Cic.rep.1,47-49: Die Demokratie
I 47-49
31. (
47) SCIPIO: . . . et talis est quaeque res publica, qualis eius aut natura aut voluntas, qui illam regit. Itaque nulla alia in civitate, nisi in qua populi potestas summa est, ullum domicilium libertas habet; qua quidem certe nihil potest esse dulcius, et quae, si aequa non est, ne libertas quidem est. Qui autem aequa potest esse, omitto dicere in regno, ubi ne obscura quidem est aut dubia servitus, sed in istis civitatibus, in quibus verbo sunt liberi omnes? ferunt enim suffragia, mandant inperia, magistratus, ambiuntur, rogantur, sed ea dant, quae, etiamsi nolint, danda sint, et quae ipsi non habent, unde alii petunt; sunt enim expertes imperii, consilii publici, iudicii delectorum iudicum, quae familiarum vetustatibus aut pecuniis ponderantur. In libero autem populo, ut Rhodi, ut Athenis, nemo est civium, qui . . .
31. (47) *** und so ist eben jeder Staat, wie entweder der Charakter oder der Wille desjenigen, der ihn regiert. Darum hat (im Grunde) die Freiheit in keinem anderen Staat ihre (eigentliche) Heimat, als wo das Volk der Souverän ist. Sie ist für den Menschen jedenfalls der süßeste Genuss; aber sie verdient diesen Namen nicht, wenn sie nicht mit Gleichheit (der Rechte) verbunden ist. Wie kann aber Gleichheit stattfinden, ich will nicht sagen, in einer Monarchie, wo die Sklaverei nicht einmal verschleiert oder zweifelhaft ist, sondern in solchen Staaten, in denen (zwar) den Worten nach alle frei sind; denn sie stimmen ab, übertragen Befehlshaberstellen und Ämter; man bewirbt sich bei ihnen und befragt sie um ihrer Ansicht; allein sie geben eigentlich nur, was sie geben müssen, auch wenn sie nicht wollen, und sind im Grunde nicht einmal im Besitz dessen, um was sie gebeten werden: denn sie sind ausgeschlossen von Befehlshabernstellen, von Sitz und Stimme im Senat, von Gerichtsstellen, wozu Richter gewählt werden; denn dazu gelangen nur solche, die durch das Alter ihrer Familien oder durch Geld ein Übergewicht haben. In einem freien Volk aber, wie in Rhodos, wie zu Athen, ist kein Bürger, der ***
32. (
48) . . . <in po>pulo aliquis unus pluresve divitiores opulentioresque extitissent, tum ex eorum fastidio et superbia nata esse commemorant cedentibus ignavis et inbecillis et adrogantiae divitum succumbentibus. Si vero ius suum populi teneant, negant quicquam esse praestantius, liberius, beatius, quippe qui domini sint legum, iudiciorum, belli, pacis, foederum, capitis unius cuiusque, pecuniae. Hanc unam rite rem publicam, id est rem populi, appellari putant. Itaque et a regum et a patrum dominatione solere in libertatem rem populi vindicari, non ex liberis populis reges requiri aut potestatem atque opes optimatium.
32. (48) *** wenn in einem Volk einer oder mehrere Reichere und Begütertere aufstanden, dann entwickelte sich aus ihrem Stolz gegen Geringere übermütige Anmaßung, indem die Feigen und Schwachen nachgaben und vor dem Hochmut der Reichen krochen. Verstehen aber die Völker, ihre Rechte zu behaupten, da erklären Sie sich in ihrem Selbstgefühl für die edelsten, freiesten und beglücktesten, da ja von ihrem Willen Gesetze, Gerichte, Krieg, Frieden, Bündnisse, Leben und Gut eines jeden abhängen. Dann allein erklären sie, verdiene ein Staat den Namen eines Gemeinwesens (res publica), das heißt einer Volkssache (res populi). Daher sagt man, ein Volk erkämpfte sich die Freiheit, wenn er sich von Königsherrschaft und Aristokratengewalt losmache; nie aber trachten freie Völker danach, Könige zu bekommen oder mächtige und einflussreiche aristokratische Häupter.
(
49) Et vero negant oportere indomiti populi
vitio genus hoc totum liberi populi repudiari, concordi populo et omnia referente ad incolumitatem et ad libertatem suam nihil esse inmutabilius, nihil firmius; facillimam autem in ea re publica esse concordiam, in qua idem conducat omnibus; ex utilitatis varietatibus, cum aliis aliud expediat, nasci discordias; itaque, cum patres rerum potirentur, numquam constitisse civitatis statum; multo iam id in regnis minus, quorum, ut ait Ennius, 'nulla <regni> sancta societas nec fides est.' Quare cum lex sit civilis societatis vinculum, ius autem legis aequale, quo iure societas civium teneri potest, cum par non sit condicio civium? Si enim pecunias aequari non placet, si ingenia omnium paria esse non possunt, iura certe paria debent esse eorum inter se, qui sunt cives in eadem re publica. Quid est enim civitas nisi iuris societas civium? . . .
