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(Üb.
nach A.Pauly) |
(1) Hesternum diem divisi cum mala valetudine: antemeridianum illa sibi
vindicavit, postmeridiano mihi cessit. Itaque lectione primum temptavi
animum; deinde, cum hanc recepisset, plus illi imperare ausus sum,
immo permittere: aliquid scripsi et quidem intentius quam soleo,
dum cum materia difficili contendo et vinci nolo, donec intervenerunt
amici qui mihi vim adferrent et tamquam aegrum intemperantem coercerent.
In locum stili sermo successit, ex quo eam partem ad te perferam,
quae in lite est. Te arbitrum addiximus. Plus negotii habes quam
existimas: triplex causa est. |
Den gestrigen Tag teilte ich mit meiner
Krankheit: den Vormittag beanspruchte sie für sich, am Nachmittag
übte sie Nachsicht mit mir. So erprobte ich mich zunächst
an Lektüre. Als ich diese aufgenommen hatte, wagte ich, mir mehr
zuzumuten, vielmehr zu erlauben: Angespannter als sonst schrieb ich
etwas. Dabei schlug ich mich, ohne mich unterkriegen zu lassen, mit
einer schwierigen Materie herum, bis Freunde dazwischen kamen, mich
bedrängten und wie einen unvernünftigen Kranken zur Ordnung
riefen. Der Schreibübung folgte das Gespräch. Daraus werde
ich dir den strittigen Teil überantworten. Du bist unser Richter.
Du hast mehr Arbeit als du denkst: die Sache hat drei Teile. |
(2) Dicunt, ut scis, Stoici nostri duo esse in rerum natura, ex quibus
omnia fiant, causam et materiam. Materia iacet iners, res ad omnia
parata, cessatura, si nemo moveat; causa autem, id est ratio, materiam
format et quocumque vult versat, ex illa varia opera producit. Esse
ergo debet, unde fiat aliquid, deinde a quo fiat: hoc causa est,
illud materia. |
Bekanntlich
nehmen unsere Stoiker zwei Prinzipien aller Dinge an, die Ursache
und die Materie. Die Materie ist tot, für jede Einwirkung empfänglich
und so lange untätig, als niemand sie in Bewegung setzt. Die
Ursache aber, das ist die Vernunft, gestaltet die Materie, wandelt
sie um nach Gefallen und bringt aus ihr mannigfaltige Werke hervor.
Es muss also zuerst etwas sein, woraus ein Ding wird, sodann etwas,
wodurch es wird Dieses ist die Ursache, jenes die Materie. |
(3) Omnis ars naturae imitatio est; itaque, quod de universo dicebam,
ad haec transfer, quae ab homine facienda sunt. Statua et materiam
habuit, quae pateretur artificem, et artificem, qui materiae daret
faciem; ergo in statua materia aes fuit, causa opifex. Eadem condicio
rerum omnium est: ex eo constant, quod fit, et ex eo, quod facit. |
Alle Kunst ist Nachahmung der Natur. Was
ich also vom Weltganzen sagte, ist auch anzuwenden auf das, was der
Mensch zu schaffen hat. Die Bildsäule setzt voraus eine Materie,
welche von dem Künstler sich behandeln ließ, und einen
Künstler, welcher der Materie ihre Gestalt gab. Bei der Bildsäule
ist also die Materie das Erz, die Ursache ist der Meister. Dasselbe
ist es mit allen Dingen: sie bestehen aus dem Bewirkten und aus dem
Bewirkenden. |
(4) Stoicis
placet unam causam esse id, quod facit. Aristoteles putat causam
tribus modis dici: 'prima' inquit 'causa est ipsa materia, sine
qua nihil potest effici; secunda opifex; tertia est forma, quae
unicuique operi inponitur tamquam statuae'. Nam hanc Aristoteles
'εἶδος' vocat. 'Quarta quoque' inquit 'his accedit, propositum
