Referatsthemen
Rom als Idee
ßLK 12-2 / 2000/01
"Rom-Idee" ist ein zusammengesetzter Begriff. Er hat zwar einerseits die Stadt Rom in ihrer historischen Entwicklung zum Gegenstand, drückt aber durch den zweiten Bestandteil aus, dass es dabei nicht um disparate historische Fakten in ihrer Besonderheit, auch nicht um die realen Entwicklungslinien der geschichtlichen Entwicklung geht, sondern um ihre bewusstseinsmäßige Zusammenschau, das einheitlich geistige Bild von dem, was das Wesen Roms ausmacht oder ausmachen soll.
Der Begriff zielt damit auf das differenzierte Wechselspiel von Realität und Idealität, von Wirklichkeit und Vorstellung, deren innere Gespanntheit sich häufig in einem bedauernden Nicht-Mehr oder einem erwartungsvollen Noch-Nicht entlädt.
Nicht immer ist es die Wirklichkeit, die das Bild aus sich hervorbringt; häufig ist es die Idee, die die Wirklichkeit aus sich gebiert. Die Idee hat ihr Eigenleben. Sie kann gegebenenfalls als Überbau weiterleben, auch wenn ihre Basis zugrunde gegangen ist.
Aus der Vielfalt der Romideen, sollen hier die herausgegriffen und möglichst knapp charakterisiert werden, die vom Ausgang der Republik an die Erwartungen, die man auf Rom setzte, widerspiegeln. Dabei folgen wir in Aufbau und Inhalt eng dem gleichnamigen Aufsatz von F.Klingner: Rom als Idee, in RömischeGeisteswelt, München 1065, S. 645-666.
Platons Ideenlehre stellt zum ersten Mal den wahren Staat als Urbild (Idee) dem mit Mängeln behafteten real existierenden Staat entgegen. Dabei setzt die integrative Kraft der Idee des Guten die individuelle Seele (Mikrokosmos), den Staat (Mesokosmos) und den Makrokosmos in Analogie zueinander.
Aristoteles löst den Staat aus dem platonischen Ideenkosmos und untersucht ihn empirisch in seinen konkreten Einzelformen. Sein allgemeines philosophisches Bild erhält Aristoteles durch Induktion.
Der wahre Staat fällt mit dem vernunftdurchwalteten Kosmos zusammen. So wird der stoische Weise (sapiens), wenn er gemäß seiner Vernunftnatur lebt, zum κοσμοπολίτης, zum Bürger der einzig wahren πόλις. Die bestimmte Einzelpolis verliert an Bedeutung.
Cicero überwindet das mechanistische Verfassungsmodell des "Fanatikers der Realpolitik" Polybios. Er versteht unter "Staat" einen auf Recht (iuris consensu sociarus, Cic.rep.1,39) und damit auf der ewigen Ordnung der Natur ("est quidem vera lex recta ratio naturae congruens, Cic.rep.3,33) beruhenden Kosmos.
(Der Staatsmann bringt) "etwas von der
Ordnung und Harmonie seiner himmlichen Heimat ins Irdische herab
und hält sich mit seinem Ursprung verbunden und bereit
zurückzukehren." (Klingner, 649 f.)
Typisch römisch ist dabei, dass Ciceo das normative Modell in der Einmaligkeit der römischen Geschichte verwirklicht sieht. Nicht ohne äußere und innere Gefährdungen (Doppelsonne!). Sie aber wurden durch die "virtus" seiner Leistungsträger überwunden, wie sich auch der jüngere
Scipio in seinem Traum als "dictator rei publicae constituendae) in die Pflicht genommen sehen wird (Cic.rep.6,12).
Seine Romidee wurzelt in der Rückbesinnung auf eine ideale Urzeit, die es in einer Zeitenwende zuerneuern gilt. Ihre Erwartung erscheint als
- Heilbringer-Idee, geknüpft an ersehnte Geburt eines Heilandkindes (Verg.ecl.4);
- Idee von der Wiederkehr des Goldenen Zeitalters (Georg. und Aen.), in dem die Menschen unter der Herrschaft des Saturnus in der Fülle des Glücks gelebt hatten.
