In Marcum Antonium oratio
Philippica IV.
4. Philippische Rede, Übersetzung
nach C.N.v.Osiander
20. Dez.44
v.Chr. vor dem Volk |
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M.
TULLI CICERONIS
IN M. ANTONIUM
ORATIO QUARTA
HABITA AD POPULUM |
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exordium
Das persönliche Verhältnis des Redners zu seinem Anliegen, der Wiederherstellung
der Freiheit (Wiederaufnahme dieses Motivs in der peroratio. |
[1] ( 1)
Frequentia vestrum incredibilis, Quirites, contioque tanta, quantam
meminisse non videor, et alacritatem mihi summam defendendae rei
publicae adfert et spem recuperandae. Quamquam animus mihi quidem
numquam defuit, tempora defuerunt, quae simul ac primum aliquid
lucis ostendere visa sunt, princeps vestrae libertatis defendendae
fui. Quodsi id ante facere conatus essem, nunc facere non possem.
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1. Eure außerordentlich
zahlreiche Anwesenheit, Quiriten,
und die Größe eurer Versammlung, die alles, woran ich mich zu erinnern
glaube, übertrifft, erfüllt mich mit dem lebhaftesten Mut, die Verfassung
zu verteidigen, und mit Hoffnung, sie wiederherzustellen. Zwar hatte
es mir nie am guten Willen gefehlt, aber die Zeitverhältnisse sprachen
dagegen. Sobald sich diese nun wieder etwas aufzuhellen schienen,
war ich der erste, der eure Freiheit verteidigte. Hätte ich versucht,
dies früher zu tun, so könnte ich es jetzt nicht tun. |
propositio
These: Antonius ist de facto bereits zum Staatsfeind erklärt. (Das
Motiv des "hodiernus dies" wird in der peroratio wieder aufgenommen. |
Hodierno
enim die, Quirites, ne mediocrem rem actam arbitremini, fundamenta
iacta sunt reliquarum actionum. Nam est hostis a senatu nondum verbo
adpellatus, sed re iam iudicatus Antonius. |
Glaubt nämlich
nicht, Quiriten, was
heute geschehen ist, sei unbedeutend: es wurde der Grund für das
weitere Vorgehen gelegt.. Denn Antonius ist vom Senat zwar
noch nicht ausdrücklich, aber doch tatsächlich als Staatsfeind erklärt
worden. |
- A) die Argumentation erfolgt aufgrund:
- I. der Belobigung Octavians durch den Senat
- II. des Abfalls der Martischen und vierten Legion von Antonius,
- III. der abweisenden Haltung des Decimus Brutus und Galliens
gegen Antonius
- B) Appell an die Bürger im Stil einer Feldherrnrede.
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( 2)
Nunc vero multo sum erectior, quod vos quoque illum hostem esse
tanto consensu tantoque clamore adprobavistis. |
Nun aber
fühle ich mich um so ermutigter, weil auch ihr so einmütig und so
laut dafür euch ausgesprochen habt, dass er als Feind zu betrachten
sei. |
I.
Wenn der Senat Octavianus für seinen persönlichen Einsatz lobt,
muss er zwangsläufig Antonius als Staatsfeind ("hostis")
ansehen |
Neque
enim, Quirites, fieri potest, ut non aut ii sint impii, qui contra
consulem exercitus comparaverunt, aut ille hostis, contra quem iure
arma sumpta sunt. Hanc igitur dubitationem, quamquam nulla erat,
tamen, ne qua posset esse, senatus hodierno die sustulit. C. Caesar,
qui rem publicam libertatemque vestram suo studio, consilio, patrimonio
denique tutatus est et tutatur, maximis senatus laudibus ornatus
est. |
Denn
unmöglich kann es anders sein, Quiriten:
Entweder sind diejenigen Frevler, die gegen den Konsul Heere geworben
haben, oder der ist ein Feind (des Vaterlandes), gegen den die Waffen
mit Recht ergriffen wurden. Den Zweifel hierüber, obwohl er nichtig
war, hat der Senat,
damit er sich nicht festsetzen könnte, am heutigen Tage ausgeräumt. Gaius Caesar, der
die Republik und eure Freiheit aus eigenem Eifer und Entschluss
und durch sein eigenes Vermögen beschützt hat und noch beschützt,
wurde vom Senat mit
höchstem Lob geehrt. (zustimmender Beifall). |
Die
Teilnehmer an der Volksversammlung bekunden durch ihren Beifall,
dass sie diese EInschätzung teilen.
