Homer, Ilias 22, 460-486
Welt des Krieges - Welt des Friedens: 3.) Hektor und
Andromache
Kursarbeit
Vorausgehende Lektüre:
a) Hektor bei Paris und Helena [Il.
6, 312-368], b) Hektor und Andromache (Homilie) [Il. 6, 369-465] |
Kontext: Achill hat Hektor im
Kampf getötet und schleift seine Leiche durch den Sand
vor der Stadt. Andromache ist zu Hause, webt und bereitet für
Hektor, falls er heimkehrt, ein Bad vor. Als Jammergeschrei
an ihre Ohren dringt, ahnt sie, was geschehen ist. Wie reagiert
sie?
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Ὥς φαμένη μεγάροιο
διέσσυτο μαινάδι ἴση
παλλομένη κραδίην· ἅμα δ ἀμφίπολοι κίον αὐτῇ
αὐτὰρ ἐπεὶ πύργόν τε καὶ ἀνδρῶν ἷξεν ὅμιλον
ἔστη παπτήνας ἐπὶ τείχει, τὸν δὲ νόησεν
ἑλκόμενον πρόσθεν πόλιος· ταχέες δέ μιν ἵπποι
ἕλκον ἀκηδέστως κοίλας ἐπὶ νῆας Ἀχαιῶν.
τὴν δὲ κατ ὀφθαλμῶν ἐρεβεννὴ νὺξ ἐκάλυψεν,
ἤριπε δ ἐξοπίσω, ἀπὸ δὲ ψυχὴν ἐκάπυσσε. |
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[τῆλε δ ἀπὸ κρατὸς βάλε
δέσματα σιγαλόεντα,
ἄμπυκα κεκρύφαλόν τε ἰδὲ πλεκτὴν ἀναδέσμην
κρήδεμνόν θ, ὅ ῥά οἱ δῶκε χρυσῆ Ἀφροδίτη
ἤματι τῷ ὅτε μιν κορυθαίολος ἠγάγεθ Ἕκτωρ
ἐκ δόμου Ἠετίωνος, ἐπεὶ πόρε μυρία ἕδνα.
ἀμφὶ δέ μιν γαλόῳ τε καὶ εἰνατέρες ἅλις ἔσταν,
αἵ ἑ μετὰ σφίσιν εἶχον ἀτυζομένην ἀπολέσθαι.] |
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ἣ δ' ἐπεὶ
οὖν ἔμπνυτο καὶ
ἐς φρένα θυμὸς
ἀγέρθη,
ἀμβλήδην
γοόωσα μετὰ Τρῳῇσιν
ἔειπεν·
Ἕκτορ
ἐγὼ δύστηνος·
[...]
νῦν δὲ σὺ μὲν
Ἀΐδαο δόμους
ὑπὸ κεύθεσι γαίης
ἔρχεαι, αὐτὰρ
ἐμὲ στυγερῷ ἐνὶ
πένθεϊ λείπεις
χήρην ἐν μεγάροισι·
πάϊς δ' ἔτι νήπιος
αὔτως,
ὃν τέκομεν
σύ τ' ἐγώ τε δυσάμμοροι·
οὔτε σὺ τούτῳ
ἔσσεαι, Ἕκτορ,
ὄνειαρ, ἐπεὶ
θάνες, οὔτε σοὶ
οὗτος.
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Angaben: 1 ἡ μαινάς,
άδος - die Rasende (μαινομένη,
6,387) / 2 παλλομένη
κραδίην - klopfenden Herzens /
4 παπταίνω τινά
- halte Ausschau (nach jdm.) / 6 ἀκηδέστως
- gefühllos, schonungslos / 7 κατ’ ὀφθαλμῶν
- über die Augen hinab <sich senkend> / 8 ἔριπε
(Aor. v. ἐρείπω - stürze nieder)
/ ἐξοπίσω - nach hinten / ἀποκαπύω
ψυχήν - hauche den Atem aus, werde ohnmächtig
/ 9 ἀμπνῦσθαι - wieder
zur Besinnung kommen / ἀγέρθη von
ἀγείρω - versammle / 10 ἀμβλήδην
- ("aufstoßend") schluchzend / 12 ὑπό
+ Dat - tief in / τὸ κεῦθος
- Schlupfwinkel, Tiefe / 13 τὸ πένθος
- Leid / 15 δυσ-άμμορος
- sehr unglücklich / 16 τὸ ὄνειαρ
- Hilfe, Schutz |
Aufgaben:
- Übersetzen Sie den Arbeitstext! [GF: Vs.
1-11; LF: Vs.1-16]
- Zusatzaufgaben [GF: Zur Aufg. 2 (verpflichtend)
Aufg. 1 oder 3 (wahlweise), LF: alle drei Aufgaben]
- Im 6. Buch der Ilias standen die beiden Paare Paris - Helena
und Hektor - Andromache in einem kontrastierenden Zusammenhang.
Heben Sie die wichtigsten Vergleichspunkte hervor!
