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Marcus Tullius Cicero

Pro Sexto Rocio Amerino

Übersetzung nach C.N.v.Osiander

gehalten vor dem Prätor M.Fannius

 
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anmerk. Die Rede zur Verteidigung des Sextus Roscius ist Ciceros erste Rede in einem Kriminalprozess. Er hielt sie 80 v. Chr. im Alter von 27 Jahren. Die Rede hat eine starke und auch riskante politische Komponente. Sulla hatte zwei Jahre vorher über die Marianer gesiegt und hielt jetz in Rom alle Fäden in der Hand. Politische Gegner wurden auf die Proskriptionslisten gesetzt und verloren ihr Leben und Vermögen, das vielfach zu einem Schleuderpreis neue Besitzer fand. Der Vater des Angeklagten, wurde in verkehrter Abfolge zuerst ermordet, dann sein Name nachträglich auf die Proskripionsliste gesetzt. Sein Vermögen ging an Chrysogonus, einen Günstling Sullas, und an Verwandte des Ermordeten, die zuvor mit ihm verfeindet waren und mit Chrysogonus das Komplott geschmiedet hatten. Der Sohn des Ermordeten, eben Sextus Roscius, hatte sein Erbvermögen verloren; um jeden Anspruch von ihm abzuwehren klagt man ihn an, er habe seinen Vater ermordet.
M. TULLI CICERONIS
PRO SEX. ROSCIO AMERINO
ORATIO
M. TULLIUS CICEROS
REDE FÃœR SEXTUS ROSCIUS
AUS AMERIA
I. Exordium (1-14)
1-4: Zur Person des Redners
credo vos, iudices, mirari, quid sit, quod, cum tot summi oratores hominesque nobilissimi sedeant, ego potissimum surrexerim, is qui neque aetate neque ingenio neque auctoritate sim cum his, qui sedeant, comparandus.
Ihr wundert euch vielleicht, Richter, wie es kommt, dass, da so viele treffliche Redner und Männer aus den edelsten Geschlechtern hier sitzen, gerade ich mich erhebe, da ich mich doch weder an Alter, noch an Talent noch Ansehen mit denen, die hier sitzen, messen kann.
omnes hi, quos videtis adesse, in hac causa iniuriam novo scelere conflatam putant oportere defendi, defendere ipsi propter iniquitatem temporum non audent. ita fit, ut adsint propterea, quod officium sequuntur, taceant autem idcirco, quia periculum vitant.
Denn diese alle, die ihr bei dieser Gerichtsverhandlung anwesend erblickt, glauben, dass eine mit unerhörtem Frevel angelegte Rechtsverletzung abgewehrt werden muss, haben aber wegen der ungünstigen Zeitumstände nicht den Mut, jene selbst abzuwehren. Daher sind sie hier erschienen, weil sie ihrem Pflichtgefühl folgen, aber sie schweigen darum, weil sie Gefahr fürchten.
anmerk. Von den fünf genera einer Rede, die Cic.inv.1,20 aufzählt (genus honestum, admirabile, humile, anceps, obscurum), gehört diese Rede, wie ihre ersten fünf Worte und die ganze Anlage des Prooimion deutlich machen, zum genus admirabile.
quid ergo? audacissimus ego ex omnibus? minime! an tanto officiosior quam ceteri? ne istius quidem laudis ita sum cupidus ut aliis eam praereptam velim.
Wie nun? Wäre ich etwa der Mutigste von allen? Keineswegs! Aber übertreffe ich vielleicht die anderen umso mehr an menschenfreundlichem Eifer? Auch nach diesem Lob bin ich nicht so gierig, dass ich es vor anderen zu erhaschen wünschte.
quae me igitur res praeter ceteros impulit, ut causam Sex.Rosci reciperem? quia, si qui istorum dixisset, quos videtis adesse, in quibus summa auctoritas est atque amplitudo, si verbum de re publica fecisset, id, quod in hac causa fieri necesse est, multo plura dixisse, quam dixisset, putaretur.
Was ist es denn nun, das mich vor anderen bewog, die Verteidigung des Sextus Roscius zu übernehmen? Ich antworte: Wäre einer jener Männer von höchstem Ansehen und Rang, die ihr hier anwesend erblickt, aufgetreten, hätte er sich über die Lage des Staates geäußert, was bei diesem Rechtsfall unvermeidlich ist; so würde man seinen Worten eine viel größere Bedeutung unterlegen, als sie wirklich hätten.
 
ego autem si omnia, quae dicenda sunt libere dixero, nequaquam tamen similiter oratio mea exire atque in volgus emanare poterit.
Wenn aber ich auch alles, was zu sagen ist, freimütig anspreche, so wird doch mein Vortrag keineswegs auf gleiche Weise bekannt und unter der Menge verbreitet werden können.
deinde quod ceterorum neque dictum obscurum potest esse propter nobilitatem et amplitudinem neque temere dicto concedi propter aetatem et prudentiam, ego si quid liberius dixero, vel occultum esse propterea, quod nondum ad rem publicam accessi, vel ignosci adulescentiae meae poterit; tametsi non modo ignoscendi ratio verum etiam cognoscendi consuetudo iam de civitate sublata est.
Wenn sodann von den anderen keine Rede verborgen bleiben kann wegen ihrer Berühmtheit und ihres Ranges, und kein keckes Wort Nachsicht finden kann wegen ihres Alters und ihrer Klugheit, so wird dagegen, wofern ich mich etwas frei ausdrücke, dies darum, weil ich noch kein Staatsamt begleite, verborgen bleiben oder meiner Jugend zugute gehalten werden können, wiewohl nicht allein der Grundsatz nachsichtiger Beurteilung, sondern auch die Gewohnheit umsichtiger Untersuchung jetzt aus dem Staat verschwunden ist.
 
accedit illa quoque causa, quod a ceteris forsitan ita petitum sit, ut dicerent, ut utrumvis salvo officio se facere posse arbitrarentur; a me autem ei contenderunt, qui apud me et amicitia et beneficiis et dignitate plurimum possunt, quorum ego nec benevolentiam erga me ignorare nec auctoritatem aspernari nec voluntatem neglegere debebam.
Dazu kommt noch der Grund, dass vielleicht an die anderen die Bitte um ihren regnerischen Beistand so gestellt wurde, dass sie ihren Pflichten unbeschadet freie Wahl (der Bejahung oder Verweigerung) zu haben glaubten: während ich von solchen angesprochen wurde, deren Freundschaft, Wohltaten und Würde bei mir von größtem Gewicht sind, so dass ich weder ihr Wohlwollen gegen mich vergessen, noch ihr Ansehen unbeachtet, noch ihren Wunsch unberücksichtigt lassen darf.
 
his de causis ego huic causae patronus exstiti, non electus unus, qui maximo ingenio sed relictus ex omnibus, qui minimo periculo possem dicere, neque uti satis firmo praesidio defensus Sex. Roscius, verum uti ne omnino desertus esset.
Aus diesen Gründen trete ich als Anwalt in dieser Sache auf, nicht als wäre ich der einzige Auserwählte, der das größte Talent zu sprechen hätte, sondern als der letzte von allen, der es mit der geringsten Gefahr zu tun vermag: und nicht damit Sextus Roscius einen hinreichend starken Schutz in meiner Verteidigung finde, sondern damit er nicht ganz verlassen bleibe.
 
5-7a: Zur Sachlage
forsitan quaeratis, qui iste terror sit et quae tanta formido, quae tot ac talis viros impediat, quo minus pro capite et fortunis alterius, quem ad modum consuerunt, causam velint dicere.
Ihr fragt vielleicht, was das für Schreckbilder und Besorgnisse seien, die so viele und so tüchtige Männer abhalten, Leben und Gut eines andern nach ihrer Gewohnheit verteidigen zu wollen.
 
quod adhuc vos ignorare non mirum est, propterea quod consulto ab accusatoribus eius rei, quae conflavit hoc iudicium, mentio facta non est.
Es ist nicht zu verwundern, wenn ihr dies noch nicht wisst, da absichtlich von den Anklägern der Gegenstand, der diese Gerichtsverhandlung veranlasst hat, nicht erwähnt wurde.
 
quae res ea est? bona patris huiusce Sex. Rosci, quae sunt sexagiens, quae de viro fortissimo et clarissimo L. Sulla, quem honoris causa nomino, duobus milibus nummum sese dicit emisse adulescens vel potentissimus hoc tempore nostrae civitatis, L. Cornelius Chrysogonus.
Was ist es nun? Es sind die Güter des Vaters dieses Roscius, die 6 Millionen (Sestertien) wert sind: die Lucius Cornelius Chrysogonus, ein junger, jetzt in unserem Staat wohl sehr viel geltender Mann, von dem tapferen und erlauchten Lucius Sulla, dessen Namen ich mit Ehrerbietung nenne, angeblich für 2000 Sestertien gekauft hat.
is a vobis, iudices, hoc postulat, ut, quoniam in alienam pecuniam tam plenam atque praeclaram nullo iure invaserit, quoniamque ei pecuniae vita Sex. Rosci obstare atque officere videatur, deleatis ex animo suo suspicionem omnem metumque tollatis;
Dieser verlangt von euch, ihr Richter, dass ihr, weil er sich eines fremden, so reichen und ansehnlichen Vermögens widerrechtlich bemächtigt hat, und weil er meint, das Leben des Sextus Roscius stehe diesem Besitz im Wege, sein Gemüt aller Besorgnisse und Furcht entledigt:
sese hoc incolumi non arbitratur huius innocentis patrimonium tam amplum et copiosum posse obtinere, damnato et eiecto sperat se posse, quod adeptus est per scelus, id per luxuriam effundere atque consumere.
Solange der hier lebt, glaubt jener, den so großen und reichen Anteil dieses Unschuldigen nicht behaupten zu können; würde er aber verurteilt und aus der Welt verbannt, so hofft Chrysogonus, das, was er durch Frevel erworben hat, in Üppigkeit verzehren und verschwenden zu können.
hunc sibi ex animo scrupulum, qui se dies noctesque stimulat ac pungit ut evellatis, postulat, ut ad hanc suam praedam tam nefariam adiutores vos profiteamini.
Diesen Stachel, der ihn Tag und Nacht sticht und beunruhigt, sollt ihr, so wünscht er es, ihm aus dem Herzen reißen, ihr sollt euch als Helfer eines ruchlosen Raubes erklären.
 
si vobis aequa et honesta postulatio videtur, iudices, ego contra brevem postulationem adfero et, quo modo mihi persuadeo, aliquanto aequiorem.
Wenn euch, ihr Richter, diese Forderung billig und ehrsam scheinen sollte, so bringe ich dagegen eine kurze und, wie ich überzeugt bin, um vieles billigere Forderung.
 
7b-14: Zur Zuhörerschaft (13-14 Überleitung)
primum a Chrysogono peto, ut pecunia fortunisque nostris contentus sit, sanguinem et vitam ne petat;
Zuerst verlange ich von Chrysogonus, dass er sich mit unserem Geld und Vermögen begnüge und uns nicht auch Blut und Leben raube;
 
deinde a vobis, iudices, ut audacium sceleri resistatis, innocentium calamitatem levetis et in causa Sex. Rosci periculum, quod in omnis intenditur, propulsetis.
dann verlange ich von euch, ihr Richter, dass ihr euch dem Frevel jener Frechen widersetzt, dass ihr das Missgeschick der Unschuldigen erleichtert und in der Sache des Roscius eine Gefahr abwehrt, von der alle bedroht werden.
 
quod si aut causa criminis aut facti suspicio aut quaelibet denique vel minima res reperietur, quam ob rem videantur illi nonnihil tamen in deferendo nomine secuti, postremo si praeter eam praedam, quam dixi, quicquam aliud causae inveneritis, non recusamus, quin illorum libidini Sex. Rosci vita dedatur.
Wenn sich aber irgend ein Grund für die Anschuldigung oder ein Tatverdacht oder irgend ein auch noch so geringfügiger Umstand auffinden lässt, weshalb man glauben könnte, dass jene bei seiner Anklage denn doch einige Spuren vor sich gehabt hätten; endlich wenn ihr außer dem schon angeführten Raub irgend einen anderen Grund entdeckt, so bin ich nicht dagegen, das Leben des Sextus Roscius deren Willkür preiszugeben.
sin aliud agitur nihil, nisi ut eis ne quid desit, quibus satis nihil est, si hoc solum hoc tempore pugnatur, ut ad illam opimam praeclaramque praedam damnatio Sex. Rosci velut cumulus accedat, nonne cum multa indignatum vel hoc indignissimum est, vos idoneos habitos, per quorum sententias iusque iurandum id adsequantur, quod antea ipsi scelere et ferro adsequi consuerunt?
Wenn es aber nur darum geht, dass Leuten, die nie genug bekommen können, nichts abgeht, wenn es bei der jetzigen Auseinandersetzung nur darum geht, dass die Verurteilung des Sextus Roscius jenen reichen und herrlichen Raub vollends kröne, ist dann nicht neben so manchem Unwürdigen das zumeist Unwürdigste, dass man euch für fähig hält, durch eure Stimme und euren Eid das jenen zu verschaffen, was sie vorher selbst durch Frevel und Gewalt sich zu verschaffen gewohnt waren?
qui ex civitate in senatum propter dignitatem, ex senatu in hoc consilium delecti estis propter severitatem, ab his hoc postulare homines sicarios atque gladiatores, non modo ut supplicia vitent, quae a vobis pro maleficiis suis metuere atque horrere debent, verum etiam ut spoliis ex hoc iudicio ornati auctique discedant?
dass Meuchelmörder und Klopffechter von euch, die ihr aus der Bürgerschaft wegen eures Ansehens in den Senat, aus dem Senat wegen eurer Strenge zu dieser Beratung erkoren wurdet, dass sie von euch verlangen, nicht nur der Strafe zu entgehen, die sie für ihre Missetaten von euch fürchten und mit Entsetzen erwarten sollten, sondern sogar mit dem Raub des Sextus Roscius geschmückt und bereichert von dieser Gerichtssitzung wegzugehen?
 
his de rebus tantis tamque atrocibus neque satis me commode dicere neque satis graviter conqueri neque satis libere vociferari posse intellego.
Es ist mir bewusst, dass ich mich über eine so arge, so greuelhafte Sache nicht angemessen genug ausdrücken, mich nicht kräftig genug beschweren, nicht freimütig und laut genug meine Stimme erheben kann:
nam commoditati ingenium, gravitati aetas, libertati tempora sunt impedimento.
denn der Zweckmäßigkeit steht mein Talent, der Kraft meine Jugend, der Freimütigkeit die politische Lage entgegen.
huc accedit summus timor, quem mihi natura pudorque meus attribuit et vestra dignitas et vis adversariorum et Sex. Rosci pericula.
Dazu kommt noch meine äußerste Schüchternheit, mit der mich mein Charakter und meine Bescheidenheit erfüllen, dazu eure Würde, die Macht der Gegner und die Gefahren für Sextus Roscius.
quapropter vos oro atque obsecro, iudices, ut attente bonaque cum venia verba mea audiatis.
Daher bitte ich euch inständig, ihr Richter, dass ihr mit Aufmerksamkeit und gütiger Nachsicht meine Worte anhört.
 
fide sapientiaque vestra fretus plus oneris sustuli, quam ferre me posse intellego.
Im Vertrauen auf eure Redlichkeit und Weisheit habe ich eine größere Last auf mich genommen, als ich, dessen bin ich mir bewusst, tragen kann.
hoc onus si vos aliqua ex parte adlevabitis, feram, ut potero studio et industria, iudices;
Werdet ihr mir diese Last einigermaßen erleichtert, so will ich sie mit Eifer und Anstrengung tragen, so gut ich es vermag.
sin a vobis, id quod non spero, deserar, tamen animo non deficiam et id, quod suscepi, quoad potero, perferam.
Würde ich aber, was ich nicht hoffe, von euch verlassen, so werde ich meinen Mut doch nicht verlieren und, was ich auf mich genommen habe, so gut ich kann, zu Ende bringen.
quod si perferre non potero, opprimi me onere offici malo, quam id, quod mihi cum fide semel impositum est, aut propter perfidiam abicere aut propter infirmitatem animi deponere.
Wenn ich es aber nicht zu Ende bringen kann, so will ich lieber der Last meiner Pflicht unterliegen, als das, was mir einmal vertrauensvoll auferlegt ist, entweder treulos abschütteln oder mutlos niederlegen.
 
te quoque magno opere, M. Fanni, quaeso, ut, qualem te iam antea populoRomano praebuisti, cum huic eidem quaestioni iudex praeesses, talem te et nobis et rei publicae hoc tempore impertias.
Auch an dich, Markus Fannius, richte ich die dringende Bitte, dass du dich, so wie du dich schon früher dem römischen Volk als vorsitzender Richter bei eben dieser Untersuchung erwiesen hast, ebenso auch jetzt uns und dem römischen Volk widmest.
quanta multitudo hominum convenerit ad hoc iudicium, vides; quae sit omnium mortalium exspectatio, quae cupiditas, ut acria ac severa iudicia fiant, intellegis.
Du siehst, welche Menschenmenge zu dieser Verhandlung zusammengeströmt ist; du merkst, wie voll Erwartung jedermann ist, und wie sehr man wünscht, dass scharf und streng gerichtet werde.
longo intervallo iudicium inter sicarios hoc primum committitur, cum interea caedes indignissimae maximaeque factae sunt;
Seit langer Zeit ist dies die erste Gerichtsverhandlung, die wegen Meuchelmord angesetzt wurde, obwohl inzwischen die empörendsten und zahlreichsten Mordtaten vorgefallen sind.
omnes hanc quaestionem te praetore manifestis maleficiis cotidianoque sanguine dignissimam sperant futuram.
Alle hoffen, dass nun, da du Prätor bist, diese Untersuchung so geführt wird, wie es die offenkundigen Verbrechen und das täglich vergossene Blut in höchstem Maße verdienen.
 
qua vociferatione in ceteris iudiciis accusatores uti consuerunt, ea nos hoc tempore utimur, qui causam dicimus.
Den Hilfeschrei, den bei anderen Verhandlungen sonst die Ankläger vernehmen lassen, lasse ich jetzt als Verteidiger erschallen.
petimus abs te, M. Fanni, a vobisque, iudices, ut quam acerrime maleficia vindicetis, ut quam fortissime hominibus audacissimis resistatis, ut hoc cogitetis:
Ich verlange von dir, Marcus Fannius, und von euch, ihr Richter, dass ihr die Verbrechen mit größter Strenge rügt, dass ihr den überfrechen Menschen möglichst entschlossen Widerstand leistet und Folgendes bedenkt:
nisi in hac causa, qui vester animus sit, ostendetis, eo prorumpere hominum cupiditatem et scelus et audaciam, ut non modo clam, verum etiam hic in foro ante tribunal tuum, M. Fanni, ante pedes vestros, iudices, inter ipsa subsellia caedes futurae sint.
Wenn ihr in dieser Sache nicht euere Gesinnung kundgebt, so wird die Habgier, der Frevel, die Frechheit der Menschen so sehr alle Schranken durchbrechen, dass nicht etwa nur heimlich, sondern hier auf dem Forum vor deinem Richterstuhl, Marcus Fannius, vor euren Füßen, ihr Richter, und innerhalb dieser Bänke Mord und Todschlag stattfinden.
 
etenim quid aliud hoc iudicio temptatur, nisi ut id fieri liceat?
Denn was anderes bezweckt man mit diesem Rechtshandel, als dass solche Dinge erlaubt werden sollen?
accusant ei, qui in fortunas huius invaserunt, causam dicit is, cui praeter calamitatem nihil reliquerunt;
Ankläger sind diejenigen, die sich des Vermögens dieses Mannes bemächtigt hat; Beklagter ist der, dem sie nichts als Elend übrig gelassen haben.
accusant ei, quibus occidi patrem Sex. Rosci bono fuit, causam dicit is, cui non modo luctum mors patris attulit, verum etiam egestatem;
Ankläger sind diejenigen, denen der Mord am Vaters des Sextus Roscius Vorteil brachte; Beklagter ist der, den der Tod seines Vaters nicht nur in Trauer, sondern auch in Armut stürzte.
accusant ei, qui hunc ipsum iugulare summe cupierunt, causam dicit is, qui etiam ad hoc ipsum iudicium cum praesidio venit, ne hic ibidem ante oculos vestros trucidetur;
Ankläger sind die, die nichts sehnlicher wünschten, als eben diesen Mann auch umzubringen; Beklagter ist der, der bei diesem Prozess selbst mit einer Leibwache erscheint, um nicht eben hier vor euren Augen gemordet zu werden.
denique accusant ei, quos populus poscit, causam dicit is, qui unus relictus ex illorum nefaria caede restat.
Endlich sind Ankläger die, die das Volk vor Gericht fordert; Beklagter ist der, der sich als einziger aus ihren verruchten Mörderhänden noch retten konnte.
 
atque ut facilius intellegere possitis, iudices, ea, quae facta sunt, indigniora esse quam haec sunt, quae dicimus, ab initio res, quem ad modum gesta sit, vobis exponemus, quo facilius et huius hominis innocentissimi miserias et illorum audacias cognoscere possitis et rei publicae calamitatem.
Damit ihr nun umso leichter begreift, dass, was geschehen ist, noch weit empörender ist, als was ich sage, so will ich euch den Verlauf der Sache von Anfang an darlegen, damit ihr das Unglück dieses ganz schuldlosen Mannes, und die Frechheit jener Menschen, und den Notstand des Staates umso leichter erkennt.
 
II. Narratio (15-29)
15-18: ante mortem: Charakter und Lebensumstände des Ermordeten
Sex. Roscius, pater huiusce, municeps Amerinus fuit, cum genere et nobilitate et pecunia non modo sui municipi verum etiam eius vicinitatis facile primus, tum gratia atque hospitiis florens hominum nobilissimorum.
Sextus Roscius, der Vater dieses Mannes hier, Bürger der Freistadt Ameria, war durch Abkunft, Ansehen, Vermögen nicht nur in seiner freien Vaterstadt, sondern auch in der dortigen Nachbarschaft wohl gewiss der erste Mann; er war aber auch durch die Gunst und Gastfreundschaft der angesehensten Männer ausgezeichnet.
nam cum Metellis, Serviliis, Scipionibus erat ei non modo hospitium verum etiam domesticus usus et consuetudo, quas, ut aequum est, familias honestatis amplitudinisque gratia nomino.
Denn mit den Metellern, Serviliern, Scipionen (Häusern, die ich ihres Ansehens wegen mit achtungsvoller Erwähnung nenne, verband ihn nicht nur ein Gastverhältnis, sondern auch häuslicher vertrauter Umgang.
itaque ex suis omnibus commodis hoc solum filio reliquit; nam patrimonium domestici praedones vi ereptum possident, fama et vita innocentis ab hospitibus amicisque paternis defenditur.
Er hat nun von allen Vorteilen seiner Lage diesen einzigen seinem Sohn hinterlassen. Denn das Erbgut haben die Plünderer seines Hauses ihm mit Gewalt entrissen und besitzen es; der Ruf aber und das Leben dieses Unschuldigen wird von den Gastfreunden und persönlichen Freunden seines Vaters verteidigt.
 
hic cum omni tempore nobilitatis fautor fuisset, tum hoc tumultu proximo, cum omnium nobilium dignitas et salus in discrimen veniret, praeter ceteros in ea vicinitate eam partem causamque opera, studio, auctoritate defendit.
Dieser war nicht allein von jeher der Partei des Adels zugetan, sondern er verteidigte auch besonders in den letzten Unruhen, wo das Ansehen und die Existenz aller Edlen bedroht war, ihre Partei und Sache mehr als alle anderen in dieser Umgebung durch tatkräftigen Einsatz, Eifer und Beispiel.
etenim rectum putabat pro eorum honestate se pugnare, propter quos ipse honestissimus inter suos numerabatur.
Denn er achtete es für recht, deren Ehre persönlich zu verfechten, durch die er als der Ehrenvollste unter den Seinigen galt.
postea quam victoria constituta est ab armisque recessimus, cum proscriberentur homines atque ex omni regione caperentur ei, qui adversarii fuisse putabantur, erat ille Romae frequens atque in foro et in ore omnium cotidie versabatur, magis ut exsultare victoria nobilitatis videretur, quam timere, ne quid ex ea calamitatis sibi accideret.
Nachdem der Sieg entschieden war und wir die Waffen niedergelegt hatten, als Leute geächtet und in allen Gegenden diejenigen, die für feindlich gesinnt galten, festgenommen wurden, hielt jener sich oft in Rom auf und ging täglich auf dem Forum vor aller Augen umher, so dass er eher über den Sieg des Adels zu frohlocken schien, als zu fürchten, dass dieser für ihn nachteilige Folgen haben könnte.
 
erant ei veteres inimicitiae cum duobus Rosciis Amerinis, quorum alterum sedere in accusatorum subselliis video, alterum tria huiusce praedia possidere audio;
Er stand von alters her in feindseligen Verhältnissen zu den beiden Rosciern von Ameria, von denen ich den einen auf den Bänken der Ankläger sitzen sehe; der andere hat, wie ich höre, drei Landgüter dieses Mannes im Besitz.
quas inimicitias si tam cavere potuisset, quam metuere solebat viveret. neque enim, iudices, iniuria metuebat.
Hätte er sich vor dieser Feindschaft ebenso gut zu hüten gewusst, wie er sie zu fürchten pflegte, so würde er noch leben; denn er hatte, ihr Richter, guten Grund, sie zu fürchten.
nam duo isti sunt T. Roscii, quorum alteri Capitoni cognomen est, iste, qui adest, Magnus vocatur, homines eius modi:
Denn jene beiden Titus Roscius, wovon der eine Capito, der andere hier anwesende Magnus zubenannt wird, sind Leute von solchem Charakter:
alter plurimarum palmarum vetus ac nobilis gladiator habetur, hic autem nuper se ad eum lanistam contulit, quique ante hanc pugnam tiro esset, quod sciam, facile ipsum magistrum scelere audaciaque superavit.
der eine gilt als altgedienter und namhafter Schwerkämpfer, der manchen Kranz errungen hat; der hier aber ist erst jüngst zu jenem Fechtmeister in die Lehre gegangen, und hat, obwohl er vor diesem Kampf ein Neuling in seiner Kunst war, doch seinen Meister an frechem Frevel leicht übertroffen.
 
nam cum hic Sex. Roscius esset Ameriae, T. autem iste Roscius Romae, cum hic filius adsiduus in praediis esset cumque se voluntate patris rei familiari vitaeque rusticae dedisset, ipse autem frequens Romae esset, occiditur ad balneas Pallacinas rediens a cena Sex. Roscius.
Denn während dieser Sextus Roscius sich zu Ameria befand, jener Titus Roscius (Magnus) aber in Rom war, während der Sohn hier sich beständig auf den Gütern aufhielt und sich nach dem Wunsch seines Vaters dem Hauswesen und dem Landleben widmete, jener hingegen häufig in Rom war, wird Sextus Roscius, als er von einem Mahl nach Hause zurückgehen wollte, bei den pallacinischen Bädern ermordet.
spero ex hoc ipso non esse obscurum, ad quem suspicio malefici pertineat; verum id, quod adhuc est suspiciosum, nisi perspicuum res ipsa fecerit, hunc adfinem culpae iudicatote.
Ich hoffe, es wird gerade daraus einleuchten, wen der Tatverdacht trifft. Doch wenn die Sache selbst das, was noch bloßer Verdacht ist, nicht gänzlich klar macht, so möget ihr den hier als der Schuld verdächtig ansehen.
 
