1. Prooemium (1-4) | ||
Götteranruf (1-4) | ||
In nova fert animus
mutatas dicere formas corpora; di, coeptis (nam vos mutastis et illas) adspirate meis primaque ab origine mundi ad mea perpetuum deducite tempora carmen! |
Lust wird rege zum Sang,
wie sich Formen in andere Körper Wandelten. Götter, o seid - ihr habt ja auch sie gewandelt - Meinem Beginnen geneigt, und vom Uranfange der Schöpfung Führt bis auf unsere Zeit des Gedichts fortlaufenden Faden. |
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2. Die Weltentstehung (5-88) | ||
Die Ursuppe (Systole) (5-20) | ||
Ante mare et terras
et quod tegit omnia caelum unus erat toto naturae vultus in orbe, quem dixere chaos: rudis indigestaque moles nec quicquam nisi pondus iners congestaque eodem non bene iunctarum discordia semina rerum. |
Ehe denn Meer und Land
und der alles bedeckende Himmel, War in dem ganzen Bereich der Natur ein einziges Aussehn, Das man Chaos genannt, ein verworrenes rohes Gemenge, Anderes nicht als träges Gewicht und zwistige Keime, Trübe zu einem gehäuft zu lose verbundenen Stoffen. |
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nullus adhuc mundo praebebat
lumina Titan, nec nova crescendo reparabat cornua Phoebe, nec circumfuso pendebat in aere tellus ponderibus librata suis, nec bracchia longo margine terrarum porrexerat Amphitrite; |
Noch goss kein Titan
in das Weltall leuchtende Strahlen, Noch nicht füllete aus durch Zuwachs Phoibe die Hörner. Eignes Gewicht auch hielt noch nicht frei schwebend die Erde In der umfließenden Luft, noch breitete Amphitrite Nicht weithin an dem Rand daliegender Länder die Arme: |
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utque erat et tellus
illic et pontus et aer, sic erat instabilis tellus, innabilis unda, lucis egens aer; nulli sua forma manebat, obstabatque aliis aliud, quia corpore in uno frigida pugnabant calidis, umentia siccis, |
Da, wo Aither, alldort
war Erdreich, Luft und Gewässer. So war nicht zum Stehen das Land, zum Schwimmen die Woge, Lichtes entbehrte die Luft, die Gestalt blieb keinem beständig. Eins war feindlich im Wege dem anderen, weil in der Masse Kaltes im Streit stets lag mit Warmem, mit Trockenem Feuchtes, |
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mollia cum duris, sine
pondere, habentia pondus. |
Weiches mit Hartem und
mit dem Gewichtigen das, was gewichtlos. |
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Elementare Ausdifferenzierung (Diastole) (21-31) | ||
Hanc deus et melior
litem natura diremit. nam caelo terras et terris abscidit undas et liquidum spisso secrevit ab aere caelum. quae postquam evolvit caecoque exemit acervo, |
Aber dem Zwist gab Schlichtung
ein Gott und die bessere Triebkraft, Denn er schied von dem Himmel das Land und vom Lande die Wogen, Und von der dunstigen Luft los trennt' er den lauteren Himmel. Als er so sie entwirrt und dem finsteren Haufen entnommen, |
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dissociata locis concordi
pace ligavit: ignea convexi vis et sine pondere caeli emicuit summaque locum sibi fecit in arce; proximus est aer illi levitate locoque; densior his tellus elementaque grandia traxit |
Schloss er gesondert
im Raum sie zusammen in friedlicher Eintracht. Ohne Gewicht stieg auf lichtvoll des gewölbeten Himmels Feurige Kraft und ersah sich die Statt in der obersten Höhe. Ihr ist die Luft am nächsten im Raum und im Mangel an Schwere. Dichter als sie zog an die gröberen Teile die Erde, |
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et pressa est gravitate
sua; circumfluus umor ultima possedit solidumque coercuit orbem. |
Niedergedrückt durch
eignes Gewicht. Das umströmende Wasser Wählte den äußersten Sitz und umschloss den gefestigten Erdkreis. |
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Gestaltung von Erde und Himmel zu elementaren Lebensräumen (32-71) | ||
Sic ubi dispositam quisquis
fuit ille deorum congeriem secuit sectamque in membra coegit, principio terram, ne non aequalis ab omni |
Wie er so das Gemisch,
wer jener der Götter gewesen, Ordnend hatte zerteilt und in Schichten gefügt das zerteilte, Rundete er im Beginn, auf dass nach jeglicher Seite |
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parte foret, magni
speciem glomeravit in orbis. tum freta diffundi rapidisque tumescere ventis iussit et ambitae circumdare litora terrae; addidit et fontes et stagna inmensa lacusque fluminaque obliquis cinxit declivia ripis, |
Gleich sie wäre,
zur Form großmächtigen Kugel die Erde. Dann goss Fluten er aus und hieß sie von tobenden Winden Schwellen und rings umfangen umgürteter Erde Gestade; Quellen gesellt' er dazu und Seen und unendliche Sümpfe Und wies Flüssen die Bahn in den Grenzen gewundener Ufer, |
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quae, diversa locis,
partim sorbentur ab ipsa, in mare perveniunt partim campoque recepta liberioris aquae pro ripis litora pulsant. iussit et extendi campos, subsidere valles, fronde tegi silvas, lapidosos surgere montes, |
Die in verschiedenem
Lauf teils werden geschlürft von dem Grunde, Teils hinkommen zum Meer und, empfangen vom offenen Felde Freierer Flut anstatt der Ufer bespülen die Küsten. Ebenen ließ er sich auch ausdehnen und Täler sich senken, Wälder sich decken mit Laub, aufsteigen die steinigen Berge. |
