1. Orpheus und Eurydice (10,1-105) | ||
Inde per inmensum croceo
velatus amictu aethera digreditur Ciconumque Hymenaeus ad oras tendit et Orphea nequiquam voce vocatur. adfuit ille quidem, sed nec sollemnia verba |
Dorther schreitet, umhüllt
von dem Safrankleid, Hymenaios Durch die unendliche Luft und wendet sich nach der Kikonen Küsten und wird nutzlos von des Orpheus Stimme gerufen. Zwar willfuhr er und kam, doch nicht hochzeitlichen Jubel |
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nec laetos vultus nec
felix attulit omen. fax quoque, quam tenuit, lacrimoso stridula fumo usque fuit nullosque invenit motibus ignes. exitus auspicio gravior: nam nupta per herbas dum nova naiadum turba comitata vagatur, |
Brachte er mit, noch
frohes Gesicht, noch günstige Zeichen. Tränenerregender Rauch ließ stets auch zischen die Fackel, Die in der Rechten er trug, und sie fing kein Feuer im Schwunge. Schrecklicher war, was geschah, als der Anfang. Während im Grünen Wandelte unter der Schar der Naiaden die kürzlich Vermählte, |
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occidit in talum serpentis
dente recepto. quam satis ad superas postquam Rhodopeius auras deflevit vates, ne non temptaret et umbras, ad Styga Taenaria est ausus descendere porta perque leves populos simulacraque functa sepulcro |
Fand sie den Tod, an
der Ferse verletzt vom Zahne der Schlange. Als zum Himmel um sie nun Rhodopes Sänger genugsam Hatte geklagt, da wagt' er zum letzten Versuch, bei den Schatten Durch das tainarische Tor zur Styx in die Tiefe zu steigen, Und durch luftiges Volk und Gebilde bestatteter Toten |
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Persephonen adiit inamoenaque
regna tenentem umbrarum dominum pulsisque ad carmina nervis sic ait: 'o positi sub terra numina mundi, in quem reccidimus, quicquid mortale creamur, si licet et falsi positis ambagibus oris |
Tritt er Persephone nah
und dem König, der bei den Schatten Waltet im freudlosen Reich, und zum Sang anschlagend die Saiten Redet er: "Mächte der Welt, die steht im Schoße der Erde, Der wir verfallen gesamt, so viele wir sterblich erwachsen, Darf ich mit eurer Gunst ohn' Umschweif trügenden Mundes |
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vera loqui sinitis,
non huc, ut opaca viderem Tartara, descendi, nec uti villosa colubris terna Medusaei vincirem guttura monstri: causa viae est coniunx, in quam calcata venenum vipera diffudit crescentesque abstulit annos. |
Wahrheit sprechen vor
euch: nicht kam ich des Tartaros Dunkel Mir zu beschauen herab, noch auch den schlangenbehaarten Dreifach drohenden Hals des medusischen Tieres zu fesseln. Mich führt her mein Weib, der eine getretene Viper Gift in die Wunde geströmt und gekürzt die blühenden Jahre. |
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posse pati volui nec
me temptasse negabo: vicit Amor. supera deus hic bene notus in ora est; an sit et hic, dubito: sed et hic tamen auguror esse, famaque si veteris non est mentita rapinae, vos quoque iunxit Amor. per ego haec loca plena timoris, |
Stark zu ertragen den
Schmerz, nicht will ich es leugnen, versucht' ich; Amor behielt den Sieg. Der Gott ist bekannt in der Höhe; Ob er es hier auch sei, nicht weiß ich es, aber ich glaube. Amor, wofern nicht lügt das Gerücht von dem früheren Raube, Hat ja vereint auch euch. Bei diesem unendlichen Chaos, |
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per Chaos hoc ingens
vastique silentia regni, Eurydices, oro, properata retexite fata. omnia debemur vobis, paulumque morati serius aut citius sedem properamus ad unam. tendimus huc omnes, haec est domus ultima, vosque |
Hier bei den Stätten
des Grauns und der Öde des weiten Gebietes Fleh ich zu euch: knüpft neu Eurydikes schleuniges Schicksal! Alle gehören wir euch, und wir eilen nach kurzem Verweilen Früher und später hinab zu dem einen gemeinsamen Wohnsitz; Hierher müssen wir all', und dies ist die letzte Behausung. |
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humani generis longissima