Zur Bestätigung ( confirmatio)
würdigt Cicero Octavians persönliche Leistung im Dienst für Leben
und Freiheit der Bürger ( amplificatio). |
( 3)
Laudo, laudo vos, Quirites, quod gratissimis animis prosequimini
nomen clarissimi adulescentis vel pueri potius (sunt enim facta
eius immortalitatis, nomen aetatis. Multa memini, multa audivi,
multa legi, Quirites; nihil ex omnium saeculorum memoria tale cognovi),
qui, cum servitute premeremur, in dies malum cresceret, praesidii
nihil haberemus, capitalem et pestiferum a Brundisio tum M. Antoni
reditum timeremus, hoc insperatum omnibus consilium, incognitum
certe ceperit, ut exercitum invictum ex paternis militibus conficeret
Antonique furorem crudelissimis consiliis incitatum a pernicie rei
publicae averteret. |
Ich lobe,
ja, ich lobe es, Quiriten dass ihr den Namen dieses ausgezeichneten Jünglings oder vielmehr
Knaben, mit dem Ausdruck eurer höchste Dankbarkeit begleitet. Denn
seine Taten gehören der Unsterblichkeit an, sein Name seiner Jugend.
An vieles erinnere ich mich, vieles habe ich gehört und vieles gelesen,
aber aus der Geschichte aller Jahrhunderte ist mir nichts Vergleichbares
bekannt. Hat er doch, als wir von Knechtschaft gedrückt waren, und
unser Zustand sich von Tag zu Tag verschlimmerte, als wir keinen
Schutz hatten und dann die Tod und Unheil drohende Rückkehr des Antonius von Brundisium fürchteten,
den allen unerwarteten, wenigstens überraschenden Entschluss gefasst,
ein unüberwindliches Heer aus den Soldaten seines Vaters zu bilden und die durch die grausamsten Pläne getriebene Raserei
des Antonius von der Vernichtung der Republik abzulenken. |
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[II] ( 4)
Quis est enim, qui hoc non intellegat, nisi Caesar exercitum paravisset,
non sine exitio nostro futurum Antoni reditum fuisse? Ita enim se
recipiebat ardens odio vestri, cruentus sanguine civium Romanorum,
quos Suessae, quos Brundisi occiderat, ut nihil nisi de pernicie
populi Romani cogitaret. Quod autem praesidium erat salutis libertatisque
vestrae, si C. Caesaris fortissimorum sui patris militum exercitus
non fuisset? Cuius de laudibus et honoribus, qui ei pro divinis
et immortalibus meritis divini immortalesque debentur, mihi senatus
adsensus paulo ante decrevit, ut primo quoque tempore referretur. |
Denn wer
wollte nicht einsehen, dass die Rückkehr des Antonius,
wenn Caesar nicht
sein Heer angeworben hätte, unvermeidlich unseren Untergang herbeigeführt
hätte. Denn er, der von Hass gegen euch entbrannt und vom Blut römischer
Bürger, die er zu Suessa und Brundisium getötet
hatten, bespritzt war, dachte bei seinem Rückzug an nichts anderes
als an das Verderben der Republik. Wo hätte aber euer Leben und
eure Freiheit Schutz gefunden, wenn das Heer des Gaius
Caesar, das aus den tapfersten Soldaten seines Vaters bestand, nicht gewesen wäre? Dies hat auch der Senat,
indem er mir zustimmte, soeben beschlossen, dass über seine ehrenvolle
Auszeichnung, die entsprechend seinen herrlichen und unsterblichen
Verdiensten schuldigermaßen herrlich und unsterblich sein soll,
baldmöglichst Bericht erstattet werden soll. |
Abschluss
des ersten Argumentationsganes |
( 5)
Quo decreto quis non perspicit hostem esse Antonium iudicatum? Quem
enim possumus appellare eum, contra quem qui exercitus ducunt, iis
senatus arbitratur singulares exquirendos honores? |
Wer sieht
nun nicht ein, dass durch diesen Beschluss Antonius zum Staatsfeind erklärt ist? Denn wie könnten wir den sonst nennen,
gegen den die Befehlshaber ihre Heere mit der Folge führen, dass
der Senat urteilt,
man müsse für sie ausgezeichnete Ehrenbezeugungen ausfindig machen? |
II.