19-28: post mortem: Ereignisse nach der Ermordung
occiso Sex. Roscio primus Ameriam nuntiat Mallius Glaucia quidam, homo tenuis, libertinus, cliens et familiaris istius T. Rosci.
Nach Ermordung des Sextus Roscius, meldet es in Ameria als erster ein gewisser Mallius Glaucia, ein gemeiner Mann, ein freigelassener Klient und Hausfreund jenes Titus Roscius.
et nuntiat domum non fili sed T. Capitonis inimici; et cum post horam primam noctis occisus esset, primo diluculo nuntius hic Ameriam venit;
Aber er meldet es im Haus nicht des Sohnes, sondern seines Feindes, Titus (Roscius) Capito; und da der Mord nach der ersten Stunde der Nacht vorgefallen war, so brachte er die Nachricht davon schon mit Anbruch der Dämmerung nach Ameria.
decem horis nocturnis sex et quinquaginta milia passuum cisiis pervolavit, non modo ut exoptatum inimico nuntium primus adferret, sed etiam cruorem inimici quam recentissimum telumque paulo ante e corpore extractum ostenderet.
In zehn Stunden der Nacht durchflog er auf einem zweirädrigen Wagen 56 Meilen (28 km), nicht allein um zuerst die dem Feind erwünschte Nachricht zu überbringen, sondern auch das noch ganz frische Blut des Feindes und den kurz zuvor aus seinem Leichnam gezogenen Dolch zu zeigen.
 
quadriduo, quo haec gesta sunt, res ad Chrysogonum in castra L. Sullae Volaterras defertur; magnitudo pecuniae demonstratur; bonitas praediorum — nam fundos decem et tris reliquit qui Tiberim fere omnes tangunt — huius inopia et solitudo commemoratur;
Vier Tage nach dem Vorfall wird der Vorfall dem Chrysogonus nach Volaterrae in Lucius Sullas Lager gemeldet. Die Größe des Vermögens wird ihm dargelegt: die Vorzüglichkeit der Ländereien (denn jener hat 13 Landgüter, fast alle am Tiber gelegen, hinterlassen); auf dessen Hilflosigkeit und verlassene Lage wird verwiesen.
demonstrant, cum pater huiusce Sex. Roscius, homo tam splendidus et gratiosus, nullo negotio sit occisus, perfacile hunc hominem incautum et rusticum et Romae ignotum de medio tolli posse; ad eam rem operam suam pollicentur.
Man macht ihm klar: da der Vater des Beklagten, Sextus Roscius, ein so angesehener und überall beliebter Mann, ohne Schwierigkeiten ermordet worden sei, so werde auch der da, einen arglosen Landmann, der in Rom unbekannt sei, leicht aus dem Weg geräumt werden können. Dazu versprechen sie ihre Hilfe.
 
ne diutius teneam, iudices, societas coitur. cum nulla iam proscriptionis mentio fieret, cum etiam, qui antea metuerant, redirent ac iam defunctos sese periculis arbitrarentur, nomen refertur in tabulas Sex. Rosci, hominis studiosissimi nobilitatis;
Kurz, ihr Richter, ihr Bund wird geschlossen. Als bereits niemand mehr an Ächtungen dachte, und sogar solche, die sich früher fürchten mussten, heimkehrten und glaubten, die Gefahren überstanden zu haben, da wird der Name des Sextus Roscius, des eifrigsten Anhängers der Adelspartei, auf die Liste gesetzt.
manceps fit Chrysogonus; tria praedia vel nobilissima Capitoni propria traduntur, quae hodie possidet;
Als Güterkäufer tritt Chrysogonus auf. Drei Landgüter, gerade die vorzüglichsten, werden dem Capito als Eigentum zugeteilt, die er noch im Besitz hat.
in reliquas omnis fortunas iste T. Roscius nomine Chrysogoni, quem ad modum ipse dicit, impetum facit. haec omnia, iudices, imprudente L. Sulla facta esse certo scio.
Über das gesamte übrige Vermögen fiel in Chrysogonus' Namen jener Titus Roscius her, wie es selbst gesteht. Dass dies alles, ihr Richter, ohne Vorwissen des Lucius Sulla geschah, weiß ich bestimmt.
 
neque enim mirum, cum eodem tempore et ea, quae praeterita sunt, reparet et ea, quae videntur instare, praeparet, cum et pacis constituendae rationem et belli gerendi potestatem solus habeat, cum omnes in unum spectent, unus omnia gubernet, cum tot tantisque negotiis distentus sit, ut respirare libere non possit, si aliquid non animadvertat, cum praesertim tam multi occupationem eius observent tempusque aucupentur, ut, simul atque ille despexerit, aliquid huiusce modi moliantur.
Es ist ja auch nicht verwuderlich, wenn etwas von ihm unbemerkt bleibt, da er zugleich die Vergangenheit herstellt und die mögliche Zukunft vorbereitet, da er allein die Sorge für die Herstellung des Friedens und die Gewalt der Kriegsführung trägt, da alle auf ihn allein sehen, er allein alles leitet, da er sich unter so viele und so wichtige Geschäfte teilen muss, dass er nicht frei atmen kann, zumal da so viele die Zeit beobachten, wo er beschäftigt ist, und auf den Augenblick lauern, um etwas von der Art durchzusetzen, sobald er das Auge abwendet.
huc accedit quod, quamvis ille felix sit, sicut est, tamen in tanta felicitate nemo potest esse in magna familia, qui neminem neque servum neque libertum improbum habeat.
Dazu kommt: obwohl er der Glückliche heißt, wie er es denn wirklich ist, kann es doch wohl ungeachtet eines so großen Glücks niemanden geben, der bei einer zahlreichen Dienerschaft nicht einen schlechten Sklaven oder Freigelassenen hätte.
 
interea iste T. Roscius, vir optimus, procurator Chrysogoni, Ameriam venit, in praedia huius invadit, hunc miserum, luctu perditum, qui nondum etiam omnia paterno funeri iusta solvisset, nudum eicit domo atque focis patriis disque penatibus praecipitem, iudices, exturbat, ipse amplissimae pecuniae fit dominus.
Unterdessen kommt jener höchst ehrenwerte Titus Roscius, der Geschäftsführer des Chrysogonus, nach Ameria und bricht in die Landgüter ein, die diesem gehören: er wirft diesen unglücklichen, von Trauer überwältigten Mann, der dem Leichnam seines Vaters noch nicht einmal alle Ehren erwiesen hatte, nackt aus seinem Haus, stößt ihn, ihr Richter, vom väterlichen Herd und von den Penaten jählings fort und nimmt selbst Besitz von dem höchst ansehnlichen Vermögen.
qui in sua re fuisset egentissimus, erat, ut fit, insolens in aliena;
Er, der in seinem eigenen Haus bitter arm war, benahm sich in dem fremden, wie es zu gehen pflegt, übermütig.
multa palam domum suam auferebat, plura clam de medio removebat, non pauca suis adiutoribus large effuseque donabat, reliqua constituta auctione vendebat.
Vieles ließ er öffentlich in sein Haus bringen; noch mehr schaffte er heimlich auf die Seite. Nicht weniges schenkte er mit reichlicher Verschwendung seinen Helfern, das übrigens verkauft er in einer angesetzten Versteigerung.
 
quod Amerinis usque eo visum est indignum, ut urbe tota fletus gemitusque fieret.
Dies schien den Bewohnern von Ameria so empörend, dass man in der ganzen Stadt Seufzen und Wehklagen hörte.
etenim multa simul ante oculos versabantur: mors hominis florentissimi, Sex. Rosci, crudelissima, fili autem eius egestas indignissima, cui de tanto patrimonio praedo iste nefarius ne iter quidem ad sepulcrum patrium reliquisset, bonorum emptio flagitiosa, possessio, furta, rapinae, donationes.
Denn so vieles zumal schwebte ihnen vor Augen: der so grausamen Tod des wohlhabendsten Mannes, Sextus Roscius; die so unverdiente Armut seines Sohnes, dem ja der verruchte Räuber nicht einmal so viel übrig gelassen hatte, dass er zum Begräbnis seines Vaters reisen konnte; der frevelhafte Güterverkauf, die Besitznahme, die Diebstähle, die Räubereien, die Schenkungen.
nemo erat, qui non ardere omnia mallet quam videre in Sex. Rosci, viri optimi atque honestissimi, bonis iactantem se ac dominantem T. Roscium.
Da war niemand, der nicht lieber gewünscht hätte, dass alles in Flammen aufgehe, als den Titus Roscius im Besitztum des rechtschaffensten und achtbarsten Mannes, des Sextus Roscius, sich herrisch brüsten zu sehen.
 
itaque decurionum decretum statim fit, ut decem primi proficiscantur ad L. Sullam doceantque eum, qui vir Sex. Roscius fuerit, conquerantur de istorum scelere et iniuriis, orent, ut et illius mortui famam et fili innocentis fortunas conservatas velit.
Daher wurde von den Decurionen sogleich beschlossen, die zehn Ersten sollten zu Lucius Sulla reisen und ihm vorstellen, was für ein Mann Sextus Roscius gewesen sei: sie sollten sich über den Frevel und die Rechtsverletzungen der anderen beschweren und bitten, er möge die Ehre des Verstorbenen und das Vermögen des unschuldigen Sohnes schützen.
atque ipsum decretum, quaeso, cognoscite.
DECRETVM DECVRIONVM.
Nehmt bitte den Beschluss selbst zur Kenntnis.
Beschluss der Decurionen.
legati in castra veniunt. intellegitur, iudices, id, quod iam ante dixi, imprudente L.Sulla scelera haec et flagitia fieri.
Die Gesandten kommen ins Lager. Man sieht nun deutlich, ihr Richter, was ich schon oben bemerkt habe, dass diese Frevel und Verbrechen ohne Vorwissen Sullas geschehen sind.
nam statim Chrysogonus et ipse ad eos accedit et homines nobilis adlegat, qui peterent, ne ad Sullam adirent, et omnia Chrysogonum, quae vellent esse facturum, pollicerentur.
Denn augenblicklich b sich Chrysogonus selbst an sie heran und schickt auch angesehene Männer zu ihnen, mit der Bitte, nicht zu Sulla zu kommen; sie sollten versprechen, Chrysogonus werde alle Ihre Wünsche erfüllen.
 
Usque adeo autem ille pertimuerat, ut mori mallet quam de his rebus Sullam doceri.
Er war so sehr in Angst geraten, dass er lieber sterben, als Sulla von jenen Sachen in Kenntnis gesetzt wissen wollte.
homines antiqui, qui ex sua natura ceteros fingerent, cum ille confirmaret sese nomen sex. Rosci de tabulis exempturum, praedia vacua filio traditurum, cumque id ita futurum T. Roscius Capito, qui in decem legatis erat, appromitteret, crediderunt;
Da er nun versicherte, dass er den Namen des Sextus Roscius aus der Liste ausstreichen und seine Güter räumen und dem Sohn übergeben werde, und da Titus Roscius Capito, der unter den zehn Gesandten war, noch dazu sich verbürgte, dass dies geschehen werde, so glaubten es diese als Leute von alter Weise, weil sie sich andere nach ihrer eigenen Gemütsart dachten;
Ameriam re inorata reverterunt.
und so kehrten sie, ohne ihre Sache vorgetragen zu haben, nach Ameria zurück.
ac primo rem differre cotidie ac procrastinare isti coeperunt, deinde aliquanto lentius nihil agere atque deludere, postremo, id, quod facile intellectum est, insidias vitae huiusce Sex. Rosci parare neque sese arbitrari posse diutius alienam pecuniam domino incolumi obtinere.
Und nun begannen jene damit, die Sache Tag für Tag hinauszuschieben und zu verzögern. Dann wurden sie immer zögerlicher: Sie taten nichts in der Sache und trieben nur ihren Spott. Endlich stellten sie, wie man leicht merkte, diesem Sextus Roscius nach dem Leben; sie waren überzeugt, sie könnten, solange der Eigentümer lebe, fremdes Gut nicht länger behaupten.
 
quod hic simul atque sensit, de amicorum cognatorumque sententia Romam confugit et sese ad Caeciliam, Nepotis sororem, Baliarici filiam, quam honoris causa nomino, contulit, qua pater usus erat plurimum; in qua muliere,iudices, etiam nunc, id quod omnes semper existimaverunt, quasi exempli causa vestigia antiqui offici remanent.
Sobald er dies merkte, floh er auf den Rat seiner Freunde und Verwandten nach Rom und begab sich zu Cäcilia, der Schwester des Nepos und Tochter des Balaricus, die ich mit Hochachtung nenne, mit der sein Vater häufigen Umgang gepflegt hatte, einer Frau, die, wie von jeher die ganze Welt von ihr urteilte, auch jetzt noch, ihr Richter, die Überreste der Pflichttreue aus der guten alten Zeit, gleichsam um uns ein Beispiel zu geben, bewahrte.
ea Sex. Roscium inopem, eiectum domo atque expulsum ex suis bonis, fugientem latronum tela et minas recepit domum hospitique oppresso iam desperatoque ab omnibus opitulata est.
Sie war es, die den hilflosen Sextus Roscius, der aus seinem Haus verstoßen und aus seinen Besitzungen vertrieben war und vor den Waffen und Drohungen der Räuber Zuflucht suchte, in ihr Haus aufnahm und dem schon zu Boden gedrückten, von aller Welt aufgegebenen Gastfreund Hilfe gewährte.
eius virtute, fide, diligentia factum est, ut hic potius vivus in reos quam occisus in proscriptos referretur.
Durch ihre Tugend, Treue und Bemühung geschah das, dass dieser Mann nicht als gemordet auf die Liste der Geächteten, sondern lebend auf die der Beklagten gesetzt wurde.
 
nam postquam isti intellexerunt summa diligentia vitam Sex. Rosci custodiri neque sibi ullam caedis faciendae potestatem dari, consilium ceperunt plenum sceleris et audaciae, ut nomen huius de parricidio deferrent, ut ad eam rem aliquem accusatorem veterem compararent, qui de ea re posset dicere aliquid, in qua re nulla subesset suspicio, denique ut, quoniam crimine non poterant, tempore ipso pugnarent.
Denn als jene Menschen sahen, dass das Leben des Sextus Roscius mit der größten Aufmerksamkeit bewacht werde, und sie keine Gelegenheit fanden, den Mord zu vollziehen, so ersannen sie den höchst frevelhaften und frechen Plan, diesen als Vatermörder anzuklagen und dazu irgend einen alten Ankläger zu werben, der auch in einer Sache, wo gar kein Verdachtsgrund wäre, etwas vorzubringen wisse, endlich, weil sie durch ihre Beschuldigungen nichts vermochten, die Zeit selbst als Waffe zu gebrauchen.
ita loqui homines: quod iudicia tam diu facta non essent, condemnari eum oportere, qui primus in iudicium adductus esset; huic autempatronos propter Chrysogoni gratiam defuturos; de bonorum venditione et de ista societate verbum esse facturum neminem; ipso nomine parricidi et atrocitate criminis fore, ut hic nullo negotio tolleretur, cum ab nullo defensus esset.
Es sagten daher diese Leute, weil so lange kein Gericht gehalten worden sei, müsse man den, der zuerst vor Gericht gestellt werde, verurteilen. Diesem aber werde es wegen der Gunst des Chrysogonus an Beschützern fehlen; den Güterverkauf und jene Genossenschaft werde wohl niemand erwähnen; schon das Wort Vatermord und das Empörende des vorgeworfenen Verbrechens werde es möglich machen, diesen, da er von niemandem verteidigt werde, ohne Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.
 
hoc consilio atque adeo hac amentia impulsi, quem ipsi, cum cuperent, non potuerunt occidere, eum iugulandum vobis tradiderunt.
Dieser Plan, ja diese Verrücktheit brachte sie dazu, denjenigen, den sie, so sehr sie es wünschten, nicht ermorden konnten, euch zum Hinschlachten zu überliefern.
 
Egressio (29-34): Zusammenfassung, exemplum, Ãœberleitung
quid primum querar aut unde potissimum, iudices, ordiar aut quod aut a quibus auxilium petam?
Worüber, ihr Richter, soll ich zuerst klagen? Womit soll ich eigentlich beginnen? Welche Hilfe und von wem soll ich sie erbitten?
 
deorumne immortalium, populine Romani, vestramne, qui summam potestatem habetis, hoc tempore fidem implorem?
Soll ich den Schutz der unsterblichen Götter oder des Römischen Volkes oder den eurigen, die ihr hier entscheidende Gewalt habt, in dieser Lage anflehen?
 
pater occisus nefarie, domus obsessa ab inimicis, bona adempta, possessa, direpta, filivita infesta, saepe ferro atque insidiis appetita.
Der Vater ist freventlich ermordet, das Haus von den Gegnern umlagert, die Güter weggenommen, besetzt, geplündert; des Sohnes Leben gefährdet und oft vom Mordstahl und von Nachstellungen bedroht!
quid ab his tot maleficiis sceleris abesse videtur? tamen haec aliis nefariis cumulant atque adaugent, crimen incredibile confingunt, testis in hunc et accusatores huiusce pecunia comparant;
Sollte man denken, dass die Missetaten des Verbrechens noch höher getrieben werden könnten? Und doch erhöhen und krönen sie diese noch durch andere Frevel: sie erdichten ein unglaubliches Verbrechen; Zeugen und Ankläger dingen sie gegen diesen mit seinem eigenen Geld;
hanc condicionem misero ferunt, ut optet, utrum malit cervices T. Roscio dare an insutus in culleum per summum dedecus vitam amittere.
sie stellen den Unglücklichen in den Wechselfall, dass er wählen soll, ob er lieber dem Roscius den Nacken darbieten oder in einen Sack genäht auf das schmählichste das Leben verlieren soll.
patronos huic defuturos putaverunt; desunt; qui libere dicat, qui cum fide defendat, id quod in hac causa satis est, non deest profecto, iudices.
Sie haben gedacht, es werde dem Beklagten an Verteidigern fehlen: Sie fehlen; doch fehlt es ihm fürwahr nicht an einem freimütigen und redlichen Verteidiger, ihr Richter, was in dieser Sache genug ist.
 
et forsitan in suscipienda causa temere impulsus adulescentia fecerim; quoniam quidem semel suscepi, licet hercules undique omnes minae et terrores periculaque impendeant omnia, succurram ac subibo.
Und mag ich auch verleitet durch meine Jugend bei der Übernahme dieser Sache unbesonnen gehandelt haben, mögen auch in der Tat alle Schrecken und alle Gefahren mich umdrohen, ich habe die Sache nun einmal übernommen, ich will mich ihnen unterziehen und ihm beistehen.
certum est deliberatumque, quae ad causam pertinere arbitror, omnia non modo dicere, verum etiam libenter, audacter libereque dicere;
Fest steht mein Entschluss, alles, was nach meiner Ansicht zur Sache gehört, nicht nur zu sagen, sondern auch willig, mutig und frei zu sagen.
nulla res tanta exsistet, iudices, ut possit vim mihi maiorem adhibere metus quam fides.
Keine Rücksicht von solchem Gewicht wird eintreten, ihr Richter, dass die Furcht mehr über mich vermag als die Pflichttreue.
 
etenim quis tam dissoluto animo est, qui, haec cum videat, tacere ac neglegere possit?
Denn wer wäre so gleichgültig, dass er bei einem solchen Anblick schweigen oder darüber hinweggehen könnte.
patrem meum, cum proscriptus non esset, iugulastis, occisum in proscriptorum numerum rettulistis, me domo mea per vim expulistis, patrimonium meum possidetis.
Meinen Vater habt ihr, obwohl er nicht geächtet war, gemordet; den Gemordeten habt ihr auf die Liste der Geächteten gesetzt; mich habt ihr mit Gewalt aus meinem Haus vertrieben; mein Erbteil habt ihr in Besitz genommen.
quid voltis amplius? etiamne ad subsellia cum ferro atque telis venistis, ut hic aut iuguletis aut condemnetis?
Was wollt ihr mehr? Seid ihr auch noch zu diesen Bänken mit Schwert und Speer gekommen, um hier den Sextus Roscius entweder hinzuschlachten oder zu verdammen?
 
hominem longe audacissimum nuper habuimus in civitate, C. Fimbriam, et, quod inter omnis constat, nisi inter eos, qui ipsi quoque insaniunt, insanissimum.
Wir hatten vor kurzem noch unter unseren Mitbürgern einen höchst dreisten und, was alle, die nicht selbst wahnwitzig sein, zugeben, ganz wahnwitzigen Menschen, den Gaius Fimbria.
is cum curasset in funere C. Mari, ut Q. Scaevola volneraretur, vir sanctissimus atque ornatissimus nostrae civitatis, de cuius laude neque hic locus est, ut multa dicantur neque plura tamen dici possunt, quam populus Romanus memoria retinet; diem Scaevolae dixit, postea quam comperit eum posse vivere.
Dieser hatte dafür gesorgt, dass bei der Leichenfeier des Gaius Marius, Quintus Scaevola, der tadelloseste und angesehenste Mann im Staat, verwundet wurde. Von dessen Lob vieles zu sagen ist hier nicht der Ort; allerdings könnte man darüber auch nicht mehr sagen, als das römische Volk im Gedächtnis bewahrt. Nachher lud Fimbria noch den Scaevola vor Gericht, als er hörte, dass er mit dem Leben davonkommen könne.
cum ab eo quaereretur, quid tandem accusaturus esset eum, quem pro dignitate ne laudare quidem quisquam satis commode posset, aiunt hominem, ut erat furiosus, respondisse: quod non totum telum corpore recepisset.
Als man ihn nun fragte, warum er eigentlich einen Mann anklagen wolle, den niemand seinem Verdienst gemäß genug loben könne, soll der Rasende in seiner Wut geantwortet haben, weil er die Mordwaffe nicht tief genug in seinen Körper habe eindringen lassen.
quo populus Romanus nihil vidit indignius, nisi eiusdem viri mortem, quae tantum potuit, ut omnis occisus perdiderit et adflixerit; quos quia servare per compositionem volebat, ipse ab eis interemptus est.
So Empörendes hat das römische Volk nichts erlebt, als den Tod eben dieses Mannes, (ein Tod,) der von solcher Bedeutung war, dass dadurch alle seine Mitbürger unglücklich gemacht und aufs tiefste bedrückt wurden; denn weil er sie durch gütliche Übereinkunft retten wollte, wurde er selbst von ihnen erschlagen.
 
estne hoc illi dicto atque facto Fimbriano simillimum? accusatis Sex. Roscium. quid ita? quia de manibus vestris effugit, quia se occidi passus non est.
Ist nicht dieser Fall jener Rede und Tat des Gaius Fimbria ganz ähnlich? Ihr klagt den Sextus Roscius an. Warum? Weil er euren Händen entronnen ist; weil es sich nicht hat morden lassen.
illud, quia in Scaevola factum est, magis indignum videtur, hoc, quia fit a Chrysogono, non est ferendum.
Weil jenes freilich an einem Scaevola geschah, scheint es mehr empörend; aber dies ist, weil es durch einen Chrysogonus geschieht, doch nicht zu ertragen.
nam per deos immortalis! quid est in hac causa, quod defensionis indigeat? qui locus ingenium patroni requirit aut oratoris eloquentiam magno opere desiderat?
Denn bei den unsterblichen Göttern, was ist an dieser ganzen Sache, das einer Verteidigung bedürfte? Wo ist ein Punkt, der das Talent des Verteidigers in Anspruch nähme oder Beredsamkeit des Vortrags in hohem Grade erforderte?
totam causam, iudices, explicemus atque ante oculos expositam consideremus;
Wir wollen die ganze Sache entwickeln und euch, ihr Richter, vor Augen legen und betrachten.
ita facillime quae res totum iudicium contineat et quibus de rebus nos dicere oporteat et quid vos sequi conveniat intellegetis.
So werdet ihr am leichtesten einsehen, worauf der ganze Rechtshandel beruht, worüber wir zu sprechen haben und was ihr berücksichtigen sollt.
 
III. Partitio (35-36): Disposition des Hauptteils
tres sunt res, quantum ego existimare possum, quae obstent hoc tempore Sex. Roscio, crimen adversariorum et audacia et potentia.
Drei Dinge sind es, soweit ich urteilen kann, die zu dieser Zeit dem Sextus Roscius entgegenstehen: die Beschuldigung seiner Gegner, ihre Dreistigkeit und ihre Macht.
criminis confictionem accusator Erucius suscepit, audaciae partis Roscii sibi poposcerunt, Chrysogonus autem, is qui plurimum potest, potentia pugnat.
Die Erdichtung des angeschuldigten Verbrechens hat als Ankläger Erucius übernommen; die Rolle der Dreistigkeit haben die Roscier sich zugeteilt; Chrysogonus, der so großen Einfluss hat, besitzt die Waffe der Macht.
de hisce omnibus rebus me dicere oportere intellego. quid igitur est?
Ich glaube, über all dies sprechen zu müssen. Wie aber?
 
non eodem modo de omnibus, ideo quod prima illa res ad meum officium pertinet, duas autem reliquas vobis populus Romanus imposuit;
Nicht auf dieselbe Weise darf ich über alles reden; denn jener erste Punkt gehört zu meiner Aufgabe; die beiden übrigen hat euch das römische Volk ans Herz gelegt.
ego crimen oportet diluam, vos et audaciae resistere et hominum eius modi perniciosam atque intolerandam potentiam primo quoque tempore exstinguere atque opprimere debetis.
Ich muss die Beschuldigung entkräften, eure Sache ist es, der Dreistigkeit zu widerstehen und die verderbliche und unerträgliche Macht solcher Menschen so bald wie möglich auszulöschen und zu unterdrücken.
 
IV. Hauptteil: argumentatio (37-150)
1.) 37-82: Verteidigung, refutatio
occidisse patrem Sex. Roscius arguitur. scelestum, di immortales, ac nefarium facinus atque eius modi, quo uno maleficio scelera omnia complexa esse videantur!
Sextus Roscius wird beschuldigt, seinen Vater ermordet zu haben. Das wäre bei den unsterblichen Göttern eine frevelhafte und ruchlose Tat, so dass dieses einzige Verbrechen alle Laster in sich schließen würde.
etenim si id, quod praeclare a sapientibus dicitur, voltu saepe laeditur pietas, quod supplicium satis acre reperietur in eum, qui mortem obtulerit parenti, pro quo mori ipsum, si res postularet, iura divina atque humana cogebant?
Denn wenn nach dem treffenden Ausdruck weiser Männer durch eine Miene schon manchmal die Kindespflicht verletzt wird, könnte man eine Strafe finden, die streng genug wäre gegen den, der dem Vater den Tod gebracht hat, für den er nach göttlichem und menschlichem Recht nötigenfalls selbst sterben müsste?
 
in hoc tanto, tam atroci, tam singulari maleficio, quod ita raro exstitit, ut, si quando auditum sit, portenti ac prodigi simile numeretur, quibus tandem tu, C. Eruci, argumentis accusatorem censes uti oportere?
Bei diesem so großen, so abscheulichen, so einzigartigen Verbrechen, das so selten vorkommt, dass es, wenn man je davon hört, als wundersames Vorzeichen betrachtet wird, welche Beweise glaubst du doch wohl, Gaius Erucius, als Ankläger vorbringen zu müssen?
nonne et audaciam eius, qui in crimen vocetur, singularem ostendere et mores feros immanemque naturam et vitam vitiis flagitiisque omnibus deditam, denique omnia ad perniciem profligata atque perdita?
Müsstest du nicht einen besonders verwegenen Charakter bei dem Beklagten aufzeigen, und dass seine Sitten roh, sein Gemüt gefühllos, sein Lebenswandel in alle schändliche Laster versunken, kurz dass sein ganzes Wesen bis zur tiefsten Verworfenheit erniedrigt und verdorben ist?
quorum tu nihil in Sex. Roscium ne obiciendi quidem causa contulisti.
Und doch hast du nichts von all dem, nicht einmal vorwurfshalber, auf den Sextus Roscius bringen können.
 
patrem occidit Sex. Roscius. qui homo? adulescentulus corruptus et ab hominibus nequam inductus? annos natus maior quadraginta. vetus videlicet sicarius, homo audax et saepe in caede versatus. at hoc ab accusatore ne dici quidem audistis.
"Sextus Roscius hat seinen Vater ermordet." Was ist er für ein Mensch? Etwa ein verdorbener Jüngling, der sich von schlechten Menschen verleiten ließ? Nein, er ist über vierzig Jahre alt. Ist er etwa ein alter Bandit, ein Draufgänger, in häufigen Mordtaten geübt? Aber auch das habt ihr den Ankläger nicht einmal erwähnen hören.
luxuries igitur hominem nimirum et aeris alieni magnitudo et indomitae animi cupiditates ad hoc scelus impulerunt.
Es war also sein üppiges Leben, eine große Schuldenmasse oder zügellose Leidenschaften, was diesen Mann zu einem solchen Verbrechen angetrieben hat?
de luxuria purgavit Erucius, cum dixit hunc ne in convivio quidem ullo fere interfuisse.
Wegen der Ãœppigkeit hat ihn bereits Erucius gerechtfertigt; denn dieser selbst hat gesagt, Roscius sei niemals je bei einem Gastmahl zugegen gewesen.
nihil autem umquam debuit.
Schulden hat er aber niemals gehabt.
cupiditates porro quae possunt esse in eo, qui, ut ipse accusator obiecit, ruri semper habitarit et in agro colendo vixerit? quae vita maxime disiuncta a cupiditate et cum officio coniuncta est.
Welche Leidenschaften kann es aber bei einem Mann geben, der, wie der Ankläger selbst ihm vorwarf, stets auf dem Land gewohnt und sein Leben mit Landarbeit hingebracht hat? eine Lebensweise, die vor allen am meisten den Leidenschaften fremd bleibt, und mit Pflichttreue verbunden ist.
 
quae res igitur tantum istum furorem Sex. Roscio obiecit? 'patri' inquit 'non placebat.' patri non placebat? quam ob causam? necesse est enim eam quoque iustam et magnam et perspicuam fuisse.
Was hat denn also den Sextus Roscius so rasendem Beginnen getriebenen? "Er war," sagt jener, "bei seinem Vater nicht beliebt." Sein Vater hätte ihn nicht geliebt? Aus welchem Grund? Denn auch ein solcher Grund müsste gerecht, gewichtig und klar sein.
nam ut illud incredibile est, mortem oblatam esse patri a filio sine plurimis et maximis causis, sic hoc veri simile non est, odio fuisse parenti filium sine causis multis et magnis et necessariis.
Denn wie es unglaublich ist, dass ein Sohn dem Vater ohne sehr viele und dringende Ursachen den Tod gegeben habe, so ist auch das unwahrscheinlich, dass der Vater den Sohn ohne viele wichtige und nötigende Gründe gehasst habe.
 
rursus igitur eodem revertamur et quaeramus, quae tanta vitia fuerint in unico filio, qua re is patri displiceret. at perspicuum est nullum fuisse.
Kommen wir also wieder zum selben Punkt zurück, fragen wir, was dieser einzige Sohn für so große Laster hatte, dass er dem Vater missfiel. Nun ist es aber klar, dass kein solches Laster vorlag.
pater igitur amens, qui odisset eum sine causa, quem procrearat? at is quidem fuit omnium constantissimus.
War der Vater also wahnsinnig, dass er den ohne Grund hasste, dem er das Leben geschenkt hatte? Nun war er aber ein Mann von ganz vernünftigen Grundsätzen.
ergo illud iam perspicuum profecto est, si neque amens pater neque perditus filius fuerit, neque odi causam patri neque sceleris filio fuisse.
So viel ist also zuverlässig klar: wenn der Vater nicht wahnsinnig, und der Sohn kein Bösewicht war, hatte weder der Vater einen Grund zum Hass noch der Sohn zu einem Verbrechen.
 