totius operis.' |
Die Stoiker nehmen nur eine Ursache an,
die bewirkende; Aristoteles aber ist der Meinung, die Ursache sei
in dreifachem Sinne zu verstehen. Die erste Ursache sei die Materie
selbst, ohne welche nichts hervorgebracht werden kann; die zweite
der Meister; die dritte die Form, welche jedem Werke, wie einer Bildsäule,
gegeben wird. Diese nennt Aristoteles εἶδος. Noch kommt, sagt er,
ein viertes hinzu, der Zweck des ganzen Werkes. |
(5) Quid sit hoc, aperiam. Aes prima statuae causa est; numquam enim
facta esset, nisi fuisset id, ex quo funderetur ducereturve. Secunda
causa artifex est; non potuisset enim aes illud in habitum statuae
figurari, nisi accessissent peritae manus. Tertia causa est forma;
neque enim statua ista 'doryphoros' aut 'diadumenos' vocaretur, nisi
haec illi esset inpressa facies. Quarta causa est faciendi propositum;
nam nisi hoc fuisset, facta non esset. |
Ich will es erklären. Von einer Bildsäule
ist die erste Ursache das Erz; denn sie wäre nie ohne das entstanden,
woraus sie gegossen oder getrieben wurde. Die zweite Ursache ist der
Künstler, denn jenes Erz hätte nie in die Gestalt einer
Bildsäule umgeschaffen werden können, wenn nicht geschickten
Hände hinzugekommen wären. Die dritte Ursache ist die Form,
denn jene Bildsäule würde nicht Doryphoros oder Diadumenos
heißen, wenn ihr nicht gerade dieses Gepräge aufgedrückt
worden wäre. Die vierte Ursache ist der Zweck ihrer Verfertigung;
denn ohne diesen wäre sie nicht entstanden. |
(6) Quid est propositum? quod invitavit artificem, quod ille secutus fecit:
vel pecunia est haec, si venditurus fabricavit, vel gloria, si laboravit
in nomen, vel religio, si donum templo paravit. Ergo et haec causa
est, propter quam fit: an non putas inter causas facti operis esse
numerandum, quo remoto factum non esset? |
Der Zweck aber ist das, was den Künstler
zur Arbeit einlud, was er dabei beabsichtigte. Sein Zweck ist entweder
Geld, wenn er zum Verkauf arbeitete; oder Ruhm, wenn er arbeitete,
um sich einen Namen zu machen; oder religiöser Art, wenn er ein
Geschenk in einen Tempel stiften wollte. Also auch dies ist eine Ursache,
um welcher willen etwas geschieht. Oder ist nicht alles unter die
Ursachen eines entstandenen Werkes zu zählen, ohne das es nicht
entstanden wäre? |
(7) His quintam Plato adicit exemplar, quam ipse 'idean' (ἰδέαν) vocat;
hoc est enim, ad quod respiciens artifex id, quod destinabat, effecit.
Nihil autem ad rem pertinet, utrum foris habeat exemplar, ad quod
referat oculos an intus, quod ibi ipse concepit et posuit. Haec
exemplaria rerum omnium deus intra se habet numerosque universorum,
quae agenda sunt, et modos mente conplexus est; plenus his figuris
est, quas Plato 'ideas' (ἰδέας) appellat, inmortales, inmutabiles,
infatigabiles. Itaque homines quidem pereunt, ipsa autem humanitas,
ad quam homo effingitur, permanet, et hominibus laborantibus, intereuntibus,
illa nihil patitur. |
Eine fünfte Ursache fügt zu diesen
noch Plato hinzu, das Modell, was er selbst Idee (ἰδέα) nennt; sie
ist dasjenige, was der Künstler bei Ausführung des beabsichtigten
Werkes vor Augen hatte. Es tut nichts zur Sache, ob dieses Modell,
auf welches er seine Blicke heftet, sich außer ihm selbst oder
in ihm befinde, d.h. von ihm selbst geschaffen und sich vorgestellt.