regna tenetis. haec quoque, cum iustos matura peregerit annos, iuris erit vestri: pro munere poscimus usum; quodsi fata negant veniam pro coniuge, certum est nolle redire mihi: leto gaudete duorum.' |
Über das Menschengeschlecht
übt ihr die dauerndste Herrschaft. Sie auch fällt, wenn reif sie verlebt die gebührenden Jahre, Euerem Recht anheim. Gönnt uns nur noch die Gemeinschaft. Weigert der Gattin die Gunst das Geschick, so bin ich entschlossen, Nimmer von hinnen zu gehn. Dann freu' euch zweier Vernichtung." |
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Talia dicentem nervosque
ad verba moventem exsangues flebant animae; nec Tantalus undam captavit refugam, stupuitque Ixionis orbis, nec carpsere iecur volucres, urnisque vacarunt Belides, inque tuo sedisti, Sisyphe, saxo. |
Während er also
sprach und zum Sang eingriff in die Saiten, Weinte die blutlose Schar der Gestorbenen. Tantalos haschte Nicht nach der weichenden Flut, und es stockte das Rad des Ixion; Nicht mehr ward von den Geiern die Leber zerhackt; die Beliden Ließen die Urnen in Ruh, und Sisyphos saß auf dem Steine. |
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tunc primum lacrimis
victarum carmine fama est Eumenidum maduisse genas, nec regia coniunx sustinet oranti nec, qui regit ima, negare, Eurydicenque vocant: umbras erat illa recentes inter et incessit passu de vulnere tardo. |
Damals netzten zuerst
nach der Sage die drei Eumeniden . Weinend die Wangen, gerührt von dem Lied. Abschlagen die Bitte Kann ihm die Königin nicht, noch auch der Beherrscher der Tiefe, Und Eurydike ruft ihr Geheiß. Die war bei den neuen Schatten und ging mit verzögertem Schritt, von der Wunde gehindert. |
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hanc simul et legem
Rhodopeius accipit heros, ne flectat retro sua lumina, donec Avernas exierit valles; aut inrita dona futura. carpitur adclivis per muta silentia trames, arduus, obscurus, caligine densus opaca, |
Sie und die Weisung
zugleich empfängt nun Rhodopes Heros, Dass er zurück nicht wende den Blick, bis dass er gelangt sei Aus dem avernischen Tal; sonst wär' er der Gabe verlustig. Aufwärts steigen sie jetzt durch schweigende Öde den Fußpfad Schroff, voll düsteren Grauns und umstarrt von finsterem Dunkel. |
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nec procul afuerunt
telluris margine summae: hic, ne deficeret, metuens avidusque videndi flexit amans oculos, et protinus illa relapsa est, bracchiaque intendens prendique et prendere certans nil nisi cedentes infelix arripit auras. |
Nicht mehr waren sie
fern vom Rande der oberen Erde, Da, sie verlangend zu sehn und besorgt, dass Kraft ihr gebreche, Schaut er liebend sich um, und zurück gleich ist sie gesunken. Sehnlich die Arme gestreckt, auf dass er sie fasse und selber Werde gefasst, hascht nichts denn weichende Lüfte der Arme. |
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iamque iterum moriens
non est de coniuge quicquam questa suo (quid enim nisi se quereretur amatam?) supremumque 'vale,' quod iam vix auribus ille acciperet, dixit revolutaque rursus eodem est. Non aliter stupuit gemina nece coniugis Orpheus, |
Ob sie wiederum stirbt,
sie klagt nicht über den Gatten: Was auch war zu beklagen für sie, als dass sie geliebt war? Scheidenden Gruß, den kaum sein Ohr noch konnte vernehmen, Rief sie ihm zu und wurde gerafft zu der vorigen Stätte. Orpheus aber ist starr von dem zwiefachen Tode der Gattin, |
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quam tria qui timidus,
medio portante catenas, colla canis vidit, quem non pavor ante reliquit, quam natura prior saxo per corpus oborto, quique in se crimen traxit voluitque videri Olenos esse nocens, tuque, o confisa figurae, |
Ähnlich dem Mann,
den schreckten des Hundes drei Hälse, von welchen Banden der mittlere trug, und den mit dem früheren Wesen Erst das Entsetzen verließ, als Stein durchdrungen den Körper, Oder wie Olenos einst, der Frevler zu scheinen verlangte, Auf sich nehmend die Schuld, und du, unselge Lethaia, |
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infelix Lethaea, tuae,