'nescio', inquit, 'quae causa odi fuerit; fuisse odium intellego, quia antea, cum duos filios haberet, illum alterum, qui mortuus est, secum omni tempore volebat esse, hunc in praedia rustica relegarat.'
"Ich weiß nicht," sagt jener, "welches die Ursache des Hasses war; nur weiß ich, dass Hass vorhanden war, weil der Vater früher, als er noch zwei Söhne hatte, den anderen, der gestorben ist, immer um sich haben wollte, diesen dagegen auf seine Landgüter verwies."
quod Erucio accidebat in mala nugatoriaque accusatione, idem mihi usu venit in causa optima. Ille, quo modo crimen commenticium confirmaret, non inveniebat, ego, res tam levis qua ratione infirmem ac diluam, reperire non possum.
Was dem Erucius bei seiner schlechten und gehaltlosen Anklage begegnet ist, das erfahre ich jetzt in Verteidigung der besten Sache. Er fand keine Bestätigungsgründe für seine erdichtete Anschuldigung; ich weiß nichts zu finden, um so geringfügige Dinge zu entkräften und zu widerlegen.
 
quid ais, Eruci? tot praedia, tam pulchra, tam fructuosa Sex. Roscius filio suo relegationis ac supplici gratia colenda ac tuenda tradiderat?
Was sagst du, Erucius! So viele, so schöne, so einträgliche Landgüter habe Sextus Roscius seinem Sohn zur Bewirtschaftung und Beaufsichtigung übergeben, um ihn von sich zu verweisen und mit einer Strafe zu quälen?
quid? hoc patres familiae, qui liberos habent, praesertim homines illius ordinis ex municipiis rusticanis, nonne optatissimum sibi putant esse filios suos rei familiari maxime servire et in praediis colendis operae plurimum studique consumere?
Wie? Achten Hausväter, die Kinder haben, besonders Leute von jenem Stand, aus ackerbautreibenden Freistädten, es nicht für das größte Glück, wenn sich ihre Kinder hauptsächlich der Hauswirtschaft widmen und so viel als möglich Fleiß und Mühe auf den Landbau verwenden?
 
an amandarat hunc sic, ut esset in agro ac tantum modo aleretur ad villam, ut commodis omnibus careret?
Oder hatte er etwa diesen in der Art von sich entfernt, dass er sich nur auf dem Land aufhielt und seinen Unterhalt von den Landgüter bezog? Dass er alle Bequemlichkeiten entbehrte?
quid? si constat hunc non modo colendis praediis praefuisse sed certis fundis patre vivo frui solitum esse, tamenne haec a te vita eius rusticana relegatio atque amandatio appellabitur?
Wie aber, wenn es bewiesen ist, dass er nicht nur die Leitung der Wirtschaft in den Landgütern hatte, sondern auch bei Lebzeiten seines Vaters gewöhnlich den Ertrag bestimmter Ländereien zu genießen hatte? Willst Du dennoch dieses Leben auf dem Land einer Verweisung und Verbannung nennen?
vides, Eruci, quantum distet argumentatio tua ab re ipsa atque a veritate.
Du siehst, Erucius, wie sehr deine Beweisführung von der Wirklichkeit und Wahrheit abweicht.
quod consuetudine patres faciunt, id quasi novum reprehendis; quod benivolentia fit, id odio factum criminaris; quod honoris causa pater filio suo concessit, id eum supplici causa fecisse dicis.
Aus dem, was Väter gewöhnlich tun, machst du einen Vorwurf, als ob es etwas Unerhörtes wäre. Was aus Wohlwollen geschieht, das verleumdest du, als eine Folge des Hasses; von dem, was der Vater seinem Sohn als Beweis seiner Achtung zugestand, behauptest du, er habe es getan, um ihn zu bestrafen.
 
neque haec tu non intellegis, sed usque eo, quid arguas, non habes, ut non modo tibi contra nos dicendum putes, verum etiam contra rerum naturam contraque consuetudinem hominum contraque opiniones omnium.
Doch das ist dir selbst wohl bewusst; aber es fehlt dir so sehr an Gründen für deine Beschuldigung, dass du nicht bloß gegen uns, sondern gegen alles, was natürlich ist, gegen die Gewohnheit und die allgemeine Meinung sprechen zu müssen glaubst.
at enim, cum duos filios haberet, alterum a se non dimittebat, alterum ruri esse patiebatur.
Aber, (sagst du,) da er doch zwei Söhne hatte, so ließ er den einen nicht von sich und dem anderen wies er seinen Aufenthalt auf dem Lande zu.
quaeso, Eruci, ut hoc in bonam partem accipias; non enim exprobrandi causa sed commonendi gratia dicam.
Ich bitte dich, Erucius, das, was ich sagen will, nicht übel aufzunehmen; denn ich sage es nicht, um dir einen Vorwurf zu machen, sondern nur zu deiner Belehrung.
 
si tibi fortuna non dedit ut patre certo nascerere, ex quo intellegere posses, qui animus patrius in liberos esset, at natura certe dedit, ut humanitatis non parum haberes;
Wenn das Glück dir nicht gegönnt hat, deinen Vater mit Sicherheit angeben zu können, von dem Du hättest lernen können, wie Väter gegen ihre Kinder gesinnt sind, so hat dir doch die Natur einen Grad von menschlichem Gefühl verliehen;
eo accessit studium doctrinae, ut ne a litteris quidem alienus esses.
dazu kommt noch wissenschaftliche Ausbildung, so dass dir auch die Literatur nicht fremd geblieben ist.
ecquid tandem tibi videtur, ut ad fabulas veniamus, senex ille Caecilianus minoris facere Eutychum, filium rusticum, quam illum alterum, Chaerestratum? — nam, ut opinor, hoc nomine est — alterum in urbe secum honoris causa habere, alterum rus supplici causa relegasse?
Was meinst du wohl, um zu den Schauspielen zu kommen, achtet jener Greis bei Caecilius seinen Sohn Eutychus, der auf dem Lande lebt, geringer, als jenen anderen, den Chaerestratus, (denn so heißt er, wie ich glaube); meinst du, dass er diesen aus besonderer Achtung bei sich in der Stadt behalte und jenen zur Strafe auf das Land verwiesen habe?
 
'quid ad istas ineptias abis?', inquies. quasi vero mihi difficile sit quamvis multos nominatim proferre, ne longius abeam, vel tribulis vel vicinos meos, qui suos liberos, quos plurimi faciunt, agricolas adsiduos esse cupiunt.
"Wie kommst du auf solche Possen?" wirst du sagen. Als ob es mir schwer wäre, so viele, als du willst, von meinen Standesgenossen oder Nachbarn (um diese Beispiele nicht weiter herzuholen), namentlich anzuführen, die ihre liebsten Kinder mit dem Landbau beständig beschäftigt zu sehen wünschen.
verum homines notos sumere odiosum est, cum et illud incertum sit, velintne ei sese nominari, et nemo vobis magis notus futurus sit, quam est hic Eutychus, et certe ad rem nihil intersit, utrum hunc ego comicum adulescentem an aliquem ex agro Veienti nominem.
Aber bekannte Leute anzuführen ist verfänglich, da man ja auch nicht wissen kann, ob sie genannt sein wollen. Auch wird euch keine Person so bekannt sein, wie jener Eutychus, und es tut ja nichts zur Sache, ob ich diesen Jüngling aus dem Lustspiel oder einen aus dem vejentischen Landgut nenne.
etenim haec conficta arbitror esse a poetis, ut effictos nostros mores in alienis personis expressamque imaginem vitae cotidianae videremus.
Denn ich glaube, dass dies von den Dichtern so ausgedacht ist, damit wir in diesen fremden Personen eine Darstellung unserer Sitten und ein sprechendes Bild unseres täglichen Lebens anschauen können.
 
age nunc, refer animum, sis, ad veritatem et considera non modo in Umbria atque in ea vicinitate, sed in his veteribus municipiis, quae studia a patribus familias maxime laudentur;
Wohlan denn, besinne dich doch, wenn es dir gefällt, auf das Wahre, und betrachte, welche Beschäftigungen nicht bloß in Umbrien und der Umgegend, sondern in jenen alten Freistädten bei den Hausvätern am meisten beliebt sind.
iam profecto te intelleges inopia criminum summam laudem Sex. Roscio vitio et culpae dedisse.
Dann wirst du gewiss bald einsehen, dass du aus Mangel an Anklagepunkten dem Sextus Roscius sein größtes Verdienst als Fehler und Schuld angerechnet hast.
ac non modo hoc patrum voluntate liberi faciunt, sed permultos et ego novi et, nisi me fallit animus, unus quisque vestrum, qui et ipsi incensi sunt studio, quod ad agrum colendum attinet, vitamque hanc rusticam, quam tu probro et crimini putas esse oportere, et honestissimam et suavissimam esse arbitrantur.
Aber nicht bloß der Wille der Väter ist es, was die Kinder bestimmt, jenes zu tun, sondern ich und jeder von euch, wofern ich nicht irre, kennt sehr viele, die aus sich heraus für diese Beschäftigung mit dem Landbau begeistert sind und dieses Landleben, das du für schmählich und als Gegenstand des Vorwurfs glaubst ansehen zu müssen, für sehr ehrenvoll und annehmlich halten.
 
quid censes hunc ipsum Sex. Roscium quo studio et qua intellegentia esse in rusticis rebus? Ut ex his propinquis eius, hominibus honestissimis, audio, non tu in isto artificio accusatorio callidior es quam hic in suo.
Was meinst du hat eben dieser Sextus Roscius in Sachen des Landbaus für einen Eifer, für Einsichten? So viel ich von diesen seinen Verwandten, sehr ehrenwerten Leuten, weiß, so kannst du in deinem Geschäft als Ankläger nicht geschickter sein, als er in seinem Geschäft.
verum, ut opinor, quoniam ita Chrysogono videtur, qui huic nullum praedium reliquit, et artificium obliviscatur et studium deponat licebit.
Aber er wird nun, - denke ich - weil es dem Chrysogonus gefällt, der ihm keinen Landbesitz mehr übrig gelassen hat, nicht allein seine Kunstfertigkeit vergessen, sondern auch seinen Eifer ablegen dürfen.
quod tametsi miserum et indignum est, feret tamen aequo animo, iudices, si per vos vitam et famam potest obtinere;
So traurig und unverdient dies Los ist, so wird er es sich doch gefallen lassen, wenn er durch euch, ihr Richter, sein Leben und seine Ehre retten kann.
hoc vero est, quod ferri non potest, si et in hanc calamitatem venit propter praediorum bonitatem et multitudinem et, quod ea studiose coluit, id erit ei maxime fraudi, ut parum miseriae sit, quod aliis coluit non sibi, nisi etiam quod omnino coluit crimini fuerit.
Das ist aber eben das Unerträgliche, dass er in diesen Notstand versetzt worden sein soll durch die Trefflichkeit und Menge seiner Landbesitzungen und dass ihm das gerade zum Nachteil gereichen soll, dass er sie eifrig bewirtschaftet hat. So wäre es also nicht Unglück genug für ihn, dass er sie für andere, nicht für sich angebaut hat; nein! auch das soll ihm noch zum Vorwurf gereichen, dass er sie überhaupt bebaut hat.
 
ne tu, Eruci, accusator esses ridiculus, si illis temporibus natus esses, cum ab aratro arcessebantur, qui consules fierent.
Fürwahr, Erucius, du hättest dich als Ankläger lächerlich gemacht, wenn du in jenen Zeiten geboren wärest, als man diejenigen, die Konsuln werden sollten, vom Pflug herbeiholte.
etenim qui praeesse agro colendo flagitium putes, profecto illum Atilium, quem sua manu spargentem semen, qui missi erant, convenerunt, hominem turpissimum atque inhonestissimum iudicares.
Freilich würdest du, da du die Leitung ländlicher Geschäfte für eine Schmach hältst, gewiss jenen Atilius, den die Abgesandten antrafen, wie er mit eigener Hand Samen aussäte, für einen sehr verächtlichen und ehrlosen Mann erklären.
at hercule maiores nostri longe aliter et de illo et de ceteris talibus viris existimabant itaque ex minima tenuissimaque re publica maximam et florentissimam nobis reliquerunt.
Aber fürwahr, unsere Vorfahren haben über ihn und andere Männer dieses Schlages ganz anders geurteilt. Darum haben sie den zuvor so kleinen und beschränkten Staat zu der höchsten Blüte gebracht und so uns hinterlassen.
suos enim agros studiose colebant, non alienos cupide appetebant; quibus rebus et agris et urbibus et nationibus rem publicam atque hoc imperium et populi Romani nomen auxerunt.
Denn sie betrieben eifrig den Bau ihrer Felder, ohne gierig nach fremden zu haschen. Eben dadurch haben sie das öffentliche Besitztum und diesen Staat durch Ländereien, Städte und Völker bereichert und den Ruhm des Römischen Volkes erhöht.
 
neque ego haec eo profero, quo conferenda sint cum hisce, de quibus nunc quaerimus, sed ut illud intellegatur, cum apud maiores nostros summi viri clarissimique homines, qui omni tempore ad gubernacula rei publicae sedere debebant, tamen in agris quoque colendis aliquantum operae temporisque consumpserint, ignosci oportere ei homini, qui se fateatur esse rusticum, cum ruri adsiduus semper vixerit, cum praesertim nihil esset, quod aut patri gratius aut sibi iucundius aut revera honestius facere posset.
Übrigens erwähne ich dies nicht, weil es mit dem zu vergleichen wäre, wovon jetzt die Rede ist, sondern um folgendes zu verdeutlichen: Da zu den Zeiten unserer Vorfahren die größten und berühmtesten Männer, die stets berufen waren, am Staatsruder zu sitzen, doch ziemliche Mühe und Zeit auf den Ackerbau verwendeten, ist es einem Mann, der sich für einen Landmann erklärt, zu verzeihen, wenn er beständig auf dem Land gelebt hat; zumal da er nichts hätte tun können, was seinem Vater erwünschter, ihm selbst angenehmer und in der Tat ehrenvoller gewesen wäre.
 
odium igitur acerrimum patris in filium ex hoc, opinor, ostenditur, Eruci, quod hunc ruri esse patiebatur.
So wird also wirklich der bitterste Hass des Vaters gegen den Sohn dadurch bewiesen, Erucius, dass er ihn auf dem Land wohnen ließ.
numquid est aliud? 'immo vero' inquit 'est; nam istum exheredare in animo habebat.'
Oder verhält es sich anders? "Freilich ist es so," behauptet er: "denn er hatte ja im Sinn, jenen zu enterben."
audio; nunc dicis aliquid, quod ad rem pertineat; nam illa, opinor, tu quoque concedis levia esse atque inepta.
Ich höre: nun endlich sagst du etwas, das zur Sache gehört. Denn du selbst musst zugeben, dass das andere unbedeutend und ungereimt ist.
'convivia cum patre non inibat.' quippe, qui ne in oppidum quidem nisi perraro veniret.
"Er kam zu keinem Gastmahl mit seinem Vater." Natürlich, da er nicht einmal in die Stadt, außer höchst selten, kam.
'domum suam istum non fere quisquam vocabat.' nec mirum, qui neque in urbe viveret neque revocaturus esset.
"Fast niemand lud ihn in sein Haus ein." Kein Wunder, da er weder in der Stadt lebte, noch die Einladung hätte erwidern können.
 
verum haec tu quoque intellegis esse nugatoria; illud, quod coepimus, videamus, quo certius argumentum odi reperiri nullo modo potest.
Aber du selbst bist überzeugt, dass dies leeres Geschwätz ist. Lass uns untersuchen, womit wir begonnen haben: einen Beweis des Hasses, wiewohl kein zuverlässigerer aufgefunden werden kann.
'exheredare pater filium cogitabat.' Mitto quaerere, qua de causa; quaero, qui scias;
Der Vater gedachte den Sohn zu entfernen; ich will nicht weiter fragen, warum? Ich frage nur: wie weißt Du das?
tametsi te dicere atque enumerare causas omnis oportebat, et id erat certi accusatoris officium, qui tanti sceleris argueret, explicare omnia vitia ac peccata fili, quibus incensus parens potuerit animum inducere, ut naturam ipsam vinceret, ut amorem illum penitus insitum eiceret ex animo, ut denique patrem esse sese oblivisceretur; quae sine magnis huiusce peccatis accidere potuisse non arbitror.
Gleichwohl hättest du auch alle Ursachen angeben und aufzählen sollen, und es wäre die Pflicht eines glaubwürdigen Anklägers, der eines so großen Verbrechens beschuldigte, alle Fehler und Vergehen des Sohnes zu entwickeln, durch die der Vater gereizt wurde und auf den Gedanken kommen konnte, das Naturgefühl selbst zu unterdrücken, die tief eingepflanzte Liebe aus seiner Brust zu verbannen, kurz zu vergessen, dass er Vater ist, was, wie ich glaube, ohne große Vergehen dieses Mannes nicht der Fall sein konnte.
 
verum concedo tibi, ut ea praetereas, quae, cum taces, nulla esse concedis;
Aber ich will dir zugeben, dass du diese übergehst, weil du durch dein Stillschweigen zugibt, dass sie gar nicht vorhanden waren.
illud quidem, voluisse exheredare, certe tu planum facere debes. quid ergo adfers, qua re id factum putemus?
Dass jener aber enterben wollte, das musst Du doch wenigstens deutlich machen. Was bringst du also vor als Überzeugungsgrund für uns, dass jenes der Fall gewesen sei?
vere nihil potes dicere; finge aliquid saltem commode, ut ne plane videaris id facere, quod aperte facis, huius miseri fortunis et horum virorum talium dignitati inludere.
Zutreffend weißt du nichts zu sagen. So erdichte doch wenigstens etwas Passendes, damit man nicht ganz und gar von dir glauben muss, du tust das, was du freilich offenbar tust, nämlich du spottest des Schicksals dieses Unglücklichen, und der Würde dieser so angesehenen Männer.
exheredare filium voluit. quam ob causam? 'nescio.' exheredavitne? 'non.' quis prohibuit? 'cogitabat.' cogitabat? Cui dixit? 'nemini.'
"Er wollte seinen Sohn enterben." Aus welchem Grund? "Ich weiß es nicht." Hat er ihn enterbt? "Nein." Wer verhinderte es? "Er hatte es im Sinn." Er hätte es im Sinn gehabt? Wem hat er dies mitgeteilt? "Niemandem."
quid est aliud iudicio ac legibus ac maiestate vestra abuti ad quaestum atque ad libidinem, nisi hoc modo accusare atque id obicere, quod planum facere non modo non possis verum ne coneris quidem?
Was anderes kann wohl ein gewinnsüchtiger und willkürlicher Missbrauch des Gerichts, der Gesetze und eurer Würde heißen, wenn es nicht eine solche Anklage ist, wobei man Vorwürfe macht, die man durchaus nicht verdeutlichen und beweisen kann, ja es nicht einmal versucht?
 
nemo nostrum est, Eruci, quin sciat tibi inimicitias cum Sex. Roscio nullas esse; vident omnes, qua de causa huic inimicus venias; sciunt huiusce pecunia te adductum esse;
Jeder unter uns, Erucius, weiß, dass du mit Sextus Roscius nicht in Feindschaft lebst. Jedermann sieht, warum Du als sein Gegner auftrittst. Man weiß, dass du dich durch sein Geld dazu hast verleiten lassen.
quid ergo est? ita tamen quaestus te cupidum esse oportebat, ut horum existimationem et legem Remmiam putares aliquid valere oportere.
Was folgt hieraus? Du hättest dich wenigstens nur insoweit deiner Gewinnsucht hingeben sollen, dass du auf das Urteil dieser Männer und auf das Remmische Gesetz billige Rücksicht genommen hättest.
 
accusatores multos esse in civitate utile est, ut metu contineatur audacia; verum tamen hoc ita est utile, ut ne plane inludamur ab accusatoribus.
Es hat seine Vorteile, wenn es im Staat viele Ankläger gibt, damit die Frechheit durch Furcht gezügelt werde. Aber es ist nur insoweit nützlich, wenn die Ankläger nicht ganz ihren Spott mit uns treiben dürfen.
Innocens est quispiam, verum tamen, quamquam abest a culpa, suspicione tamen non caret;
Es ist einer unschuldig; doch obgleich keine Schuld auf ihm ruht, ist er darum nicht ganz unverdächtig.
tametsi miserum est, tamen ei, qui hunc accuset, possim aliquo modo ignoscere. cum enim aliquid habeat, quod possit criminose ac suspiciose dicere, aperte ludificari et calumniari sciens non videatur.
Das ist zwar schon etwas Trauriges, doch man kann in diesem Fall dem Ankläger einer solchen Person gewissermaßen verzeihen. Denn da der etwas mit Vorwurf und Verdachtsgründen vorzubringen hat, kann man doch nicht von ihm glauben, dass er offen und wissentlich verhöhnt und verleumdet.
qua re facile omnes patimur esse quam plurimos accusatores, quod innocens, si accusatus sit, absolvi potest, nocens, nisi accusatus fuerit, condemnari non potest; utilius est autem absolvi innocentem quam nocentem causam non dicere.
Daher lassen wir es uns gern alle gefallen, dass es sehr viele Ankläger gibt, weil der Unschuldige, wenn er angeklagt wird, freigesprochen, der Schuldige aber, wenn er nicht angeklagt wird, nicht verurteilt werden kann. Es ist aber nützlicher, dass ein Unschuldiger freigesprochen, als dass ein Schuldiger gar nicht vor Gericht gefordert wird.
Anseribus cibaria publice locantur et canes aluntur in Capitolio, ut significent, si fures venerint. at fures internoscere non possunt, significant tamen, si qui noctu in Capitolium venerint, et, quia id est suspiciosum, tametsi bestiae sunt, tamen in eam partem potius peccant, quae est cautior.
Gänse werden auf Staatskosten gefüttert und Hunde auf dem Kapitol gehalten, damit sie es anzeigen, wenn Diebe kommen. Aber sie können die Diebe nicht unterscheiden. Nun so geben sie doch ein Zeichen, wenn jemand nachts aufs Kapitol kommt; und weil das verdächtig ist, so fehlen sie, obwohl es nur Tiere sind, doch lieber in der Art, dass sie zu vorsichtig sind.
quod si luce quoque canes latrent, cum deos salutatum aliqui venerint, opinor, eis crura suffringantur, quod acres sint etiam tum, cum suspicio nulla sit.
Wenn aber die Hunde auch bei Tag bellen würden, wenn Leute kommen, um den Göttern ihre Verehrung zu bezeugen, so würde man ihnen, denke ich, die Beine zerschmettern, weil sie auch da scharf wären, wo kein Verdacht vorhanden ist.
 
simillima est accusatorum ratio. Alii vestrum anseres sunt , qui tantum modo clamant, nocere non possunt, alii canes, qui et latrare et mordere possunt.
Ganz ähnlich ist das Verhältnis der Ankläger. Einige von euch sind Gänse, die nur schreien, aber nicht schaden können, andere sind Hunde, die sowohl bellen als beißen können.
cibaria vobis praeberi videmus; vos autem maxime debetis in eos impetum facere qui merentur. hoc populo gratissimum est. deinde, si voletis, etiam tum, cum veri simile erit aliquem commisisse, in suspicione latratote; id quoque concedi potest.
Wir sehen, dass ihr gefüttert werdet; euere Pflicht ist es aber, vornehmlich die anzufallen, die es verdienen. Dies ist dem Volk das Angenehmste, denn, wenn ihr wollt, möget ihr auch in dem Fall, wenn es wahrscheinlich ist, dass einer ein Verbrechen begangen hat, verdachtshalber bellen. Auch das kann man noch geschehen lassen.
sin autem sic agetis, ut arguatis aliquem patrem occidisse neque dicere possitis, aut qua re aut quo modo, ac tantum modo sine suspicione latrabitis, crura quidem vobis nemo suffringet;
Wenn ihr aber so verfahrt, dass ihr jemanden des Vatermordes beschuldigt, ohne das Warum und Wie angeben zu können, und nur bellt (um zu bellen) ohne Verdachtsgründe, so wird euch zwar niemand die Beine zerschmettern;
sed, si ego hos bene novi, litteram illam, cui vos usque eo inimici estis, ut etiam Kal. omnis oderitis, ita vehementer ad caput adfigent, ut postea neminem alium nisi fortunas vestras accusare possitis.
aber, wenn ich anders diese Männer recht kenne, werden sie euch jenen Buchstaben, dem ihr so gram seid, dass ihr sogar alle Kalenden hasst, so gewaltig auf die Stirn prägen, dass ihr in der Folge sonst niemanden als den Verfall eures eigenen Glücks werdet anklagen können.
 
quid mihi ad defendendum dedisti, bone accusator? quid hisce autem ad suspicandum? 'ne exheredaretur, veritus est.'
Welchen Stoff zur Verteidigung hast du mir gegeben, du guter Ankläger? Und welche Verdachtsgründe für diese? "Er hat befürchtet, enterbt zu werden."
audio, sed qua de causa vereri debuerit nemo dicit. 'habebat pater in animo.'
Ich höre es. Aber warum er dies befürchten musste, das sagt niemand. "Der Vater hatte es im Sinn."
planum fac. nihil est; non, quicum deliberaverit, quem certiorem fecerit, unde istud vobis suspicari in mentem venerit.
Nun, so beweise es! Es liegt nichts vor; niemand, mit dem er sich darüber beraten, den er davon in Kenntnis gesetzt hätte; kein Grund, warum ein solcher Argwohn euch einfallen konnte.
cum hoc modo accusas, Eruci, nonne hoc palam dicis: 'ego, quid acceperim,scio, quid dicam, nescio;
Indem du auf diese Weise anklagst, Erucius, ist es nicht, als ob du offen sagtest: was ich bekommen habe, weiß ich; was ich sagen soll, weiß ich nicht.
unum illud spectavi, quod Chrysogonus aiebat, neminem isti patronum futurum; de bonorum emptione deque ea societate neminem esse, qui verbum facere auderet hoc tempore'.
Ich hatte nur das im Auge, was Chrysogonus immer wieder sagte: jener werde keinen Verteidiger finden; über den Güterkauf und jene Genossenschaft ein Wort zu sagen, werde sich in diesen Zeiten niemand erdreisten.
haec te opinio falsa in istam fraudem impulit; non mehercules verbum fecisses, si tibi quemquam responsurum putasses.
Diese falsche Meinung hat dich zu dieser betrügerischen Anklage veranlasst. Gewiss, du wärest nicht aufgetreten, wenn du gedacht hättest, dass dir jemand antworten würde.
 
operae pretium erat, si animadvertistis, iudices, neglegentiam eius in accusando considerare.
Es hätte sich gelohnt, wenn ihr etwa darauf geachtet habt, ihr Richter, auf sein nachlässiges Benehmen während der Anklage zu sehen.
credo, cum vidisset, qui homines in hisce subselliis sederent, quaesisse, num ille aut ille defensurus esset; de me ne suspicatum quidem esse, quod antea causam publicam nullam dixerim.
Vermutlich hat er, als er sah, welche Leute auf diesen Bänken saßen, gefragt, ob dieser, ob jener der Verteidiger sein werde. Von mir hatte er wohl keine Ahnung, weil ich noch nie einen öffentlichen Rechtshandel geführt hatte.
postea quam invenit neminem eorum, qui possunt et solent, ita neglegens esse coepit, ut, cum in mentem veniret ei, resideret, deinde spatiaretur, non numquam etiam puerum vocaret, credo, cui cenam imperaret, prorsus ut vestro consessu et hoc conventu pro summa solitudine abuteretur.
Als er keinen von denen, die dies können und gewöhnlich tun, bemerkte, wurde er so nachlässig, dass er, wenn es ihm beliebte, sich niedersetzte, dann auf- und abging, gelegentlich seinen Diener herbeirief, wahrscheinlich um das Essen bei ihm zu bestellen, so dass er in der Tat eure Gerichtssitzung und diese ganze Versammlung mit einem Mangel an Achtung behandelte, als ob gar niemand zugegen wäre.
peroravit aliquando, adsedit; surrexi ego.
Endlich hatte er geendet: er setzte sich, ich stand auf.
 
respirare visus est, quod non alius potius diceret. coepi dicere.
Es war, als ob er leichter atmete, dass gerade ich und kein anderer auftreten sollte. Ich begann zu sprechen.
Usque eo animadverti, iudices, eum iocari atque alias res agere, ante quam Chrysogonum nominavi; quem simul atque attigi, statim homo se erexit, mirari visus est.
Ich bemerkte, ihr Richter, dass er so lange Scherz trieb und unaufmerksam war, als ich noch nicht den Chrysogonus genannt hatte. Sobald ich diesen erwähnte, erhob sich der Mann sogleich; er schien sich zu wundern.
Intellexi, quid eum pepugisset. iterum ac tertio nominavi.
Ich merkte, wodurch er sich getroffen fühlte. Ich nannte jenen zum zweiten und dritten Mal.
postea homines cursare ultro et citro non destiterunt, credo, qui Chrysogono nuntiarent esse aliquem in civitate, qui contra voluntatem eius dicere auderet; aliter causam agi atque ille existimaret, aperiri bonorum emptionem, vexari pessime societatem, gratiam potentiamque eius neglegi, iudices diligenter attendere, populo rem indignam videri.
Nun liefen Leute ständig hin und her. Vielleicht wollten sie dem Chrysogonus melden, dass doch jemand in der Stadt sei, der es wage, gegen seinen Willen zu sprechen, dass der Gang des Prozesses ein anderer sei, als er glaube: der Güterkauf komme an den Tag, der Verein werde aufs heftigste angegriffen, man kümmere sich nicht um seine Gönnerschaft und Macht, die Richter seien sehr aufmerksam, das Volk vernehme den Hergang der Sache mit Abscheu.
 
quae quoniam te fefellerunt, Eruci, quoniamque vides versa esse omnia, causam pro Sex. Roscio, si non commode, at libere dici, quem dedi putabas, defendi intellegis, quos tradituros sperabas, vides iudicare, restitue nobis aliquando veterem tuam illam calliditatem atque prudentiam, confitere huc ea spe venisse, quod putares hic latrocinium, non iudicium futurum.
Weil Du dies nicht geahnt hast, Erucius, weil du siehst, dass alles ganz anders geht, dass Roscius vielleicht nicht geschickt, doch freimütig verteidigt wird, weil du nun wahrnimmst, dass der, von dem du wähntest, man werde ihn dir preisgeben, nun doch Schutz findet, weil du siehst, dass diejenigen, die, wie du hofftest, dir ihn ausliefern sollten, als Richter handeln, nun so lass uns wieder einmal deine alte Geschicklichkeit und Schlauheit sehen! Gestehe, dass du hierher in der Hoffnung kamst, hier ein Räubernest und kein Gericht zu finden.
de parricidio causa dicitur; ratio ab accusatore reddita non est, quam ob causam patrem filius occiderit.
Ein Vatermord ist es, was man hier verhandelt. Der Ankläger gibt aber keinen Grund an, warum der Sohn den Vater gemordet habe.
 
quod in minimis noxiis et in his levioribus peccatis, quae magis crebra et iam prope cotidiana sunt, vel maxime et primum quaeritur, quae causa malefici fuerit, id Erucius in parricidio quaeri non putat oportere.
Selbst bei den kleinsten Vergehen und bei jenen geringeren Rechtsverletzungen, die häufiger sind und bereits fast täglich vorkommen, wird hauptsächlich und zuerst untersucht, was die Ursache der Übeltat war; das, meint Erucius, müsse bei einem Vatermord nicht untersucht werden.
In quo scelere, iudices, etiam cum multae causae convenisse unum in locum atque inter se congruere videntur, tamen non temere creditur, neque levi coniectura res penditur, neque testis incertus auditur, neque accusatoris ingenio res iudicatur.
Wenn sich bei diesem Verbrechen auch viele Ursachen vereinigt und zusammengewirkt zu haben scheinen, ihr Richter, so glaubt man ja doch nicht so leichthin, noch beurteilt man die Sachen nach geringfügigen Vermutungen, noch hört man unzuverlässige Zeugen an, noch entscheidet man den Gegenstand nach den witzigen Gedanken des Anklägers.
cum multa antea commissa maleficia, cum vita hominis perditissima, tum singularis audacia ostendatur necesse est, neque audacia solum sed summus furor atque amentia.
Da muss man nicht allein viele zuvor begangenen Übeltaten und einen ganz schlechten Lebenswandel, sondern auch ausgezeichnete Frechheit und nicht bloß Frechheit, sondern den höchsten Grad von Unvernunft und Wahnsinn bei einem Menschen nachweisen.
haec cum sint omnia, tamen exstent oportet expressa sceleris vestigia, ubi, qua ratione, per quos, quo tempore maleficium sit admissum. quae nisi multa et manifesta sunt, profecto res tam scelesta, tam atrox, tam nefaria credi non potest.
Und wenn das alles auch da ist, so müssen doch noch ausdrückliche Spuren des Verbrechens vorhanden sein, wo, auf welche Weise, durch wen und zu welcher Zeit der Frevel vollzogen wurde. Wenn diese nicht zahlreich und offenbar sind, so kann wahrhaftig eine so frevelhafte, abscheuliche und ruchlose Tat nicht als glaubwürdig erscheinen.
 
