliebten Person verband. Der hohe Idealismus dieser Art
von Liebe, die in unserem Fall vermittels der Mondsymbolik konkrete
Konturen einnimmt, kann nicht stark genug hervorgehoben werden. Er
[199] bewirkt eine Vereinigung der beiden einst beieinander weilenden
Geliebten auf seelischem Niveau [...] und macht ihre ideelle Annäherung
im höchsten Grad spürbar.
Nun scheint die Dichterin an der oben zitierten Stelle (15-17) ihre
Sehnsucht gleichermaßen auf die in der Ferne weilende Arignota
zu projizieren, die ja augenblicklich unter demselben Mondlicht steht
und allemal dessen Wirkung voll zu spüren bekommt. [...] Sapphos
unendliche Sehnsucht überquert das Meer, das Lesbos von Kleinasien
trennt, keine Grenze aber für die Leidenschaft darstellt, und
versetzt sich in das zitternde Herz (λέπτα φρήν) der göttlichen
Arignota. Sie unterstellt ihr die gleiche Sehnsucht, die angeblich
an Atthis gerichtet ist, in Wirklichkeit aber Sappho gilt."[200]
"Unter dem Vorbehalt, dass das Wesen des sapphischen Liedes nicht
mit Sicherheit erfasst werden kann, da Anfang und Ende, die wichtigsten
Komponenten eines lyrischen Gedichtes, fehlen, könnte man am
Schluss stichwortartig dessen Berührungspunkte mit dem berühmtesten
unter den Mondliedern Goethes, "An den Mond", folgendermaßen
rekapitulieren: Motivierung der Inspiration durch das Mondlicht, lebensgeschichtliches
Zeugnis, Bekenntnis der Liebe, Nachklang von Sehnsucht und Trauer,
Wiedererleben der unvergesslichen Vergangenheit, Abwendung des Kummers
durch Selbstschau, Teilung dessen mit einem Freund, Verwandlung des
einst erschütternden Erlebnisses in frohes Schaffen, Auflösung
der Gegensätze in dichterischen Einklang, Befreiung schließlich
vom Leid durch künstlerische Gestaltung.
Um auf das eingangs besprochene Gleichnis zurückzukommen, ist
der beobachtete unvermittelte Übergang vom Gleichnis zur Wirklichkeit
darauf zurückzuführen, dass Sappho, von ihrer überwältigenden
Leidenschaft beherrscht, die vom Mondlicht voll beleuchtete Landschaft,
die den Wesenskern ihres Gedichtes bildet, in starker Verinnerlichung
als scheinbare Wirklichkeit auffasst und glaubt, sie künde ihr
von der psychischen [201] Vereinigung mit der abwesenden Geliebten,
die sie ja mit dem Mond identifiziert. In dem über die Landschaft
ausgebreiteten Mondlicht betrachtet sie, wie Goethe, "das milde
Auge der Liebsten". So flößt ihr die durch den Mond
hervorgerufene Selbstschau die feste Zuversicht ein, sich in Arignotas
Seele versetzen zu können."
Glücklicher
Bräutigam! dir ist die Hochzeit, wie du's ersehnt hast;
ganz nun erfüllet ja! Hast nun die Jungfrau, die du ersehnt
hast -
dein ist das reizvolle Antlitz, die Augen auch [....]
liebreiche Augen, und Liebe liegt auf den reizenden Wangen,
[....] geehrt hat übergroß dich Aphrodita.
Mir ist eine schöne
Tochter, die den goldnen Blumen
An Gestalt geähnlicht ist, die vielgeliebte Kleïs,
Sie, für die ich nicht das ganze Lydien, noch die holde
<Lesbos nähme.>
"Wohl möcht
ich etwas sagen, doch hindert mich
die Scheu"...
"Bewegte dich ein edler, ein schöner
Wunsch
und wehrte nicht die Zunge dem üblen Wort,
dann müsst nicht Scham dein Auge bannen,
Ehrbares könntest du frei mir verkünden!"