Diese Modelle aller Dinge hat die Gottheit in sich. Der göttliche
Geist begreift Zahl und Maß aller zu schaffenden Dinge; er ist
voll von jenen Formen, welche Platon die unendlichen, unwandelbaren,
unerschöpflichen Ideen (ἰδέαι) nennt. So vergehen zwar die Menschen,
aber die Menschheit selbst, nach welcher der einzelne Mensch geschaffen
wird, bleibt; und, indem die Menschen kämpfen und sterben, erleidet
jene nichts. |
(8) Quinque ergo causae sunt, ut Plato dicit: id ex quo, id a quo, id
in quo, id ad quod, id propter quod; novissime id, quod ex his est.
Tamquam in statua (quia de hac loqui coepimus) id ex quo aes est,
id a quo artifex est, id in quo forma est, quae aptatur illi, id ad
quod exemplar est, quod imitatur is, qui facit, id propter quod facientis
propositum est, id quod ex istis est, ipsa statua [est].
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Nach Plato gibt es also fünf Ursachen
der Dinge: dasjenige, aus was, das durch was, das in was, das nach
was und das, wegen dessen etwas geschieht. Hierzu kommt endlich dasjenige
selbst, was aus diesen Ursachen zustande gekommen. So ist an der Bildsäule
- weil ich nun nun einmal dieses Gleichnis gewählt habe - das
"aus was": Metall; das "durch was": der Künstler;
das "in was": die Form, die ihr gegeben wird; das "nach
was": das Modell, welches der Verfertiger nachahmt; das "wegen
dessen": der Zweck der Arbeit. Was aus diesem allen entsteht,
ist die Bildsäule selbst. |
(9) Haec omnia mundus quoque, ut ait Plato, habet: facientem, hic deus
est; ex quo fit, haec materia est; formam, haec est habitus et ordo
mundi, quem videmus; exemplar, scilicet ad quod deus hanc magnitudinem
operis pulcherrimi fecit; |
Alles dieses hat, wie Platon sagt, auch
die Welt: einen Werkmeister, dieser ist Gott; etwas, woraus sie ist,
dies ist die Materie; eine Form, diese ist die Gestaltung und Einrichtung
der Welt, wie wir sie vor uns sehen; ein Modell, nach welchem Gott
dieses prachtvolle All erschuf; einen Zweck, um dessen willen er es
erschuf. |
(10) Quaeris, quod sit propositum deo? bonitas. Ita certe Plato ait:
'quae deo faciendi mundum fuit causa? bonus est; bono nulla cuiusquam
boni invidia est; fecit itaque quam optimum potuit'. Fer ergo
iudex sententiam et pronuntia, quis tibi videatur verisimillimum dicere,
non quis verissimum dicat; id enim tam supra nos est quam ipsa veritas. |
Du fragst, was Gottes Zweck sei? Das Gute.
So sagt wenigstens Plato: "Welche Ursache hatte Gott, die Welt
zu schaffen? Gott ist gut; in dem Guten aber ist kein Neid; also schuf
er die Welt so gut wie möglich. Entscheide also als Schiedsrichter
und gib an, wer dir das Wahrscheinlichste zu sagen scheint, nicht,
wer das Wahrste sagt: denn dieses ist uns so über, wie die Wahrheit
selbst. |
(11) Haec, quae ab Aristotele et Platone ponitur, turba causarum aut nimium
multa aut nimium pauca conprendit. Nam si quocumque remoto quid effici
non potest, id causam iudicant esse faciendi, pauca dixerunt. Ponant
inter causas tempus: nihil sine tempore potest fieri. Ponant locum:
si non fuerit ubi fiat aliquid, ne fiet quidem. Ponant motum: nihil
sine hoc nec fit nec perit; nulla sine motu ars, nulla mutatio est. |
Diese Unmenge von Ursachen, die Aristoteles
oder Platon ansetzt, umfasst entweder zu viel oder zu wenig. Denn