- Welche Reminiszenzen (wörtliche und motivische Anklänge)
weckt der vorliegende Arbeitstext an die Begegnung Hektors
mit Andromache im 6. Buch der Ilias (Homilie)?
- Bearbeiten Sie zur Bildvorlage die Aufgabe 1c!
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Lösungsangebote |
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Henning zu Aufg. B1:
Paris scheint eher die "Rolle der Frau" auszufüllen,
da er nur in seinem Gemach sitzt und sich nicht in den Kampf traut.
Seine Frau Helena hingegen ist es leid, mit so einem Feigling verheiratet
zu sein, und will ihn regelrecht zum Schlachtfeld treiben. Diese Verteilung,
dass der Mann nicht in den Krieg ziehen will, sondern die Frau mehr
Courage zeigt und ein größeres Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein
an den Tag legt, wird durch das zweite Ehepaar, Hektor - Andromache,
wieder berichtigt, bzw. "normalisiert". Hier ist nämlich
Hektor als Held und Schützer der Stadt der Inbegriff des Kriegers,
da er seine Waffen die gesamte Zeit über angelegt lässt
und auch nur ein einziges Mal seinen Helm ablegt, um sein Kind in
den Arm nehmen zu können. Paris muss sich hingegen erst langsam
an seine Waffen "herantasten".
Hektor ist auch ein fester Charakter, d.h. nicht so labil wie Paris,
der noch immer seinen verlorenen Zweikampf verarbeiten muss und so
sein eigenes Wohl dem einer ganzen Stadt vorzieht. Bei Hektor stellt
sich die Frage, Stadt oder Familie, nicht ernsthaft, da er seine Heimatstadt
Troja über alles stellt, sogar über die besorgt - verzweifelte
Frau und seinen eigenen Sohn. Seine Frau Andromache will ihn hingegen
zu Hause behalten und unter keinen Umständen verlieren. Sie schickt
ihn also nicht, wie Helena es mit Paris vorhat, gleich zurück
in den Krieg, sondern sie sieht in ihm ihren einzigen noch lebenden
Verwandten, da Vater, Mutter und Geschwister bereits durch Achill
und Artemis umgekommen sind.
Hektor und Paris sind beide als Troer von einem schlimmen Schicksal
gezeichnet; doch hier ist der Hauptunterschied: Hektor stellt sich
trotz des baldigen Todes seinen Aufgaben [...] Paris versucht dem
Kampf und Tod zu entrinnen, bzw. ist ein gebrochener Mensch, der seine
Hoffnung verloren hat. |
Kurzfassung:
Helena ist Heldenfrau ohne Held, Paris ist Frauenheld ohne Frau.
Andromache ist ganz Frau (mit Held) und Hektor ganz Held (mit
Frau).
Provokante Frage:
Würden die Paare a) Hektor - Helena (vgl. Il. 6, 350!)
und Paris - Andromache besser (untragischer) harmonieren? |
Benedikt zu Aufg. B2:
Wieder verlässt Andromache aus Sorge um Hektor den Palast
und eilt ihm zur Mauer, ihm entgegen. Er aber entfernt sich diesmal
allem Anschein nach von ihr, da er zur Küste gezogen wird.
Als ihr schließlich bewusst wird, Hektor verloren zu haben,
verliert sie das Bewusstsein und so wird ihr Todeswunsch, den sie
Hektor zuvor mitgeteilt hatte, zum Teil Wirklichkeit.
Christina
zu Aufg. B2 [Die Belegstellen sind, da den Schülern kein
Text vorlag, vom Korrektor hinzugefügt]:
An beiden Stellen gleicht sie einer Rasenden (μαινάδι
ἴση) in Angst um Hektor [6, 389]. Auch diesmal folgen
ihr Dienerinnen, letztes Mal war allerdings nur eine Amme zugegen
[6, 398; 399]. Wiederum treibt es sie nahe zum Kampfgeschehen, diesmal
zur Mauer, zuvor zum Turm, um alles mit eigenen Augen zu sehen [6,
392]. Auch ihr Klagen (γοόωσα) wiederholt
sich [6, 373]. Der schon im 6. Buch der Ilias ausgesprochene Wunsch
sterben zu wollen, tritt hier (in der Auslassung) wieder auf. Bekannt
sind weiterhin der Ausdruck Ἀΐδαο δόμους
ἔρχεαι [6, 411], ihre Klage als Witwe
zurückzubleiben [6, 408; 431] und die Sorge um ihr (nun) vaterloses
Kind [6, 432]. |
zur Aufg.
3: Besonderheiten der Bildkomposition:
- Räumliche Aufteilung in drei Gruppen (statt zwei
Paare, oder eines Paares)
- Hektor und Andromache sollen das Zentrum bilden;
- Die Anwesenheit des Kebriones (Hektors Bruder und
Wagenlenker, der ihn häufig in den Kampf begleitet)
signalisiert - wie die Rüstung - Hektors Eile und
das Kampffeld als sein Ziel
- Die Szenen sind vom Maler in einer einheitlichen Komposition
vereinigt, obwohl sie örtlich (vielleicht auch zeitlich)
getrennt spielen (Deckszenen?): Die Bildkomposition ist
von Natur aus statisch und drückt Bewegungen und Entwicklungen
mit den ihr eigenen Mitteln aus.
