Athenienses
in expeditionem mittuntur Argos , ubi trecentos suspectos comprehendunt |
(1) Insequentis
aetatis initio Alcibiades cum viginti navibus Argos profectus trecentos
Argivos, qui adhuc suspecti erant et cum Lacedaemoniis sentire videbantur,
comprehendit, et deposuerunt eos Athenienses in proximis insulis,
quibus imperabant; |
( 5, 84, 1) Τοῦ δ' ἐπιγιγνομένου θέρους
Ἀλκιβιάδης τε πλεύσας ἐς Ἄργος ναυσὶν εἴκοσιν Ἀργείων
τοὺς δοκοῦντας ἔτι ὑπόπτους εἶναι καὶ τὰ Λακεδαιμονίων φρονεῖν ἔλαβε,
τριακοσίους ἄνδρας, καὶ κατέθεντο αὐτοὺς Ἀθηναῖοι ἐς τὰς ἐγγὺς
νήσους, ὧν ἦρχον· |
(5,84,1) Im nächstfolgenden
Sommer kam Alkibiades mit 20 Schiffen nach Argos und nahm hier diejenigen Argeier, welche
noch verdächtig zu sein und es mit den Lakedämoniern zu
halten schienen, fest; 300 an der Zahl, worauf die Athener sie auf
den ihnen unterworfenen benachbarten Inseln in Verwahrung gaben. |
et adversus Melum insulam
Athenienses navigaverunt cum triginta suis navibus et sex Chiis et
duabus Lesbiis et cum militibus ex suis mille et ducentis gravis armaturae
et trecentis sagittariis et viginti hippotoxotis, sociorum vero et
illorum, qui insulas incolebant, ferme mille et quingentorum armatorum
manu. |
καὶ ἐπὶ Μῆλον τὴν νῆσον Ἀθηναῖοι
ἐστράτευσαν ναυσὶν ἑαυτῶν μὲν τριάκοντα, Χίαις δὲ ἕξ, Λεσβίαιν δὲ
δυοῖν, καὶ ὁπλίταις ἑαυτῶν μὲν διακοσίοις καὶ χιλίοις καὶ τοξόταις
τριακοσίοις καὶ ἱπποτοξόταις εἴκοσι, τῶν δὲ ξυμμάχων καὶ νησιωτῶν
ὁπλίταις μάλιστα πεντακοσίοις καὶ χιλίοις. |
Demnächst unternahmen
die Athener einen Zug gegen die Insel Melos mit 30 eigenen, 6 chiischen
und 2 lesbischen Schiffen, so wie mit 1200 Hopliten aus ihrer eigenen
Bürgerschaft, 300 Bogenschützen zu Fuß und 20 zu Pferde,
ebenso 1500 Hopliten von den Bundesgenossen, insbesondere denen auf
den Inseln. |
Causae
belli Atheniensium cum Meliis. Quod priusquam incipiunt Athenienses
, legatos ad Melios mittunt. |
(2) Sunt autem Melii
Lacedaemoniorum coloni et Atheniensibus parere nolebant ut ceteri
insularum incolae, sed initio quidem neutris partibus adiuncti quiescebant;
postea vero, cum Athenienses eos cogerent agrum ipsorum vastantes,
bellum aperte gerere coeperunt. |
(2) οἱ δὲ Μήλιοι Λακεδαιμονίων μέν εἰσιν
ἄποικοι, τῶν δ' Ἀθηναίων οὐκ ἤθελον ὑπακούειν ὥσπερ οἱ ἄλλοι
νησιῶται, ἀλλὰ τὸ μὲν πρῶτον οὐδετέρων ὄντες ἡσύχαζον, ἔπειτα ὡς αὐτοὺς
ἠνάγκαζον οἱ Ἀθηναῖοι δῃοῦντες τὴν γῆν, ἐς πόλεμον φανερὸν κατέστησαν. |
(2) Die Melier aber sind
eine Kolonie der Lakedämonier und wollten sich nicht gleich den
übrigen Inselbewohnern Athen unterwerfen, sondern blieben anfangs
ruhig, indem sie sich zu keiner der beiden Parteien hielten; dann
aber gerieten sie, da die Athener sie durch Verwüstung ihres
Landes mit Gewalt zwingen wollten, in offenen Krieg. |
(3) Quum igitur Atheniensium