Octavians Sieg 31 v.Chr. bei Actium gilt als Sieg des Westens über den durch Antonius und Cleopatra verkörperten Orient. Dies führt zu einer Konzentration der Staatsidee auf Rom und auf Octavianus Augustus (Staatsidee --> Romidee --> Kaiseridee),
Dies kommt am sinnfälligsten in der Aeneis zum Ausdruck:
"Rom ist der eigentliche Held des Gedichts,
seine Geschichte, der teleologische Zusammenhang zwischen Urzeit
und Gegnewart des Dichters der eigentliche Gegenstand; die ganze
römische Geschichte aber strebt auf das Rom des Augustus
hin." (Klingner, 652)
Die junge Kirche lehnte Rom zunächst als Inbegriff der bösen Mächte ab. Rom übernahm die Rolle, die einst Babylon im Gegensatz zu Jerusalem gespielt hatte (Babylon-Motiv). Das apokalyptische Negativbild hellte sich erst allmählich auf, am Ende steht die Assimilation der traditionellen Romidee durch das Christentum. Als Ausgangspunkt kann der von den Evangelien konstatierte Synchronismus Augustus - Jesus Christus gelten.
- Tertullian fordert bereits dazu auf, für das dem Strafgericht verfallene "Babylon" zu beten.
- Laktanz nennt Rom das "Augenlicht der Welt"(Klingner, 656)
- Melito erkennt in seiner Apologie an Kaiser Marc Aurel ein Füreinander beider Reiche
- Origenes und Clemens von Alexandria: Durch die zunehmende Aufnahme des stoischen und platonischen Universalismus in die christlichen Werke wird für die beiden Reiche zugunsten Roms das alte Urbild-Abbild-Modell wieder aktuell. Allerdings zunächst als konkurrierender Gegenmodelle.
"Jetzt ist mit einem Male das römische
Reich ebenso wie die Macht des Alten Testaments eine Macht,
die die Ankunft des wahren Reiches vorbereitet."
(Klingner, 657)
- Eusebios: Aus dem Gegensatz wird wesenhafte Analogie, aus dem Konkurrenz-Motiv wird Abbild-Motiv.
"Die Pax Augusta stellte sich jetzt
als Vorbereitung für die Pax Christiana dar."
(Klingner, 657). "Mit ihr (der Pax Augusta) zugleich
ist der Logos (Christus) in die Welt eingetreten, die Theophanie
erfüllt und die Pax Christiana begründet."
(Klingner, 658)
Das Christentum besiegte Rom nicht, indem es das wertbesetzte Rombild Vergils verwarf, sondern in sich aufnahm.
V. Die Vollendung des christlichen Rombildes
"An die Stelle des "Babylon-Motivs tritt als endgültige Umformung bei Hieronymus, Ambrosius und Prudentius das Motiv des "Büßenden Rom" .
- Symmachus: In der Relatio des Symmachus (dem "ersten Manifest der Roma Christiana", Klingner 658) sagt das "alte" Rom mit Blick auf sich selbst: "Schämen möge
sich das Alter, das sich nicht zu bessern vermag." Polytheismus und Christenverfolgung waren ein Sündenfall.
- Ambrosius kann Rom nach seiner Umkehr als "caput gentium" und "electa sedes magistri gentium" preisen.
- Prudentius: Die eigentliche Vollendung leistet Prudentius, indem er das Rom Vergils als notwendige Vorstufe in das christiche Rombild integrierte. Nicht das fatum hatte die "Pax Augusta" als Ziel bestimmt, sondern göttliche Providenz die "Pax Christiana". In diesem Sinne ist bei Vergil die Iupiter-Zusage zu verstehen "imperium sine fine dedi". So wird Prudentius zum "Sänger der Roma Christiana" (Klingner, 660).
- Augustinus: Der Fall Roms zwingt Augustinus wieder zur Relativierung des euphorisch-naiven Rombildes eines Prudentius. Rom verkörpert die "civitas terrena", ist aber im Sinne der platonischen Ideenlehre der "civitas Dei" zugeordnet. Rom darf weder zu verdammt noch vergöttlicht werden:
"Wahrer Staat, wahres Volk, wahre
iustitia, wahre virtus gibt es nach Augustinus nur im Gottesreiche." (Klingner, 664).
VI. Abschluss bei Dante
Dante versagt seinem Meister Vergil den Eintritt in das Paradies. Damit zeigt er: Die augusteische Romidee habt nur Vorläuferfunktion. Erst dadurch, dass Rom in den christlichen Kosmos hineinwächst, erfüllt es als "civitas Dei", als himmliches Rom sein Wesen.
"Die Göttliche Komödie handelt
eigentlich von Rom... Diese Idee Rom (hat) bei Dante ihre sublimste
Erscheinung gefunden." (Klingner, 647). "Auf
der Höhe des Läuterungsberges ist der mystische Baum,
der das römische Reich bedeutet, zugleich Sinnbild der
gottgewollten irdischen Ordnung menschlicher Gemeinschaft überhaupt
und mit dem Baum der Erkenntnis eins, an dem die Geschichte
der Menschheit ihren Anfang nahm (Purg.32)" (Klingner, 646).
Sententiae excerptae:Lat. zu "Cic" und "rep"