Magna est enim vis humanitatis; multum valet communio sanguinis; reclamitat istius modi suspicionibus ipsa natura;
Denn groß ist die Macht des menschlichen Gefühls, viel vermag die Gemeinschaft des Blutes, die Natur selbst empört sich gegen solche Verdächtigungen.
portentum atque monstrum certissimum est esse aliquem humana specie et figura, qui tantum immanitate bestias vicerit, ut, propter quos hanc suavissimam lucem aspexerit, eos indignissime luce privarit, cum etiam feras inter sese partus atque educatio et natura ipsa conciliet.
Es ist unzweifelhaft die seltsamste und widernatürlichste Wundererscheinung, dass es jemanden von menschlicher Gestalt und Bildung gibt, der die Tiere an Grausamkeit so sehr überträfe, dass er diejenigen des lieblichen Lebenslichts auf die empörendste Weise beraubte, durch die er es erblickt hat. Verbindet doch Geburt, Erziehung und allein schon ihre (gemeinsame) Natur sogar die wilden Tiere untereinander.
 
non ita multis ante annis aiunt T. Caelium quendam Terracinensem, hominem non obscurum, cum cenatus cubitum in idem conclave cum duobus adulescentibus filiis isset, inventum esse mane iugulatum.
Man erzählt, dass man vor noch nicht gar vielen Jahren einen gewissen Titus Caelius aus Terracina, einen nicht unbekannten Mann, als er nach dem Abendessen mit seinen beiden jugendlichen Söhnen in dasselbe Gemach schlafen gegangen war, des Morgens ermordet aufgefunden habe.
cum neque servus quisquam reperiretur neque liber, ad quem ea suspicio pertineret, id aetatis autem duo filii propter cubantes ne sensisse quidem se dicerent, nomina filiorum de parricidio delata sunt.
Da nun weder ein Sklave, noch ein Freigeborener entdeckt werden konnte, auf den der Verdacht gefallen wäre, und die beiden in diesem Alter befindlichen Söhne, die in der Nähe schliefen, behaupteten, nicht einmal etwas bemerkt zu haben, so wurden diese Söhne als Vatermörder angeklagt.
quid poterat tam esse suspiciosum? Neutrumne sensisse? ausum autem esse quemquam se in id conclave committere eo potissimum tempore, cum ibidem essent duo adulescentes filii, qui et sentire et defendere facile possent?
Was konnte solchen Verdacht erregen? Dass keiner von beiden es bemerkt hatte? dass irgendjemand es gewagt haben sollte, sich gerade zu der Zeit ins Gemach einzuschleichen, wo auch die beiden jungen Söhne dort waren, die es doch leicht bemerken und ihn verteidigen konnten.
erat porro nemo in quem ea suspicio conveniret.
Es war ferner niemand da, auf den der Verdacht passte.
 
tamen, cum planum iudicibus esset factum aperto ostio dormientis eos repertosesse, iudicio absoluti adulescentes et suspicione omni liberati sunt.
Doch da die Richter sich überzeugt hatten, dass man sie bei offener Tür schlafend gefunden hatte, wurden sie vor Gericht freigesprochen und jeden Verdachtes entledigt.
nemo enim putabat quemquam esse, qui, cum omnia divina atque humana iura scelere nefario polluisset, somnum statim capere potuisset, propterea quod, qui tantum facinus commiserunt non modo sine cura quiescere, sed ne spirare quidem sine metu possunt.
Denn niemand glaubte, dass es einen Menschen geben können, der, nachdem er alle göttlichen und menschlichen Rechte durch einen ruchlosen Frevel verletzt hätte, sogleich einschlafen könne, weil, wer ein solches Verbrechen begangen habe, nicht allein nicht sorglos schlafen, sondern auch nicht einmal ohne Angst atmen könne.
 
videtisne, quos nobis poetae tradiderunt patris ulciscendi causa supplicium de matre sumpsisse, cum praesertim deorum immortalium iussis atque oraculis id fecisse dicantur, tamen ut eos agitent Furiae neque consistere umquam patiantur, quod ne pii quidem sine scelere esse potuerunt?
Seht ihr nicht, wie diejenigen, von denen uns die Dichter erzählen, dass sie, um den Vater zu rächen, die Mutter mit dem Tod bestraft haben, zumal da sie dies noch auf Befehl und nach dem Spruch der unsterblichen Götter getan haben sollen, – doch die Furien umhertreiben und ihnen nirgends Ruhe lassen, weil sie nicht einmal ihre Kindespflicht ohne Verbrechen erfüllen konnten?
sic se res habet, iudices: magnam vim, magnam necessitatem, magnam possidet religionem paternus maternusque sanguis;
Ja, so ist es, ihr Richter! Groß ist die Gewalt, mächtig das innige Band, wirksam die ehrfurchtsvolle Scheu des väterlichen und mütterlichen Blutes.
ex quo si qua macula concepta est, non modo elui non potest verum usque eo permanat ad animum ut summus furor atqueamentia consequatur.
Hat man mit diesem sich einmal befleckt, so kann man den Flecken nicht allein nicht mehr abwaschen, sondern er dringt so tief ins Gemüt ein, dass der höchste Grad von Wut und Wahnsinn daraus entsteht.
 
nolite enim putare, quem ad modum in fabulis saepenumero videtis, eos, qui aliquid impie scelerateque commiserint, agitari et perterreri Furiarum taedis ardentibus.
Denn glaubt nicht, dass diejenigen, die etwas Ruchloses und Frevelhaftes verübt haben, so wie ihr es auf der Bühne oft seht, durch brennende Fackeln der Furien umhergescheucht und geängstigt werden.
Sua quemque fraus et suus terror maxime vexat, suum quemque scelus agitat amentiaque adficit, suae malae cogitationes conscientiaeque animi terrent;
Die eigene Schuld, die innewohnende Angst, das eigene Verbrechen ist es eigentlich, was jeden quält, beunruhigt und zum Wahnsinn treibt; des eigenen Herzens schlimme Gedanken und das böse Gewissen ist es, was ihn erschreckt.
hae sunt impiis adsiduae domesticaeque Furiae, quae dies noctesque parentium poenas a consceleratissimis filiis repetant.
Das sind für die Ruchlosen jene unablässigen, unzertrennlichen Quälgeister, die Tag und Nacht von den schuldbefleckten Söhnen für die Eltern Rache erheischen.
 
haec magnitudo malefici facit, ut, nisi paene manifestum parricidium proferatur, credibile non sit, nisi turpis adulescentia, nisi omnibus flagitiis vita inquinata, nisi sumptus effusi cum probro atque dedecore, nisi prorupta audacia, nisi tanta temeritas, ut non procul abhorreat ab insania.
Diese Größe des Frevels macht einen Vatermord unglaublich, wenn er nicht fast ganz augenfällig bewiesen wird, wenn nicht eine in Schande zugebrachte Jugend, ein mit allen Lastern beflecktes Leben, eine zügellose, entehrende und schmähliche Verschwendung, eine alle Schranken durchbrechende Frechheit, eine nahe an Wahnsinn grenzende Tollkühnheit dargetan werden kann.
accedat huc oportet odium parentis, animadversionis paternae metus, amici improbi, servi conscii, tempus idoneum, locus opportune captus ad eam rem;
Dazu muss noch kommen: Hass des Vaters, Furcht vor väterlicher Züchtigung, schlechte Freunde, mitwissende Sklave, ein wohlgewählter Zeitpunkt, ein zur Ausführung bequem gelegener Ort.
paene dicam, respersas manus sanguine paterno iudices videant, oportet, si tantum facinus, tam immane, tam acerbum credituri sunt.
Ja, ich möchte sagen, die Richter müssen die Hände noch vom Vaterblut bespritzt sehen, wenn sie ein so großes, so abscheuliches, so widriges Verbrechen glauben sollen.
 
qua re hoc quominus est credibile, nisi ostenditur, eo magis est, si convincitur, vindicandum.
Je weniger es also glaublich ist, wenn es nicht vor Augen gestellt wird, desto härter muss es an einem bestraft werden, wenn er überführt wird.
itaque cum multis ex rebus intellegi potest maiores nostros non modo armis plus quam ceteras nationes, verum etiam consilio sapientiaque potuisse, tum ex hac re vel maxime, quod in impios singulare supplicium invenerunt.
Neben manchem andern, woraus man sehen kann, wie sehr unsere Vorfahren anderen Völkern nicht allein in den Waffen, sondern auch an Einsicht und Weisheit überlegen waren, erhellt dies vornehmlich auch daraus, dass sie eine besondere Strafe für den Frevel gegen die Eltern ausgedacht haben.
qua in re quantum prudentia praestiterint eis, qui apud ceteros sapientissimi fuisse dicuntur, considerate.
Erwägt, wie weit sie hierin an Umsicht diejenigen übertroffen haben, die bei anderen für die weisesten gelten.
 
prudentissima civitas Atheniensium, dum ea rerum potita est, fuisse traditur;
Der athenische Staat soll, solange er Macht besaß, höchst einsichtsvoll gewesen sein.
eius porro civitatis sapientissimum Solonem dicunt fuisse, eum, qui leges, quibus hodie quoque utuntur, scripserit.
Der weiseste Mann in diesem Staat, sagt man, sei Solon gewesen, derselbe, der die noch jetzt dort geltenden Gesetze verfasst hat.
is cum interrogaretur, cur nullum supplicium constituisset in eum, qui parentem necasset, respondit se id neminem facturum putasse.
Auf die Frage, warum er auf den Elternmord keine Strafe gesetzt habe, antwortete er, er habe nicht geglaubt, das jemand einen solchen begehen werde.
sapienter fecisse dicitur, cum de eo nihil sanxerit, quod antea commissum non erat, ne non tam prohibere quam admonere videretur.
Da sagt man denn, er habe weise gehandelt, dass er über einen Fall, der zuvor nie vorgekommen war, nichts festsetzte, damit er nicht diese Handlung nicht sowohl zu verbieten, als die Vorstellung davon zu erwecken schiene.
quanto nostri maiores sapientius! qui cum intellegerent nihil esse tam sanctum, quod non aliquando violaret audacia, supplicium in parricidas singulare excogitaverunt, ut, quos natura ipsa retinere in officio non potuisset, ei magnitudine poenae a maleficio summoverentur.
Wie viel weiser haben unsere Vorfahren gehandelt, die, überzeugt, dass es nicht so Ehrwürdiges gebe, das nicht die Frechheit zuweilen verletze, eine besondere Strafe für die Vatermörder ausgedacht haben, damit diejenigen, die die Natur selbst nicht auf dem Weg der Pflicht zu halten vermöchte, durch die Größe der Strafe von dem Verbrechen abgeschreckt würden.
insui voluerunt in culleum vivos atque ita in flumen deici.
Sie verordneten nämlich, solche lebend in einen Sack einzunähen und in den Fluss zu werfen.
 
O singularem sapientiam, iudices! nonne videntur hunc hominem ex rerum natura sustulisse et eripuisse, cui repente caelum, solem, aquam terramque ademerint, ut, qui eum necasset, unde ipse natus esset, careret eis rebus omnibus, ex quibus omnia nata esse dicuntur?
O, welch seltene Weisheit, ihr Richter! Scheint es nicht, dass sie einen solchen Menschen aus der Natur selbst verbannen und ausscheiden wollten, da sie ihm auf einmal Himmel, Sonne, Wasser und Erde nahmen, damit derjenige, der den Urheber seines Lebens selbst getötet hätte, all das, woraus alles entstanden sein soll, entbehren müsse.
noluerunt feris corpus obicere, ne bestiis quoque, quae tantum scelus attigissent, immanioribus uteremur;
Sie wollten den wilden Tieren seinen Leib nicht vorwerfen, damit nicht die Tiere durch Berührung eines solchen Gräuels noch grausamer gegen uns werden möchten;
non sic nudos in flumen deicere, ne, cum delati essent in mare, ipsum polluerent, quo cetera, quae violata sunt, expiari putantur;
man wollte sie nicht geradezu nackt in den Fluss werfen, damit nicht, wenn sie ins Meer getrieben würden, eben das entweiht werde, von dem man glaubt, dass es alle anderen befleckten Dinge reinige.
denique nihil tam vile neque tam volgare est, cuius partem ullam reliquerint.
Kurz: es ist nichts so gering und so gemein, dass sie dem Mörder irgend einen Anteil daran ließen.
 
etenim quid tam est commune, quam spiritus vivis, terra mortuis, mare fluctuantibus, litus eiectis?
Denn was ist so allgemein, als der Atem den Lebenden, die Erde den Toten, das Meer den Dahintreibenden, das Gestade den Gestrandeten.
ita vivunt, dum possunt, ut ducere animam de caelo non queant, ita moriuntur, ut eorum ossa terra non tangat, ita iactantur fluctibus, ut numquam adluantur, ita postremo eiciuntur, ut ne ad saxa quidem mortui conquiescant.
Also leben sie, solange es noch möglich ist, so, dass sie die Himmelsluft nicht einatmen können, sie sterben so, dass die Erde ihre Gebeine nicht berührt; sie werden von den Wogen so dahingetrieben, dass sie nie von ihnen abgewaschen werden, sie stranden endlich so, dass sie im Tod nicht einmal an Felsen Ruhe finden.
tanti malefici crimen, cui maleficio tam insigne supplicium est constitutum, probare te, Eruci, censes posse talibus viris, si ne causam quidem malefici protuleris?
Glaubst du, Erucius, die Anschuldigung eines solchen Verbrechens, für das eine so ausgezeichnete Strafe bestimmt ist, vor solchen Männern beweisen zu können, wenn du nicht einmal die Ursache des Verbrechens anzuführen weißt?
si hunc apud bonorum emptores ipsos accusares eique iudicio Chrysogonus praeesset, tamen diligentius paratiusque venisses.
Wenn du diesen hier vor den Güterkäufern selbst anklagtest, und Chrysogonus bei diesem Gericht den Vorsitz führte, so hättest du doch sorgfältiger vorbereitet erscheinen müssen!
 
Utrum quid agatur non vides, an apud quos agatur? agitur de parricidio, quod sine multis causis suscipi non potest;
Weißt du nicht, was verhandelt wird und vor welchen Männern? Es handelt sich um Vatermord; der ohne viele bewegende Ursachen nicht unternommen werden kann.
apud homines autem prudentissimos agitur, qui intellegunt neminem ne minimum quidem maleficium sine causa admittere.
Vor höchst umsichtigen Männern aber wird die Sache verhandelt, die wissen, dass niemand auch das geringste Vergehen ohne Ursache vollbringt.
esto, causam proferre non potes. tametsi statim vicisse debeo, tamen de meo iure decedam et tibi, quod in alia causa non concederem, in hac concedam fretus huius innocentia.
Gut denn: eine Ursache kannst du nicht angegeben. Wiewohl mir nun sogleich der Sieg zuerkannt werden müsste, so will ich doch von meinem Recht keinen Gebrauch machen und im Vertrauen auf die Unschuld des Beklagten dir in dieser Sache etwas zugeben, was ich in einer anderen nicht zugeben würde.
non quaero abs te, qua re patrem Sex. Roscius occiderit, quaero, quo modo occiderit. ita quaero abs te, C. Eruci, quo modo, et sic tecum agam, ut meo loco vel respondendi vel interpellandi tibi potestatem faciam vel etiam, si quid voles, interrogandi.
Ich frage dich nicht mehr, warum Roscius seinen Vater umgebracht habe, ich frage nur, wie er ihn umgebracht habe. So frage ich dich, Gaius Erucius, und behandle die Sache so mit dir, dass ich dir gestatte, bei diesem Punkt mir zu antworten, mich zu unterbrechen oder auch, wenn du willst, zu fragen.
 
quo modo occidit? ipse percussit an aliis occidendum dedit? si ipsum arguis, Romae non fuit; si per alios fecisse dicis, quaero, quos? servosne an liberos? si liberos, quos homines? indidemne Ameria an hosce ex urbe sicarios? si Ameria, qui sunt ei? cur non nominantur? Si Roma, unde eos noverat Roscius, qui Romam multis annis non venit neque umquam plus triduo fuit?
Wie hat er ihn getötet? Hat er ihm selbst den Todesstoß gegeben oder ihn durch andere ermorden lassen? Wenn du ihn selbst beschuldigst, so antworte ich: er war ja nicht in Rom. Sagst du, er habe es durch andere getan, so frage ich, waren es Sklaven oder Freigeborene? Woher waren sie? Auch von dorther, aus Ameria, oder Banditen hier aus der Stadt? Waren sie von Ameria, wer sind Sie? Warum werden sie nicht genannt? Oder von Rom: woher kannte sie Roscius, der viele Jahre nicht nach Rom kam und sich nie länger als drei Tage dort aufhielt?
ubi eos convenit? qui conlocutus est? quo modo persuasit? 'pretium dedit'; cui dedit? per quem dedit? unde aut quantum dedit?nonne his vestigiis ad caput malefici perveniri solet?
Wo ist er mit ihnen zusammengekommen? Mit wem hat er gesprochen? Wie hat er sie dazu überredet? Hat er Geld gegeben? Wem hat er es gegeben? Durch wen? Von wem hat er es und wie viel gab er? Pflegt man nicht durch solche Spuren auf den Ursprung eines Verbrechens zurückgeleitet zu werden?
et simul tibi in mentem veniat, facito, quem ad modum vitam huiusce depinxeris; hunc hominem ferum atque agrestem fuisse, numquam cum homine quoquam conlocutum esse, numquam in oppido constitisse.
Zugleich habe die Güte, dich zu erinnern, wie Du die Lebensweise des Mannes geschildert hast. Er sei ein ungebildeter Mann von bäurischen Sitten gewesen, habe nie mit jemandem gesprochen, sich nie in der Stadt verweilt.
 
qua in re praetereo illud, quod mihi maximo argumento ad huius innocentiam poterat esse, in rusticis moribus, in victu arido, in hac horrida incultaque vita istius modi maleficia gigni non solere.
Hierbei will ich nicht einmal etwas davon sagen, was ich als sehr starken Beweis für seine Unschuld benützen könnte, dass sich bei ländlichen Sitten, bei geringer Kost, bei so rauher und schmuckloser Lebensweise solche Verbrechen nicht zu entwickeln pflegen.
Ut non omnem frugem neque arborem in omni agro reperire possis, sic non omne facinus in omni vita nascitur.
Wie man nicht alle Fruchtarten oder alle Bäume auf jedem Feld finden kann, so entsteht auch nicht jedes Verbrechen bei jeder Lebensweise.
in urbe luxuries creatur, ex luxuria exsistat avaritia necesse est, ex avaritia erumpat audacia, inde omnia scelera ac maleficia gignuntur;
In der Hauptstadt erzeugt sich Ãœppigkeit; aus der Ãœppigkeit geht unvermeidliche Habsucht hervor; diese bricht in Frechheit aus, und daher entstehen alle Frevel und Ãœbeltaten.
vita autem haec rustica, quam tu agrestem vocas, parsimoniae, diligentiae, iustitiae magistra est.
Jenes ländliche Leben aber, das du ein bäurisches nennst, ist die Schule der Sparsamkeit, des Fleißes, der Rechtlichkeit.
 
verum haec missa facio; illud quaero, is homo, qui, ut tute dicis, numquam inter homines fuerit, per quos homines hoc tantum facinus, tam occultum, absens praesertim, conficere potuerit.
Doch ich lasse dies fallen. Ich frage nur: durch welche Menschen konnte dieser, der, wie du selbst sagst, nie unter die Menschen kam, einen so großen, so geheimen Frevel, und dazu noch abwesend, vollbringen?
multa sunt falsa, iudices, quae tamen argui suspiciose possunt; in his rebus si suspicio reperta erit, culpam inesse concedam.
Es gibt viele falsche Dinge, ihr Richter, die man wenigstens durch Verdachtsgründe einem zur Last legen kann. Wenn aber in diesem Fall ein Verdachtsgrund nachgewiesen werden kann, so will ich zugestehen, dass Schuld vorhanden sei.
Romae Sex. Roscius occiditur, cum in agro Amerino esset filius.
Sextus Roscius wird in Rom getötet, während sein Sohn auf dem Landgut bei Ameria war.
Litteras, credo, misit alicui sicario, qui Romae noverat neminem. arcessivit aliquem. quem aut quando? nuntium misit. quem aut ad quem? pretio, gratia,spe, promissis induxit aliquem. nihil horum ne confingi quidem potest; et tamen causa de parricidio dicitur.
Hat er vielleicht einem Banditen geschrieben, er, der in Rom keine Bekannten hatte! Hat er jemanden kommen lassen? Aber wann? Er hat einen Boten geschickt: welchen und an wen? Hat er jemanden durch Geld, Gunst, Hoffnung, Versprechungen verführt? Nichts von all dem kann auch nur erfunden werden. Und doch wird er wegen Vatermord angeklagt.
 
reliquum est, ut per servos id admiserit. O, di immortales, rem miseram et calamitosam! quid? in tali crimine quod innocenti saluti solet esse, ut servos in quaestionem polliceatur, id Sex. Roscio facere non licet?
Es ist nur noch übrig, dass er das Verbrechen durch Sklaven begangen hätte. O, welch unglückliches, bejammernswertes Los, ihr unsterblichen Götter! Was bei einer solchen Anklage dem Unschuldigen sonst zur Rettung dient, dass er seine Sklaven zur Befragung durch die Folter anbietet, das darf Sextus Roscius nicht tun?
Vos, qui hunc accusatis, omnis eius servos habetis; unus puer victus cotidiani administer ex tanta familia Sex. Roscio relictus non est.
Ihr, die ihr ihn anklagt, seid im Besitz all seiner Sklaven. Nicht ein einziger Bursche, der ihn beim täglichen Essen bedienen könnte, ist von einer so zahlreichen Dienerschaft dem Sextus Roscius übrig geblieben.
te nunc appello, P. Scipio, te, M. Metelle; vobis advocatis, vobis agentibus aliquotiens duos servos paternos in quaestionem ab adversariis Sex. Roscius postulavit;
Ich rufe nun dich, Publius Scipio, dich, Metellus, zu Zeugen an, dass Sextus Roscius unter eurem Beistand und eurer Mitwirkung von seinen Gegnern zwei Sklaven seines Vaters wiederholt zur peinlichen Untersuchung verlangt hat.
meministisne T. Roscium recusare?quid? ei servi ubi sunt? Chrysogonum, iudices, sectantur; apud eum sunt in honore et in pretio. etiam nunc, ut ex eis quaeratur, ego postulo, hic orat atque obsecrat.
Wisst ihr noch, dass Titus Roscius die Bitte verweigert hat? Wie? Wo sind dieses Sklaven? Sie sind, ihr Richter, im Gefolge des Chrysogonus. Bei ihm gelten sie viel und sind hoch angesehen. Auch jetzt verlange ich, dass man sie peinlich befrage, und dieser hier bittet aufs dringlichste darum.
 
quid facitis? cur recusatis? dubitate etiam nunc, iudices, si potestis, a quo sit Sex. Roscius occisus, ab eone, qui propter illius mortem in egestate et in insidiis versatur, cui ne quaerendi quidem de morte patris potestas permittitur, an ab eis, qui quaestionem fugitant, bona possident, in caede atque ex caede vivunt.
Was tut ihr? Warum weigert ihr euch? Nun zweifelt noch, wenn ihr könnt, ihr Richter, wer den Sextus Roscius gemordet hat: War es der, der infolge dieses Todes in Armut lebt und seines Lebens nicht sicher ist; dem man nicht einmal gestattet, über den Tod seines Vaters eine Untersuchung anzustellen, oder sind es die, die sich der Untersuchung entziehen, seine Güter besitzen, unter Mordtaten und von Mordtaten leben?
omnia, iudices, in hac causa sunt misera atque indigna; tamen hoc nihil neque acerbius neque iniquius proferri potest: mortis paternae de servis paternis quaestionem habere filio non licet!
Alles, ihr Richter, ist in dieser Sache schmerzlich und empörend; aber nichts kann man nennen, was bitterer oder unwürdiger wäre, als dass der Sohn über den Mord seines Vaters gegen die Sklaven des Vaters keine Untersuchung anstellen darf.
ne tam diu quidem dominus erit in suos, dum ex eis de patris morte quaeratur?
Nicht einmal so lange soll er Herr über die Seinigen sein, bis man sie über den Tod des Vaters befragt hat.
veniam, neque ita multo postea, ad hunc locum; nam hoc totum ad Roscios pertinet, de quorum audacia tum me dicturum pollicitus sum, cum Eruci crimina diluissem.
Ich werde bald hernach zu diesem Punkt kommen. Denn diese ganze Sache geht die Roscier an, über deren Frechheit ich alsdann, wenn ich die Anschuldigungen des Erucius entkräftet habe, wie versprochen, reden werde.
 
nunc, Eruci, ad te venio. conveniat mihi tecum necesse est, si ad hunc maleficium istud pertinet, aut ipsum sua manu fecisse, id quod negas, aut per aliquos liberos aut servos.
Nun, Erucius, komme ich zu dir. Du musst mit mir darin einig sein, dass, wenn jene Ãœbeltat diesen angeht, er sie entweder mit eigener Hand vollbracht hat, was du leugnest, oder durch Freigeborene oder durch Sklaven.
liberosne? quos neque ut convenire potuerit neque qua ratione inducere neque ubi neque per quos neque qua spe aut quo pretio potes ostendere.
Durch Freigeborene? Von solchen kannst du aber nicht zeigen, wie er mit ihnen zusammengekommen ist, noch auf welche Art, noch wo, noch durch wen oder durch welche Hoffnung oder welchen Lohn er sie verführen konnte.
ego contra ostendo non modo nihil eorum fecisse Sex. Roscium, sed ne potuisse quidem facere, quod neque Romae multis annis fuerit neque de praediis umquam temere discesserit.
Ich zeige dagegen, dass Sextus Roscius nicht allein nichts dergleichen getan hat, sondern dass der es nicht einmal hat tun können, weil er viele Jahre nicht in Rom war und sich von den Landgütern nie ohne Ursache entfernt hat.
restare tibi videbatur servorum nomen, quo quasi in portum reiectus a ceteris suspicionibus confugere posses;
Nun sollte man denken, bleibe dir noch die Benennung der Sklaven übrig, um zu ihr wie in einen Hafen deine Zuflucht zu nehmen, da du dich bei allen übrigen Verdachtsarten zurückgewiesen siehst.
ubi scopulum offendis 'eius modi, ut non modo ab hoc crimen resilire videas, verum omnem suspicionem in vosmet ipsos recidere intellegas.
Aber da stößt du auf eine solche Klippe, von der du nicht allein die Beschuldigung zurückprallen siehst, sondern auch bemerken musst, wie aller Verdacht auf euch selbst zurückfällt.
 
quid ergo est, quo tamen accusator inopia argumentorum confugerit?
Wohin hat denn also der Ankläger aus Mangel an Beweisen seine Zuflucht genommen?
'eius modi tempus erat,' inquit, 'ut homines volgo impune occiderentur; qua re hoc tu propter multitudinem sicariorum nullo negotio facere potuisti.'
"Die Zeiten waren von der Art, dass Leute häufig ungestraft ermordet wurden; daher konntest du, wegen der Menge der Banditen, jenes ohne Schwierigkeit vollbringen."
interdum mihi videris, Eruci, una mercede duas res adsequi velle, nos iudicio perfundere, accusare autem eos ipsos, a quibus mercedem accepisti.
Manchmal kommt es mir vor, Erucius, du wolltest für einen Lohn zwei Dinge erzielen: uns durch diesen Prozess zu verwirren und diejenigen selbst anzuklagen, von denen du bezahlt bist.
quid ais? volgo occidebantur? per quos et a quibus? nonne cogitas te a sectoribus huc adductum esse? quid postea? nescimus per ista tempora eosdem fere sectores fuisse collorum et bonorum?
Was sagst du? Mordtaten wurden allethalben begangen? Durch wen und auf wessen Geheiß? Fällt es dir nicht ein, dass du von Seelenverkäufern hierher geführt worden bist? Und dann: wissen wir nicht, dass in jenen Zeiten die Seelenverkäufer und Güteraufkäufer ungefähr dieselben waren?
 
ei denique, qui tum armati dies noctesque concursabant, qui Romae erant adsidui, qui omni tempore in praeda et in sanguine versabantur, Sex. Roscio temporis illius acerbitatem iniquitatemque obicient et illam sicariorum multitudinem, in qua ipsi duces ac principes erant, huic crimini putabunt fore?
Diejenigen endlich, die damals Tag und Nacht bewaffnet Aufläufe veranstalteten und beständig in Rom waren, die jederzeit mit Raub und Blutvergießen beschäftigt waren, die sollten dem Sextus Roscius die Ungunst und das Missgeschick jener Zeit zum Vorwurf machen? Die sollten meinen, dass jene große Anzahl von Banditen, worunter sie selbst Führer und Häupter waren, dazu gebracht werden könnte, seine Schuld zu beweisen?
qui non modo Romae non fuit, sed omnino, quid Romae ageretur, nescivit, propterea quod ruri adsiduus, quem ad modum tute confiteris, fuit.
War er doch nicht nur nicht in Rom, sondern war überhaupt von dem, was in Rom vorging, nicht unterrichtet, weil er, wie du selbst gestehst, sich beständig auf dem Land aufhielt?
 
vereor, ne aut molestus sim vobis, iudices, aut ne ingeniis vestris videar diffidere, si de tam perspicuis rebus diutius disseram.
Ich fürchte, euch beschwerlich zu fallen, ihr Richter, oder Misstrauen gegen eure Einsichten zu verraten, wenn ich über so klare Dinge länger sprechen wollte.
Eruci criminatio tota, ut arbitror, dissoluta est; nisi forte exspectatis, ut illa diluam, quae de peculatu ac de eius modi rebus commenticiis inaudita nobis ante hoc tempus ac nova obiecit;
Die ganze Anschuldigung des Erucius ist jetzt, wie ich glaube, in nichts aufgelöst. Ihr müsstet denn erwarten, dass ich die Vorwürfe widerlege, die er wegen Geldunterschleif und dergleichen erdichteter Dinge, die uns bisher neu und unerhört waren, erhoben hat.
quae mihi iste visus est ex alia oratione declamare, quam in alium reum commentaretur; ita neque ad crimen parricidi neque ad eum, qui causam dicit, pertinebant;
Dabei kam es mir vor, dass er sie aus einer anderen Rede, die er sich auf einen anderen Beklagten ausdachte, entlehnt und so vorgetragen hat; so wenig passen sie auf die Anschuldigung des Vatermordes und auf den Beklagten.
de quibus quoniam verbo arguit, verbo satis est negare. si quid est, quod ad testis reservet, ibi quoque nos, ut in ipsa causa, paratiores reperiet, quam putabat.
Weil er diese Vorwürfe nur mit einem Wort begründete, so ist ein Wort genug, sie zu leugnen. Spart er aber noch etwas für die Zeugen auf, nun, dann wird er uns, wie in dem eigentlichen Rechtshandel, besser gerüstet finden, als er glaubt.
 
