(1,2) Nec vero habere virtutem satis est quasi artem aliquam, nisi utare; etsi ars quidem, cum ea non utare, scientia tamen ipsa teneri potest, virtus in usu sui tota posita est; usus autem eius est maximus civitatis gubernatio et earum ipsarum rerum, quas isti in angulis personant, reapse, non oratione perfectio. Nihil enim dicitur a philosophis, quod quidem recte honesteque dicatur, quod <non> ab iis partum confirmatumque sit, a quibus civitatibus iura discripta sunt. Unde enim pietas aut a quibus religio? unde ius aut gentium aut hoc ipsum, civile quod dicitur? unde iustitia, fides, aequitas? unde pudor, continentia, fuga turpitudinis, adpetentia laudis et honestatis? unde in laboribus et periculis fortitudo? Nempe ab iis, qui haec disciplinis informata alia moribus confirmarunt, sanxerunt autem alia legibus.
(1,3) Quin etiam Xenocraten ferunt, nobilem in primis philosophum, cum quaereretur ex eo, quid adsequerentur eius discipuli, respondisse, ut id sua sponte facerent, quod cogerentur facere legibus. Ergo ille civis, qui id cogit omnis imperio legumque poena, quod vix paucis persuadere oratione philosophi possunt, etiam iis, qui illa disputant, ipsis est praeferendus doctoribus. Quae est enim istorum oratio tam exquisita, quae sit anteponenda bene constitutae civitati publico iure et moribus? Equidem quem ad modum 'urbes magnas atque imperiosas', ut appellat Ennius, viculis et castellis praeferendas puto, sic eos, qui his urbibus consilio atque auctoritate praesunt, iis, qui omnis negotii publici expertes sint, longe duco sapientia ipsa esse anteponendos. Et quoniam maxime rapimur ad opes augendas generis humani studemusque nostris consiliis et laboribus tutiorem et opulentiorem vitam hominum
reddere et ad hanc voluptatem ipsius naturae stimulis incitamur, teneamus eum cursum, qui semper fuit optimi cuiusque, neque ea signa audiamus, quae receptui canunt, ut eos etiam revocent, qui iam processerint.
(1,2) Dabei genügt es freilich nicht, die Tugend wie irgend eine Kunstfertigkeit zu besitzen, ohne sie ins Leben treten zu lassen. Auch wenn man eine Kunst, ohne sie auszuüben, doch als bloßes Wissen besitzen kann, besteht die Tugend ihrem ganzen Wesen nach bloß in der Ausübung. Ihre bedeutendste Ausübung findet sie aber in der Leitung des Staates, und in der tatsächlichen, nicht bloß verbalen Ausführung gerade derjenigen Dinge, die jene <Philosophen> in ihren Winkeln ausposaunen. Denn keinen Satz, soweit er wenigstens wahr und würdig vorgetragen wird, sprechen die Philosophen aus, der nicht von denen zuerst aufgestellt und begründet worden wäre, die in den Staaten die Rechtsverhältnisse festgestellt haben. Denn wo liegt die Quelle der Frömmigkeit, wo der Ursprung der Gottesverehrung? Woher stammen das Völkerrecht oder das sogenannte bürgerliche Recht? Woher Gerechtigkeit, Treu und Glauben, woher Billigkeit? Woher Scheu vor Unedlem, Enthaltsamkeit, Widerwillen gegen Schimpfliches, Streben nach Lob und Ehrbarkeit? Woher endlich Mut und Ausdauer bei Anstrengungen und in Gefahren? - Offenbar von denen, die dies durch Belehrung ausgebildet und einen Teil davon durch Sitte und herkommen fest gegründet, einen anderen durch Gesetze heilig und unverletzlich gemacht haben. (1,3) Erzählt man doch bestimmt von
Xenokrates, einem überaus berühmten Philosophen, er habe auf die Frage, was denn seine Schüler bezwecken, geantwortet, dass sie dasjenige aus innerem Antrieb tun, wozu sie durch die Gesetze gezwungen würden. Daher überwiegt der Bürger, der die Gesamtheit durch das Machtwort des Gebotes und die von den Gesetzen bestimmte Strafe zu dem bringt, wozu die Philosophen durch ihre Rede kaum wenige zu bewegen vermögen, an Wert selbst die Lehrer, die hierüber ausführliche Vorträge halten. Denn gibt es wohl einen so ausgezeichnet wertvollen Vortrag, der einem durch öffentliches Recht und Sitte gut eingerichteten Staat vorzuziehen wäre? Und wirklich, wie ich "Städte von Macht und gewaltiger Herrschaft", um mich eines Ausdrucks des
Ennius zu bedienten, für wertvoller halte als kleine Dörfer und Kastelle, so bin ich der Ansicht, dass diejenigen, die diesen Städten mit Rat und Ansehen vorstehen, gerade an Weisheit weit über diejenigen zu stellen sind, die ohne alle Teilnahme an öffentlichen Geschäften leben. Und weil uns ein besonderer innerer Drang antreibt, die wertvollsten Güter des Menschengeschlechts zu vermehren, und wir durch unsere innere und äußere Tätigkeit die Menschheit in einen gesicherten und an Besitztum reichen Zustand zu bringen streben, auch die Natur uns selbst zu dieser Neigung anspornt; so lasst uns auf dieser Bahn, die stets nur die Besten betreten haben, kräftig vorwärts streben, und gar nicht auf die Signale derjenigen achten, die zum Rückzug blasen, um auch diejenigen zurückzurufen, die schon weit voran sind.