- Verzicht auf Astyanax (und Amme, Dienerinnen): Verzicht
auf Nebenmotive. Vermeidung von Überladung; Konzentration
auf das Wesentliche und Typische.
- Hinzunahme des Kebriones (Pferde, Vögel): Gründe
der Komposition; Aussagekraft der Szene; der Maler ist kein
Illustrator literarischer Texte
- Statik statt Bewegungsabläufe (Text)
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Paris -
Helena
- Randszene
- Helena wendet sich ab
- Helena verschränkt ihre Arme
- Helenas Kopf ist unbedeckt
- Paris ist nur z.T. in Waffen (ohne Helm, Beinschienen;
Schild auf dem Rücken)
- Paris wirkt schlank und schwächlich
- Paris' Haltung wirkt unentschlossen, fragend
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Hektor
- Andromache
- im Zentrum
- Andromache wendet sich Hektor zu
- Andromache öffnet ihre Arme
- Andromache ist (mit Kopf) in einen Mantel gehüllt
- Hektor ist in voller Rüstung (Helm, Beinschienen,
Schild in der Hand und zentrale Platzierung)
- Hektor wirkt mächtig, muskulös
- Hektors Haltung wirkt entschlossen, bestimmt
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Sententiae excerptae: Griech. zu "Hom.Il"803
ὅς κε θεοῖς ἐπιπείθηται μάλα τ' ἔκλυον αὐτοῦ.
Wer dem Gebot der Götter gehorcht, den hören sie wieder.
Hom.Il.1,218
804
πάντων μὲν κρατέειν ἐθέλει, πάντεσσι δ' ἀνάσσειν
Allen will er gebieten im Heer, und alle beherrschen.
Hom.Il.1,288
897
ἀργαλέος γὰρ Ὀλύμπιος ἀντιφέρεσθαι.
schwer ist es, dem Olympier sich zu widersetzen.
Hom.Il.1,589
805
οὐκ ἀγαθὸν πολυκοιρανίη· εἷς κοίρανος ἔστω.
Niemals frommt Vielherrschaft im Volk; nur einer sei Herrscher.Staatsmann
Hom.Il.2,204
806
ἀλλ’ ἔκ τοι ἐρέω, τὸ δὲ καὶ τετελεσμένον ἔσται.
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich vollendet!
Hom.Il.2,257
807
αἴθ' ὄφελες ἄγονός τ' ἔμεναι ἄγαμός τ' ἀπολέσθαι.
Wärest du nie doch geboren, das wünscht' ich dir, oder gestorben!
Hom.Il.3,40
808
οὔ τοι ἀπόβλητ' ἐστὶ θεῶν ἐρικυδέα δῶρα | ὅσσά κεν αὐτοὶ δῶσιν, ἑκὼν δ' οὐκ ἄν τις ἕλοιτο.
Unverwerflich ja sind der Unsterblichen ehrende Gaben, | Welche sie selber verleihn, und nach Willkür keiner empfänget.
Hom.Il.3,65f.
811
τρεῖν μ' οὐκ ἐᾷ Παλλὰς Ἀθήνη.
Furcht wehret mir Pallas Athene. (Es lässt mich nicht zittern Athene.)
Hom.Il.5,256
812
αἰδομένων ἀνδρῶν πλέονες σόοι ἠὲ πέφανται.
Denn wo sich ehrt ein Volk, stehn mehrere Männer (sind mehr gerettet) als fallen.
Hom.Il.5,531.Hom.Il.15,563.
1
ἀνδρὶ δὲ κεκμηῶτι μένος μέγα οἶνος ἀέξει
dem ermüdeten Mann stählt der Wein die Kraft gar sehr
Hom.Il.6,261
34
νίκη δ' ἐπαμείβεται ἄνδρας
der Sieg wechselt unter den Männern
Hom.Il.6,339
93
Τὸν Κυπρίδος κεστόν
Den Gürtel der Aphrodite (der Schönheit verleiht) (cestum Veneris)
vgl.Hom.Il.14,214ff.
176
αὐτόματοι δ’ ἀγαθοὶ ἀγαθῶν ἐπὶ δαῖτας ἵενται.
von selbst (ohne Einladung) eilen die Tüchtigen zu der Tüchtigen Mahl.
Zenob2,19; Plat.Symp.174b; vgl.Hom.Il.2,438
Literatur: zu "Homer" und "Helena"2696
Lange, Klaus
Euripides und Homer. Untersuchungen zur Homernachwirkung in "Elektra", "Iphigenie im Taurerland", "Helena", "Orestes" und "Kyklops"
Stuttgart, Steiner 2002
3354
Schmitzer, U.
Die Bändigung der schönen Helena in Homers Odyssee
in: Gymn.110/2003, S.23-40
- /Grie/hom/HomIl200.php - Letzte Aktualisierung: 29.12.2020 - 15:40 |