2.) 83-123: Gegenangriff auf Capito und Magnus
venio nunc eo, quo me non cupiditas ducit, sed fides.
Ich komme nun auf etwas, worauf mich nicht eine (ehrgeizige) Leidenschaft, sondern Pflichttreue führt.
nam si mihi liberet accusare, accusarem alios potius, ex quibus possem crescere; quod certum est non facere, dum utrumvis licebit.
Denn wenn ich an dem Geschäft eines Anklägers Vergnügen fände, so würde ich lieber andere anklagen, durch deren Anklage ich emporzusteigen hoffen könnte; aber solange ich zwischen beidem die Wahl habe, bin ich entschlossen, jenes nicht zu tun.
is enim mihi videtur amplissimus, qui sua virtute in altiorem locum pervenit, non qui ascendit per alterius incommodum et calamitatem.
Denn der scheint mir achtungswerter zu sein, der sich durch seine Tugend zu einem hören Rang aufschwingt, nicht aber, wer durch anderer Nachteil und Unglück emporsteigt.
desinamus aliquando ea scrutari, quae sunt inania; quaeramus ibi maleficium, ubi et est et inveniri potest;
Lasst uns endlich aufhören, dem nachzuforschen, was grundlos ist. Lasst uns ein Verbrechen untersuchen, wo eines ist und aufgefunden werden kann.
iam intelleges, Eruci, certum crimen quam multis suspicionibus coarguatur, tametsi neque omnia dicam et leviter unum quidque tangam.
Da wirst du denn bald einsehen, Erucius, durch wie viele Verdachtsgründe meine zuverlässige Anklage gerechtfertigt wird, obgleich ich nicht alles anführe und jeden Punkt nur leichthin berühren will.
neque enim id facerem, nisi necesse esset, et id erit signi me invitum facere, quod non persequar longius, quam salus huius et mea fides postulabit.
Auch würde ich dies nicht tun, wenn es nicht notwendig wäre; und das soll der Beweis sein, dass ich es ungern tue, dass ich die Sache nicht weiter verfolgte, als die Rettung dieses Mannes und meine Pflicht es erfordert.
 
causam tu nullam reperiebas in Sex. Roscio; at ego in T. Roscio reperio. tecum enim mihi res est, T. Rosci, quoniam istic sedes ac te palam adversarium esse profiteris.
Du konntest bei Sextus Roscius keine Ursache (für den Mord) auffinden; aber ich finde sie bei Titus Roscius. Denn mit dir habe ich es zu tun, Titus Roscius, weil du dort sitzt und dich offen als unseren Gegner erklärst.
de Capitone post viderimus, si, quem ad modum paratum esse audio, testis prodierit; tum alias quoque suas palmas cognoscet, de quibus me ne audisse quidem suspicatur.
Zu Capito werden wir später kommen, wenn er als Zeuge auftritt, wozu er, wie ich höre, entschlossen ist. Dann wird er auch von seinen sonstigen Heldentaten hören müssen, von denen er nicht einmal ahnt, dass ich sie kenne.
L. Cassius ille, quem populus Romanus verissimum et sapientissimum iudicem putabat, identidem in causis quaerere solebat 'cui bono' fuisset.
Jener bekannte Lucius Cassius, den das römische Volk als den wahrheitsliebendsten und weisesten Richter achtete, pflegte von Zeit zu Zeit bei den Rechtshändeln zu fragen, welchen Nutzen eine Tat gebracht habe.
sic vita hominum est, ut ad maleficium nemo conetur sine spe atque emolumento accedere.
Das liegt einmal in der menschlichen Natur, dass niemand es wagt, ohne Hoffnung auf Gewinn ein Verbrechen zu unternehmen.
 
hunc quaesitorem ac iudicem fugiebant atque horrebant ei, quibus periculum creabatur ideo, quod, tametsi veritatis erat amicus, tamen natura non tam propensus ad misericordiam quam applicatus ad severitatem videbatur.
Jenen als Untersucher und Richter scheuten und flohen alle, die in einen peinlichen Prozess verwickelt waren, weil er zwar Freund der Wahrheit war, aber von Natur weniger zu Mitleid geneigt als streng zu sein schien.
ego, quamquam praeest huic quaestioni vir et contra audaciam fortissimus et ab innocentia clementissimus, tamen facile me paterer vel illo ipso acerrimo iudice quaerente vel apud Cassianos iudices, quorum etiam nunc ei, quibus causa dicenda est, nomen ipsum reformidant, pro Sex. Roscio dicere.
Obgleich nun bei dieser Untersuchung ein Mann den Vorsitz führt, der ebenso entschlossen die Frechheit bekämpft, wie er gegen die Unschuld milde gesinnt ist, so würde ich es doch leicht über mich bringen, für den Sextus Roscius zu sprechen, selbst wenn jener Scharfrichter die Untersuchung führte, oder vor Richtern, die dem Cassius ähnlich sind und vor deren Namen sogar jetzt noch die Beklagten zittern.
 
in hac enim causa cum viderent illos amplissimam pecuniam possidere, hunc in summa mendicitate esse, illud quidem non quaererent, cui bono fuisset, sed eo perspicuo crimen et suspicionem potius ad praedam adiungerent quam ad egestatem.
Denn wenn diese im gegenwärtigen Fall sähen, dass jene ein so glänzendes Vermögen besitzen, dieser hingegen sich in der mittellosesten Armut befinde, so würden sie nicht erst fragen, was die Tat für Vorteile gebracht hat, sondern, da dies augenscheinlich ist, die Anklage und den Verdacht eher auf die Seite des Raubes als der Armut stellen.
Quid, si accedit eodem, ut tenuis antea fueris? Quid, si, ut avarus? quid, si, ut audax? quid, si, ut illius, qui occisus est, inimicissimus? num quaerenda causa, quae te ad tantum facinus adduxerit?
Wie? Wenn dazu auch noch kommt, dass du zuvor in niedrigsten Verhältnissen lebtest, dass du habsüchtig, dass du frech, dass du ein Todfeind des Ermordeten warst?Muss man da erst nach der Ursache fragen, die dich zu einem so großen Frevel verleitet hat?
quid ergo horum negari potest? Tenuitas hominis eius modi est, ut dissimulari non queat atque eo magis eluceat, quo magis occultatur.
Was kann nun von all dem bestritten werden? Die dürftigen Verhältnisse des Mannes sind von der Art, dass sie nicht verleugnet werden können und sich umso mehr kundgeben, je mehr sie verdeckt werden sollen.
 
avaritiam praefers, qui societatem coieris de municipis cognatique fortunis cum alienissimo.
Die Habsucht beweist du, indem du dich mit einem ganz Fremden in einen Verein zur Aufteilung des Vermögens eines Mitbürgers und Verwandten eingelassen hast.
quam sis audax, ut alia obliviscar, hinc omnes intellegere potuerunt, quod ex tota societate, hoc est ex tot sicariis, solus tu inventus es, qui cum accusatoribus sederes atque os tuum non modo ostenderes sed etiam offerres.
Wie frech du bist, das konnte, um anderes zu übergehen, jedermann schon daraus erkennen, dass du allein aus der ganzen Sippschaft, d.h. aus einem Haufen von Banditen, dich herausfinden ließest, um unter den Anklägern zu sitzen und deine Stirn nicht allein zu zeigen, sondern sogar zur Schau zu tragen.
inimicitias tibi fuisse cum Sex. Roscio et magnas rei familiaris controversias concedas, necesse est.
Dass du mit Sextus Roscius in Feindschaft und großem Vermögensstreit gestanden hast, musst du notwendig zugeben.
 
restat, iudices, ut hoc dubitemus, uter potius Sex. Roscium occiderit, is, ad quem morte eius divitiae venerint, an is, ad quem mendicitas;
Es ist nun, ihr Richter, noch zu erwägen übrig, wer wohl eher den Sextus Roscius getötet haben wird, der, der die Reichtümer nach dessen Tod erbte, oder der, der den Bettelstab;
is, qui antea tenuis fuerit, an is, qui postea factus sit egentissimus;
der, der zuvor dürftig war, oder der, der nachher ganz arm geworden ist;
is, qui ardens avaritia feratur infestus in suos, an is, qui semper ita vixerit, ut quaestum nosset nullum, fructum autem eum solum, quem labore peperisset;
der, der brennend vor Habsucht auf seine Verwandten feindlich losstürmt, oder der, der immer so lebte, dass er keine Erwerbsucht und nur einen durch Arbeit errungenen Genuss kannte;
is, qui omnium sectorum audacissimus sit, an is, qui propter fori iudiciorumque insolentiam non modo subsellia, verum etiam urbem ipsam reformidet;
der, der der allerfrechste Güterkäufer ist, oder der, der wegen seiner mangelnden Vertrautheit mit dem Forum und den Gerichten, nicht nur diese Bänke, sondern die Stadt selbst fürchtet;
postremo, iudices, id quod ad rem mea sententia maxime pertinet, utrum inimicus potius an filius.
endlich, ihr Richter, was nach meiner Meinung die Hauptsache ist, ob eher der Feind oder der Sohn das getan hat?
 
haec tu, Eruci, tot et tanta si nanctus esses in reo, quam diu diceres! quo te modo iactares! tempus hercule te citius quam oratio deficeret.
Hättest du, Erucius, so viele und so wichtige Gründe gegen den Beklagten gefunden, wie lange würdest du da reden! Wie würdest du dich da brüsten! Wahrlich die Zeit wäre dir eher versiegt als der Redefluss!
etenim in singulis rebus eius modi materies est, ut dies singulos possis consumere.
Denn jeder einzelne Punkt gibt solchen Stoff, dass man einen Tag damit zubringen könnte.
Neque ego non possum; non enim tantum mihi derogo, tametsi nihil adrogo, ut te copiosius quam me putem posse dicere.
Auch ich wäre durchaus im Stande, das zu tun. Denn so wenig ich mich allzu hoch stellen will, so stelle ich mich doch nicht so niedrig, dass ich dir eine reichere Fülle des Vortrags als mir zutrauen sollte.
verum ego forsitan propter multitudinem patronorum in grege adnumerer, te pugna Cannensis accusatorem sat bonum fecit.
Übrigens mag ich vielleicht bei der Menge von Sachwaltern zum großen Haufen derselben gerechnet werden; Dich hat jene Niederlage bei Cannae zu einem ziemlich guten Ankläger erhoben.
multos caesos non ad Trasumennum lacum, sed ad Servilium vidimus.
Wir haben es ja erlebt, dass viele nicht am Trasimenischen See , sondern am Servilischen Teich erschlagen wurden.
 
"quis ibi non est volneratus ferro Phrygio?" non necesse est omnis commemorare Curtios, Marios, denique Memmios quos iam aetas a proeliis avocabat, postremo Priamum ipsum senem, Antistium, quem non modo aetas sed etiam leges pugnare prohibebant.
"Wer ist dort nicht durch den phrygischen Mordstahl verwundet worden?" Es ist nicht nötig, alle zu erwähnen, Männer wie Curtius, Marius, Mamercus, schließlich Memmius, die ihr Alter schon vom Kampf fernthielt, endlich jenen hochbejahrten Priamus, den Antistius, den nicht nur das Alter, sondern auch die Gesetze vom Kriegsdienst freisprachen.
iam quos nemo propter ignobilitatem nominat, sescenti sunt, qui inter sicarios et de veneficiis accusabant; qui omnes, quod ad me attinet, vellem viverent.
Ferner gibt es viele Hunderte, deren Namen wegen ihrer geringen Berühmtheit niemand nennt, die bei Meuchelmord und Giftmischerei die Ankläger machten. Von mir aus sollten diese alle noch am Leben sein!
nihil enim mali est canes ibi quam plurimos esse, ubi permulti observandi multaque servanda sunt.
Denn es ist nicht schlecht, wenn es da möglichst viele Hunde gibt, wo gar viele zu hüten sind, und vieles zu behüten.
 
verum, ut fit, multa saepe imprudentibus imperatoribus vis belli ac turba molitur.
Aber der Drang und Sturm des Kriegs vollbringt, wie es zu gehen pflegt, gar viel ohne Wissen der Befehlshaber.
dum is in aliis rebus erat occupatus, qui summam rerum administrabat, erant interea, qui suis volneribus mederentur; qui, tamquam si offusa rei publicae sempiterna nox esset, ita ruebant in tenebris omniaque miscebant;
Während der Verwalter der obersten Staatsgewalt mit anderen Dingen beschäftigt war, gab es inzwischen Leute, die die eigenen Wunden zu heilen suchten, die, als ob über den Staat eine ewige Nacht hereingebrochen wäre, im Dunkel umherrannten und alles in Verwirrung setzten.
a quibus miror, ne quod iudiciorum esset vestigium, non subsellia quoque esse combusta; nam et accusatores et iudices sustulerunt.
Ich wundere mich, dass von ihnen nicht auch die Bänke verbrannt wurden, damit keine Spur der Gerichte mehr vorhanden wäre; denn Ankläger und Richter hatten sie aus dem Weg geräumt.
hoc commodi est, quod ita vixerunt, ut testis omnis, si cuperent, interficere non possent; nam dum hominum genus erit, qui accuset eos, non deerit; dum civitas erit, iudicia fient.
Das ist noch ein Vorteil, dass sie so gelebt haben, dass sie nicht alle Zeugen, wenn sie es auch wünschten, hinmorden konnten. Denn solange die Menschheit fortbesteht, wird es nicht an Klägern gegen sie fehlen; solange es noch einen Staat gibt, wird Gericht gehalten werden.
verum, ut coepi dicere, et Erucius, haec si haberet in causa, quae commemoravi, posset ea quamvis diu dicere, et ego, iudices, possum;
Aber sowohl Erucius könnte, was ich oben bemerkt habe, wenn er diesen Gegenstand zu bearbeiten hätte, den ich erwähnt habe, ihn so weitläufig, als man wollte, ausführen könnte, als auch ich, ihr Richter, kann es.
sed in animo est, quem ad modum ante dixi, leviter transire ac tantum modo perstringere unam quamque rem, ut omnes intellegant me non studio accusare sed officio defendere.
Aber ich habe mir, wie gesagt, vorgenommen, nur leicht darüber hinwegzugehen und jeden Punkt nur zu berühren, damit jedermann sehe, dass ich nicht mit Leidenschaft anklage, sondern aus Pflicht verteidige.
 
video igitur causas esse permultas, quae istum impellerent; videamus nunc, ecquae facultas suscipiendi malefici fuerit.
Ich finde also, dass sehr viele Beweggründe vorhanden waren, die ihn bestimmen konnten. Wir wollen nun sehen, ob er nach den Umständen den Frevel unternehmen konnte.
Ubi occisus est Sex. Roscius? —Romae. — quid? tu, T. Rosci, ubi tunc eras? — Romae. verum quid ad rem? et alii multi. — quasi nunc id agatur, quis ex tanta multitudine occiderit, ac non hoc quaeratur, eum, qui Romae sit occisus, utrum veri similius sit ab eo esse occisum, qui adsiduus eo tempore Romae fuerit, an ab eo, qui multis annis Romam omnino non accesserit.
Wo wurde Sextus Roscius ermordet? In Rom. Und du, Titus Roscius, wo warst du damals? In Rom. "Aber was tut das zur Sache? Da waren ja noch viele andere." Als ob es hierauf ankäme, wer aus der so großen Menge der Mörder sei, und nicht das die Frage wäre, was wahrscheinlicher sei, ob das, dass der in Rom Ermordete durch dessen Hand gefallen sei, der zu jener Zeit beständig in Rom lebte, oder dessen, der viele Jahre lang gar nicht nach Rom gekommen ist.
 
age nunc ceteras quoque facultates consideremus. erat tum multitudo sicariorum, id quod commemoravit Erucius, et homines impune occidebantur.
Wohlan denn, wir wollen auch die übrigen Möglichkeiten untersuchen. Es gab damals, was Erucius angeführt hat, eine Menge Banditen, und die Leute wurden ungestraft ermordet.
quid? ea multitudo quae erat? opinor, aut eorum, qui in bonis erant occupati, aut eorum, qui ab eis conducebantur, ut aliquem occiderent.
Wie? Was war das für eine Menge? Entweder waren es solche, die sich mit Güterraub beschäftigten, oder solche, die von diesen zu einem Mord gedungen waren.
si eos putas, qui alienum appetebant, tu es in eo numero, qui nostra pecunia dives es; sin eos, quos, qui leviore nomine appellant, percussores vocant, quaere in cuius fide sint et clientela;
Meinst du jene, die nach fremdem Gut trachteten, so gehörst du zu denselben, da du dich durch unser Vermögen bereichert hast. Meinst du aber diejenigen, die, wer sie mit einem milderen Namen bezeichnen will, Schläger nennt, so frage nach, unter wessen Schutz und Anwaltschaft sie stehen.
mihi crede, aliquem de societate tua reperies; et, quicquid tu contra dixeris, id cum defensione nostra contendito; ita facillime causa Sex. Rosci cum tua conferetur.
Glaube mir, du wirst einen finden, der zu deiner Sippschaft gehört; und was du dagegen sagen magst, das halte mit unserer Verteidigung zusammen. Dann wird die Sache des Sextus Roscius am leichtesten mit der deinigen verglichen werden können.
 
dices: 'quid postea, si Romae adsiduus fui?' respondebo: 'at ego omnino non fui.' —
Du wirst sagen: "Was folgt daraus, wenn ich beständig in Rom war?" Ich antwortete: aber ich war gar nicht dort!
fateor me sectorem esse, verum et alii multi. — at ego, ut tute arguis, agricola et rusticus. —
"Ich gestehe, dass ich ein Güterkäufer bin; aber es gibt ja noch viele andere." Aber ich, wie du mir selbst vorwirfst, bin ein Landmann und Bauer.
non continuo, si me in gregem sicariorum contuli, sum sicarius. — at ego profecto, qui ne novi quidem quemquam sicarium, longe absum ab eius modi crimine.
"Habe ich mich auch unter die Schar der Banditen gemischt, so bin ich darum doch nicht sofort auch ein Bandit." Aber mir, der ich nicht einmal irgendeinen Banditen kennen, muss doch wohl eine solche Anschuldigung ganz fern liegen.
permulta sunt, quae dici possunt, qua re intellegatur summam tibi facultatem fuisse malefici suscipiendi;
So lässt sich sehr vieles angeben, woraus man sich überzeugen kann, dass du am meisten in der Lage warst, das Verbrechen zu unternehmen.
quae non modo idcirco praetereo, quod te ipsum non libenter accuso, verum eo magis etiam, quod, si de illis caedibus velim commemorare, quae tum factae sunt, ista eadem ratione, qua Sex. Roscius occisus est, vereor, ne ad pluris oratio mea pertinere videatur.
Doch ich übergehe dies nicht allein darum, weil ich dich nicht gern anklage, sondern auch oder noch mehr darum, weil, wenn ich jene Mordtaten erwähnen wollte, die damals unter ebensolchen Verhältnissen vorfielen, unter denen Sextus Roscius getötet wurde, ich befürchten müsste, man möchte meinem Vortrag eine Beziehung auf zu viele Leute unterlegen.
 
videamus nunc strictim, sicut cetera, quae post mortem Sex. Rosci abs te, T. Rosci, facta sunt;
Wir wollen nun knapp, wie bisher, sehen, was nach dem Tod des Sextus Roscius du, Titus Roscius, getan hast.
quae ita aperta et manifesta sunt, ut medius fidius, iudices, invitus ea dicam. vereor enim, cuicuimodi es, T. Rosci, ne ita hunc videar voluisse servare, ut tibi omnino non pepercerim.
Das ist so offenbar und augenfällig, dass ich, ihr Richter, fürwahr ungern davon spreche. Denn was auch von dir zu halten sein mag, Titus Roscius, ich fürchte, man könnte von mir glauben, ich hätte über dem Bestreben, diesen zu retten, dich überhaupt nicht geschont.
cum hoc vereor et cupio tibi aliqua ex parte, quod salva fide possim, parcere, rursus immuto voluntatem meam;
Indem ich dieser Besorgnis Raum gebe und, soweit es mir die Pflicht erlaubt, den Wunsch fühle, dich zu schonen, muss ich doch meinen Vorsatz wieder ändern.
venit enim mihi in mentem oris tui. Tene, cum ceteri socii tui fugerent ac se occultarent, ut hoc iudicium non de illorum praeda, sed de huius maleficio fieri videretur, potissimum tibi partis istas depoposcisse, ut in iudicio versarere et sederes cum accusatore?
Denn ich muss an deine Dreistigkeit denken. Du konntest, während deine übrigen Genossen sich zurückzogen und sich nicht sehen ließen, damit man nicht glaube, dieser Rechtshandel gelte ihrem Raub, sondern vielmehr dem Verbrechen des Beklagten, da konntest du dir die Rolle auswählen, bei der Verhandlung anwesend zu sein und dich neben den Ankläger zu setzen?
qua in re nihil aliud adsequeris, nisi ut ab omnibus mortalibus audacia tua cognoscatur et impudentia.
Aber dadurch wirst du nichts erreichen, als dass alle Welt deine Frechheit und Schamlosigkeit kennen lernt.
 
occiso Sex. Roscio quis primus Ameriam nuntiat? Mallius Glaucia, quem iam antea nominavi, tuus cliens et familiaris.
Nach der Ermordung des Sextus Roscius ist es da nicht dein Schützling und Vertrauter, Mallius Glaucia, den ich schon vorhin genannt habe, der zuerst die Nachricht nach Ameria bringt?
quid attinuit eum potissimum nuntiare, quod, si nullum iam ante consilium de morte ac de bonis eius inieras nullamque societatem neque scelerisneque praemi cum homine ullo coieras, ad te minime omnium pertinebat? — Sua sponte Mallius nuntiat. —
Warum musste gerade er es sein, der eine Meldung machte, die dich am allerwenigsten anging, wenn du nicht schon vorher über den Tod und die Güter von jenem einen Plan geschmiedet und nicht mit jemandem einen Bund zu Verbrechen und Lohn geschlossen hattest? "Mallius hat aus eigenem Antrieb die Nachricht überbracht."
quid, quaeso, eius intererat? an, cum Ameriam non huiusce rei causa venisset, casu accidit, ut id, quod Romae audierat, primus nuntiaret?
Was lag doch ihm an der Sache? War es Zufall, dass er, ohne gerade deshalb nach Ameria gekommen zu sein, das, was er in Rom gehört hatte, als erster meldete?
cuius rei causa venerat Ameriam? 'non possum' inquit 'divinare.'
Warum war er nach Ameria gekommen? "Das kann ich nicht erraten", sagte er.
eo rem iam adducam, ut nihil divinatione opus sit.
Ich will es sogleich dahin bringen, dass man nicht mehr raten muss.
qua ratione T. Roscio Capitoni primo nuntiavit?
Warum hat er es dem Roscius Capito zuerst gemeldet?
cum Ameriae Sex. Rosci domus, uxor liberique essent, cum tot propinqui cognatique optime convenientes, qua ratione factum est, ut iste tuus cliens, sceleris tui nuntius, T. Roscio Capitoni potissimum nuntiaret?
Da in Ameria das Haus, die Gattin, die Kinder des Sextus Roscius und so viele seiner Angehörigen und Verwandten waren, die mit ihm in bestem Einverständnis lebten, wie kam es, dass dieser dein Schützling, der Verkünder deines Verbrechens, es gerade dem Titus Roscius Capito meldete?
 
occisus est a cena rediens; nondum lucebat, cum Ameriae scitum est. quid hic incredibilis cursus, quid haec tanta celeritas festinatioque significat?
Er wurde auf dem Heimweg vom Abendessen ermordet. Ehe es Tag war, wusste man es schon in Ameria. Woher diese unglaublich schnelle Reise, diese Hast und Eile?
non quaero, quis percusserit; nihil est, Glaucia, quod metuas; non excutio te, si quid forte ferri habuisti, non scrutor; nihil ad me arbitror pertinere; quoniam, cuius consilio occisus sit, invenio, cuius manu sit percussus non laboro.
Ich frage nicht, wer zugestochen hat. Du brauchst dich nicht zu fürchten, Glaucia: ich durchsuche dich nicht; ich forsche nicht, ob du etwa eine Mordwaffe bei dir hattest; das ist, wie ich glaube, nicht wichtig für mich. Weil ich entdeckt habe, nach wessen Absicht er ermordet wurde, gebe ich mich nicht damit ab, wessen Hand ihn erstochen hat.
Unum hoc sumo, quod mihi apertum tuum scelus resque manifesta dat:
Ich halte mich allein an das, was mir dein offenbares Verbrechen und die augenfällige Tatsache an die Hand gibt.
Ubi aut unde audivit Glaucia? qui tam cito scivit? fac audisse statim; quae res eum nocte una tantum itineris contendere coegit?
Wo oder woher hat es Glaucia gehört? Wie konnte er es so schnell erfahren? Nehmen wir an, er habe es auf der Stelle gehört. Was nötigte ihn denn, in einer Nacht einen so weiten und anstrengenden Weg zurückzulegen?
quae necessitas eum tanta premebat, ut, si sua sponte iter Ameriam faceret, id temporis Roma proficisceretur, nullam partem noctis requiesceret?
Welche so dringenden Umstände nötigten ihn, wenn er von sich aus nach Ameria reiste, zu dieser Stunde aus Rom abzugehen und keinen Augenblick der Nacht zu ruhen?
 
etiamne in tam perspicuis rebus argumentatio quaerenda aut coniectura capienda est?
Sollte man, wo die Sache so klar vor Augen liegt, noch eine Beweisführung suchen oder Vermutungen zu Hilfe nehmen?
nonne vobis haec, quae audistis, cernere oculis videmini, iudices?
Ist es euch nicht, ihr Richter, als ob ihr das, was ihr gehört habt, mit eigenen Augen seht?
non illum miserum, ignarum casus sui, redeuntem a cena videtis, non positas insidias, non impetum repentinum?
Erblickt ihr nicht jenen Unglücklichen, wie er, ohne sein Missgeschick zu ahnen, vom Mahl heimgeht, wie ihm aufgelauert wird, wie er plötzlich angefallen wird?
non versatur ante oculos vobis in caede Glaucia? non adest iste T. Roscius? non suis manibus in curru conlocat Automedontem illum, sui sceleris acerbissimi nefariaeque victoriae nuntium?
Seht ihr nicht bei dem Mord den Glaucia vor euch stehen, ist nicht Titus Roscius zugegen? Hebt er nicht mit eigenen Händen jenen Automedon, den Boten seines abscheulichen Frevels und verbrecherischen Sieges, auf den Wagen?
Non orat, ut eam noctem pervigilet, ut honoris sui causa laboret, ut Capitoni quam primum nuntiet?
Bittet er nicht, diese Nacht durch zu wachen, ihm zu Ehren diese Anstrengung zu übernehmen und baldmöglichst es dem Capito zu hinterbringen?
 
quid erat, quod Capitonem primum scire vellet? Nescio, nisi hoc video, Capitonem in his bonis esse socium; de tribus et decem fundis tris nobilissimos fundos eum video possidere.
Was hatte er für einen Grund, den Capito zuerst davon in Kenntnis zu setzen? Ich weiß es nicht, nur das sehe ich, dass Capito Teilhaber an den Gütern ist. Ich sehe, dass er von dreizehn Landgütern die drei vorzüglichsten in Besitz hat.
 
audio praeterea non hanc suspicionem nunc primum in Capitonem conferri; multas esse infamis eius palmas, hanc primam esse tamen lemniscatam, quae Roma ei deferatur; nullum modum esse hominis occidendi, quo ille non aliquot occiderit, multos ferro, multos veneno.
Ich höre überdies, dass dies nicht der erste Verdacht ist, der auf Capito fällt, dass er schon viele schandbare Heldenkränze zählt, dass dies aber der erste mit Bändern durchflochtene ist, der ihm in Rom zuteil geworden ist; dass es keine Art zu morden gibt, nach der er nicht schon einige aus der Welt geschafft hat: dass er viele erdolcht, viele vergiftet hat.
habeo etiam dicere, quem contra morem maiorum minorem annis LX de ponte in Tiberim deiecerit. quae, si prodierit atque adeo cum prodierit — scio enim proditurum esse — audiet.
Ich kann auch einen nennen, den er gegen die Weise der Vorfahren, obwohl er jünger als 60 Jahre war, von der Brücke in den Tiber hinabstieß. Das wird er, falls er (als Zeuge) auftritt, vielmehr, sobald er auftritt (denn ich weiß, dass er dies tun wird) hören müssen.
 
veniat modo, explicet suum volumen illud, quod ei planum facere possum Erucium conscripsisse; quod aiunt illum Sex. Roscio intentasse et minitatum esse se omnia illa pro testimonio esse dicturum.
Er soll nur kommen und jene Rolle entfalten, die ihm Erucius, wie ich beweisen kann, aufgesetzt hat; die er dem Sextus Roscius mit der Drohung vorgewiesen hat, dies alles als Zeugnis vorzutragen. Cic.S.Rosc.101.a
O praeclarum testem, iudices! o gravitatem dignam exspectatione! o vitam honestam atque eius modi, ut libentibus animis ad eius testimonium vestrum iusiurandum accommodetis!
Welch ein trefflicher Zeuge, ihr Richter! Welch ein würdiges Betragen, das ganz den Erwartungen entspricht! Welch ehrenwertes Leben, ganz geeignet, dass ihr auf sein Zeugnis hin unbedenklich schwören könnt!
profecto non tam perspicue nos istorum maleficia videremus, nisi ipsos caecos redderet cupiditas et avaritia et audacia.
Fürwahr wir würden ihre Verbrechen nicht so augenscheinlich erkennen, wenn sie selbst nicht ihre Leidenschaft, Habsucht und Frechheit blenden würde.
 
alter ex ipsa caede volucrem nuntium Ameriam ad socium atque adeo magistrum suum misit, ut, si dissimulare omnes cuperent se scire ad quem maleficium pertineret, tamen ipse apertum suum scelus ante omnium oculos poneret.
Der eine hat unmittelbar nach dem Mord einen geflügelten Boten an seinen Mitgenossen, besser Meister nach Ameria geschickt, dass er, wenn auch alle Welt so tun wolle, als müsste sie nicht, wem das Verbrechen zur Last falle, doch selbst seinen Frevel offen vor aller Augen darlege.
alter, si dis immortalibus placet, testimonium etiam in Sex. Roscium dicturus est; quasi vero id nunc agatur, utrum, is quod dixerit, credendum, ac non, quod fecerit, vindicandum sit.
Der andere wird sogar (wenn es den unsterblichen Göttern gefällt) ein Zeugnis gegen Sextus Roscius ablegen. Als ob es sich jetzt darum handelte, ob das, was dieser sagt, glaubwürdig sei, und nicht vielmehr, ob das, was er getan hat, zu bestrafen sei.
itaque more maiorum comparatum est, ut in minimis rebus homines amplissimi testimonium de sua re non dicerent.
Daher ist es ein in der Sitte der Vorfahren begründeter Gebrauch, dass auch bei den geringfügigsten Dingen, die angesehensten Leute in eigener Sache kein Zeugnis ablegen.
 