duces Cleomedes Lycomedis et Tisias Tisimachi filius cum hoc apparatu
castra in eorum agro posuissent, antequam ullo maleficio agrum afficerent,
legatos primum ad colloquia habenda miserunt. |
(3) στρατοπεδευσάμενοι οὖν ἐς τὴν γῆν
αὐτῶν τῇ παρασκευῇ ταύτῃ οἱ στρατηγοὶ Κλεομήδης τε ὁ Λυκομήδους καὶ
Τεισίας ὁ Τεισιμάχου, πρὶν ἀδικεῖν τι τῆς γῆς, λόγους πρῶτον ποιησομένους
ἔπεμψαν πρέσβεις. |
(3) Die Feldherrn Kleomedes,
der Sohn des Lykomedes, und Teisias, der Sohn des Teisimachos, bezogen
daher mit jener Truppenmacht ein Lager auf ihrer Insel. Bevor sie
jedoch an ihrem Land eine Gewalt verübten, schickten sie zuvor
Gesandte, welche mit ihnen in Unterhandlung treten sollten. |
Quos Melii ad populum
quidem non produxerunt, sed apud magistratus et optimates ea dicere
iubebant, quorum causa venissent. Atheniensium vero legati haec verba
fecerunt. |
οὓς οἱ Μήλιοι πρὸς μὲν τὸ πλῆθος οὐκ ἤγαγον,
ἐν δὲ ταῖς ἀρχαῖς καὶ τοῖς ὀλίγοις λέγειν ἐκέλευον περὶ ὧν ἥκουσιν.
οἱ δὲ τῶν Ἀθηναίων πρέσβεις ἔλεγον τοιάδε· |
Die Melier ließen
diese nicht vor das Volk, sondern befahlen ihnen vor den Behörden
und den Oligarchen vorzutragen, weshalb sie gekommen seien. Die Gesandten
der Athener sprachen hier folgendermaßen: |
Melii
cum essent coloni Lacedaemoniorum nec populari imperio uterentur,
legatos Atticos non ad populum sed ad magistratus suos et oligarchas
produxerunt, quos legati veniam petunt singulatim, quae dicenda
habeant, proponendi, illis eodem modo respondentibus. |
(85) "Quoniam non
apud populum verba a nobis fiunt, ne multitudo, si nos perpetua oratione
utamur et verba ad animos alliciendos apta, et quae a nullo refelli
queant, faciamus, nobi semel auditis decipiatur (intellegimus enim
nos ad paucos eo consilio nunc a vobis abductos esse), vos igitur,
qui estis in isto consessu, tutius etiam agite. |
(85) "ἐπειδὴ οὐ πρὸς τὸ πλῆθος οἱ
λόγοι γίγνονται, ὅπως δὴ μὴ ξυνεχεῖ ῥήσει οἱ πολλοὶ ἐπαγωγὰ καὶ ἀνέλεγκτα
ἐσάπαξ ἀκούσαντες ἡμῶν ἀπατηθῶσιν [γιγνώσκομεν γὰρ ὅτι τοῦτο φρονεῖ
ἡμῶν ἡ ἐς τοὺς ὀλίγους ἀγωγή], ὑμεῖς οἱ καθήμενοι ἔτι ἀσφαλέστερον
ποιήσατε· |
(85) "Unsere Rede
richtet sich nicht an das Volk, damit nicht die große Menge
durch einen zusammenhängenden Vortrag, wenn sie ein für
allemal von uns verlockende und unwiderlegliche Dinge hört, verführt
werde; denn dies, denken wir, will das besagen, dass ihr uns vor eine
oligarchische Versammlung führt. Wohl, so wählt ihr, die
ihr hier versammelt seid, einen noch sichereren Weg: |
Singulatim enim et ne
vos quidem perpetua oratione utentes, sed ut quidque non commode a
nobis dici videbitur, continuo resondentes iudicate. Ac primum quidem
declarate, placeatne facere, ut dicimus." |
καθ' ἕκαστον γὰρ καὶ μηδ' ὑμεῖς ἑνὶ λόγῳ,
ἀλλὰ πρὸς τὸ μὴ δοκοῦν ἐπιτηδείως λέγεσθαι εὐθὺς ὑπολαμβάνοντες κρίνετε.