Auch das Verhalten der Martischen Legion und der vierten Legion
beweist, dass Antonius als Staatsfeind zu betrachten ist.
Andeutung göttlicher Mitwirung. |
Quid? legio
Martia, quae mihi videtur divinitus ab eo deo traxisse nomen, a
quo populum Romanum generatum accepimus, non ipsa suis decretis
prius quam senatus hostem iudicavit Antonium? Nam, si ille non hostis,
hos, qui consulem reliquerunt, hostes necesse est iudicemus. Praeclare
et loco, Quirites, reclamatione vestra factum pulcherrimum Martialium
conprobavistis; qui se ad senatus auctoritatem, ad libertatem vestram,
ad universam rem publicam contulerunt, hostem illum et latronem
et parricidam patriae reliquerunt.
( 6)
Nec solum id animose et fortiter, sed considerate etiam sapienterque
fecerunt; Albae constiterunt, in urbe opportuna, munita, propinqua,
fortissimorum virorum, fidelissimorum civium atque optimorum. Huius
Martiae legionis legio quarta imitata virtutem duce L.Egnatuleio,
quem senatus merito paulo ante laudavit, C. Caesaris exercitum persecuta
est. |
Wie? Hat
nicht die Martische Legion, die durch eine wunderbare Fügung von
dem Gott ( Mars) ihren Namen
erhalten zu haben scheint, den die Ãœberlieferung als den Stammvater
des römischen Volkes bezeichnet, hat diese nicht selbst noch früher
als der Senat durch
ihre Beschlüsse den Antonius zum Staatsfeind erklärt? Denn wenn er nicht ein Feind ist, so müssen
wir notwendig diejenigen, die den Konsul verlassen haben, zu Feinden
erklären. Ruhmvoll und ganz an ihrem Ort war die Billigung, Quiriten,
die ihr durch euren Zuruf über die schöne Tat dieser Marssoldaten
ausgedrückt habt. Diejenigen, die sich dem Ansehen des Senats,
eurer Freiheit und der gesamten Republik gewidmet haben, haben jenem
nichts übrig gelassen, als dass er ein Staatsfeind, Räuber und Vaterlandsmörder
ist.
Und dabei haben sie nicht nur mutig
und tapfer, sondern auch besonnen und weise gehandelt. Sie haben
sich in Alba festgesetzt,
einer vorteilhaft gelegenen und befestigten Nachbarstadt, die von
den tapfersten Männern, und den treuesten und bestgesinnten Bürgern
bewohnt ist. Die Tapferkeit der Marslegion hat die vierte nachgeahmt
und sich unter Führung des Lucius Egnatuleius, den der Senat soeben verdientermaßen lobend hervorgehoben hat, dem Heer des Gaius
Caesar angeschlossen. |
Auch
dadurch, dass der Senat das Verhalten der Truppen billigt, erklärt
er Antonius de facto zum Staatsfeind.
Rhetorische Verstärkung durch Apostrophe des Antonius, direkte Ansprache der Zuhörerschaft und Ausweitung
des Arguments auf das "gesamte römische Volk" ( amplificatio). |
[III] Quae
expectas, M. Antoni, iudicia graviora? Caesar fertur in caelum,
qui contra te exercitum comparavit; laudantur exquisitissimis verbis
legiones, quae te reliquerunt, quae a te arcessitae sunt, quae essent,
si te consulem quam hostem maluisses, tuae; quarum legionum fortissimum
verissimumque iudicium confirmat senatus, conprobat universus populus
Romanus; nisi forte vos, Quirites, consulem, non hostem iudicatis
Antonium. |
Welche gewichtigere
Urteile willst du noch erwarten, Marcus
Antonius? Caesar,
der ein Heer gegen dich geworben hat, wird bis in den Himmel erhoben.
Mit ausgesuchten Lobeshymnen werden die Legionen hervorgehoben,
die dich verlassen haben, die du herbeiholtest, und die dir noch
ergeben wären, hättest du lieber Konsul als Staatsfeind sein wollen.