wenn sie alles, ohne das keine Wirkung zu erzielen ist, als Wirkursache
ansehen, so sagen sie zu wenig. Zu den Ursachen gehört dann die
Zeit: nichts kann nämlich ohne Zeit bewirkt werden; gehört
der Raum: Ohne einen Ort, wo etwas entstehen kann, wird auch nichts
entstehen; gehört die Bewegung: Nichts entsteht ohne sie, nichts
vergeht; ohne Bewegung keine Kunst, keine Veränderung. |
(12) Sed nos nunc primam et generalem quaerimus causam. Haec simplex esse
debet; nam et materia simplex est. Quaerimus, quid sit causa? ratio
scilicet faciens, id est deus; ista enim, quaecumque rettulistis,
non sunt multae et singulae causae, sed ex una pendent, ex ea, quae
facit. |
Wir aber suchen eine erste und allgemeine
Ursache. Sie muss einfach sein, denn die Materie ist einfach. Wir
suchen eine Ursache? Natürlich die wirkende Vernunft, das heißt
Gott; denn alles, was ihr vorgetragen habt, sind nicht viele Einzelursachen,
sondern hängen alle allein an der, die bewirkt. |
(13) Formam dicis causam esse? hanc inponit artifex operi: pars causae
est, non causa. Exemplar quoque non est causa, sed instrumentum causae
necessarium. Sic necessarium est exemplar artifici quomodo scalprum,
quomodo lima: sine his procedere ars non potest, non tamen hae partes
artis aut causae sunt. |
Die Form soll Ursache sein? Sie überträgt
der Künstler auf sein Werk. Sie ist Teil der Ursache, nicht Ursache.
Auch das Modell ist nicht Ursache, sondern notwendiges Mittel für
die Ursache. Das Modell ist für den Künstler so nötig,
wie Meißel, wie Feile. Ohne sie kann Kunst nicht vorankommen,
gleichwohl sind sie nicht Teile oder Ursachen der Kunst. |
(14) 'Propositum' inquit 'artificis, propter quod ad faciendum aliquid
accedit, causa est.' Ut sit causa, non est efficiens causa, sed superveniens.
Hae autem innumerabiles sunt: nos de causa generali quaerimus. Illud
vero non pro solita ipsis subtilitate dixerunt, totum mundum et consummatum
opus causam esse; multum enim interest inter opus et causam operis. |
Der Zweck, sagt man ferner, um dessen willen
ein Künstler seine Arbeit beginnt, ist eine Ursache. Mag er so
heißen; doch ist er nicht die wirkende, sondern eine Nebenursache.
Solche aber gibt es unzählige. Wir fragen hier nach der allgemeinsten.
Wenn jene übrigens das Weltganze, das vollendete Werk selbst,
eine Ursache nennen, so ist dies nicht mit ihrer gewohnten Genauigkeit
gesprochen: denn es ist ein großer Unterschied zwischen dem
Werk und der Ursache des Werkes. |
(15) Aut fer sententiam aut, quod facilius in eiusmodi rebus est, nega
tibi liquere et nos reverti iube. 'Quid te', inquis, 'delectat tempus
inter ista conterere, quae tibi nullum adfectum eripiunt, nullam cupiditatem
abigunt?' Ego quidem potiora illa ago ac tracto, quibus pacatur animus,
et me prius scrutor, deinde hunc mundum. |
Hierüber sprich entweder dein Urteil
oder, was in solchen Fällen das Leichtere ist, erkläre,
du seiest mit deiner Ansicht nicht im Reinen, und verweise mich auf
ein Andermal. - "Allein," höre ich dich sagen, "wie
kann es dir Vergnügen machen, deine Zeit mit Dingen zu vertreiben,
welche dich von keiner deiner Leidenschaften befreien, keine deiner
Begierden verbannen?" - Allerdings betreibe ich alles dasjenige
zuerst, wodurch das Gemüt zur Ruhe kommt; zuerst erforsche ich
mich, hierauf die Welt. |
