4. Neujahrswünsche. Befragung des Janus (171-226) | ||
mox ego, 'cur, quamvis
aliorum numina placem,
Iane, tibi primum tura merumque fero?'
'ut possis aditum per me, qui limina servo,
ad quoscumque voles' inquit 'habere deos.'
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Gleich drauf fragt' ich:
"Warum, wenn anderen Göttern ich opfre,
Weihrauch spend' ich und Wein dir von den
andern zuerst?" –
"Dass dir werde durch mich, der jegliche Pforte bewahret,"
Sprach er, "der Einlass bei jedem der
Götter gewährt."
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'at cur laeta tuis dicuntur
verba Kalendis,
et damus alternas accipimusque preces?'
tum deus incumbens baculo, quod dextra gerebat,
'omina principiis' inquit 'inesse solent.
ad primam vocem timidas advertitis aures, |
"Aber warum führt
Freude das Wort denn an deinen Kalenden,
Nehmen und bringen wir dar, wechselnd, die
Wünsche des Heils?"
Niedergelehnt auf den Stab in der Rechten, entgegnete wieder
Janus: "Ein jeder Beginn zeichnet die
Spur des Verlaufs.
Wie auf das Erstlingswort voll ängstlicher Spannung ihr lauschet, |
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et visam primum consulit augur avem.
templa patent auresque deum, nec lingua caducas
concipit ulla preces, dictaque pondus habent.'
desierat Ianus. nec longa silentia feci,
sed tetigi verbis ultima verba meis:
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Deutet der Augur den Flug, welchen er spähte
zuerst.
Tempel und Ohr hält offen der Gott, nicht klingt in die Winde,
Was ihr erbittet, und schwer fällt in die
Wage das Wort."
Janus hatte geendet. Doch nicht ausdehnt' ich das Schweigen;
Gleich an das äußerste Wort reihte die Frage
sich an:
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'quid volt palma sibi
rugosaque carica' dixi
'et data sub niveo candida mella cado?'
'omen' ait 'causa est, ut res sapor ille sequatur
et peragat coeptum dulcis ut annus iter.'
'dulcia cur dentur video: stipis adice causam, |
"Welche Bedeutung
birgt mit der Dattel die runzlige Feig' und
Unter des reinlichen Krugs Hülle des Honigs
Geschenk?"
"Sinnbild soll das sein: dass die Süße das Leben durchdringe,
Und der begonnene Lauf lieblich beschließe
das Jahr."
"Wohl, ich begreife des Naschwerks Grund. Doch spendet man
Geld auch; |
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pars mihi de festo ne labet ulla tuo.'
risit, et 'o quam te fallunt tua saecula' dixit,
'qui stipe mel sumpta dulcius esse putas!
vix ego Saturno quemquam regnante videbam
cuius non animo dulcia lucra forent.
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Sage, warum? Dass ganz klar mir erscheine das
Fest."
Lächelnd erwidert' er drauf: "Jahrhundert, schaue, der Fremdling
Zweifelt, ob klingendes Geld süßer denn Honig
bedünkt!
Selbst als regierte Saturn, hab' ich kaum einen gefunden,
Dem der Gewinn nicht süß wäre gegangen ans
Herz.
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tempore crevit amor,
qui nunc est summus, habendi:
vix ultra quo iam progrediatur habet.
pluris opes nunc sunt quam prisci temporis annis,
dum populus pauper, dum nova Roma fuit,
dum casa Martigenam capiebat parva Quirinum, |
Habgier wuchs mit der
Zeit, und am höchsten ist jetzt sie gewachsen;
Wollte sie weiter hinaus, fehlt' es ihr wahrlich
an Raum.
Nicht so fragte dem Haben man nach zu den Zeiten der Ahnen,
Als noch jugendlich Rom dürftige Bürger umschloss,
Als selbst Mavors' Sohn, Quirinus, ein Hüttchen genügte, |
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et dabat exiguum fluminis ulva torum.
Iuppiter angusta vix totus stabat in aede,
inque Iovis dextra fictile fulmen erat.
frondibus ornabant quae nunc Capitolia gemmis,
pascebatque suas ipse senator oves:
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Als auf der Binse des Stroms ärmlich das Lager
man schuf.
Kaum im umengenden Haus stand aufrecht Jupiter selber,
Hielt in der Rechten gefasst, irdener Bildung,
den Blitz.
Funkeln Juwelen dir jetzt, Kapitol, da zierte dich Laubschmuck,
Auch der Senator als Hirt weidete selber das
Lamm.
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nec pudor in
stipula placidam cepisse quietem
et fenum capiti subposuisse fuit.
iura dabat populis posito modo praetor aratro,
et levis argenti lamina crimen erat.
at postquam fortuna loci caput extulit huius |
Nicht war's Schande, zu pflegen der Ruh
auf geschnittenem Halme,
Oder zu betten im süß duftenden Heue das Haupt.
Eben verließ er den Pflug, wenn Recht vor dem Volke der Prätor
Sprach, und es galt als Vergehn dünnesten Silbers
ein Blatt.
Doch seitdem ihr das Haupt in dem Glanze des Glückes gehoben, |
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et tetigit summo vertice Roma deos,
creverunt et opes et opum furiosa cupido,
et, cum possideant plurima, plura petunt.
quaerere ut absumant, absumpta requirere certant,
atque ipsae vitiis sunt alimenta vices:
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Dass mit dem Scheitel berührt Roma die Götter
sogar,
Wuchs auch empor mit der Habe zugleich wahnsinnige Habgier,
Mehr zu besitzen verlockt mehr zu begehren
allein.
"Raff' und verpass', dann aber erraff'!" gilt allen
als Wahlspruch;
Geiler im Wechsel empor wuchern die Laster
zumal.
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sic quibus intumuit
suffusa venter ab unda,
quo plus sunt potae, plus sitiuntur aquae.
in pretio pretium nunc est: dat census honores,
census amicitias; pauper ubique iacet.
tu tamen auspicium si sit stipis utile quaeris, |
So, wenn der Leib aufschwoll
von des Wassers beklemmender Krankheit;
Steigert der löschende Schwall immer von neuem
den Durst.
Nichts hat Klang, als die klingende Münz', Ehr' einzig der Beutel,
Freunde der Beutel allein. Wehe dir, nennst
du dich arm!"
Wie, und du fragtest mich noch, ob im Geld auch frohe Bedeutung |
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curque iuvent nostras aera vetusta manus,
aera dabant olim: melius nunc omen in auro est,
victaque concessit prisca moneta novae.
nos quoque templa iuvant, quamvis antiqua probemus,
aurea: maiestas convenit ipsa deo.
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Liegt, und warum man sich drückt eherne Deut'
in die Hand?
Einst gab Erz man. Doch jetzt liegt besseres Zeichen im Golde;
Drum von dem neuen Gepräg wurde das alte verdrängt.
Mich selbst freuen die Tempel von Gold, wenngleich ich das alte
Vorzieh'; die Hoheit ziemt vor allem dem Gott.
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laudamus veteres,
sed nostris utimur annis:
mos tamen est aeque dignus uterque coli.'
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Loben die Ahnen wir
gleich, wir schmiegen uns dennoch der Zeit an;
Heischet doch beider Gebrauch gleiche Verehrung
von uns."
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