iunctissima quondam pectora, nunc lapides, quos umida sustinet Ide. orantem frustraque iterum transire volentem portitor arcuerat: septem tamen ille diebus squalidus in ripa Cereris sine munere sedit; |
Die zu dreist auf die
Schönheit vertraut, treu liebende Herzen Vormals, Steine zur Zeit, die trägt die bewässerte Ida. Als er mit eitlem Flehn nochmals hinüber verlangte, Wies ihn der Ferge zurück. Doch starrend vor Schmutz an dem Ufer Saß er sieben der Tag' und verschmähte die Gabe der Ceres; |
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cura dolorque animi
lacrimaeque alimenta fuere. esse deos Erebi crudeles questus, in altam se recipit Rhodopen pulsumque aquilonibus Haemum. Tertius aequoreis inclusum Piscibus annum finierat Titan, omnemque refugerat Orpheus |
Zähren und Gram
und Schmerz des Gemüts nur waren ihm Nahrung. Grausam schalt er und hart des Erebos Götter und kehrte Wieder zu Rhodopes Höhn und zum nordumsauseten Haimos. Dreimal hatte das Jahr, das schließen die schwimmenden Fische, Schon vollbracht der Titan, und es hatte der weiblichen Liebe |
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femineam Venerem, seu
quod male cesserat illi, sive fidem dederat; multas tamen ardor habebat iungere se vati, multae doluere repulsae. ille etiam Thracum populis fuit auctor amorem in teneros transferre mares citraque iuventam |
Orpheus gänzlich
entsagt, sei's, weil sein Leid sie gewesen, Sei's, weil Treu' er gelobt. Doch sich zu ergeben dem Sänger War gar manche bereit; gar manche beklagte Verschmähung. Er gab Vorbild auch den thrakischen Stämmen, dem zarten Männergeschlecht in Liebe zu nahn und die Blüte der Jugend |
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aetatis breve ver et
primos carpere flores. Collis erat collemque super planissima campi area, quam viridem faciebant graminis herbae: umbra loco deerat; qua postquam parte resedit dis genitus vates et fila sonantia movit, |
Und den vergänglichen
Lenz vor dem Jünglingsalter zu pflücken. Sanft ansteigend erhob sich ein Hügel, und über dem Hügel Dehnte sich ebenes Feld, das grünte von üppigem Graswuchs. Schatten vermisste der Ort. Als aber der götterentstammte Sänger sich dorthin setzte und rührte die tönenden Saiten, |
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umbra loco venit: non
Chaonis afuit arbor, non nemus Heliadum, non frondibus aesculus altis, nec tiliae molles, nec fagus et innuba laurus, et coryli fragiles et fraxinus utilis hastis enodisque abies curvataque glandibus ilex |
Kam bald Schatten dem
Ort. Nicht fehlt' der chaonische Baumstamm, Noch Heliadengehölz, noch auch hochlaubige Eichen; Linden mit weichlichem Holz, mit der Buche der züchtige Lorbeer, Brechendes Haselgesträuch kommt nah, unknotige Tannen, Eschen zu Lanzen bequem, Steineichen von Früchten gebogen, |
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et platanus genialis
acerque coloribus inpar amnicolaeque simul salices et aquatica lotos perpetuoque virens buxum tenuesque myricae et bicolor myrtus et bacis caerula tinus. vos quoque, flexipedes hederae, venistis et una |
Samt der Platane, dem
Baum des Ergötzens, der fleckige Ahorn, Durstiger Lotus dazu und stromanwohnende Weiden, Auch stets grünender Buchs, Tamarisken mit schmächtigen Ästen Und die gesprenkelte Myrte und Tinus mit bläulichen Beeren. Ihr auch kamt, von dem Sange gelockt, schlingfüßiger Efeu, |
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pampineae vites et
amictae vitibus ulmi ornique et piceae pomoque onerata rubenti arbutus et lentae, victoris praemia, palmae et succincta comas hirsutaque vertice pinus, grata deum matri, siquidem Cybeleius Attis |
Rankende Reben des Weins
und mit Reben bekleidete Ulmen, Mannaesche und Föhr' und beladen mit rötlichen Früchten Arbutus; du, die lohnet den Sieg, schlankragende Palme, Auch aufsträubend das Haar und struppig am Scheitel die Fichte, Kybeles heiliger Baum, dieweil vor Zeiten ihr Attis |
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exuit hac hominem truncoque
induruit illo. |
Menschliches Wesen in
ihm aufgab und erharschte zum Stamme. |