Nos personalia non concoquimus. Nostri consocii (Google, Affilinet) suas vias sequuntur: Google, ut intentionaliter te proprium compellet, modo ac ratione conquirit, quae sint tibi cordi. Uterque consocius crustulis memorialibus utitur. Concedis, si legere pergis.
 
 
 

Q.Horatii Flacci
carmina

Hor.c.1,5: An die untreue Pyrrha

 

 
vorherige Seite folgende Seite
 

 

 
1
2
3
4
Quis multa gracilis te puer in rosa 
perfusus liquidis urget odoribus
grato, Pyrrha, sub antro?
cui flavam religas comam
Welcher reizende Knab, Pyrrha, liebkosete
Dich, von rosigem Laub duftend und Wohlgeruch,
Dort in lieblicher Grotte?
Wem wohl knüpfetest auf das Haar
     

5
6
7
8

simplex munditiis? heu quotiens fidem 
mutatosque deos flebit et aspera
nigris aequora ventis
emirabitur insolens,
Ungeschmückt du jetzt? Wehe, wie wird er oft,
Dass sich Götter gewandt und du die Treue brachst,
Weinen, und die vom Sturme
Hohen Wogen verwundert schau'n,
     
9
10
11
12
qui nunc te fruitur credulus aurea, 
qui semper vacuam, semper amabilem
sperat, nescius aurae
fallacis. miseri, quibus
Der dich jetzo genießt, trauend der goldenen,
Der dich immer so frei, immer so lieblich hofft,
Und nicht kennet der Lüfte
Trug! Unglücklich o, der, den du
     
13
14
15
16
intemptata nites: me tabula sacer 
votiva paries indicat uvida
suspendisse potenti
vestimenta maris deo.
Ungeprüfet erfreust! Dass ich das nasse Kleid
Aufgehangen dem Gott, welcher dem Meer gebeut,
Zeigt die heilige Tafel
An des Tempels geweihter Wand.
     

Versmaß:  Ascepiadeum tertium

Übersetzung: G.v.Berg 

Weitere Üb.: Färber (15) | Pöschl (18) |  R.A.Schröder (13) | J.H.Voss, 9

 