(49) Zudem erklären sie, wenn auch ein zügelloses Volk Missgriffe tue, so müsse man darum nicht die freie Verfassung der Völker an sich verwerflich finden: nichts sei unerschütterlicher sicher, nichts fester, als ein Volk, das zusammenhalte, und dessen einziges Interesse seine Unversehrtheit und seine Freiheit sei; Eintracht aber erhalte sich am leichtesten in demjenigen Staat, in dem allen dasselbe Vorteile bringe, während ein geteiltes Interesse, wo dies diesem, jenes jenem fromme, die Quelle der Zwietracht sei. Darum habe auch, wann immer die Patrizier (oder der Senat) die ganze Macht in Händen gehabt hätten, der Staat nie auf festen Füßen gestanden. Noch weit weniger sei dies aber in Monarchieen der Fall, "wo ein Herrscher mit Königsgewalt keinen Nebenbuhler duldet, kein Teilnehmer an der Oberherrschaft vor dem anderen sicher ist", wie
Ennius sagt. Darum, weil das Gesetz das Band ist, das die bürgerliche Gesellschaft zusammenhält, das Recht aber, das jeder durch das Gesetz hat, allen gleich gilt, wie kann die bürgerliche Gesellschaft durch das Recht zusammengehalten werden, wenn die Bürger nicht alle gleiche Befugnis haben? Denn man kann auch keine Vermögensgleichheit einführen wollen, mögen die Talente unmöglich bei allen gleich sein können, so müssen doch wenigstens die gegenseitigen Rechte demjenigen gleich sein, die Bürger in einem und demselben Staat sind. Denn was ist ein Staat, als ein Verein (zum Genuss) gleiche Rechte? ***
Sententiae excerptae:Lat. zu "Cic" und "rep"
174
Talis est quaeque res publica, qualis eius aut natura aut voluntas, qui illam regit.
So ist jeder Staat, wie entweder der Charakter oder der Wille desjenigen, der ihn regiert.
Cic.rep.1,47
Literatur:zu "Cic" und "rep"
3357
Baier, Thomas
Cicero und Augustinus. Die Begründung ihres Staatsdenkens im jeweiligen Gottesbild
in: Gymn.109/2002, S.123-140
1008
Balzert, M.
Das 'Trojanische Pferd der Moral'. Die Gyges-Geschichte bei Platon und Cicero.
in: AU 39, 3/1996, 49-68
2618
Boissier, Gaston
Cicéron er ses amis. Étude sie la société du tempus de César.
Meisenheim (Olms, Reprint der Ausgabe Paris 1865) 1976
1009
Botermann, H.
Rechtsstaat oder Diktatur. Cicero und Caesar 46-44 v. Chr.
in: Klio 74 (1992) 179-196
1014
Büchner, K.
Somnium Scipionis und sein Zeitbezug
in: K.Büchner (Hg.): Studien zur .., S.148-172
683
Büchner, K.
Cicero. Bestand und Wandel seiner geistigen Welt
Heidelberg (Winter) 1964
684
Büchner, K.
M.Tullius Cicero. De re publica. Kommentar
Heidelberg 1984
1012
Büchner, K.
Die römische Republik im römischen Staatsdenken,
in: H.Oppermann (Hg.) (1), S.66
1013
Büchner, K.
Die beste Verfassung
in: K.Büchner (Hg.): Studien zur .., S.25-115
1015
Büchner, K.
Der Tyrann und sein Gegenbild in Ciceros "Staat"
in: K.Büchner (Hg.): Studien zur .., S.116-147
690
Christ, K.
Rez: Fuhrmann, M.: Cicero und die Römische Republik
in: GGA 243/1991,86
692
Christes, J.
Bemerkungen zu Cicero De rep. 1,60; 2,21-22; 2,30; 3,33
in: Gymn 96/1989
4584
Cicero, M.T. / O. Weissenfels
Auswahl aus Ciceros Philosophischen Schriften, hgg. v. Oskar Weissenfels. 3. Aufl. besorgt v. Paul Wessner
Leipzig, Berlin (Teubner) 1910
1017
Demandt, A.
Der Idealstaat. Die politischen Theorien der Antike
Köln 1993
1018
Demandt, A.
Cicero und die Res Publica
in: Demandt, A.: Der Idealstaat, Köln 1993, S.221ff
721
Diels, H.
Zu Aristotels' "Protreptikos" und Ciceros "Hortensius"
in: Moraux: Frühschr. Aristot. WBG 1975
473
Drumann, W. / Groebe, P.
Geschichte Roms in seinem Ãœbergang von der republikanischen zur monarchischen Verfassung, oder: Pompeius, Caesar, Cicero und ihre Zeitgenossen. (1-6)
Königsberg 1834-1844 / Leipzig 1899-1929 | Ndr.: Hildesheim (Olms) 1964
1019
Dyck, A.R.
On the interpretation of Cicero, De Republica
in: CQ 48.2 (1998) 564-568
3337
Forschner, M.
Naturrechtliche und christliche Grundlegung der Theorie des gerechten Krieges in der Antike (bei Cicero und Augustinus)
in: Gymn.111/2004, S.557-572
489
Fuhrmann, M.