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utque duae dextra caelum
totidemque sinistra parte secant zonae, quinta est ardentior illis, sic onus inclusum numero distinxit eodem cura dei, totidemque plagae tellure premuntur. quarum quae media est, non est habitabilis aestu; |
Und wie den himmlischen
Raum zwei Gürtel durchschneiden zur Rechten, Links gleichviel und heißer als sie in der Mitte der fünfte, So in die nämliche Zahl schied auch die geschlossene Masse Sorglich der Gott, und es trägt gleich viele der Striche die Erde. Der in der Mitte sich zieht, ist nicht vor Hitze bewohnbar; |
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nix tegit alta duas;
totidem inter utramque locavit temperiemque dedit mixta cum frigore flamma. Inminet his aer, qui, quanto est pondere terrae pondus aquae levius, tanto est onerosior igni. illic et nebulas, illic consistere nubes |
Zwei deckt mächtiger
Schnee; zwei legte er zwischen die beiden, Denen er Mäßigung gab, mit der Glut die Kälte vermengend. Drüber schwebet die Luft, die lastender ist als das Feuer So viel, wie an Gewicht nachsteht der Erde das Wasser. Dort hieß Nebel er auch, dort dunstige Wolken sich lagern |
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iussit et humanas motura
tonitrua mentes et cum fulminibus facientes fulgura ventos. His quoque non passim mundi fabricator habendum aera permisit; vix nunc obsistitur illis, cum sua quisque regat diverso flamina tractu, |
Samt dem Donnergeroll,
das menschliche Herzen erschrecke, Und mit den Blitzen zugleich die Frost herführenden Winde. Ihrem Gelüste jedoch gab nicht zum Schweifen den Luftraum Frei der Erbauer der Welt. Kaum wird jetzt ihnen gewehret, Da in verschiedenem Strich sein Wehn doch jeglicher richtet, |
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quin lanient mundum;
tanta est discordia fratrum. Eurus ad Auroram Nabataeaque regna recessit Persidaque et radiis iuga subdita matutinis; vesper et occiduo quae litora sole tepescunt, proxima sunt Zephyro; Scythiam septemque triones |
Dass sie zerreißen
die Welt: so liegen in Hader die Brüder. Fern zu Aurora entwich, gen Persien und Nabatäa Und zu den Höhen der Ost, die stehen im Lichte des Morgens; Abendlich Land und die Küsten gewärmt von der sinkenden Sonne Liegen dem Weste zunächst; die Skythen befällt und die sieben |
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horrifer invasit Boreas;
contraria tellus nubibus adsiduis pluviaque madescit ab Austro. haec super inposuit liquidum et gravitate carentem aethera nec quicquam terrenae faecis habentem. Vix ita limitibus dissaepserat omnia certis, |
Stiere der schaurige
Nord; durch unablässige Wolken Nässt gegenüber das Land der regengeschwängerte Südwind. Drobhin lagert' er dann den klar durchsichtigen Aither, Der von Schwere befreit nichts hat von der irdischen Hefe. Kaum nun hatt' er verzäunt das alles in sichere Grenzen, |
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cum, quae pressa diu
fuerant caligine caeca, sidera coeperunt toto effervescere caelo; |
Als die Gestirne, die
lang sich gepresst in jenem Gemenge Bargen, am Himmel umher glanzreich begannen zu flimmern. |
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Besiedlung der elementaren Lebensräume (72-88) | ||
neu regio foret ulla
suis animalibus orba, astra tenent caeleste solum formaeque deorum, cesserunt nitidis habitandae piscibus undae, |
Jetzo, damit kein Raum
ermangele seiner Bewohner, Haben den himmlischen Sitz mit den Sternen die Göttergestalten; Wohnstatt ward in den Wellen verliehn den glänzenden Fischen; |
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terra feras cepit,
volucres agitabilis aer. |
Tiere bekam das Land
und Vögel der regsame Luftraum. |
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Die Sonderstellung des Menschen (76-88) | ||
Sanctius his animal
mentisque capacius altae deerat adhuc et quod dominari in cetera posset: natus homo est, sive hunc divino semine fecit ille opifex rerum, mundi melioris origo, |
Aber es fehlete noch
ein Geschöpf, das höher an Würde Mit tiefdenkendem Geiste den anderen könnte gebieten. Sieh, da wurde der Mensch, ob ihn aus göttlichem Samen Machte der Bildner der Welt, der Urquell besserer Schöpfung, |
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sive recens tellus
seductaque nuper ab alto aethere cognati retinebat semina caeli. quam satus Iapeto, mixtam pluvialibus undis, finxit in effigiem moderantum cuncta deorum, pronaque cum spectent animalia cetera terram, |
Oder die Erd' im Beginn,
die sich vom erhabenen Aither Eben gelöst, noch Keime behielt gleichartigen Himmels Und des Iapetos Sohn sie gemengt mit fließenden Wellen Bildete gleich der Gestalt der alles beherrschenden Götter. Während die Erde gebückt ansehen die andern Geschöpfe, |
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os homini sublime dedit
caelumque videre iussit et erectos ad sidera tollere vultus: sic, modo quae fuerat rudis et sine imagine, tellus induit ignotas hominum conversa figuras. |
Gab er erhabnes Gesicht
dem Menschen und ließ ihn den Himmel Schauen und richten empor zu den Sternen gewendet das Antlitz. Also kleidete sich die völlig veränderte Erde, Formlos eben und wüst, mit den neuen Gebilden der Menschen. |
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