καὶ πρῶτον εἰ ἀρέσκει ὡς λέγομεν εἴπατε." |
Entscheidet Punkt für
Punkt, entscheidet auch ihr nicht in einer langen Rede, sondern nehmt,
wenn euch etwas nicht angemessen scheint, was wir sagen, sogleich
das Wort und sprecht darüber eure Ansicht aus. Zunächst
nun sagt, ob ihr mit unserem Vorschlag einverstanden seid! |
Meliis
haec non aequa videntur esse disceptatio, sed vincente causa sua,
quae iusta putant, bellum, victa autem servitutem sibi paratam esse
dicunt. |
(86) Meliorum
vero consessus respondit:
"Aequitas quidem inter se per
otium docendi non vituperatur, sed bellum, quod iam praesens est et
non futurum, ab hac re manifesto discrepat. Videmus enim et vos ipsos
eorum, quae dicentur, iudices venisse, et huius colloquii exitum,
si, ut par est, iure quidem vobis superiores fuerimus et propterea
vobis non cesserimus, bellum nobis allaturum, sie vero oboediamus,
servitutem." |
(86) οἱ δὲ τῶν Μηλίων ξύνεδροι ἀπεκρίναντο·
"ἡ μὲν ἐπιείκεια τοῦ διδάσκειν καθ' ἡσυχίαν ἀλλήλους οὐ ψέγεται,
τὰ δὲ τοῦ πολέμου παρόντα ἤδη καὶ οὐ μέλλοντα διαφέροντα αὐτοῦ φαίνεται. ὁρῶμεν
γὰρ αὐτούς τε κριτὰς ἥκοντας ὑμᾶς τῶν λεχθησομένων καὶ τὴν τελευτὴν
ἐξ αὐτοῦ κατὰ τὸ εἰκὸς περιγενομένοις μὲν τῷ δικαίῳ καὶ δι' αὐτὸ μὴ
ἐνδοῦσι πόλεμον ἡμῖν φέρουσαν, πεισθεῖσι δὲ δουλείαν." |
Die Abgeordneten der
Melier erwiderten hierauf:
"Gegen die Billigkeit
des Vorschlags, uns einander in Ruhe zu belehren, lässt sich
nichts einwenden; der Krieg aber, welcher bereits gegenwärtig
ist und nicht aus der Ferne droht, steht damit offenbar in Widerspruch. Denn
wir sehen, dass ihr selbst als Richter über das, was gesagt wir,
da seid, und dass das Ende der Rede nach aller Wahrscheinlichkeit
uns, wenn unsere gerechte Sache siegt und wir deshalb nicht nachgeben,
Krieg, wenn wir aber nachgeben, Knechtschaft bringt. |
-
Informieren Sie sich über die geographische Lage und
den politischen Status von Melos vor 416 v.Chr. und seinen politischen
Versuch, zwischen den beiden Machtblöcken Neutralität
zu bewahren!
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Welche Gründe geben die Athener für ihre Expedition
nach Melos an?
-
Kann man auch diese angeblichen Gründe nach einer ἀληθεστάτη
πρόφασις hinterfragen?
-
Wie lassen sich auf grund der angegebenen Gründe und
der unterstellten ἀληθεστάτη πρόφασις die Leitlinien der athenischen
Außenpolitik bestimmen?
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Wir kann man die politische Situation definieren, die Thukydides
am Beispiel Melos idealtypisch repräsentieren will?