Africanus, qui suo cognomine declarat tertiam partem orbis terrarum se subegisse, tamen, si sua res ageretur, testimonium non diceret; nam illud in talem virum non audeo dicere: si diceret, non crederetur.
Ein Africanus, dessen Beiname anzeigt, dass er ein Drittel des Erdkreises bezwungen hat, würde doch, wenn seine eigene Sache verhandelt würde, kein Zeugnis ablegen. Ich möchte nicht einmal wagen, von einem solchen Mann so etwas auszusprechen; und wenn er es auch ablegte, so würde man ihm nicht glauben.
videte nunc quam versa et mutata in peiorem partem sint omnia. cum de bonis et de caede agatur, testimonium dicturus est is, qui et sector est et sicarius, hoc est, qui et illorum ipsorum bonorum de quibus agitur emptor atque possessor est et eum hominem occidendum curavit de cuius morte quaeritur.
Seht nun, welche schlimme Wendung alles genommen hat. Jetzt, da es sich um Güterbesitz und Mord handelt, will der, der Güterverkäufer und Mörder zugleich ist, ein Zeugnis ablegen; das heißt, der, der eben jene Güter, um die es sich handelt, erstanden hat und besitzt und jenen Mann hat töten lassen, über dessen Ermordung die jetzige Untersuchung geführt wird.
 
quid? tu, vir optime, ecquid habes, quod dicas? mihi ausculta: vide, ne tibi desis; tua quoque res permagna agitur.
Wie nun, mein Bester, was hast du zu sagen? Höre mir aufmerksam zu; sieh, dass du deinen eigenen Vorteil nicht versäumst; denn es handelt sich auch um wichtige Dinge, die dich angehen.
multa scelerate, multa audaciter, multa improbe fecisti, unum stultissime, profecto tua sponte, non de Eruci sententia: nihil opus fuit te istic sedere. neque enim accusatore muto neque teste quisquam utitur eo, qui de accusatoris subsellio surgit.
Du hast viel Schlechtes, Freches, und Ruchloses getan; aber eines hast du sehr dumm gemacht, gewiss aus eigenem Antrieb, nicht auf den Rat des Erucius: Du hättest dich nicht hier hinsetzen sollen. Denn niemand will einen stummen Ankläger haben oder einen Zeugen, der sich von der Bank des Anklägers erhebt.
adhuc accedit, quod paulo tamen occultior atque tectior vestra ista cupiditas esset.
Dazu kommt, dass diese eure Habsucht (im anderen Fall) doch ein wenig geheimer und verborgener bliebe.
nunc quid est, quod quisquam ex vobis audire desideret, cum, quae facitis, eius modi sint, ut ea dedita opera a nobis contra vosmet ipsos facere videamini?
Was kann man aber nun noch von euch zu hören wünschen, da ihr so vorgeht, als ob ihr absichtlich für uns gegen euch selbst wirken wolltet.
age nunc illa videamus, iudices, quae statim consecuta sunt.
Wohlan nun, ihr Richter, wir wollen sehen, was unmittelbar nachher geschah.
 
ad Volaterras in castra L. Sullae mors Sex. Rosci quadriduo, quo is occisus est, Chrysogono nuntiatur.
Nach Volaterrae in Lucius Sullas Lager wird der Tod des Roscius vier Tage nach dessen Ermordung dem Chrysogonus gemeldet.
quaeritur etiam nunc, quis eum nuntium miserit? nonne perspicuum est eundem, qui Ameriam?
Auch hier stellt sich die Frage, wer diese Nachricht dorthin geschickt hat. Ist es nicht klar, dass es derselbe war, der auch nach Ameria schickte?
curat Chrysogonus, ut eius bona veneant statim; qui non norat hominem aut rem.
Chrysogonus veranlasst, dass seine Güter sogleich versteigert werden; er, der doch den Mann und die Sache nicht kannte.
at qui ei venit in mentem praedia concupiscere hominis ignoti, quem omnino numquam viderat?
Aber wie konnte es ihm einfallen, die Güter eines unbekannten Mannes, den er durchaus nie gesehen hatte, heiß zu begehren?
Soletis, cum aliquid huiusce modi audistis, iudices, continuo dicere: 'necesse est aliquem dixisse municipem aut vicinum; ei plerumque indicant, per eos plerique produntur.'
Wenn ihr so etwas hört, ihr Richter, so sagt ihr gewöhnlich sogleich, ein Mitbürger oder Nachbar müsse die Sache angezeigt haben. Diese zeigen in der Regel an, durch sie werden die meisten verraten.
 
hic nihil est, quod suspicione occupetis. non enim ego ita disputabo: 'veri simile est Roscios istam rem ad Chrysogonum detulisse; erat enim eis cum Chrysogono iam antea amicitia;
Hier habt Ihr keinen Grund, es für bloßen Verdacht zu halten; denn ich erkläre den Fall nicht so, dass es nur wahrscheinlich sei, dass die Roscier jene Sache an den Chrysogonus gebracht haben; denn sie standen ja zuvor schon in Freundschaft mit Chrysogonus.
nam cum multos veteres a maioribus Roscii patronos hospitesque haberent, omnis eos colere atque observare destiterunt ac se in Chrysogoni fidem et clientelam contulerunt.'
Obwohl die Roscier nämlich viele alte Schutzherren und Gastfreunde von ihren Vorfhren her hatten, haben sie sich von der deren pflichtmäßigen Verehrung insgesamt losgesagt und sich in den Schutz und die Anwaltschaft des Chrysogonus begeben.
 
haec possum omnia vere dicere, sed in hac causa coniectura nihil opus est; ipsos certo scio non negare ad haec bona Chrysogonum accessisse impulsu suo.
Dies alles kann ich der Wahrheit gemäß behaupten; aber in dieser Sache bedarf es keiner Vermutung. Ich weiß gewiss, dass jene selbst nicht leugnen, dass Chrysogonus auf ihren Antrieb sich an diese Güter gemacht hat.
si eum, qui indici causa partem acceperit, oculis cernetis, poteritisne dubitare, iudices, qui indicarit?
Wenn ihr denjenigen, der für die Anzeige seinen Teil empfangen hat, mit euren Augen seht, werdet ihr noch zweifeln können, Richter, wer die Sache angezeigt hat?
qui sunt igitur in istis bonis, quibus partem Chrysogonus dederit? duo Roscii. num quisnam praeterea?nemo est, iudices.
Wer ist es nun, dem Chrysogonus einen Teil an jenen Gütern gab? Die beiden Roscier. Und wer weiter? Sonst niemand.
num ergo dubium est, quin ei obtulerint hanc praedam Chrysogono, qui ab eo partem praedae tulerunt?
Ist es also zweifelhaft, dass die dem Chrysogonus jene Beute angegeben haben, die von ihm einen Teil der Beute bekommen haben?
 
age nunc ex ipsius Chrysogoni iudicio Rosciorum factum consideremus.
Lasst uns nun nach dem Urteil des Chrysogonus selbst die Tat der Roscier betrachten.
Si nihil in ista pugna Roscii, quod operae pretium esset, fecerant, quam ob causama Chrysogono tantis praemiis donabantur?
Hatten die Roscier bei jenem Kampf nichts geleistet, was die Mühe wert war, warum wurden sie von Chrysogonus so reichlich belohnt?
si nihil aliud fecerunt, nisi rem detulerunt, nonne satis fuit eis gratias agi, denique, ut perliberaliter ageretur, honoris aliquid haberi?
Taten sie nichts anderes, als dass sie die Meldung brachten? Wäre es nicht genug gewesen, ihnen mündlich zu danken? Oder am Ende, wenn man recht großzügig handeln wollte, ihnen ein Ehrengeschenk zu machen?
cur tria praedia tantae pecuniae statim Capitoni dantur? Cur, quae reliqua sunt, iste T. Roscius omnia cum Chrysogono communiter possidet?
Warum werden drei Landgüter von solchem Wert dem Capito auf der Stelle zugeschanzt? Warum besitzt jener T. Roscius alles übrige gemeinschaftlich mit Chrysogonus?
nonne perspicuum est, iudices, has manubias Rosciis Chrysogonum re cognita concessisse?
Ist nicht offensichtlich, ihr Richter, dass Chrysogonus jenen Beuteteil den Rosciern bewilligte, nachdem er von dem Verlauf der Sache Kenntnis genommen hatte?
 
venit in decem primis legatus in castra Capito. vos totam vitam, naturam moresque hominis ex ipsa legatione cognoscite.
Capito kam unter den zehn Ersten als Gesandter ins Lager. Lernt aus der Gesandtschaft selbst das ganze Benehmen, die Sitten und den Charakter des Mannes kennen.
Nisi intellexeritis, iudices, nullum esse officium, nullum ius tam sanctum atque integrum, quod non eius scelus atque perfidia violarit et imminuerit, virum optimum esse eum iudicatote.
Wofern ihr euch nicht überzeugt, dass es keine Verpflichtung, kein so heiliges unantastbares Recht gibt, das nicht durch seinen Frevel und seine Treulosigkeit verletzt und entweiht worden wäre, so möget ihr ihn für einen ganz rechtschaffenen Mann erklären.
 
impedimento est, quo minus de his rebus Sulla doceatur, ceterorum legatorum consilia et voluntatem Chrysogono enuntiat, monet, ut provideat, ne palam res agatur, ostendit, si sublata sit venditio bonorum, illum pecuniam grandem amissurum, sese capitis periculum aditurum;
Er verhindert, dass Sulla von diesen Vorfällen unterrichtet wird; er verrät dem Chrysogonus die Absicht und die Willensmeinung der übrigen Gesandten; er warnt ihn, er solle auf seiner Hut sein, dass die Sache nicht öffentlich verhandelt werde; er zeigt ihm auf, wenn der Güterverkauf aufgehoben würde, so werde Chrysogonus große Summen verlieren und er selbst auf Leben und Tod angeklagt werden.
illum acuere, hos, qui simul erant missi, fallere, illum identidem monere, ut caveret, hisce insidiose spem falsam ostendere, cum illo contra hos inire consilia, horum consilia illi enuntiare, cum illo partem suam depecisci, hisce aliqua fretus mora semper omnis aditus ad Sullam intercludere.
Jenen reizt er auf, seine Mitgesandten hintergeht er; jenen mahnt er wiederholt, sich vorzusehen; diesen zeigt er hinterlistig trügerische Hoffnungen; mit jenem schmiedet er Pläne gegen diese, und verrät jenem, was diese beschlossen haben; mit jenem vereinbart er seinen Beuteanteil; diesen schneidet er, indem er sich immer auf irgend einen Verzögerungsgrund stützt, allen Zutritt zu Sulla ab.
postremo isto hortatore, auctore, intercessore ad Sullam legati non adierunt; istius fide ac potius perfidia decepti, id quod ex ipsis cognoscere poteritis, si accusator voluerit testimonium eis denuntiare, pro re certa spem falsam domum rettulerunt.
Endlich traten die Gesandten auf sein Anstiften, seinen Rat, seine Einsprache gar nicht vor Sulla. Getäuscht durch seine Zusage, oder vielmehr durch seinen Wortbruch, was ihr aus ihrem Mund selbst vernehmen könnt, wenn der Ankläger sie als Zeugen auffordern will, brachten sie, statt etwas Sicheres ausgerichtet zu haben, nur eine grundlose Hoffnung mit nach Hause.
 
In privatis rebus si qui rem mandatam non modo malitiosius gessisset sui quaestus aut commodi causa, verum etiam neglegentius, eum maiores summum admisisse dedecus existimabant.
Hatte jemand in einer Privatsachen einen Auftrag nicht bloß in böser Absicht des eigenen Nutzens und Gewinnes wegen (schlecht) geführt, sondern auch nur mit zu viel Nachlässigkeit, so urteilten unsere Vorfahren, er habe den größten Schimpf auf sich geladen.
itaque mandati constitutum est iudicium non minus turpe quam furti, credo, propterea quod quibus in rebus ipsi interesse non possumus, in eis operae nostrae vicaria fides amicorum supponitur;
Daher wurden die Rechtsklagen gegen Beauftragte eingeführt, die nicht minder schimpflich war als die gegen Diebe; wahrscheinlich darum, weil da, wo wir selbst nicht zugegen sein können, die Treue der Freunde, die unsere Mitwirkung ersetzen soll, vorausgesetzt wird.
quam qui laedit, oppugnat omnium commune praesidium et, quantum in ipso est, disturbat vitae societatem.
Wer diese verletzt, der greift eine Grundlage der allgemeinen Sicherheit an und zerstört, soviel auf ihn ankommt, die gegenseitigen Lebensverhältnisse.
non enim possumus omnia per nos agere; alius in alia est re magis utilis. Idcirco amicitiae comparantur, ut commune commodum mutuis officiis gubernetur.
Denn wir können ja nicht alles selbst ausrichten. Der eine ist in dieser, der andere in jener Sache besser zu gebrauchen. Eben darum schließt man Freundschaften, damit der gemeinsame Vorteil durch wechselseitige Dienstleistung gefördert werde.
 
quid recipis mandatum, si aut neglecturus aut ad tuum commodum conversurus es? cur mihi te offers ac meis commodis officio simulato officis et obstas?
Warum übernimmst du einen Auftrag, wenn du ihn entweder vernachlässigen oder zu deinem Nutzen verwenden willst? Warum bietest du dich mir an und trittst doch mit geheuchelter Dienstbeflissenheit meinem Interesse feindlich entgegen?
recede de medio: per alium transigam. suscipis onus offici, quod te putas sustinere posse; quod maxime videtur grave eis, qui minime ipsi leves sunt.
Gehe mir lieber aus dem Weg, ich will die Sache durch einen anderen abmachen. Du nimmst die Last einer Verpflichtung auf dich, die du tragen zu können glaubst; die um so weniger schwer erscheint, je weniger leichtsinnig man ist.
ergo idcirco turpis haec culpa est, quod duas res sanctissimas violat, amicitiam et fidem.
Darum ist also ein solches Verschulden schimpflich, weil es die zwei heiligsten Dinge, die Freundschaft und die Treue verletzt.
nam neque mandat quisquam fere, nisi amico, neque credit, nisi ei, quem fidelem putat.
Denn niemand gibt wohl einen Auftrag, außer einem Freund; und niemand vertraut sich wohl einem an, den er nicht für treu hält.
perditissimi est igitur hominis simul et amicitiam dissolvere et fallere eum, qui laesus non esset, nisi credidisset.
Es ist also nur ein grundschlechter Mensch fähig, zugleich die Freundschaft zu brechen und den zu hintergehen, dem kein Nachteil widerfahren wäre, wenn er nicht vertraut hätte.
 
itane est? in minimis rebus qui mandatum neglexerit, turpissimo iudicio condemnetur necesse est, in re tanta, cum is, cui fama mortui, fortunae vivi commendatae sunt atque concreditae, ignominia mortuum, inopia vivum adfecerit, is inter honestos homines atque adeo inter vivos numerabitur?
Ist es nicht so: Wer in den geringfügigsten Dingen seinen Auftrag vernachlässigt hat, muss durch einen entehrenden Spruch verurteilt werden. Sollte aber in einer so wichtigen Sache, wo derjenige, dem die Ehre eines Toten und das Vermögen eines Lebenden übergeben und anvertraut wurden, über den Toten Schmach, über den Lebenden Armut gebracht hat, sollte jener unter den ehrsamen Leuten, ja auch nur unter den Lebenden erscheinen dürfen?
in minimis privatisque rebus etiam neglegentia in crimen mandati iudiciumque infamiae vocatur, propterea quod, si recte fiat, illum neglegere oporteat, qui mandarit, non illum, qui mandatum receperit;
In den geringsten Privatsachen wird schon die Nachlässigkeit als Schuld und Gegenstand eines entehrenden Urteils behandelt; darum, weil, wenn es recht zugeht, eine Vernachlässigung nur dem zusteht, der den Auftrag gegeben, nicht aber dem, der ihn angenommen hat.
in re tanta, quae publice gesta atque commissa sit, qui non neglegentia privatum aliquod commodum laeserit, sed perfidia legationis ipsius caerimoniam polluerit maculaque adfecerit, qua is tandem poena adficietur aut quo iudicio damnabitur?
Wie soll nun in einer so wichtigen Sache, die öffentlich verhandelt und übertragen wurde, derjenige, der nicht aus Nachlässigkeit einen privaten Vorteile verletzt, sondern mit Treulosigkeit die Heiligkeit einer Gesandtschaft entweiht und befleckt hat, wie soll der bestraft, durch welchen Spruch muss er verurteilt werden?
 
si hanc ei rem privatim Sex. Roscius mandavisset, ut cum Chrysogono transigeret atque decideret, inque eam rem fidem suam, si quid opus esse putaret, interponeret, ille, qui sese facturum recepisset, nonne, si ex eo negotio tantulum in rem suam convertisset, damnatus per arbitrum et rem restitueret et honestatem omnem amitteret?
Hätte Sextus Roscius ihm von sich aus aufgetragen, mit Chrysogonus zu verhandeln und die Sache durch Vergleich abzumachen und nötigenfalls sein Wort in dieser Sache zu verpfänden, würde nicht der, der die Leistung auf sich genommen hat, wenn er das Geschäft auch nur im mindesten für seinen Vorteil genützt hätte, durch den Schiedsrichter verurteilt werden und sowohl Ersatz leisten müssen, als auch seine ganze Ehre verlieren?
 
nunc non hanc ei rem Sex. Roscius mandavit, sed id, quod multo gravius est, ipse Sex. Roscius cum fama, vita bonisque omnibus a decurionibus publice T. Roscio mandatus est;
Nun hat ihm aber nicht Sextus Roscius die Sache übertragen, sondern, was weit wichtiger ist, Sextus Roscius selbst, seine Ehre, sein Leben und all seine Habe wurde von den Decurionen öffentlich dem Roscius übergeben;
et ex eo T. Roscius non paululum nescio quid in rem suam convertit, sed hunc funditus evertit bonis, ipse tria praedia sibi depectus est, voluntatem decurionum ac municipum omnium tantidem, quanti fidem suam fecit.
und dabei hat Titus Roscius nicht etwa nur sich um eine Kleinigkeit reicher, sondern diesen ganz arm gemacht; er selbst hat sich drei Landgüter ausbedungen und der Wille der Decurionen und aller Mitbürger seiner Municipialstadt galt ihm ebenso viel, als sein Wort.
 
videte iam porro cetera, iudices, ut intellegatis fingi maleficium nullum posse, quo iste sese non contaminarit.
Betrachtet nun auch das übrige, ihr Richter, damit ihr euch überzeugt, dass dieser Mensch sich mit allen denkbaren Freveln befleckt hat.
in rebus minoribus socium fallere turpissimum est aequeque turpe atque illud, de quo ante dixi;
In Kleinigkeiten einen Genossen zu betrügen, ist schon höchst schändlich und ebenso schändlich wie das, was ich oben erwähnt habe.
neque iniuria, propterea quod auxilium sibi se putat adiunxisse, qui cum altero rem communicavit.
Und mit vollem Recht gilt dies, weil derjenige, der einen andern an einem Geschäft teilnehmen lässt, voraussetzt, er habe sich einen Beistand hinzugezogen.
ad cuius igitur fidem confugiet, cum per eius fidem laeditur, cui se commiserit?
Zu wessen Wort und Schutz soll er noch seine Zuflucht nehmen, wenn er durch dessen Wort, dem er sich anvertraut hat, verletzt wird?
atque ea sunt animadvertenda peccata maxime, quae difficillime praecaventur.
Nun verdienen aber diejenigen Vergehen die schwerste Ahndung, gegen die sich zu verwahren am schwersten ist.
tecti esse ad alienos possumus, intimi multa apertiora videant, necesse est; socium cavere qui possumus? quem etiam si metuimus, ius offici laedimus.
Wir können gegen Fremde zurückhaltend sein, die Vertrauten müssen vieles offener sehen. Aber wie können wir uns vor einem Genossen hüten, da schon die Furcht vor ihm eine Verletzung der Dienstpflicht ist?
recte igitur maiores, cum, qui socium fefellisset, in virorum bonorum numero non putarunt haberi oportere.
Mit Recht haben also unsere Vorfahren geurteilt, dass, wer einen Genossen hintergangen habe, aus der Zahl der rechtlichen Männer getilgt sein solle.
 
at vero T. Roscius non unum rei pecuniariae socium fefellit, quod, tametsi grave est, tamen aliquo modo posse ferri videtur, verum novem homines honestissimos, eiusdem muneris, legationis, offici mandatorumque socios, induxit, decepit, destituit, adversariis tradidit, omni fraude et perfidia fefellit;
Aber Titus Roscius hat nicht einen einzelnen Genossen eines Geldgeschäftes hintergangen, was, obwohl es arg wäre, doch noch erträglich scheinen könnte, sondern er hat neun sehr ehrenwerte Männer, seine Mitbeamten, Mitgesandten, mitverpflichtete, mitbeauftragte Leute angeführt, hintergangen, den Gegnern preisgegeben, durch alle Arten von Tücke und Treulosigkeit betrogen.
qui de scelere suspicari eius nihil potuerunt, socium offici metuere non debuerunt, eius malitiam non viderunt, orationi vanae crediderunt.
Da sie seinen Frevel nicht ahnen konnten, durften sie den mitverpflichteten Genossen nicht fürchten; sie merkten seine Bosheit nicht, sie glaubten seinem leeren Geschwätz.
itaque nunc illi homines honestissimi propter istius insidias parum putantur cauti providique fuisse;
Nun urteilt man von jenen ehrenwerten Männern, sie seien in Betreff seiner Hinterlist nicht wachsam und vorsichtig genug gewesen;
iste, qui initio proditor fuit, deinde perfuga, qui primo sociorum consilia adversariis enuntiavit, deinde societatem cum ipsis adversariis coiit, terret etiam nos ac minatur tribus praediis, hoc est praemiis sceleris, ornatus.
er aber, der von Anfang an den Verräter, dann den Überläufer machte, der zuerst die Absichten seiner Genossen den Gegnern verriet, und dann mit den Gegnern selbst einen Bund schloss, erschreckt und bedroht uns noch, er, der mit drei Landgütern, d.h. mit den Lohn für seinen Frevel ausgestattet ist.
in eius modi vita, iudices, in his tot tantisque flagitiis hoc quoque maleficium, de quo iudicium est, reperietis.
Bei einem solchen Verhalten, ihr Richter, bei so vielen und so großen Vergehen werdet ihr auch die Freveltat, von der es sich bei diesem Prozess handelt, entdecken.
 
etenim quaerere ita debetis: ubi multa avare, multa audacter, multa improbe, multa perfidiose facta videbitis, ibi scelus quoque latere inter illa tot flagitia putatote.
Denn ihr müsst die Sache so verfolgen: wo ihr viele Handlungen der Habsucht, der Frechheit, der Ruchlosigkeit und der Untreue seht, da dürft ihr glauben, dass unter so vielen Missetaten auch dieses Verbrechen verborgen ist;
tametsi hoc quidem minime latet, quod ita promptum et propositum est, ut non ex illis maleficiis, quae in illo constat esse, hoc intellegatur, verum ex hoc etiam, si quo de illorum forte dubitabitur, convincatur.
wiewohl das keine verborgene Sache ist, was so am Tag liegt, dass man nicht erst aus jenen Freveln, die ihm nachweislich zur Last fallen, auf diesen schließen darf; sondern dass er auch aus diesem wegen jener überwiesen werden kann, wenn etwa einer derselben noch zweifelhaft wäre.
quid tandem, quaeso, iudices? num aut ille lanista omnino iam a gladio recessisse videtur aut hic discipulus magistro tantulum de arte concedere?
Wie, ihr Richter? oder scheint euch jener Fechtmeister schon ganz den Fechter abgelegt zu haben, oder jener Schüler dem Meister nur um weniges in der Kunst nachzustehen?
par est avaritia, similis improbitas, eadem impudentia, gemina audacia.
Gleich ist ihrer Habsucht, ähnlich ihre Ruchlosigkeit, übereinstimmend ihre Unverschämthei, verschwistert ihre Frechheit.
 
etenim, quoniam fidem magistri cognostis, cognoscite nunc discipuli aequitatem.
Weil ihr nämlich die Treue des Meisters erkannt habt, so lernt jetzt auch das Billigkeitsgefühl des Schülers kennen.
dixi iam antea saepe numero postulatos esse ab istis duos servos in quaestionem.
Ich habe schon vorhin bemerkt, dass man von jenen die Auslieferung der zwei Sklaven zu peinlicher Befragung wiederholt verlangt hat.
tu semper, T. Rosci, recusasti. quaero abs te: 'Iine, qui postulabant, indigni erant, qui impetrarent, an is te non commovebat, pro quo postulabant, an res ipsa tibi iniqua videbatur?'
Du, Titus Roscius, hast sie beständig verweigert. Ich frage dich: "Waren diejenigen, die dies verlangten, nicht wert, dass man es ihnen gewährte? Oder verdiente der, für den sie es verlangten, keine Rücksicht? Oder schien dir die Sache selbst unbillig?"
postulabant homines nobilissimi atque integerrimi nostrae civitatis quos iam antea nominavi; qui ita vixerunt talesque a populo Romano putantur, ut, quicquid dicerent, nemo esset, qui non aequum putaret.
Es waren die angesehensten und würdigsten Männer unseres Vaterlandes, die ich bereits genannt habe, die es verlangten, Männer, die so gelebt haben und beim römischen Volk in solcher Achtung stehen, dass jedermann, was sie auch sagten, für billig hielt.
postulabant autem pro homine miserrimo atque infelicissimo, qui vel ipse sese in cruciatum dari cuperet, dum de patris morte quaereretur.
Sie verlangten es aber zugunsten eines höchst bedauernswürdigen und unglücklichen Mannes, der sich selbst gern jeder Folter unterzogen hätte, wenn nur die Ermordung seines Vaters untersucht würde.
 