(16) Ne nunc quidem tempus, ut existimas, perdo; ista enim omnia, si non
concidantur nec in hanc subtilitatem inutilem distrahantur, attollunt
et levant animum, qui gravi sarcina pressus explicari cupit et reverti ad illa, quorum fuit. Nam corpus hoc animi pondus
ac poena est; premente illo urguetur, in vinclis est, nisi accessit
philosophia et illum respirare rerum naturae spectaculo iussit et
a terrenis ad divina dimisit. Haec libertas eius est, haec evagatio;
subducit interim se custodiae, in qua tenetur, et caelo reficitur. |
Aber auch die gegenwärtige Beschäftigung
ist kein Zeitverderb, wie du meinst. Arten solche Untersuchungen nur
nicht ins Kleinliche und in zwecklose Spitzfindigkeiten aus, so erheben
und beschwichtigen sie den Geist, der, von seiner schweren Bürde
gedrückt, sich loszumachen und zu jenen Wesen wieder zurückzukehren
wünscht, zu denen er gehörte. Dieser Leib ist des Geistes
Last und Strafe: er drückt schwer auf ihn und hält ihn in
Banden, wenn nicht die Philosophie herzutritt und ihn an dem Schauspiel
der Natur sich erholen lässt und von dem Irdischen zum Himmlischen
emporhebt. Dies ist seine Freiheit, seine Erlösung: er entzieht
sich zuweilen seiner Haft und erneuert sich durch das Himmlische. |
(17) Quemadmodum artifices [ex] alicuius rei subtilioris, quae intentione
oculos defetigat, si malignum habent et precarium lumen, in publicum
prodeunt et in aliqua regione ad populi otium dedicata oculos libera
luce delectant, sic animus in hoc tristi et obscuro domicilio clusus,
quotiens potest, apertum petit et in rerum naturae contemplatione
requiescit. |
Künstler, deren Augen bei ungünstigem
und spärlichem Lichte auf irgend einen feinen Gegenstand sich
geheftet und bis zur Ermüdung angestrengt haben, gehen ins Freie
und erholen ihr Gesicht an irgend einem der öffentlichen Unterhaltung
gewidmeten Orte in vollem Lichte: so sucht auch unser in diese düstere
und dumpfe Behausung eingeschlossener Geist, so oft er kann, das Freie
und ruht aus in der Beschauung der Natur. |
(18) Sapiens adsectatorque sapientiae adhaeret quidem in corpore suo, sed
optima sui parte abest et cogitationes suas ad sublimia intendit.
Velut sacramento rogatus hoc, quod vivit, stipendium putat; et ita
formatus est, ut illi nec amor vitae nec odium sit, patiturque mortalia,
quamvis sciat ampliora superesse. |
Der Weise, und wer nach Weisheit strebt,
ist zwar an seinen Körper gebunden, aber mit seinem besseren
Teil ist er fern von ihm und hält seine Gedanken auf das Höhere
gerichtet. Das Leben ist ihm ein Kriegsdienst, zu dem ihn gleichsam
ein Fahneneid verbindet. Er ist in einer solchen Fassung, dass er
das Leben nicht liebt und nicht hasst und Menschliches sich gefallen
lässt, wiewohl er weiß, dass es noch ein Besseres gibt. |
(19) Interdicis mihi inspectione rerum naturae, a toto abductum redigis
in partem? Ego non quaeram, quae sint initia universorum? quis rerum
formator? quis omnia in uno mersa et materia inerti convoluta discreverit?
Non quaeram quis sit istius artifex mundi? qua ratione tanta magnitudo
in legem et ordinem venerit? quis sparsa collegerit, confusa distinxerit,
in una deformitate iacentibus faciem diviserit? unde lux tanta fundatur?
ignis sit, an aliquid igne lucidius? |
Du willst mir die Betrachtung der Natur
untersagen, mich von dem Ganzen abziehen und auf den Teil beschränken?