Das überaus mutigen und zutreffende Urteil dieser Legionen bestätigt
der Senat, und billigt
das gesamte römische Volk, sofern nicht etwa ihr, Quiriten,
den Antonius als Konsul und nicht als Staatsfeind beurteilt. (zustimmender
Beifall). |
Bestätigung
( confirmatio)
durch den Beifall der Zuhörer und die (spekulative) Ausweitung des
Arguments ( amplificatio)
auf Landstädte, Kolonien und Präfekturen |
( 7)Sic
arbitrabar, Quirites, vos iudicare, ut ostenditis. Quid? Municipia,
colonias, praefecturas num aliter iudicare censetis? Omnes mortales
una mente consentiunt omnia arma eorum, qui haec salva velint, contra
illam pestem esse capienda. |
Ich dachte
mir wohl, Quiriten,
ihr würdet so urteilen, wie ihr es jetzt zu erkennen gebt. Wie?
Glaubt ihr, die Landstädte, Kolonien und Präfekturen urteilen anders
? Alle Welt ist einstimmig dafür, dass diejenigen, die diesen unseren
Staat erhalten wollen, gegen jenen Unhold alle Waffen ergreifen
müssen. |
III.
Argumentation aufgrund des Verhaltens des Decimus Brutus |
Quid? D.
Bruti iudicium, Quirites, quod ex hodierno eius edicto perspicere
potuistis, num cui tandem contemnendum videtur? Recte et vere negatis,
Quirites. Est enim quasi deorum immortalium beneficio et munere
datum rei publicae Brutorum genus et nomen ad libertatem populi
Romani vel constituendam vel recipiendam. Quid igitur D. Brutus
de M. Antonio iudicavit? |
Ferner kann
wohl, ihr Quiriten,
jemand glauben, dass das Urteil des Decimus
Brutus, von dem ihr euch nach seiner heutigen Bekanntmachung
überzeugen konntet, nicht beachtenswert sei? Richtig und zutreffend
verneint ihr dies, Quiriten.
Denn die Familie und der Name Brutus ist gleichsam durch die Gunst
und Gnade der unsterblichen Götter der Republik teils zur Begründung,
teils zur Wiedererlangung der Freiheit des römischen Volkes geschenkt.
Wie hat nun Decimus
Brutus über Antonius geurteilt? |
( 8)
Excludit provincia, exercitu obsistit, Galliam totam hortatur ad
bellum ipsam sua sponte suoque iudicio excitatam. Si consul Antonius,
Brutus hostis; si conservator rei publicae Brutus, hostis Antonius.
Num igitur, utrum horum sit, dubitare possumus? |
Er verwehrt
ihm den Zutritt in seine Provinz; er widersetzt sich ihm mit seinem
Heer; er fordert ganz Gallien zum Krieg auf, das schon von sich
aus und aus eigenem Urteil dazu entschlossen ist. Ist Antonius noch Konsul, dann ist Brutus Feind des Staates. Ist Brutus Retter der Republik, so ist Antonius Feind des Staates. Könnten wir also zweifeln, was von beidem zutrifft? (zustimmender Beifall). |
Bestätigung
( confirmatio)
durch den Beifall der Zuhörer und die positive Stellungnahme des
Senats |
[IV] Atque
ut vos una mente unaque voce dubitare vos negatis, sic modo decrevit
senatus D. Brutum optime de re publica mereri, cum senatus auctoritatem
populique Romani libertatem imperiumque defenderet. A quo defenderet?
Nempe ab hoste; quae est enim alia laudanda defensio? |
Wie ihr
weiterhin eindeutig und einstimmig erklärt, dass ihr darüber nicht
im Zweifel seid, so hat auch der Senat soeben den Beschluss gefasst, dass sich Decimus Brutus um die Republik höchst verdient mache, da er
das Ansehen des Senats und die Freiheit und Herrschaft des römischen Volkes verteidige.