res porro abs te eius modi postulabatur, ut nihil interesset, utrum eam rem recusares an de maleficio confiterere.
Es wurde ferner eine solche Sachen von dir verlangt, dass die Verweigerung mit dem Geständnis der Missetat gleichbedeutend war.
quae cum ita sint, quaero abs te, quam ob causam recusaris. cum occiditur Sex. Roscius ibidem fuerunt.
Da sich dies so verhält, frage ich dich, warum du dich geweigert hast. Im Augenblick der Ermordung des Sextus Roscius waren sie an demselben Ort.
servos ipsos, quod ad me attinet, neque arguo neque purgo; quod a vobis oppugnari video, ne in quaestionem dentur, suspiciosum est;
Die Sklaven selbst will ich für meine Person weder anschuldigen noch freisprechen. Aber verdächtig ist es, dass ich euch darauf beharren sehe, dass sie der peinlichen Frage nicht übergeben werden.
quod vero apud vos ipsos in honore tanto sunt, profecto necesse est sciant aliquid, quod, si dixerint perniciosum vobis futurum sit.
Weil sie aber bei euch selbst so hoch geachtet sind, so müssen sie notwendig etwas wissen, dessen Angabe euch verderblich werden kann.
—'in dominos quaeri de servis iniquum est'. — at non quaeritur; Sex. enim Roscius reus est; neque enim, cum de hoc quaeritur, in dominos quaeritur; vos enim dominos esse dicitis.
— "Es ist unbillig, mit den Sklaven gegen ihre Herren ein peinliches Verhör anzustellen?"— Geschieht denn dies? Nein, denn Sextus Roscius ist ja der Beklagte. Denn, wenn die Untersuchung ihn betrifft, so betrifft sie nicht die Herren; denn ihr behauptet, ihre Herren zu sein.
— cum Chrysogono sunt. — ita credo; litteris eorum et urbanitate Chrysogonus ducitur, ut inter suos omnium deliciarum atque omnium artium puerulos ex tot elegantissimis familiis lectos velit hos versari, homines paene operarios, ex Amerina disciplina patris familiae rusticani.
— "Sie sind bei Chrysogonus." — Ich glaube es: durch ihre gelehrten Kenntnisse und feine Bildung lässt sich Chrysogonus bestimmen, sie unter sein jugendliches mit allen Artigkeiten und Künsten ausgestattetes Sklavengefolge aufzunehmen, das er sich aus so mancher Dienerschaft vom feinsten Ton auslas, sie, die fast nur an Tagelöhnerarbeit gewöhnt, aus der Zucht eines bäurischen Hausvaters von Ameria kommen.
 
non ita est profecto, iudices; non est veri simile, ut Chrysogonus horum litteras adamarit aut humanitatem, non ut rei familiaris negotio diligentiam cognorit eorum et fidem.
Gewiss, dem ist nicht so, ihr Richter: es ist nicht wahrscheinlich, dass Chrysogonus ihre gelehrten Kenntnisse und Bildung liebgewonnen, dass er in häuslichen Geschäften ihren Fleiß und ihre Treue kennen gelernt hat.
est quiddam, quod occultatur; quod quo studiosius ab istis opprimitur et absconditur, eo magis eminet et apparet.
Nein! Darunter steckt etwas verborgen, und je eifriger diese es zurückhalten und verhüllen wollen, desto mehr blickt es hervor und kommt an den Tag.
 
quid igitur? Chrysogonus suine malefici occultandi causa quaestionem de eis haberi non volt?
Wie nun? Will etwa Chrysogonus, um ein eigenes Verbrechen zu verbergen, keine Untersuchung gegen sie anstellen lassen?
minime, iudices; non in omnis arbitror omnia convenire.
Keineswegs, ihr Richter! Ich glaube nicht, dass auf alle alles anwendbar ist.
ego in Chrysogono, quod ad me attinet, nihil eius modi suspicor; neque hoc mihi nunc primum in mentem venit dicere.
Ich für meine Person habe keinen solchen Verdacht gegen Chrysogonus, und es ist nicht das erste Mal, dass ich mich veranlasst sehe, dies zu erklären.
meministis me ita distribuisse initio causam: in crimen cuius tota argumentatio permissa Erucio est, et in audaciam, cuius partes Rosciis impositae sunt.
Ich erinnerte euch, dass ich gleich anfangs den Rechtshandel so eingeteilt habe: in die Beweisführung, die dem Erucius übertragen wurde, und in den Punkt wegen der Frechheit, deren Rolle den Rosciern zugeteilt wurde.
quicquid malefici, sceleris, caedis erit, proprium id Rosciorum esse debebit.
Was von Missetat, Verbrechen, Mord dabei ist, das wird auf die Roscier fallen müssen.
nimiam gratiam potentiamque Chrysogoni dicimus et nobis obstare et perferri nullo modo posse et a vobis, quoniam potestas data est, non modo infirmari verum etiam vindicari oportere.
Ich sage nur, dass die allzu große Gunst und Macht des Chrysogonus uns im Wege steht und keineswegs geduldet werden kann; und dass ihr, weil ihr dazu bevollmächtigt seid, diese nicht allein entkräften, sondern auch dagegen schützen müsst.
 
ego sic existimo, qui quaeri velit ex eis, quos constat, cum caedes facta sit, adfuisse, eum cupere verum inveniri;
Ich urteile so: Wer über die, die nachweislich, während der Mord geschah, zugegen waren, eine Untersuchung anstellen lassen will, der wünscht, dass die Wahrheit an den Tag kommt.
qui id recuset, eum profecto, tametsi verbo non audeat, tamen re ipsa de maleficio suo confiteri.
Wer dies verweigert, der gesteht gewiss, wenn er es auch nicht wörtlich zu tun wagt, doch allein schon dadurch seine Schandtat.
dixi initio, iudices, nolle me plura de istorum scelere dicere, quam causa postularet ac necessitas ipsa cogeret.
Ich habe am Anfang erklärt, ihr Richter, dass ich über das Verbrechen jener Menschen mich nicht weiter verbreiten wolle, als die Sache erfordere und die Umstände des nötig machten;
nam et multae res adferri possunt, et una quaeque earum multis cum argumentis dici potest.
denn es könnten noch viele Punkte angegeben werden, und jeder ließe sich durch viele Beweise ausführen.
verum ego, quod invitus ac necessario facio, neque diu neque diligenter facere possum.
Aber was ich wider Willen und gezwungen tue, das vermag ich nicht mit Genauigkeit zu tun, noch kann ich mich lange dabei verweilen.
quae praeteriri nullo modo poterant, ea leviter, iudices, attigi, quae posita sunt in suspicionibus, de quibus, si coepero dicere, pluribus verbis sit disserendum, ea vestris ingeniis coniecturaeque committo.
Was durchaus nicht übergangen werden konnte, das, ihr Richter, habe ich leicht berührt. Was auf Verdachtsgründen beruht, worüber ich mich, wenn ich davon anfinge, weitläufiger erklären müsste, das überlasse ich eurem Scharfsinn und eurer Mutmaßung.
 
3.) 124-142: Gegenangriff gegen Chrysogonus
venio nunc ad illud nomen aureum Chrysogoni, sub quo nomine tota societas latuit;
Ich komme nun auf den goldenen Namen des Chrysogonus, einen Namen, unter dem der ganze Bund gegründet ist.
de quo, iudices, neque quo modo dicam neque quo modo taceam reperire possum.
Ãœber diesen, ihr Richter, kann ich nicht mit mir einig werden, wie ich davon reden oder schweigen soll.
si enim taceo, vel maximam partem relinquo; sin autem dico, vereor, ne non ille solus, id, quod ad me nihil attinet, sed alii quoque plures laesos se putent.
Denn schweige ich, so übergehe ich gerade den wichtigsten Punkt. Rede ich, so muss ich fürchten, nicht er allein möchte sich gekränkt glauben (was mich nicht kümmert), sondern auch noch mehrere andere.
tametsi ita se res habet, ut mihi in communem causam sectorum dicendum nihil magno opere videatur; haec enim causa nova profecto et singularis est:
Gleichwohl verhält sich die Sache so, dass ich es nicht für sehr nötig erachte, über die gemeinsame Angelegenheit der Güterkäufer zu sprechen. Denn der gegenwärtige Fall ist in der Tat ganz neu und einzig:
 
bonorum Sex. Rosci emptor est Chrysogonus. primum hoc videamus: eius hominis bona qua ratione venierunt aut quo modo venire potuerunt?
Chrysogonus ist Käufer der Güter des Sextus Roscius. Zuerst wollen wir sehen, aus welchem Grund die Güter dieses Mannes verkauft wurden oder wie sie überhaupt verkauft werden konnten.
Atque hoc non ita quaeram, iudices, ut id dicam esse indignum, hominis innocentis bona venisse — si enim haec audientur ac libere dicentur, non fuit tantus homo Sex. Roscius in civitate, ut de eo potissimum conqueramur —;
Und zwar will ich bei dieser Untersuchung nicht einmal behaupten, dass der Verkauf der Güter eines unschuldigen Menschen etwas Empörendes sei. Denn wenn man dies auch (später einmal) gern hören und freimütig aussprechen wird, so war doch Sextus Roscius kein so bedeutender Mann im Staat, dass wir vorzugsweise über ihn eine Klage erheben dürften.
verum ego hoc quaero: qui potuerunt ista ipsa lege, quae de proscriptione est, sive Valeria est sive Cornelia — non enim novi nec scio — verum ista ipsa lege bona Sex. Rosci venire qui potuerunt?
Aber danach frage ich: Wie konnten die Güter des Sextus Roscius gerade aufgrund des Gesetzes, das von der Ächtung handelt, – sei es das Valerische oder das Cornelische, ich kenne und weiß es nicht – wie konnten sie aber aufgrund dieses Gesetzes verkauft werden?
 
scriptum enim ita dicunt esse: VT AVT EORVM BONA VENEANT, QVI PROSCRIPTI SVNT; quo in numero Sex. Roscius non est; AVT EORVM QVI IN ADVERSARIORVM PRAESIDIIS OCCISI SVNT.
Denn man sagt, es stehe in diesem: DIE GÜTER ENTWEDER DERER, DIE GEÄCHTET WURDEN, SOLLEN VERKAUFT WERDEN; aber zu diesen gehört Sextus Roscius nicht; ODER DERER, DIE IM hEER DER GEGNER GETÖTET WURDEN.
Dum praesidia ulla fuerunt, in Sullae praesidiis fuit; postea quam ab armis omnes recesserunt, in summo otio rediens a cena Romae occisus est.
Solange es irgendwelche Heere gab, war er in Sullas Heer. Nachdem später alle die Waffen niedergelegt hatten, wurde er, als er im tiefsten Frieden von der Mahlzeit nach Hause ging, ermordet.
si lege, bona quoque lege venisse fateor. sin autem constat contra omnis non modo veteres leges verum etiam novas occisum esse, bona quo iure aut quo modo aut qua lege venierint, quaero.
Wurde er gesetzlich getötet, so gebe ich zu, dass auch seine Güter gesetzlich verkauft wurden; wenn es aber nachweislich gegen alle, nicht nur alte, sondern auch neue Gesetze ermordet wurde, so frage ich, mit welchem Recht oder auf welche Weise oder nach welchem Gesetz seine Güter verkauft wurden?
 
in quem hoc dicam, quaeris, Eruci? non in eum, quem vis et putas; nam Sullam et oratio mea ab initio et ipsius eximia virtus omni tempore purgavit.
Du fragst, Erucius, gegen wen ich dies sage. Nicht gegen den, den du willst oder meinst. Denn den Sulla hat sowohl meine Rede von vornherein als auch seine eigene ausgezeichnete Vortrefflichkeit für immer über jeden Vorwurf erhaben erklärt.
ego haec omnia Chrysogonum fecisse dico, ut ementiretur, ut malum civem Sex.Roscium fuisse fingeret, ut eum apud adversarios occisum esse diceret, ut his de rebus a legatis Amerinorum doceri L. Sullam passus non sit.
Ich behaupte, dass Chrysogonus das alles so eingefädelt hat, um ein Lügengebäude zu errichten, um den Roscius fälschlich als schlechten Bürger darzustellen, um vorzugeben, er sei bei den Feinden getötet worden, um die Gesandten aus Ameria zu hindern, Sulla von dem Vorfall zu unterrichten.
denique etiam illud suspicor, omnino haec bona non venisse; id quod postea, si per vos, iudices, licitum erit, aperietur.
Endlich vermute ich auch, dass die Güter gar nicht verkauft wurden, was sich später, wenn ihr Richter es genehmigt, zeigen wird.
 
opinor enim esse in lege, quam ad diem proscriptiones venditionesque fiant, nimirum Kalendas Iunias.
Denn ich meine, es steht im Gesetz, auf welchen Tag die Ächtungen und Verkäufe geschehen sollen: nämlich auf den ersten Juni.
aliquot post mensis et homo occisus est et bona venisse dicuntur. profecto aut haec bona in tabulas publicas nulla redierunt nosque ab isto nebulone facetius eludimur, quam putamus, aut, si redierunt, tabulae publicae corruptae aliqua ratione sunt;
Einige Monate später aber ist nicht allein der Mord geschehen, sondern auch angeblich die Versteigerung. In der Tat sind auch diese Güter nicht in den öffentlichen Anzeigen vorgekommen, so dass wir von jenem Schelm spaßhafter getäuscht werden, als wir glauben; oder wenn sie eingetragen wurden, so wurden die öffentlichen Anzeigen irgendwie verfälscht.
nam lege quidem bona venire non potuisse constat.
Denn das ist entschieden, dass die Güter gesetzlich nicht verkauft werden konnten.
intellego me ante tempus, iudices, haec scrutari et prope modum errare, qui, cum capiti Sex. Rosci mederi debeam, reduviam curem.
Ich sehe wohl ein, ihr Richter, dass ich diese Untersuchung vor der Zeit anstelle und mich fast von der rechten Bahn verirre, indem ich mich um eine Bagatelle kümmere, obgleich ich doch den Kopf des Sextus Roscius retten sollte.
non enim laborat de pecunia, non ullius rationem sui commodi ducit; facile egestatem suam se laturum putat, si hac indigna suspicione et ficto crimine liberatus sit.
Denn nicht das Geld ist's, woran er leidet. Er denkt jetzt nicht an irgend einen eigenen Vorteil. Leicht glaubt er seine Armut ertragen zu können, wenn er von diesem unverdienten Verdacht und von dieser erdichteten Anschuldigung freigesprochen wird.
 
verum quaeso a vobis, iudices, ut haec pauca, quae restant, ita audiatis, ut partim me dicere pro me ipso putetis, partim pro Sex.Roscio.
Übrigens bitte ich euch, ihr Richter, dass ihr das wenige, was noch übrig ist, so anhört, dass ich teils für mich selbst, teils für Sextus Roscius spreche.
quae enim mihi ipsi indigna et intolerabilia videntur quaeque ad omnis, nisi providemus, arbitror pertinere, ea pro me ipso ex animi mei sensu ac dolore pronuntio;
Denn was mir selbst empörend und unerträglich scheint und was, wie ich glaube, sich auf alle erstrecken kann, wenn wir uns nicht vorsehen, dass spreche ich für mich selbst nach dem tief gekränkten Gefühl meines Herzens aus.
quae ad huius vitae casum causamque pertinent et quid hic pro se dici velit et qua condicione contentus sit, iam in extrema oratione nostra, iudices, audietis.
Was die Sache und das Missgeschick im Leben dieses Beklagten angeht und was er für sich gesagt wissen will und mit welchem Los er zufrieden ist, das werdet ihr sogleich am Ende meines Vortrags vernehmen.
 
ego haec a Chrysogono mea sponte remoto Sex. Roscio quaero, primum, qua re civis optimi bona venierint, deinde, qua re hominis eius, qui neque proscriptus neque apud adversarios occisus est, bona venierint, cum in eos solos lex scripta sit; deinde, qua re aliquanto post eam diem venierint, quae dies in lege praefinita est, deinde, cur tantulo venierint.
Ich richte nun für mich, ohne Rücksicht auf Sextus Roscius, folgende Fragen an Chrysogonus: Erstens, warum sind die Güter eines ganz rechtschaffenen Bürgers verkauft worden? Sodann, warum sind die Güter eines Mannes verkauft worden, der weder geächtet, noch bei den Feinden getötet wurde, obwohl sich doch das Gesetz nur auf solche bezieht? Ferner, warum sind sie einige Zeit nach dem Tag, der im Gesetz bestimmt ist, verkauft worden? Endlich, warum sind sie für einen solchen Spottpreis verkauft worden?
quae omnia si, quem ad modum solent liberti nequam et improbi facere, in patronum suum voluerit conferre, nihil egerit;
Wenn er dies alles, wie es schlechte und ruchlose Freigelassene machen, auf seinen Schutzhelm schieben will, so wird er seinen Zweck nicht erreichen;
nemo est enim, qui nesciat propter magnitudinem rerum multa multos partim improbante partim imprudente L. Sulla commisisse.
denn jedermann weiß, dass wegen der Gewalt der Ereignisse viele vieles, teils gegen Sullas Billigung, teils ohne sein Vorwissen, getan haben.
 
placet igitur in his rebus aliquid imprudentia praeteriri? non placet, iudices, sed necesse est.
Soll man es also billigen, dass in in diesen Dingen etwas aus Unachtsamkeit übersehen wird? Es ist nicht zu billigen, ihr Richter, aber es ist unvermeidlich.
etenim si Iuppiter optimus maximus cuius nutu et arbitrio caelum, terra mariaque reguntur saepe ventis vehementioribus aut immoderatis tempestatibus aut nimio calore aut intolerabili frigore hominibus nocuit, urbis delevit, fruges perdidit, quorum nihil pernicii causa divino consilio sed vi ipsa et magnitudine rerum factum putamus, at contra commoda, quibus utimur, lucemque, qua fruimur, spiritumque, quem ducimus, ab eo nobis dari atque impertiri videmus, quid miramur, iudices, L. Sullam, cum solus rem publicam regeret orbemque terrarum gubernaret imperique maiestatem, quam armis receperat iam legibus confirmaret, aliqua animadvertere non potuisse?
Denn wenn einmal der erhabenste und beste Jupiter, durch dessen Wink und Willen Himmel, Erde und Meer beherrscht werden, oft durch allzu heftige Winde oder wilde Stürme oder allzu großer Hitze oder unerträgliche Kälte den Menschen schadet, Städte zerstört und den Ertrag der Felder vernichtet, wovon wir nichts der göttlichen Absicht, uns zu verderben, sondern alles der Gewalt und Macht der Ereignisse zuschreiben; wenn wir dagegen die Vorteile, die wir besitzen, das Lebenslicht, das wir genießen, die Luft, die wir einatmen, als seine Gaben und Wohltaten betrachten, warum sollten wir uns wundern, wenn Lucius Sulla, da er allein den Staat leitete, den Erdkreis beherrschte, und das Ansehen des Reichs, das er durch die Waffen wieder hergestellt hatte, durch Gesetze befestigte, einiges unbemerkt lassen musste?
nisi hoc mirum est, quod vis divina adsequi non possit, si id mens humana adepta non sit.
Es müsste denn nur zu verwundern sein, dass der menschliche Geist dies nicht erstreben konnte, was für die göttliche Kraft unerreichbar war.
 
verum ut haec missa faciam, quae iam facta sunt, ex eis, quae nunc cum maxime fiunt, nonne quivis potest intellegere omnium architectum et machinatorem unum esse Chrysogonum? qui Sex. Rosci nomen deferendum curavit, cuius honoris causa accusare se dixit Erucius...
gerade jetzt geschieht, leicht einsehen, dass allein von Chrysogonus der ganze Bauplan und alles Rüstwerk herrührt, von ihm, der den Namen des Sextus Roscius auf die Liste der Angeklagten setzen ließ, der diesen Prozess veranlasst hat, dem zu Ehren Erucius als Ankläger aufzutreten behauptet. …
... Desunt non pauca ...
... Es fehlt nicht gerade wenig ...
... aptam et ratione dispositam se habere existimant, qui in Sallentinis aut in Bruttiis habent, unde vix ter in anno audire nuntium possunt.
Diejenigen glauben ein bequemes und gehörig geordnetes Landgut zu haben, die ein solches im salentinischen oder bruttischen Gebiet besitzen, von wo sie kaum dreimal im Jahr eine Nachricht erhalten können.
 
alter tibi descendit de Palatio et aedibus suis; habet animi causa rus amoenum et suburbanum, plura praeterea praedia neque tamen ullum nisi praeclarum et propinquum.
Der andere aber steigt dir vom palatinischen Berg und aus eigenem Haus herab, und hat zur Erholung ein reizendes Landgut hinter den Vorstädten und außerdem noch mehr Landbesitzungen, aber keine, die nicht ganz vorzüglich und nahe gelegen wäre.
domus referta vasis Corinthiis et Deliacis, in quibus est authepsa illa, quam tanto pretio nuper mercatus est, ut, qui praetereuntes, quid praeco enumeraret, audiebant, fundum venire arbitrarentur.
Sein Haus ist voll von korinthischen und delischen Gefäßen, worunter jener Selbstkocher ist, den er vor kurzem so teuer gekauft hat, dass die Vorübergehenden, die den Ausrufer den Preis nennen hörten, glaubten, es werde ein Landgut verkauft.
quid praeterea caelati argenti, quid stragulae vestis, quid pictarum tabularum, quid signorum, quid marmoris apud illum putatis esse?
Ferner, was meint ihr, dass er an ziselierem Silber besitzt, an Teppichen, an Gemälden, an Statuen, an Marmor?
tantum scilicet, quantum e multis splendidisque familiis in turba et rapinis coacervari una in domo potuit.
So viel hat er nämlich, als man in der Zeit der Verwirrung und des Raubs aus so vielen glänzenden Familien in einem Haus aufhäufen konnte.
Familiam vero quantam et quam variis cum artificiis habeat, quid ego dicam?
Was soll ich aber davon sagen, wie viele Dienerschaft er besitzt und wie verschiedenartige Künste seine Leute verstehen!
 
Mitto hasce artis volgaris, coquos, pistores, lecticarios; animi et aurium causa tot homines habet, ut cotidiano cantu vocum et nervorum et tibiarum nocturnisque conviviis tota vicinitas personet.
Ich übergehe die gewöhnlichen Gewerbsgattungen: Köche, Bäcker, Sänftenträger. Er hält zur Unterhaltung und zur Ergötzung der Ohren so viele Leute, dass von dem täglichen Getöne der Singstimmen, der Saiten, der Flöten und von nächtlichen Schmausereien die ganze Nachbarschaft erschallt.
in hac vita, iudices, quos sumptus cotidianos, quas effusiones fieri putatis, quae vero convivia? honesta, credo, in eius modi domo, si domus haec habenda est potius quam officina nequitiae ac deversorium flagitiorum omnium.
Was meint ihr, Richter, dass eine solche Lebensweise für Aufwand und Verschwendung täglich mit sich führt? Und welche Gastmähler, die wohl in einem solchen Haus sehr ehrbar sein mögen, wenn man es anders ein Haus nennen darf und nicht vielmehr eine Werkstätte der Büberei und eine Herberge aller Laster.
 
ipse vero quem ad modum composito et delibuto capillo passim per forum volitet cum magna caterva togatorum, videtis, iudices; videtis, ut omnis despiciat, ut hominem prae se neminem putet, ut se solum beatum, solum potentem putet.
Wie er selbst mit wohlgeordnetem und gesalbtem Haar hier und da über das Forum hineilt mit einer großen Schar von Begleitern in der Toga, das ist euch, ihr Richter, bekannt. Ihr wisst auch, wie er auf jedermann herabsieht; wie er neben sich niemanden für einen Menschen gelten lässt, wie er sich allein für glücklich und mächtig hält.
quae vero efficiat et quae conetur, si velim commemorare, vereor, iudices, ne quis imperitior existimet me causam nobilitatis victoriamque voluisse laedere.
Wollte ich aber anführen, was er bewirkt und unternimmt, so fürchte ich, ihr Richter, es möchten Unkundige glauben, dass ich der Sache und dem Sieg des Adels zu nahe treten wollte.
tametsi meo iure possum, si quid in hac parte mihi non placeat, vituperare; non enim vereor, ne quis alienum me animum habuisse a causa nobilitatis existimet.
Gleichwohl kann ich mein Recht ausüben, etwas zu rügen, was mir bei dieser Partei missfällt. Denn ich befürchte nicht, dass jemand von mir urteilt, ich sei der Sache des Adels abgeneigt gewesen. Cic.S.Rosc.135.c
 
sciunt ei, qui me norunt, me pro mea tenui infirmaque parte, posteaquam id. quod maxime volui. fieri non potuit, ut componeretur, id maxime defendisse, ut ei vincerent qui vicerunt.
Wer mich kennt, weiß, dass ich, als das, was ich am meisten wünschte, nicht ausführbar war, nämlich die friedliche Beilegung der Sache, nach meinem geringen und schwachen Vermögen eifrigst dafür gekämpft habe, dass diejenigen siegen, die den Sieg errungen haben.
quis enim erat, qui non videret humilitatem cum dignitate de amplitudine contendere?
Denn wer musste nicht wahrnehmen, wie da die Gemeinheit mit der Würde um den Vorrang kämpfte?
quo in certamine perditi civis erat non se ad eos iungere, quibus incolumibus et domi dignitas et foris auctoritas retineretur.
In diesem Kampf wäre der ein schlechter Bürger gewesen, der sich nicht an diejenigen angeschlossen hätte, durch deren Erhaltung die Würde im Innern und das Ansehen nach außen behauptet werden konnte.
quae perfecta esse et suum cuique honorem et gradum redditum gaudeo, iudices, vehementerque laetor eaque omnia deorum voluntate, studio populi Romani, consilio et imperio et felicitate L. Sullae gesta esse intellego.
Dass dies gelungen ist und dass jeder in seine Ehre und seinen Rang wieder eingesetzt wurde, darüber bin ich, ihr Richter, aufs lebhafteste erfreut; und bin überzeugt, dass dies alles durch den Willen der Götter, durch das Bemühen des römischen Volkes und durch die Klugheit, die Heerführung und das Glück des Lucius Sulla erreicht wurde.
 
quod animadversum est in eos, qui contra omni ratione pugnarunt, non debeo reprehendere;
Dass man jene bestraft hat, die mit allen Kräften dagegen ankämpfen, das darf ich nicht tadeln.
quod viris fortibus, quorum opera eximia in rebus gerendis exstitit, honos habitus est, laudo.
Dass den tapferen Männern, deren ausgezeichneten Dienste zum Erfolg der Sache wesentlich beitrugen, Ehrung zuteil wird, dies muss ich loben.
quae ut fierent, idcirco pugnatum esse arbitror meque in eo studio partium fuisse confiteor.
Dass dies geschehe, dafür wurde, glaube ich, gekämpft, und ich gestehe, dass ich für diese Sache parteiisch engagiert war.
sin autem id actum est et idcirco arma sumpta sunt, ut homines postremi pecuniis alienis locupletarentur et in fortunas unius cuiusque impetum facerent, et id non modo re prohibere non licet, sed ne verbis quidem vituperare, tum vero in isto bello non recreatus neque restitutus sed subactus oppressusque populus Romanus est.
Wenn es aber darum ging und man dafür zu den Waffen griff, dass die allerniedrigsten Leute sich mit fremdem Geld bereichern und über das Vermögen eines beliebig anderen herfallen konnten; wenn es nicht nur nicht erlaubt sein sollte, jene durch die Tat daran zu hindern, sondern nicht einmal, sie mit Worten zu tadeln, dann fürwahr hat das römische Volk durch jenen Krieg seinen Zustand nicht verbessert: es ist nicht wieder hergestellt, sondern unterjocht und unterdrückt worden.
 
verum longe aliter est: nil horum est, iudices. non modo non laedetur causa nobilitatis, si istis hominibus resistetis, verum etiam ornabitur.
Aber es verhält sich ganz anders: Nichts davon findet statt, ihr Richter! Die Sache des Adels wird, wenn ihr euch jenen Menschen widersetzt, nicht nur nicht geschwächt, sondern gefördert werden.
etenim qui haec vituperare volunt, Chrysogonum tantum posse queruntur; qui laudare volunt, concessum ei non esse commemorant.
Wer nämlich die gegenwärtige Lage der Dinge tadeln will, der klagt über die allzu große Macht des Chrysogonus. Wer sie loben will, führt an, dass ihm nicht so viel eingeräumt worden ist.
ac iam nihil est, quod quisquam aut tam stultus aut tam improbus sit, qui dicat: 'vellem quidem liceret; hoc dixissem.' dicas licet.
Und niemand hat eine Veranlassung, so töricht oder schlimm zu sein, dass er behauptet: "Ach dass es erlaubt wäre; ich hätte dies oder jenes gesagt." Du darfst es sagen.
'hoc fecissem.' facias licet; nemo prohibet.
"Ich hätte dies oder jenes getan." Du darfst es ja tun; niemand verwehrt es.
'hoc decrevissem.' decerne, modo recte; omnes approbabunt.
"Ich hätte dies oder jenes beschlossen." Beschließe es, nur mit Gründen; alle werden es billigen.
'hoc iudicassem.' laudabunt omnes, si recte et ordine iudicaris.
"Ich hätte so oder so geurteilt." Jeder wird dich loben, wenn du richtig und der Ordnung gemäß urteilst.
 