- Melos zeigt den kleinen und schwachen Staat, der
vergeblich versucht, zwischen den Gravitationszentren
zweier übermächtiger Blöcke eine neutrale,
blockfreie Haltung einzunehmen;
- Blockfreiheit bedeutet in einem solchen Kräftefeld
ein erhebliches Risiko für Sicherheit und Souveränität,
weil ein militärisch unterlegener Staat auch
politisch erpressbar wird.
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Welches Verhandlungsverfahren schlagen die Athener den Meliern
vor?
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Welchen Sinn hat es, dass die athenischen Gesandten nicht
vor der Volksversammlung auftreten dürfen?
- Thukydides kann daran den grundsätzlichen
Gegensatz zwischen dem demokratischen Athen und
dem oligarchisch ausgerichteten Sparta kennzeichnen.
Melos repräsentiert insofern Sparta.
- Die Athener machen so auf die demokratische
Opposition (τὸ πλῆθος; οἱ πολλοὶ, 85) in Melos
aufmerksam, deren Loyalität sich die Oligarchen
keinesfalls sicher sein können, vor denen
sie sich eher hüten müssen.
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Was bezwecken die Athener ihrerseits mit ihrem Vorschlag
zur Verhandlungsführung?
- Sie kommen den Meliern scheinbar entgegen und
demonstrieren so Ihre Souveränität und
die Überlegenheit Ihres Standpunktes: Sie
werden in ihren Absichten nicht scheitern, selbst
wenn sie den Meliern das größt mögliche
Maß an Sicherheit bieten.
- Sie demonstrieren in der Form der Verhandlungsführung
die oligarchische Struktur der melischen Politik,
wo Politik an dem Volk und seinen Interessen vorbei
gemacht wird. Die zusammenhängende Rede (ξυνεχὴς
ῥῆσις, 85) vor der Volksversammlung wäre
die genuine Form einer demokratischen Politik
gewesen.
- Sie zeigen ihre rhetorische Überlegenheit,
die sie nicht auf die Form der Rede angewiesen
sein lässt, sondern ihnen auch die Form der
Debatte als Möglichkeit anbietet.
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Was haben die Melier an dem scheinbar so entgegenkommenden
Verhandlungsangebot der Athener auszusetzen?
- Das Positivum des Verfahrens erkennen sie durchaus;
es ist die ἐπιείκεια τοῦ διδάσκειν καθ' ἡσυχίαν ἀλλήλους
- Aber den Athenern geht es nicht um ein διδάσκειν
καθ' ἡσυχίαν ἀλλήλους; sie führen die Debatte
nicht mit offenem Ausgang. Das Ergebnis ist nicht
nur im politischen Willen der Athener vorweggenommen,
sondern durch die Präsenz der militärischen
Macht faktisch erzwungen. Sie ist eine Scheindebatte
und dient nicht dem Zweck demokratischer Willensbildung.
Sie wird als letzte Waffe im kalten Krieg eingesetzt,
um angeblich den anderen, eher aber sich selbst vor
den Verlusten des heißen Krieges zu bewahren.
- Eine echte Debatte (Diskurs) hätte repressionsfrei
unter gleichwertigen Partner stattfinden müssen.
- gleichwertig sind die Partner hier nicht, weil
die Athener als Richter über die Melier auftreten
(ὁρῶμεν γὰρ αὐτούς τε κριτὰς ἥκοντας ὑμᾶς τῶν
λεχθησομένων, 86),
- repressionsfrei ist der Diskurs nicht, weil
Athen seine Armee hat aufmarschieren lassen.
- Die Melier sehen die ihnen verbleibende Wahlmöglichkeit
deutlich:
- entweder sie fügen sich und verlieren ihre
Autonomie (πεισθεῖσι - δουλείαν)
- oder sie widersetzen sich unter Berufung auf
ihr überlegenes Recht und riskieren in einem
Krieg ihre Existenz (περιγενομένοις μὲν τῷ δικαίῳ
- πόλεμον)
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