Gegen wen verteidige? Natürlich gegen einen Feind. Denn welche andere
Verteidigung wäre lobenswert? |
Bestätigung
( confirmatio)
durch die lobenswerte Haltung Galliens. Stufenweise Ausweitung dieses
Urteils ( amplificatio)
auf "die ganze Welt". Die Anhänger des Antonius sind verbrecherisches
Raubgesindel und taugen nicht zum Gegenbeweis. |
( 9)
Deinceps laudatur provincia Gallia meritoque ornatur verbis amplissimis
ab senatu, quod resistat Antonio. Quem si consulem illa provincia
putaret neque eum reciperet, magno scelere se adstringeret; omnes
enim in consulis iure et imperio debent esse provinciae. Negat hoc
D. Brutus imperator, consul designatus, natus rei publicae civis,
negat Gallia, negat cuncta Italia, negat senatus, negatis vos. Quis
illum igitur consulem nisi latrones putant? Quamquam ne ii quidem
ipsi, quod locuntur, id sentiunt nec ab iudicio omnium mortalium,
quamvis impii nefariique sint, sicut sunt, dissentire possunt. Sed
spes rapiendi atque praedandi obcaecat animos eorum, quos non bonorum
donatio, non agrorum adsignatio, non illa infinita hasta satiavit;
qui sibi urbem, qui bona et fortunas civium ad praedam proposuerunt;
qui, dum hic sit, quod rapiant, quod auferant, nihil sibi defuturum
arbitrantur; quibus M. Antonius (o di immortales, avertite et detestamini,
quaeso, hoc omen!) urbem se divisurum esse promisit.
|
Sodann wird
die Provinz Gallien wegen ihres Widerstandes gegen Antonius vom Senat lobend hervorgehoben
und zu Recht in ehrenvollen Worten gepriesen. Würde ihn aber jene
Provinz als Konsul betrachten und doch nicht aufnehmen, so würde
sie ein schweres Verbrechen auf sich laden. Denn alle Provinzen
müssen unter der Botmäßigkeit und Gewalt des Konsuls stehen. Nein,
sagt dazu Decimus
Brutus, der Imperator und ernannte Konsul, ein zum Besten der
Republik geborener Bürger. Nein, sagt Gallien; nein, ganz Italien;
nein, der Senat; nein,
sagt ihr. Wer anders als sein Raubgesindel kann ihn also noch für
einen Konsul halten? Doch selbst dies denkt nicht, wie es spricht,
und kann, sei es so ruchlos und schlecht, wie es auch ist, doch
nicht anderer Meinung sein, als die ganze Welt. Aber die Hoffnung
auf Raub und Plünderungen blendet den Sinn jener Menschen: sie hat
nicht die Schenkung von Gütern, nicht die Anweisung von Ländereien,
nicht jene endlose Versteigerung gesättigt; sie haben sich die Hauptstadt,
die Güter und Besitzungen ihrer Mitbürger zur Beute ausersehen;
sie glauben, es werde ihnen an nichts fehlen, solange es etwas zu
rauben und wegzunehmen gibt. Denen hat Marcus Antonius (o möchtet ihr doch, unsterbliche Götter, die Erfüllung dieses schlimmen
Wortes abwenden und mit einem Fluch beladen!) versprochen, unter
ihnen die Hauptstadt aufzuteilen. |
Stoßgebet
an die Götter, Fluch über Antonius und sein Gesindel. An der Hilfsbereitschaft
der Götter kann kein Zweifel bestehen. |
( 10)
Ita vero, Quirites, ut precamini, eveniat, atque huius amentiae
poena in ipsum familiamque eius recidat! Quod ita futurum esse confido.
Iam enim non solum homines, sed etiam deos immortales ad rem publicam
conservandam arbitror consensisse. Sive enim prodigiis atque portentis
di immortales nobis futura praedicunt, ita sunt aperte pronuntiata,
ut et illi poena et nobis libertas adpropinquet, sive tantus consensus
omnium sine inpulsu deorum esse non potuit, quid est, quod de voluntate
caelestium dubitare possimus? |
Möchten
vielmehr, Quiriten,
eure Wünsche und Gebete in Erfüllung gehen, und möchte die Strafe
für seine Raserei auf sein Haupt und sein Gesindel zurückfallen!
Ich bin fest davon überzeugt, dass es so kommt. Denn ich glaube,
dass jetzt nicht allein die Menschen, sondern auch die unsterblichen
Götter sich darin einig sind, die Republik erhalten zu müssen. Denn
sei es, dass entweder die unsterblichen Götter durch Wunderzeichen
und Vorbedeutungen uns die Zukunft voraussagen: so sind diese deutlich
angekündigt worden, dass ihm die Strafe, uns die Freiheit naht;
oder sei es, dass eine so allgemeine Übereinstimmung ohne göttlichen
Antrieb nicht denkbar sei: wie könnten wir an dem Willen der Götter
noch zweifeln? |
IV.