dum necesse erat resque ipsa cogebat, unus omnia poterat; qui postea quam magistratus creavit legesque constituit, sua cuique procuratio auctoritasque est restituta.
Solange es notwendig war und die Umstände selbst es forderten, besaß einer alle Gewalt. Seitdem dieser alle Ämter besetzt und den Gesetzen Geltung verschafft hat, ist jedem sein Geschäftskreis und seine amtliche Befugnis wieder gegeben.
quam si retinere volunt ei, qui reciperarunt, in perpetuum poterunt obtinere;
Wenn diejenigen, die sie wieder erlangt haben, sie sich auch erhalten wollen, so werden sie sie auf Dauer behaupten können.
sin has caedis et rapinas et hos tantos tamque profusos sumptus aut facient aut approbabunt ...— nolo in eos gravius quicquam ne ominis quidem causa dicere —,
Wollen sie aber jene Blutszenen und Räubereien und jenen großen und übermäßigen Aufwand entweder selbst fortsetzen oder doch billigen, so … — doch ich will gegen sie auch der bösen Wortbedeutung wegen nichts allzu Hartes sagen —;
unum hoc dico: nostri isti nobiles nisi vigilantes et boni et fortes et misericordes erunt, eis hominibus, in quibus haec erunt, ornamenta sua concedant necesse est.
doch das eine sage ich: Wofern sich jene unsere Herren der Nobilität nicht wachsam, redlich, mutig, mitleidig zeigen, werden sie denjenigen, die diese Eigenschaften besitzen, ihre äußeren Auszeichnungen abtreten müssen.
 
quapropter desinant aliquando dicere male aliquem locutum esse, si qui vere ac libere locutus sit, desinant suam causam cum Chrysogono communicare, desinant, si ille laesus sit, de se aliquid detractum arbitrari;
Daher sollen sie endlich aufhören zu sagen, jemand habe schlimme Reden geführt, wenn er wahr und freimütig gesprochen hat, aufhören, mit einem Chrysogonus gemeinsame Sache zu machen; aufhören, wenn jener beleidigt wurde, sich geschädigt zu glauben;
videant, ne turpe miserumque sit eos, qui equestrem splendorem pati non potuerunt, servi nequissimi dominationem ferre posse.
sie mögen erwägen, ob es nicht entehrend und erbärmlich ist, dass diejenigen, die den Glanz des Ritterstandes nicht hinnehmen konnten, die Gewaltherrschaft des nichtswürdigsten Sklaven ertragen.
quae quidem dominatio, iudices, in aliis rebus antea versabatur; nunc vero, quam viam munitet et quod iter adfectet, videtis, ad fidem, ad ius iurandum, ad iudicia vestra, ad id, quod solum prope in civitate sincerum sanctumque restat.
Diese Gewaltherrschaft hatte früher andere Gegenstände, ihr Richter: nun aber seht ihr, welche Bahn sie sich bricht, in welche Richtung sie zielt: gegen eure Rechtlichkeit, euren Eid, eure Richtersprüche, gegen das, was in unserem Staat beinahe allein noch unbefleckt und heilig geblieben ist.
 
hicine etiam sese putat aliquid posse Chrysogonus? hic etiam potens esse volt? O rem miseram atque acerbam!
Glaubt denn Chrysogonus, dass er auch hier etwas vermöge? Will er auch hier der Mächtige sein? Wie traurig und schmerzlich wäre dies!
neque me hercules hoc indigne fero, quod verear, ne quid possit, verum quod ausus est, quod speravit sese apud talis viros aliquid ad perniciem posse innocentis, id ipsum queror.
Doch bei Gott, ich bin nicht empört, weil ich fürchte, er könne etwas vermögen, sondern darüber, dass er es gewagt, dass er gehofft hat, bei solchen Männern etwas zum Verderben eines Unschuldigen zu vermögen; dies ist es eigentlich, was ich beklage.
idcircone experrecta nobilitas armis atque ferro rem publicam reciperavit, ut ad libidinem suam liberti servulique nobilium bona fortunasque vestras vexare possent?
Hat sich darum der Adel wie aus langem Schlaf erhoben und mit Waffengewalt und dem Schwert sich der Regierung wieder bemächtigt, dass nach Willkür Freigelassene und elende Sklaven der Adligen euer Hab und Gut und Vermögen angreifen können?
 
si id actum est, fateor me errasse, qui hoc maluerim, fateor insanisse, qui cum illis senserim; tametsi inermis, iudices, sensi.
Wenn es darauf abgesehen war, so gestehe ich, dass ich geirrt habe, als ich diese Partei vorzog. Ich gestehe, dass ich ein Tor war, als ich es mit jenen hielt. Und ich hielt es mit jenen, ihr Richter, obgleich ich nicht die Waffen trug.
sin autem victoria nobilium ornamento atque emolumento rei publicae populoque Romano debet esse, tum vero optimo et nobilissimo cuique meam orationem gratissimam esse oportet.
Wenn aber der Sieg des Adels den Vorteil und die Ehre des Staates fördern soll, dann muss mein Vortrag bei den Besten und Edelsten den größten Beifall finden.
quod si quis est, qui et se et causam laedi putet, cum Chrysogonus vituperetur, is causam ignorat, se ipsum probe novit; causa enim splendidior fiet, si nequissimo cuique resistetur, ille improbissimus Chrysogoni fautor, qui sibi cum illo rationem communicatam putat laeditur, cum ab hoc splendore causae separatur.
Wenn jemand meint, dass ihm und seiner Sache durch den Tadel des Chrysogonus geschadet werde, der verkennt seine Sache, kennt sich selbst aber gut. Denn die Sache wird an Glanz gewinnen, wenn die Schlechtesten Widerstand finden; aber der schlimmste Gönner des Chrysogonus, der glaubt, mit jenem gemeinsame Verhältnisse zu haben, schadet sich selbst, indem er sich von dieser glänzenden Sache (der Ehre) lossagt.
 
Peroratio (143-154): Ansprache an die Richter
verum haec omnis oratio, ut iam ante dixi, mea est, qua me uti res publica et dolor meus et istorum iniuria coegit.
Aber dieser Teil meiner Rede geht, wie ich schon oben bemerkt habe, ganz mich an: das Staatswohl, mein Schmerzgefühl und die Ungerechtigkeit jener Menschen hat mir diese Worte abgenötigt.
Sex. Roscius horum nihil indignum putat, neminem accusat, nihil de suo patrimonio queritur. putat homo imperitus morum, agricola et rusticus, ista omnia quae vos per Sullam gesta esse dicitis more, lege, iure gentium facta; culpa liberatus et crimine nefario solutus cupit a vobis discedere;
Aber Sex. Roscius fühlt sich durch das alles nicht empört, klagt niemanden an, beschwert sich nicht wegen seines Erbgutes, glaubt, mit dem Zeitgeist unbekannt und ein Landmann von bäurischen Sitten, dass das alles, wovon ihr erklärt, es sei durch Sulla geschehen, nach der Sitte, dem Gesetz, dem Recht der Völker geschehen sei; er wünscht nur, frei von Schuld und von der greuelhaften Anklage entlastet von euch wegzugehen.
 
si hac indigna suspicione careat, animo aequo se carere suis omnibus commodis dicit.
Wenn er von diesem unverdienten Verdacht loskommt, so erklärt er, gern auf alle früheren Vorteile seiner Lage verzichten zu wollen.
rogat oratque te, Chrysogone, si nihil de patris fortunis amplissimis in suam rem convertit, si nulla in re te fraudavit, si tibi optima fide sua omnia concessit, adnumeravit, appendit, si vestitum, quo ipse tectus erat, anulumque de digito suum tibi tradidit, si ex omnibus rebus se ipsum nudum neque praeterea quicquam excepit, ut sibi per te liceat innocenti amicorum opibus vitam in egestate degere.
Er bittet und fleht zu dir, Chrysogonus, wofern er nichts von dem so reichen Vermögen seines Vaters für sich behalten, wenn er dich in nichts verkürzt, wenn er dir mit größter Gewissenhaftigkeit all seine Habe überlassen, vorgezählt, vorgewogen hat, wenn er das Gewand, das ihn bedeckte, und den Ring von seinem Finger dir übergeben, wenn er von allem nur seinen eigenen nackten Leib und sonst nichts davongetragen hat, dass du ihm gestattest, unschuldig mit der Unterstützung seiner Freunde in Dürftigkeit sein Leben zu fristen.
 
praedia mea tu possides, ego aliena misericordia vivo; concedo, et quod animus aequus est et quia necesse est.
Du besitzt meine Landgüter, ich lebe von fremden Mitleid; ich lasse mir das gefallen, sowohl aus Gleichmut als auch, weil es so sein muss.
mea domus tibi patet, mihi clausa est; fero. familia mea maxima tu uteris, ego servum habeo nullum; patior et ferendum puto.
Mein Haus steht dir offen; mir ist es verschlossen: ich ertrage es. Dir steht meine so zahlreiche Dienerschaft zu Gebot; ich habe keine Sklaven: ich dulde es und glaube, es dulden zu müssen.
quid vis amplius? quid insequeris, quid oppugnas? qua in re tuam voluntatem laedi a me putas?
Was willst Du denn weiter? Was verfolgst du mich? Was greifst du mich an? Wodurch glaubst du, verletze ich deinen Willen?
ubi tuis commodis officio? quid tibi obsto? Si spoliorum causa vis hominem occidere, spoliasti; quid quaeris amplius?
Wo wirke ich deinem Vorteil entgegen? Wo stehe ich dir im Weg? Willst Du der Beraubung wegen einen Menschen töten? Nun, Du hast ihn ja schon beraubt, was willst du mehr?
Si inimicitiarum, quae sunt tibi inimicitiae cum eo, cuius ante praedia possedisti, quam ipsum cognosti?
Oder aus Hass? Wie kannst du den hassen, dessen Güter du, noch ehe du ihn persönlich kanntest, in Besitz genommen hast?
si metus, ab eone aliquid metuis, quem vides ipsum ab se tam atrocem iniuriam propulsare non posse?
Oder aus Furcht? Aber wie kannst du von dem etwas fürchten, da du doch siehst, dass er sich selbst gegen ein so abscheuliches Unrecht nicht schützen kann?
sin, quod bona, quae Rosci fuerunt, tua facta sunt, idcirco hunc, illius filium, studes perdere, nonne ostendis id te vereri, quod praeter ceteros tu metuere non debeas, ne quando liberis proscriptorum bona patria reddantur?
Oder willst du, weil du dir die Güter, die dem Roscius gehörten, angeeignet hast, darum dessen Sohn verderben? Beweist du dadurch nicht, dass du etwas fürchtest, was du weniger als alle anderen zu fürchten brauchst, nämlich, dass einmal die väterlichen Güter der Geächteten den Kindern zurückgegeben werden könnten?
 
facis iniuriam, Chrysogone, si maiorem spem emptionis tuae in huius exitio ponis, quam in eis rebus, quas L. Sulla gessit.
Du hast unrecht, Chrysogonus, wenn du für deinen Kauf mehr Hoffnung auf den Untergang dieses Mannes setzt, als auf die Taten des Lucius Sulla.
quodsi tibi causa nulla est, cur hunc miserum tanta calamitate adfici velis, si tibi omnia sua praeter animam tradidit nec sibi quicquam paternum ne monumenti quidem causa reservavit, per deos immortalis! quae ista tanta crudelitas est,quae tam fera immanisque natura?
Wenn du also keinen Grund hast, diesen Unglücklichen in solche Not zu stürzen, wenn er dir all seinen Besitz, außer dem Leben, hingegeben und sich nichts von der väterlichen Habe, auch nicht einmal zum Andenken, behalten hat, bei den unsterblichen Göttern, wie groß ist deine Grausamkeit, wie wild und unmenschlich dein Gemüt!
quis umquam praedo fuit tam nefarius, quis pirata tam barbarus, ut, cum integram praedam sine sanguine habere posset, cruenta spolia detrahere mallet?
Welcher Räuber war je so ruchlos, welcher Pirat so barbarisch, dass er, wenn er die ungeschmälerte Beute ohne Blutvergießen haben konnte, sich lieber blutigen Raub nehmen wollte?
 
scis hunc nihil habere, nihil audere, nihil posse, nihil umquam contra rem tuam cogitasse, et tamen oppugnas eum, quem neque metuere potes neque odisse debes nec quicquam iam habere reliqui vides, quod ei detrahere possis;
Du weißt, dass dieser nichts hat, nichts unternimmt, nichts vermag, nie etwas gegen dein Besitztum im Sinne gehabt hat, und doch greifst du ihn an, da du ihn weder fürchten kannst, noch hassen solltest, da du siehst, dass er nichts mehr übrig hat, was du ihm nehmen könntest;
nisi hoc indignum putas, quod vestitum sedere in iudicio vides, quem tu e patrimonio tamquam e naufragio nudum expulisti.
es müsste dich denn nur ärgern, dass du ihn angekleidet vor Gericht sitzen siehst, den du aus seinem väterlichen Erbe, wie einen Schiffbrüchigen nackt verstoßen hast.
quasi vero nescias hunc et ali et vestiri a Caecilia, Baliarici filia, Nepotis sorore, spectatissima femina, quae, cum patrem clarissimum, amplissimos patruos, ornatissimum fratrem haberet, tamen, cum esset mulier, virtute perfecit, ut, quanto honore ipsa ex illorum dignitate adficeretur, non minora illis ornamenta ex sua laude redderet.
Als ob du nicht wüsstest, dass er Nahrung und Kleidung von Cäcilia, der Tochter des Balearicus, der Schwester des Nepos, einer höchst achtbaren Frau, empfängt, die, obwohl sie die Tochter eines sehr berühmten Vaters, die Nichte der angesehensten Männer, die Schwester eines ausgezeichneten Bruders, obwohl sie ein Weib ist, es doch durch ihre männliche Tüchtigkeit dahin gebracht hat, dass, so groß die Ehre sei, die ihr durch das Ansehen jener Männer zuteil wird, eben so groß auch der Glanz ist, den sie jenen durch ihr Verdienst geliehen hat.
 
an, quod diligenter defenditur, id tibi indignum facinus videtur?
Oder erscheint es dir ein empörendes Wagestück, dass er mit Eifer verteidigt wird?
mihi crede, si pro patris huius hospitiis et gratia vellent omnes huic hospites adesse et auderent libere defendere, satis copiose defenderetur;
Glaube mir, wenn entsprechend der Gastfreundschaft und der Gunst, in denen sein Vater stand, alle seine Gastfreunde diesem hier beistehen wollten und ihn freimütig zu verteidigen wagten, so würde er von reichlich vielen verteidigt werden;
sin autem pro magnitudine iniuriae proque eo, quod summa res publica in huius periculo temptatur, haec omnes vindicarent, consistere mehercule vobis isto in loco non liceret.
wenn aber entsprechend der Schwere des Unrechts und mit Rücksicht darauf, dass das Staatswohls durch die peinliche Anklage dieses Mannes aufs Spiel gesetzt wird, alle sich der Sache annähmen, so würdet ihr euch fürwahr auf jener Stelle nicht behaupten können.
nunc ita defenditur, non sane ut moleste ferre adversarii debeant, neque ut se potentia superari putent.
Nun wird er aber so verteidigt, dass sich gewiss die Gegner nicht gekränkt fühlen müssen noch glauben, durch Übermacht erdrückt zu werden.
 
quae domi gerenda sunt, ea per Caeciliam transiguntur, fori iudicique rationem M. Messala, ut videtis, iudices, suscepit;
Was von häuslichen Angelegenheiten zu besorgen ist, das wird von Cäcilia in Ordnung gebracht. Die Verhältnisse auf dem Forum und vor Gericht hat, wie ihr seht, ihr Richter, Messala übernommen.
qui, si iam satis aetatis ac roboris haberet, ipse pro Sex. Roscio diceret. Quoniam ad dicendum impedimento est aetas et pudor, qui ornat aetatem, causam mihi tradidit, quem sua causa cupere ac debere intellegebat;
Wenn dieser schon alt genug und erstarkt wäre, so würde er selbst für Sextus Roscius sprechen. Weil aber Jugend und Schüchternheit, die dieser Altersstufe so wohl ansteht, ihn zurückhalten, so hat er die Verteidigung mir übergeben, da er wusste, dass ich ihm sehr gewogen und verpflichtet bin.
ipse adsiduitate, consilio, auctoritate, diligentia perfecit, ut Sex. Rosci vita erepta de manibus sectorum sententiis iudicum permitteretur.
Er selbst hat es durch Fleiß, Einsicht, Ansehen und Gewissenhaftigkeit dahin gebracht, dass das Leben des Sextus Roscius den Händen der Güterkäufer entrissen und dem Spruch der Richter übergeben wurde.
nimirum, iudices, pro hac nobilitate pars maxima civitatis in armis fuit; haec acta res est, ut ei nobiles restituerentur in civitatem, qui hoc facerent, quod facere Messalam videtis, qui caput innocentis defenderent, qui iniuriae resisterent, qui, quantum possent, in salute alterius quam in exitio mallent ostendere;
Denn für diesen Adel, ihr Richter, war der größte Teil der Bürger unter den Waffen; Darum ging es, dass diejenigen Edlen ihre bürgerlichen Rechte wieder erhielten, die das tun, wie ihr jetzt den Messala tun seht: die das Leben eines Unschuldigen verteidigen, die sich dem Unrecht widersetzen, die ihre Macht lieber durch die Rettung als durch den Untergang eines anderen zeigen wollen.
quod si omnes, qui eodem loco nati sunt, facerent, et res publica ex illis et ipsi ex invidia minus laborarent.
Würden alle, die von Geburt her demselben Stand angehören, so handeln, so würde der Staat unter ihnen und sie selbst unter der Missgunst weniger zu leiden haben.
 
verum si a Chrysogono, iudices, non impetramus, ut pecunia nostra contentus sit, vitam ne petat, si ille adduci non potest, ut, cum ademerit nobis omnia, quae nostra erant propria, ne lucem quoque hanc, quae communis est, eripere cupiat, si non satis habet avaritiam suam pecunia explere, nisi etiam crudelitati sanguis praebitus sit, unum perfugium, iudices, una spes reliqua est Sex. Roscio eadem, quae rei publicae, vestra pristina bonitas et misericordia.
52. Aber wenn wir, ihr Richter, von Chrysogonus nicht erreichen können, dass er sich mit unserem Geld begnügt und unser Leben unangefochten lässt, wenn man ihn nicht dazu bringen kann, dass er uns, obgleich er uns alles genommen hat, was unser Eigentum war, nicht auch das gemeinsame Gut des Lebenslichtes zu entreißen suche, wenn es ihm nicht genügt, seine Habsucht durch Geld zu befriedigen, ohne dass seiner Grausamkeit auch ein Blutzoll dargebracht wird, nun dann bleibt dem Sextus Roscius, und ebenso dem Staat, nur eine Zuflucht, ihr Richter, nur eine Hoffnung übrig, nämlich eure längst erprobte Rechtschaffenheit und Milde.
quae si manet, salvi etiam nunc esse possumus; sin ea crudelitas, quae hoc tempore in re publica versata est, vestros quoque animos — id quod fieri profecto non potest — duriores acerbioresque reddit, actum est, iudices;
Wenn diese uns bleibt, so können wir auch jetzt noch gerettet werden. Wenn aber die Unmenschlichkeit, die derzeit im Staat ihr Wesen treibt, auch eure Gemüter (was gewiss ausgeschlossen ist) verhärtet und erbittert, dann ist es um uns geschehen, ihr Richter;
inter feras satius est aetatem degere quam in hac tanta immanitate versari.
dann wäre es besser, unter wilden Tieren sein Leben hinzubringen, als unter so gefühllosen Wesen zu leben.
 
ad eamne rem vos reservati estis, ad eamne rem delecti, ut eos condemnaretis, quos sectores ac sicarii iugulare non potuissent?
Seid ihr denn wirklich dazu aufbehalten, dazu erwählt worden, die zu verdammen, die Güterkäufer und Mörder nicht hinschlachten konnten?
solent hoc boni imperatores facere, cum proelium committunt, ut in eo loco, quo fugam hostium fore arbitrentur, milites conlocent, in quos, si qui ex acie fugerint, de improviso incidant.
Gute Feldherren pflegen das zu tun, wenn sie ein Treffen liefern, dass sie da, wohin sich der fliehende Feind nach ihrer Auffassung wenden wird, Truppen aufzustellen, damit auf diese unvermutet diejenigen stoßen , die aus dem Treffen entrinnen.
nimirum similiter arbitrantur isti bonorum emptores vos hic, talis viros, sedere, qui excipiatis eos, qui de suis manibus effugerint.
Ähnlich, meinen wohl jene Güterkäufer, sitzt ihr, so würdige Männer, hier, um die aufzufangen, die ihren Händen entronnen sind.
di prohibeant, iudices, ne hoc, quod maiores consilium publicum vocari voluerunt, praesidium sectorum existimetur!
Die Götter mögen verhüten, ihr Richter, dass das, was unsere Vorfahren eine öffentliche Ratsbehörde genannt wissen wollten, als eine Schutzbehörde für Güterkäufer gelte.
 
an vero, iudices, vos non intellegitis nihil aliud agi, nisi ut proscriptorum liberi quavis ratione tollantur, et eius rei initium in vestro iure iurando atque in Sex. Rosci periculo quaeri?
Oder merkt ihr nicht, ihr Richter, dass es um nichts anderes geht, als dass die Kinder der Geächteten, gleich wie, aus dem Weg geräumt werden, und dass man den Anfang dazu durch euch als geschworene Richter und die Anklage des Sextus Roscius machen will?
dubium est, ad quem maleficium pertineat, cum videatis ex altera parte sectorem, inimicum, sicarium eundemque accusatorem hoc tempore, ex altera parte egentem, probatum suis filium, in quo non modo culpa nulla, sed ne suspicio quidem potuit consistere?
Ist es noch zweifelhaft, auf wen das Verbrechen zielt, da ihr auf der einen Seite einen Güterkäufer, Feind, Banditen seht, der jetzt auch Ankläger ist, auf der anderen Seite einen verarmten, von den Seinigen geliebten Sohn, bei dem nicht allein keine Schuld, sondern nicht einmal ein Verdacht Platz greifen konnte?
numquid hic aliud videtis obstare Roscio, nisi quod patris bona venierunt?
Seht ihr irgendetwas anderes, was hier dem Sextus Roscius zur Last liegt, als dass die Güter seines Vaters verkauft wurden?
 
quod si id vos suscipitis et eam ad rem operam vestram profitemini, si idcirco sedetis, ut ad vos adducantur eorum liberi, quorum bona venierunt, cavete, per deos immortalis, iudices, ne nova et multo crudelior per vos proscriptio instaurata esse videatur.
Wenn ihr das auf euch nehmt und euch bereit erklärt, dazu zu helfen, wenn ihr darum hier sitzt, dass deren Kinder, deren Güter verkauft wurden, vor euren Richterstuhl geschleppt werden, so hütet euch, bei den unsterblichen Göttern, ihr Richter, dass man von euch glaube, ihr hättet eine neue und weit grausamere Art der Ächtung aufgebracht.
illam priorem, quae facta est in eos, qui arma capere potuerunt, tamen senatus suscipere noluit, ne quid acrius, quam more maiorum comparatum est, publico consilio factum videretur;
Jene frühere, die diejenigen traf, die Waffen führen konnten, wollte gleichwohl der Senat nicht auf sich nehmen, damit es nicht schien, die öffentliche Ratsbehörde habe härtere Maßnahmen ergriffen, als nach der Vorgabe der Vorfahren eingeführt war.
hanc vero, quae ad eorum liberos atque ad infantium puerorum incunabula pertinet, nisi hoc iudicio a vobis reicitis et aspernamini, videte, per deos immortalis, quem in locum rem publicam perventuram putetis!
Wofern ihr aber diese Ächtung, die sich auf deren Nachkommen und auf die Wiege unmündiger Kinder abzielt, nicht durch diesen Richterspruch von euch weist und verwerft, so erwägt, bei den unsterblichen Göttern, wie weit es dann wohl mit dem Staat kommen wird.
 
homines sapientes et ista auctoritate et potestate praeditos, qua vos estis, ex quibus rebus maxime res publica laborat, eis maxime mederi convenit.
Weisen Männern, die mit der amtlichen Befugnis und Gewalt, wie ihr, ausgerüstet sind, kommt es vornehmlich zu, die Übel zu heilen, an denen der Staat am meisten leidet.
vestrum nemo est, quin intellegat populum Romanum, qui quondam in hostis lenissimus existimabatur, hoc tempore domestica crudelitate laborare.
Niemand ist unter euch, der nicht einsieht, dass das römische Volk, das ehemals den Ruhm der größten Milde gegen seine Feinde hatte, jetzt durch Grausamkeit gegen die Bürger leide.
hanc tollite ex civitate, iudices, hanc pati nolite diutius in hac re publica versari; quae non modo id habet in se mali, quod tot civis atrocissime sustulit, verum etiam hominibus lenissimis ademit misericordiam consuetudine incommodorum.
Verbannt diese Grausamkeit aus dem Staat, ihr Richter, lasst sie nicht länger in dieser Republik ihr Unwesen treiben; denn an ihr haftet nicht nur das Schlimme, dass sie so viele Bürger aufs grauenhafte hingemordet hat, sondern auch die sanftesten Menschen durch die Gewöhnung an Leiden dem Mitleid entfremdet hat.
nam cum omnibus horis aliquid atrociter fieri videmus aut audimus, etiam, qui natura mitissimi sumus, adsiduitate molestiarum sensum omnem humanitatis ex animis amittimus.
Denn wenn wir zu jeder Stunde sehen oder hören, dass etwas Grässliches geschieht, so verlieren wir, auch wenn wir von Natur die sanftmütigsten sind, durch die ständige Gegenwart des Übels jedes Gefühl für Menschlichkeit.
 
   
Übersetzung nach C.N.v.Osiander bearbeitet von E.Gottwein
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Sententiae excerptae:
Lat. zu "Cic" und "Rede"
1089
Cicerone non opus est, ubi fantur opes.
Wo die Macht (der Reichtum) spricht, braucht es keinen Cicero. (Wo Gold redet, gilt alle übrige Rede nichts).

1823
Magistri nisi dixerint, quae adulescentuli probent, 'soli in scholis relinquentur'
Wenn die Lehrer nicht den Jüngelchen nach dem Mund reden, bleiben sie, allein in der Schule zurück.
Petron.3,2 (nach Cicero)


Literatur:
zu "Cic" und "Rosc"
512
Axer, J.
The Style and the Composition of Cicero's Speech "Pro S.Roscio com."
Warschau 1980
booklooker
zvab

564
Bayer, K.
Wider die permanente Revolution - Zu Cicero pro Sexto Roscio Amerino
in: Angebot.., Bamberg (Buchners) 1990
booklooker
zvab

683
Büchner, K.
Cicero. Bestand und Wandel seiner geistigen Welt
Heidelberg (Winter) 1964
booklooker
zvab

4136
Cicero M.T. / Halm
De imperio Cn. Pompei (Cic.Manil.) / S. Rosc.: Halm, Karl / Wilhelm Sternkopf (Hrsgg.), Text, Komm.
Berlin (1854)
booklooker
zvab

696
Cicero M.T. / Halm, K.
Cicero: Reden für Sex.Roscius aus Ameria und Über das Imperium des Cn.Pompeius. (=Ciceros Ausgewählte Reden, Bd 1). Erklärt von Karl Halm.
Berlin (Weidmann) 12/1910
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4243
Cicero M.T. / Kräling, B.
Ciceros Rede für Sex.Roscius aus Ameria, bearb. v. Bernhard Kräling, Text und Kommentar
Münster (Aschendorff) 4/1963
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4245
Cicero M.T. / Krüger
Marcus Tullius Cicero: Rede für Sextus Roscius aus Ameria (lat. u. dtsch), übersetzt und herausgegeben v. Gerhard Krüger
Stuttgart : Reclam, 1980
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4247
Cicero M.T. / Landgraf
Ciceros Rede für Sex. Roscius aus Ameria, für den Schulgebracuh erklärt von Dr. G.Landgraf (Text, Kommentar)
Gotha (Perthes) 1882
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2876
Cicero M.T. / Landgraf, G.
Kommentar zu Ciceros Rede pro Sexto Roscio v. Landgraf, Gustav
Leipzig 1914; (Olms Verlag 1978)
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4244
Cicero M.T. / Landgraf, G.
Kommentar zu Ciceros Rede pro Sexto Roscio Amerino
Hildesheim (Olms) 1978 (NDr. Leipzig, 1914ff)
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4246
Cicero M.T. / Osenbrüggen
Cicero's Rede für Sextus Roscius aus Ameria, mit Einleitung und Commentar v. Ed.Osenbrüggen
Braunschweig (Vieweg) 1844
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Gelzer, M.
Cicero. Ein biographischer Versuch
Wiebaden (Steiner) 1969
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Giebel, M.
Cicero
Reinbek (rm 261) 1989
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Hartung, H.-J.
Religio u. sapientia iudicum. ..Geschworerenspiegel in Ciceros Reden
in: Herm.102/1974, 556
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Cicero
in: Röm.Geisteswelt, München 1965
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Klingner, F.
Ciceros Rede für den Schauspieler Roscius
in: Studien, Zürich (Artemis) 1964
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Klingner, Friedrich
Studien zur griechischen und römischen Literatur. Herausgegeben von Klaus Bartels, mit einem Nachwort von Ernst Zinn.
Zürich, Stuttgart (Artemis) 1964
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Laughton, E.
Cicero und die griechischen Redner
in: Kytzler: Cicero, WBG 1973 (WdF 240)
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Mack, D.
Stil der ciceronischen Senatsreden und Volksreden
in: Kytzler: Cicero, WBG 1973 (WdF 240)
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Maroscheck, B.
Lektüre der 4. und 7. Philippica Ciceros.
in: AU XIII 1,62
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Maroscheck, B.
Lektüre der 4. und 7. Philippica Ciceros.. polit.Bildung
in: AU XIII 1,62
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Offermann, H.
Cicero, "Pro Sex.Roscio Amerino" 2,6
in: AU XVII 2,65
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Plasberg, O.
Cicero in seinen Werken und Briefen
Darmstadt (WBG) 1962
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Rahn, H.
Zur Struktur des ciceronisches Rede-Proömiums
in: AU XI 4,5
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Seel, O.
Cicero. Wort, Staat, Welt
Stuttgart (Klett) 1967
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Thierfelder, A.
...Wert der Bemerkungen zur eigenen Person in Ciceros Prozessreden
in: Gymn 72/1965; Kytzler: Cicero, WBG 1973 (WdF 240)
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