Ich soll nicht fragen, was der Anfang des Ganzen, wer der Bildner
aller Dinge sei? wer die in eine einzige, chaotische und träge
Masse zusammengeworfenen Grundstoffe gesondert habe? nicht fragen,
wer der Werkmeister dieser Welt sei, wie Gesetz und Ordnung in dieses
ungeheure Ganze gebracht , wer das Zerstreute gesammelt, das Vermischte
ausgeschieden, dem Toten und Gestaltlosen Leben und Form gegeben habe?
aus welcher Quelle diese große Lichtmasse ströme? ob es
Feuer oder etwas noch Helleres sei als Feuer? |
(20) Ego ista non quaeram? ego nesciam unde descenderim? semel haec mihi
videnda sint, an saepe nascendum? quo hinc iturus sim? quae sedes
expectet animam solutam legibus servitutis humanae? Vetas me caelo
interesse, id est iubes me vivere capite demisso? |
Ich soll nach all dem nicht fragen,
soll nicht wissen wollen, von wo ich hierher gekommen? ob ich diese
Welt einmal oder mehrmals erblicken soll? wohin ich von hier gehen
werde? welcher Aufenthalt meine Seele erwarte, wenn sie von dem Gesetz
dieser Knechtschaft entbunden sein wird? Du willst mir's wehren, im
Himmel einheimisch zu sein, d.h. ich soll gesenkten Hauptes leben? |
(21) Maior sum et ad maiora genitus quam ut mancipium sim mei corporis,
quod equidem non aliter aspicio quam vinclum aliquod libertati meae
circumdatum; hoc itaque oppono fortunae, in quo resistat, nec per
illud ad me ullum transire vulnus sino. Quidquid in me potest iniuriam
pati hoc est: in hoc obnoxio domicilio animus liber habitat. |
Nein, ich bin größer und zu
Größerem geboren, als dass ich ein Sklave meines Körpers
sein könnte, den ich nicht anders betrachte, denn als eine meiner
Freiheit angelegte Fessel. Ihn gebe ich dem Schicksal preis, damit
es auf ihn sich beschränke, und durch ihn hindurch lasse ich
keine Wunde bis zu mir selbst dringen. Was an mir Schaden leiden kann,
ist nur dies; in diesem zerstörbaren Haus wohnt die Seele frei. |
(22) Numquam me caro ista conpellet ad metum, numquam ad indignam bono
simulationem; numquam in honorem huius corpusculi mentiar. Cum visum
erit, distraham cum illo societatem; et nunc tamen, dum haeremus,
non erimus aequis partibus socii: animus ad se omne ius ducet. Contemptus
corporis sui certa libertas est. |
Nie soll mich dieses Fleisch zur Flucht,
nie zu einer des edlen Mannes unwürdigen Verstellung verleiten.
Nie werde ich, diesem elenden Leib zu gefallen, lügen. Ich werde,
wenn ich es für gut halte, die Gemeinschaft mit ihm auflösen;
und auch jetzt sind wir, so lange wir zusammenhängen, keine
Partner zu gleichen Rechten; der Geist zieht auf sich alles Recht.
Die Verachtung des Leibes sichert seine Freiheit. |
(23) Ut ad propositum revertar, huic libertati multum conferet et illa,
de qua modo loquebamur, inspectio; nempe universa ex materia et ex
deo constant. Deus ista temperat, quae circumfusa rectorem sequuntur
et ducem. Potentius autem est ac pretiosius, quod facit, quod est
deus, quam materia patiens dei. |
Und dieser Freiheit - um auf meinen Gegenstand
zurückzukommen - ist ganz besonders eine Betrachtung förderlich,
wie die soeben besprochene. Die Materie und Gott machen die Gesamtheit
der Dinge aus. Gott regiert die Welt, die ihn als ihren Beherrscher
und Führer umgibt und ihm folgt. Das Wirkende, nämlich Gott,
ist das Mächtigere und Bessere als die Materie, welche Gott gehorcht. |
(24) Quem in hoc mundo locum deus obtinet, hunc in homine animus; quod
est illic materia, id in nobis corpus est. Serviant ergo deteriora
melioribus; fortes simus adversus fortuita; non contremescamus iniurias,
non vulnera, non vincula, non egestatem. Mors quid est? aut finis
aut transitus. Nec desinere timeo (idem est enim, quod non coepisse),
nec transire, quia nusquam tam anguste ero. Vale. |
Was Gott in der Welt, ist der Geist in
dem Menschen; was dort die Materie, istan uns der Leib. Also sei das
Bessere dem Geringeren untertan.; wir seien mächtig gegen des
Schicksals Macht und zittern nicht vor Misshandlung, Wunden, Ketten
und Armut. Der Tod selbst ist entweder das Ende oder ein Übergang.