Appell an die Bürger, ihrer Überzeugung treu zu bleiben (im Stil
einer "adhortatio militum") ( amplificatio im Rahmen der argumentatio). |
[V]
( 11) Reliquum est,
Quirites, ut vos in ista sententia, quam prae vobis fertis, perseveretis.
Faciam igitur, ut imperatores instructa acie solent, quamquam paratissimos
milites ad proeliandum videant, ut eos tamen adhortentur, sic ego
vos ardentes et erectos ad libertatem reciperandam cohortabor. |
Es
kommt nur noch darauf an, dass ihr, Quiriten,
beharrlich bei der Meinung bleibt, die ihr zu erkennen gebt. So
will ich denn tun, was die Feldherrn nach Aufstellung der Schlachtordnung
gewöhnlich tun: Obwohl sie ihre Soldaten für den Kampf durchaus
bereit sehen, sprechen sie ihnen Mut zu. So will auch ich euch ermutigen,
obwohl ihr schon voll Eifer darauf brennt, die Freiheit zurückzugewinnen. |
Herabwürdgung
des Antonius zu einem blutrünstigen Untier (belua) ( amplificatio im Rahmen der argumentatio):
Es geht um Leben und Tod |
Non est
vobis, Quirites, cum eo hoste certamen, cum quo aliqua pacis condicio
esse possit. Neque enim ille servitutem vestram, ut antea, sed iam
iratus sanguinem concupivit. Nullus ei ludus videtur esse iucundior
quam cruor, quam caedes, quam ante oculos trucidatio civium. |
Ihr habt, Quiriten, nicht gegen
einen Feind zu kämpfen, mit dem eine Friedensunterhandlung möglich
wäre. Denn er will nicht mehr bloß, wie früher, eure Knechtschaft;
es gelüstete ihn vielmehr bereits nach eurem Blut. Kein Spiel scheint
ihm unterhaltsamer als Blutvergießen, Mord und Niedermetzelung von
Bürgern vor seinen Augen. |
( 12)
Non est vobis res, Quirites, cum scelerato homine ac nefario, sed
cum immani taetraque belua, quae quoniam in foveam incidit, obruatur.
Si enim illinc emerserit, nullius supplicii crudelitas erit recusanda.
Sed tenetur, premitur, urguetur nunc iis copiis, quas <iam>
habemus, mox iis, quas paucis diebus novi consules comparabunt.
Incumbite in causam, Quirites, ut facitis. Numquam maior consensus
vester in ulla causa fuit, numquam tam vehementer cum senatu consociati
fuistis. Nec mirum; agitur enim, non qua condicione victuri, sed
victurine simus an cum supplicio ignominiaque perituri. |
Ihr
habt es, Quiriten,
nicht mit einem Frevler und Verbrecher zu tun, sondern mit einem
wilden und grässlichen Untier: weil es nun in die Grube gefallen
ist, müssen wir es zuschütten. Denn wenn es sich aus dieser wieder
herausarbeitet, werden wir uns keiner Art von grausamer Misshandlung
erwehren können. Aber jetzt wird er festgehalten, verfolgt, umdrängt
durch die Truppenmacht, die wir schon haben, und bald durch diejenige,
die die neuen Konsuln in wenigen Tagen zusammenbringen werden. Behaltet
diese Sache, Quiriten,
im Auge, wie ihr es tut. Nie war in irgendeiner Sache eure Ãœbereinstimmung
größer; nie wart ihr so eng mit dem Senat verbunden. Kein Wunder: denn es handelt sich nicht darum, unter
welchen Bedingungen wir leben, sondern ob wir überhaupt leben oder
unter schmählichen Qualen sterben werden. |
Dem
Tod kann man zwar nicht entrinnen, doch einen schmachvollen Tod
wehrt man durch Tapferkeit ab. Sie ist die Grundtugend des Römertums,
auf ihr beruht die Größe des imperium Romanum. |
( 13)
Quamquam mortem quidem natura omnibus proposuit, crudelitatem mortis
et dedecus virtus propulsare solet, quae propria est Romani generis
et seminis. Hanc retinete, quaeso, quam vobis tamquam hereditatem
maiores vestri reliquerunt. Nam cum alia omnia falsa, incerta sint,
caduca, mobilia, virtus est una altissimis defixa radicibus; quae
numquam vi ulla labefactari potest, numquam demoveri loco. Hac virtute
maiores vestri primum universam Italiam devicerunt, deinde Karthaginem
exciderunt, Numantiam everterunt, potentissimos reges, bellicosissimas
gentes in dicionem huius imperii redegerunt. |
Zwar hat
die Natur den Tod allen zum Ziel gesetzt, aber einen schmachvollen
und grausamen Tod pflegt die Tapferkeit von sich abzuwehren, die
jedem Römer als Eigentum in die Wiege gelegt ist. Diese behauptet,
ich beschwöre euch, Quiriten,
die euch eure Vorfahren als Erbteil hinterlassen haben. Freilich
ist alles andere ungewiss, hinfällig, veränderlich: die Tapferkeit
allein steht fest und wurzelt tief; sie lässt sich niemals durch
irgendeine Gewalt erschütterten, niemals aus ihrer Stellung treiben.