Cicero und die römische Republik
Zürich (Artemis) 1989
496
Gelzer, M.
Cicero. Ein biographischer Versuch
Wiebaden (Steiner) 1969
500
Giebel, M.
Cicero
Reinbek (rm 261) 1989
506
Gigon, O.
Studien zu Ciceros De republica
in: Die antike Philosophie, Zürich 1977
519
Harder, R.
Ãœber Ciceros Somnium Scipionis. Zu Ciceros Rechtsphilosophie (de leg.1)
in: Kl.Schrft., München (Beck) 1960
522
Heck, E.
Bezeugung von Ciceros Schrift De re publica
Hildesheim (Olms, Spudasm. 04)
526
Heinze, R.
Ciceros "Staat" als politische Tendenzschrift
in: Vom Geist des.., Stuttgart 1960; in: Klein: Staatsd., WBG 1966 (WdF 46)
533
Hommel, H.
Zum Text von Cicero, De re publica
in: Gymn 62/1955,853
544
Klingner, F.
Cicero
in: Röm.Geisteswelt, München 1965
550
Kohl, H.
"Theorie" und "Praxis"in Ciceros "Somnium Scipionis"
in: AU XIII 1,46
551
Kohns, H.P.
Res publica - res populi (zu Cic. rep I 39) (Staatsdefinition)
in: Gymn 77/1970
558
Kumaniecki, K.
Cicerone e la crisi della repubblica romana. Traduz.di L.Constantini
Rom (Coll.Stud.Cic. 5) 1972
2885
Lehmann, Gustav Adolf
Politische Reformvorschläge in der Krise der späten römischen Republik. Cicero De legibus III und Sallusts Sendschreiben an Caesar.
Hain Verlag 1980
579
Meyerhöfer, H.
Platons Politeia - Ciceros De re publica. Versuch eines Vergleichs
in: Anr 33/4,1987,218
587
Ortmann, U.
Cicero, Brutus und Octavian. Republikaner u.Caesarianer..44/43v.Chr.
Bonn (Habelt) 1988
588
Pahnke, E.
Studien über Ciceros Kenntnis.. des Aristoteles u. Herkunft der Staatsdefinition
Diss. Freiburg 1962
590
Perlich, D.
Otium oder accedere ad rem publicam- ..polit.Betätigung bei Cicero
in: AU XIII 1,5
591
Pfaff, K.
De diversis manibus, quibus Ciceronis de rep.libr.in Vatic.corr.sunt
Heidelberg 1883
592
Pflips, H.
Ciceronachahmung und Ciceroferne d.jüngeren Plinius. Komm. Repetunden.
Bottrop 1973
593
Plasberg, O.
Cicero in seinen Werken und Briefen
Darmstadt (WBG) 1962
595
Plezia, M.
Spuren des >Politikos< des Aristoteles in Ciceros >De re publica<
in: Moraux: Frühschr. Aristot. WBG 1975
597
Pöschl, V.
Römischer Staat und griech. Staatsdenken bei Cicero. De re publica
Darmstadt (WBG) 1962
2220
Rauprich, Uwe
Medizinisches bei römischen Prosaschriftstellern aus der späten Republik und der frühen Kaiserzeit : Cicero, Seneca, Tacitus, Plinius, Sueton
2003
624
Schmidt, P.L.
Cicero und die republikanische Kunstprosa
in: Fuhrmann: HB Litwft.III, Ffm 1974
623
Schmidt, P.L.
Cicero "De re publica". Die Forschg. der letzten fünf Dezennien
in: ANRW I 4 (1973),262-333
628
Schmüdderich, L. ..
Einführung in Ciceros "De re publica"..Interpret.v. 1,36-45
in: AU VIII 5,23
630
Schönberger, O.
Cicero, De re publica. Entwurf einer Projektliste im LK Latein
in: Anr 18/1972,73
633
Schulte, H.K.
Cicero - Repräsentant des Römertums
in: AU V 3,37
636
Schwamborn, H.
Prudens - Gedanken zu Cicero, De re publica 2,64-70
in: AU XIII 1,17
1289
Schwamborn, H.
M. Tullius Cicero De Re Publica, vollständige Textausgabe und Kommentar.
Paderborn (Schönigh) o.J.
638
Seel, O.
Cicero. Wort, Staat, Welt
Stuttgart (Klett) 1967
640
Skutsch, O.
Cicero rep.1,71
in: Gymn 76/1969
641
Stark, R.
Ciceros Staatsdefinition
in: Klein: Staatsd., WBG 1966 (WdF 46)
663
Weische, A.
Plinius d.J. und Cicero zur röm.Epistolographie
in Rep.u.Kaiserzeit in: ANRW II 33,3
2019
Weische, A.
Plinius d. J. und Cicero. Untersuchungen zur römischen Epistolographie in Republik und Kaiserzeit
in: ANRW II.33.1 (1989) 375-386
669
Wübert, B.
Cicero Somnium Scipionis - Gedanken zur Sphärenharmonie
in: Anr 34/5,1988,298
- /Lat/cic_rep/Cic_rep147.php - Letzte Aktualisierung: 17.07.2024 - 15:58