  1. Verbinde: quis gracilis puer (quis: keine Fragepronomen, sondern im Sinne von "quisquis"  | gracilis, e - schlank, hager (auch: dürftig); h.: reizend | multa in rosa - in dichtem Rosenflor
  2. urgere, eo, ursi - bedrängen | odor, oris, m - Duft (Gestank, Wohlgeruch); liquidus odor - Parfum, Duftöl
  3. antrum, i, n - Grotte, Höhle | gratus, a, um - lieb, willkommen, bezaubernd (von der zwischenmenschlichen Begegnung auf den Ort übertragen) | Pyrrha (Πύρρα), sprechender Name, der sich auf die blonde Haarfarbe (flava coma) bezieht
  4. cui - Dat. commodi | flavus, a, um - goldgelb, rötlich, blond |  religare - aufbinden | coma, ae, f - Haar (griech. ἡ κόμη)
  5. simplex - einfach, natürlich, schlicht | munditia, ae, f - Sauberkeit, Anstand, Eleganz (simplex munditiis - "einfach in deiner schmucken Eleganz", Pöschl) | fidem <mutatam> =  perfidiam (keine Ironie, sondern ἀπὸ κοινοῦ-Gebrauch von mutatos)
  6. mutatus deus - die wechselnde Gunst eines Gottes |
  7. nigris ventis - Synästhesie: Übertragung einer Qualität der Wolken auf die Winde, die sie aufziehen lassen; Abl.instr.: durch die Winde wird das Meer unruhig
  8. emirari - anstaunen | insolens, entis - ungewohnt, unvertraut
  9. frui, fruor, fructus sum + Abl. - genießen (zeitgebundene Nutzung statt dauernden Besitzes) |  aurea - "golden" bezieht sich objektiv wieder auf die Haarfarbe, oder subjektiv (prädikativ zu te): reizend, allerliebst
  10. vacuus, a, um - leer, frei (sc. für dich)
  11. aura, ae, f - Lufthauch, Wind (auch die "Gunst")
  12. fallax, acis - trügerisch | <ii> miseri <sunt> | intemptatus - unerprobt (unberührt) | nitere, eo, ui - glänzen, strahlen; in die Augen stechen
  13. tabula votiva - Votivtafel
  14. sacer paries - die heilige Wand (des Tempels) | uvidus, a, um - feucht; die vestimenta sind noch feucht wie die eines Schiffbrüchigen, der gerade erst gerettet wurde
  15. suspendere, o, suspendi, suspensum - aufhängen
  16. maris entweder Attribut zu deo (= Naptuno) oder Gen. obiectivus zu potenti
Aufgabenvorschläge:
  1. Unter dem "Lyrischen Ich" verstehen wir denjenigen, der im Gedicht in der Ich-Form von sich spricht. Es bildet die Gegeninstanz zu dem biographischen Ich des Autors, das wir entsprechend als "auktoriales Ich" bezeichnen. Beobachten Sie, wie sich das "Lyrische Ich" in dem Gedicht zur Geltung bringt und wie sich die Sprechsituation und Sprechhaltung entwickelt, in der es sich äußert!
    Das "Lyrische Ich" ist zunächst unbestimmt als Beobachter und Fragesteller gegenwärtig. Es steht abseits und beobachtet relativ neutral die scheinbar glückliche Liebesbeziehung zweier ungleicher Partner. Die Überlegenheit, die das "Lyrische Ich" an Erfahrung und Analysefähigkeit mitbringt, lässt ihn die innere Brüchigkeit der Situation erkennen und als Gewissheit für die Zukunft voraussagen. Es nimmt die distanziert-epische Haltung des Lyrischen Nennens ein. Die seelische Betroffenheit, die das Lyrische Ich zur lyrischen Kundgabe motiviert, ist das bedauernde Mitleiden, wie es sich in der Interjektion "heu" (5) und dem verallgemeinernden "miseri" (12) verdichtet ausdrückt. 
    Erst in Vs. 13 (me tabula sacer votiva paries indicat...) bezieht sich das Lyrische Ich als Akteur in das Geschehen ein. Die Haltung öffnet sich dadurch vom Lyrischen Nennen zum Lyrischen Ansprechen hin.  Das Ich ist mehr als neutraler Beobachter: er ist Mitspieler, dessen Bedauern der persönlichen Erfahrung entspringt. Aber Mitleidender ist er nicht. Selbst Mitspieler ist er nur noch aus der Distanz der Erinnerung, die die größten Abenteuer und Gefahren zur genussvollen Erzählung werden lässt. Seine "Fahrt auf dem unberechenbaren Meer" und seine Schiffbrüche" gehören der Vergangenheit an ("suspendisse"!). Dies bezeugt das (wenn auch noch feuchte) Kleid an der heiligen Wand des Tempels. 