Mit dieser Tapferkeit haben eure Vorfahren zuerst ganz Italien überwunden,
dann Karthago vernichtet, Numantia zerstört und die mächtigsten
Könige und streitbarsten Volker unter die Macht dieses Reiches gebracht. |
Die
Sonderstellung des Antonius im Vergleich mit den früheren Feinden
Roms ( amplificatio) |
( 14)
Ac maioribus quidem vestris, Quirites, cum eo hoste res erat, qui
haberet rem publicam, curiam, aerarium, consensum et concordiam
civium, rationem aliquam, si ita res tulisset, pacis et foederis;
hic vester hostis vestram rem publicam oppugnat, ipse habet nullam;
senatum, id est orbis terrae consilium, delere gestit, ipse consilium
publicum nullum habet; aerarium vestrum exhausit, suum non habet;
nam concordiam civium qui habere potest, nullam cum habet civitatem?
pacis vero quae potest esse cum eo ratio, in quo est incredibilis
crudelitas, fides nulla?
|
Nun hatten
es aber eure Vorfahren, Quiriten,
mit einem Feind zu tun, der eine Staatsverfassung, ein Rathaus,
eine Staatskasse, Übereinstimmung und Eintracht unter seinen Mitbürgern
hatte und unter Umständen Frieden und Bündnis ermöglicht hätte.
Dieser euer Feind hingegen bekämpft eure Staatsverfassung: er erkennt
keine an. Er sucht den Senat,
das heißt die Ratsbehörde des Erdkreises zu vernichten: er selbst
erkennt keine staatliche Ratsbehörde an; er hat eure Staatskasse
erschöpft: er selbst hat keine eigene. Denn wie kann der Eintracht
unter den Bürgern erhalten, der keine Bürgerschaft anerkennt? Welche
Möglichkeit des Friedens könnte es vollends mit dem geben, in dem
eine unglaubliche Grausamkeit, nicht aber Treu und Glauben wohnt? |
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Zusammenfassende
Charakterisierung des Antonius im Vergleich mit Spartacus und Catilina |
( 15)
Est igitur, Quirites, populo Romano, victori omnium gentium, omne
certamen cum percussore, cum latrone, cum Spartaco. Nam quod se
similem esse Catilinae gloriari solet, scelere par est illi, industria
inferior. Ille cum exercitum nullum habuisset, repente conflavit;
hic eum exercitum, quem accepit, amisit. Ut igitur Catilinam diligentia
mea, senatus auctoritate, vestro studio et virtute fregistis, sic
Antoni nefarium latrocinium vestra cum senatu concordia tanta, quanta
numquam fuit, felicitate et virtute exercituum ducumque vestrorum
brevi tempore oppressum audietis. |
Das römische
Volk also, das alle Nationen überwunden hat, kämpft, ihr Quiriten,
nur gegen einen Mörder, einen Räuber, einen Spartacus.