Ich fürchte mich nicht zu enden; denn es ist ebensoviel, als
nicht angefangen zu haben. Ich fürchte mich nicht überzugehen;
denn ich werde nirgends so lange wohnen. |
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Contemno magnitudinem doloris, a qua me brevitas temporis vindicabit ante paene, quam venerit (Epikur).
Ich verachte die Heftigkeit des Schmerzes, von der mich die Kürze der Zeit erretten wird, beinahe noch bevor er gekommen ist.
Ante circumspiciendum est, cum quibus edas et bibas, quam quid edas et bibas.
Man muss sich früher umschauen, mit wem man isst und trinkt, als was man isst und trinkt.
Honesta res est laeta paupertas.
Es ist etwas Ehrenvolles um die vergnügte Armut.
Ridiculum est currere ad mortem taedio vitae, cum genere vitae, ut currendum ad mortem esset, effeceris.
Es ist lächerlich, aus Lebensüberdruss in den Tod zu eilen, wenn man es durch die Art seines Lebens dahin gebracht hat, dass man in den Tod eilen muss.
Quid tam ridiculum quam adpetere mortem, cum vitam inquietam tibi feceris metu mortis?
Was ist so lächerlich, als nach dem Tod zu verlangen, nachdem man sich durch die Furcht vor dem Tod ein unruhiges Leben gemacht hat?
Egregia res est mortem condiscere.
Es ist eine herrliche Sache sterben zu lernen.
Satis magnum alter alteri theatrum sumus.
Ich und du, wir sind einer dem anderen Publikum genug.
Alpers, K.
Baltes, M.
Die Todesproblematik in der griechischen Philosophie.
Büchner, K.
Epikur bei Menander. Die Atticus-Vita des Cornelius Nepos
Epikur. Wege zum Glück. Griechisch, Lateinisch und deutsch. Hg. und übers. von Rainer Nickel
Fauth, W.
Gigante, M.
Die Tempel der Griechen. Aufnamen von Max Hirmer
Hermann, C.
Affektbeherrschung als Weg zum Glück. Cicero, Tusculanae disputationes V 15/16.
in: AU 37, 6/1994, 64-70.
Hommel, H.
Horaz. Der Mensch und das Werk
Hross, K.
Unsterblichkeit der Seele, Lukr.3 – Cic. Tusc.1
in: Anr. 13/1967, 389
Stoicorum veterum fragmenta, collegit Ioannes ab Arnim.
Volumen III: Chrysippi fragmenta moralia, fragmenta succcessorum Chrysippi
J. Flügge / M. Kross
in: Hist. Wörterbuch der Philosophie, VIII 1992 (s.v.)
Long, A.A. / Sedley, D.N.
Die hellenistischen Philosophen, Texte und Kommentare (nur deutsch), übers. v. Karlheinz Hülser
Philosophische Arbeitsbücher 1. Diskurs Politik
Philosophische Arbeitsbücher 2. Diskurs Sittliche Lebensformen
Pohlenz, M.
M. Ciceronis Tusculanarum disputationum libti quinque (Heft I/II)
Raith, O.
Schmid, W.
Ein Tag und der Aion... Zu Ciceros Doxologie der Philos. (Tusc.5,5)
in: Maurach. Philos., Darmstadt (WBG, WdF 193) 1976
Geschichte der Philosophie im Umriss. Ein Leitfaden zur Übersicht