    Wir sehen keinen Grund zu behaupten, dass in diesem Gedicht das "Lyrische Ich" nicht identisch sei mit dem "Auktorialen Ich": wir erkennen in ihm Horaz, den Dichter der römischen Klassik, der unter der Untreue seiner Lydia nicht zusammenbricht (wie wir das etwa von Catull [Catull.8] her kennen), sondern seine Gefühle beherrscht und eben dadurch Anmut und Würde bewährt.
  2. Pöschl zählt in der ersten Strophe 6 Hyperbata. I.) Was ist ein Hyperbaton? II.) Zählen Sie nach! III.) Wozu dienen die Hyperbata
    1. Hyperbaton
    2. Die sechs Hyperbata
      1. multa... in rosa 
      2. gracilis... puer... perfusus
      3. liquidis... odoribus
      4. grato... sub antro?
      5. flavam... comam
      6. te... Pyrrha
    3. Die Hyperbata verleihen der Sprache Glanz (Pöschl). Vielleicht versinnbildlichen Sie auch die enge Verflechtung der momentanen Beziehung mit der hier noch nicht thematisierten, aber immanent innenwohnenden Tendenz auseinanderzubrechen: Die Hyperbata bilden Räume für die Personen und das Geschehen:
      gratum - multa - gracilis - te (Pyrrha) - puer - rosa - antrum
      Trotz dieser Geschlossenheit wird Pyrrha ausbrechen!
  3. simplex munditiis (5) steht in einem auffälligen Gegensatz zu der Aufmachung des "hageren Knaben" (multa... in rosa | perfusus liquidis... odoribus). Was drückt dieser Gegensatz über die Verschiedenheit der Personen und ihr jeweiliges Engagement aus?
    Grob gesagt ist der Gegensatz zwischen minutiös geplanter Premiere und selbstsicher souveräner Routine.
  4. Mit "heu" (5) setzt das Gegenmotiv ein. Bestimmen Sie Motiv und Gegenmotiv mit möglichst nur einem Wort! Wie wirkt sich die Gegenläufigkeit des Motivs in der Sachlage und in der sprachlichen Gestaltung aus?
    Motiv: Liebesglück: (1-5) 
    Gegenmotiv: Liebesleid (5-13)
    • simplex munditiis [äußerer Aspekt]
    • gratum antrum [situationsimmanenter  Aspekt]
    • Gegenwart: urget, religas
    • grato sub antro flavam comam
    • simplex
    • perfidia (fides mutata) [innerer Aspekt]
    • ingrati dei (mutati dei) [transzendenter Aspekt]
    • Zukunft: flebit, emirabitur
    • aspera nigris aequora ventis
    • insolens
    • "Dem glücklichen Liebeswerben wird das Weinen des Knaben und sein fassungsloses Entsetzen gegenübergestellt, der Ruhe eine größere Bewegtheit, dem Idyll das Toben, den lichten Farben der Rosen und des blonden Haares das Schwarz des Seesturms, den Epitheta der Lieblichkeit (grato) und des Fließens (liquidis) das Rauhe (aspera). Dem kunstvollen Satzbau steht ein wesentlich kunstloserer gegenüber, dessen einfache Fügung nur durch das aspera nigris aequora ventis unterbrochen wird, wo die Sperrung offenbar die Unruhe und Verwirrung des tobenden Meeres malen soll." (Pöschl 21f.)
  5. In welcher Weise verarbeitet die dritte Strophe Motiv und Gegenmotiv?
    Motiv und Gegenmotiv verschlingen einander: Mit Vs.9 kehrt das Gedicht durch das anaphorische "qui" und "nunc" betont zur konkreten Situation, zur  Gegenwart und der Person des "quis" aus Vs.1 zurück. Doch der Glückspilz vom Anfang ist als credulus und nescius entlarvt. Er hält augenblicklichen Genuss, Nutznieß für einen dauerhaften Besitz und Eigentum. Er verlängert in seiner Hoffnung das nunc zu einem (zweimaligen) semper und merkt nicht, dass die traurige Zukunft schon in die Gegenwart eingetreten ist.
  6. Grenzen Sie das Maß an Emotionalität und Rationalität ab, mit denen Horaz Pyrrhas Untreue verarbeitet! Hilfreich kann gegebenenfalls ein Vergleich mit Hor.c.3,9 und besonders mit Catull 8 ("Miser Catulle") sein. Denkbare Teilaspekte:
    • Wie redet der Dichter von sich?
    • Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit
    • Verhältnis des Dichters zu dem oder den Rivalen.
    Vgl. die Aufgabe zum "Lyrischen Ich"

 

Sententiae excerptae:
Lat. zu "Hor.c.1,5,"