Denn wenn er sich seiner Ähnlichkeit mit Catilina zu rühmen pflegt, so ist er jenem zwar an Verbrechen gleich, aber
an Tatkraft unterlegen. Jener hat, da er kein Heer unter sich hatte,
im Nu eines zusammengebracht; dieser aber hat das Heer, das er bekommen
hatte, verloren. Wie ihr also den Catilina durch meine Achtsamkeit, durch die Beschlüsse des Senates,
durch euren Eifer und Mut gestürzt habt, so werdet ihr bald hören,
dass der verbrecherische Räuberplan des Antonius durch eure und des Senats Eintracht, die so groß ist, wie sie nie war, durch das Glück und
die Tapferkeit eurer Heere und Anführer in kurzer Zeit unterdrückt
worden ist. |
Abschließende
Selbstverpflichtung des Redners zur Mithilfe (Rückbezug auf das exordium) |
( 16)
Equidem quantum cura, labore, vigiliis, auctoritate, consilio eniti
atque efficere potero, nihil praetermittam, quod ad libertatem vestram
pertinere arbitrabor; neque enim id pro vestris amplissimis in me
beneficiis sine scelere facere possum. |
Ich für
meinen Teil will, soweit es mir möglich ist, durch Fürsorge, Anstrengung,
Wachsamkeit, Einflussnahme und Umsicht krafvoll zu wirken, nichts
unterlassen, was meines Erachtens eurer Freiheit dient. Denn dies
könnte ich wegen eurer so ehrenvollen Gunstbezeugungen gegen mich,
ohne schwere Schuld nicht tun. |
Zum
Abschluss: Die Bedeutung des "hodiernus dies" (Rückbezug
auf die propositio) |
Hodierno
autem die primum referente viro fortissimo vobisque amicissimo,
hoc M. Servilio, collegisque eius, ornatissimis viris, optimis civibus,
longo intervallo me auctore et principe ad spem libertatis exarsimus. |
Am heutigen
Tag aber hat uns nach langer Zeit zum ersten Mal wieder auf den
Antrag des mutigen und euch befreundeten, hier anwesenden Marcus
Servilius und seiner hochachtbaren Amtsgenossen, dieser wohlgesinnten
Bürger, auf meine Initiative hin und unter meiner Leitung die Hoffnung
auf Freiheit flammend begeistert. |
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Übersetzung nach C.N.v.Osiander bearbeitet von E.Gottwein |
Sententiae excerptae: Lat. zu "Cic" und "Rede"1089
Cicerone non opus est, ubi fantur opes.
Wo die Macht (der Reichtum) spricht, braucht es keinen Cicero. (Wo Gold redet, gilt alle übrige Rede nichts).
1823
Magistri nisi dixerint, quae adulescentuli probent, 'soli in scholis relinquentur'
Wenn die Lehrer nicht den Jüngelchen nach dem Mund reden, bleiben sie, allein in der Schule zurück.
Petron.3,2 (nach Cicero)
Literatur: zu "Cic" und "Phil.4"512
Axer, J.
The Style and the Composition of Cicero's Speech "Pro S.Roscio com."
Warschau 1980
683
Büchner, K.
Cicero. Bestand und Wandel seiner geistigen Welt
Heidelberg (Winter) 1964
4095
Cicero, Marcus Tullius
Cicero, Philippika, die Macht des Wortes in der Politik. In Antonium (Oratio IV), hg. v. Mühl, Klaus
Bamberg,Buchner, 1999
4102
Cicero, Marcus Tullius
Ciceros Ausgewählte Reden, erklaert von Karl Halm. Bd. 8: Ciceros dritte, vierte, fünfte und sechste philippische Rede, erkl. von Wilhelm Sternkopf
Sammlung griechischer und lateinischer Schriftsteller
4105
Cicero, Marcus Tullius
Tullius Ciceros erste, vierte und vierzehnte Philippische Rede / für den Schulgebrauch hg. von Ernst Reinhard Gast
Leipzig, Teubner1891
496
Gelzer, M.
Cicero. Ein biographischer Versuch
Wiebaden (Steiner) 1969
500
Giebel, M.
Cicero
Reinbek (rm 261) 1989
520
Hartung, H.-J.
Religio u. sapientia iudicum. ..Geschworerenspiegel in Ciceros Reden
in: Herm.102/1974, 556
544
Klingner, F.
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- Letzte Aktualisierung: 01.01.1970 - 01:00 |
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