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Titus Lucretius Carus

De rerum natura

LIBER II - lateinisch und deutsch

 
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1


Suave, mari magno turbantibus aequora ventis
e terra magnum alterius spectare laborem;
non quia vexari quemquamst iucunda voluptas,
sed quibus ipse malis careas quia cernere suavest.
Süß ist's, anderer Not bei tobendem Kampfe der Winde
Auf hoch wogigem Meer vom fernen Ufer zu schauen;
Nicht als könnte man sich am Unfall andrer ergötzen,
Sondern dieweil man es sieht, von welcher Bedrängnis man frei ist.
5



suave etiam belli certamina magna tueri
per campos instructa tua sine parte pericli;
sed nihil dulcius est, bene quam munita tenere
edita doctrina sapientum templa serena,
despicere unde queas alios passimque videre
Süß auch ist es, zu schaun die gewaltigen Kämpfe des Krieges
In der geordneten Schlacht, vor eignen Gefahren gesichert.
Aber süßer ist nichts, als die wohlbefestigten heitern
Tempel innezuhaben, erbaut durch die Lehre der Weisen:
Wo du hinab kannst sehn auf andere, wie sie im Irrtum
10



errare atque viam palantis quaerere vitae,
certare ingenio, contendere nobilitate,
noctes atque dies niti praestante labore
ad summas emergere opes rerumque potiri.
o miseras hominum mentes, o pectora caeca!
Schweifen, immer den Weg des Lebens suchen und fehlen;
Streitend um Geist und Witz, um Ansehn, Würden und Adel;
Tag und Nacht arbeitend mit unermüdetem Streben,
Sich zu dem Gipfel des Glücks, empor sich zu drängen zur Herrschaft.
O unseliger Geist, o blinde Herzen der Menschen!
15



qualibus in tenebris vitae quantisque periclis
degitur hoc aevi quod cumquest! nonne videre
nihil aliud sibi naturam latrare, nisi ut qui
corpore seiunctus dolor absit, mente fruatur
iucundo sensu cura semota metuque?
In welch finsterer Nacht und unter welchen Gefahren
Wird dies Leben verbracht, der Moment! Es liegt ja vor Augen,
Dass die Natur für sich so heiß nichts fordert, als dass wir,
Ist nur der Körper von Schmerzen befreit, des Geistes genießen,
Frohen Gefühls, entfernet von Furcht und jeglicher Sorge.
20



ergo corpoream ad naturam pauca videmus
esse opus omnino: quae demant cumque dolorem,
delicias quoque uti multas substernere possint
gratius inter dum, neque natura ipsa requirit,
si non aurea sunt iuvenum simulacra per aedes
Und so sehen wir ein, es sei zur Erhaltung des Körpers
Weniges nur vonnöten, ihm jeglichen Schmerz zu benehmen:
Ja, dass Ergötzlichkeiten sogar sich häufig erbieten,
Wie sie zuweilen selbst die Natur nicht süßer erheischet.
25



lampadas igniferas manibus retinentia dextris,
lumina nocturnis epulis ut suppeditentur,
nec domus argento fulget auroque renidet
nec citharae reboant laqueata aurataque templa,
cum tamen inter se prostrati in gramine molli
Halten im weiten Saal nicht goldene Jünglingsgestalten
Flammende Fackeln empor, den nächtlichen Schmaus zu erhellen;
Glänzt nicht von Silber das Haus, und widerstrahlt es von Gold nicht;
Schallt nicht Zithergesang zurück von getäfelten Wänden:
Nun, so lagert man sich vertraut auf weichlichen Rasen,
30



propter aquae rivum sub ramis arboris altae
non magnis opibus iucunde corpora curant,
praesertim cum tempestas adridet et anni
tempora conspergunt viridantis floribus herbas.
nec calidae citius decedunt corpore febres,
Neben dem rinnenden Bach, im Schatten erhabener Bäume,
Pfleget des Körpers froh, obwohl bei geringem Vermögen.
Sonderlich dann, wann die Witterung lacht, wann die fröhliche Jahrszeit
Wieder die grünende Flur mit Blumen und Blüten bestreuet.
Wahrlich nicht schneller entweicht die Fieberhitze vom Körper,
35



textilibus si in picturis ostroque rubenti
iacteris, quam si in plebeia veste cubandum est.
quapropter quoniam nihil nostro in corpore gazae
proficiunt neque nobilitas nec gloria regni,
quod super est, animo quoque nil prodesse putandum;
Ob auf Purpur du dich und gestickten Teppichen wälzest,
Oder gemeines Gewand um deine Schultern herumschlägst.
Mögen demnach nicht Schätze, noch Gold, noch Adel, noch Herrschaft
Körperlich Wohl befördern, so ist gar leicht zu ermessen,
Dass sie weniger noch zum Wohl des Gemütes vermögen.
40



si non forte tuas legiones per loca campi
fervere cum videas belli simulacra cientis,
subsidiis magnis et opum vi constabilitas,
ornatas armis stlattas pariterque animatas,
his tibi tum rebus timefactae religiones
Müsste denn sein, wann du siehst das Bild des Krieges erwecken
Deiner Legionen Gewühl auf offenem Marsfeld,
Deiner Geschwader Gewühl auf weiter Fläche sich tummeln,
Dass, von diesem verscheucht, die zitternde Furcht vor den Göttern
Samt den Schrecken des Todes entflöhn aus deinem Gemüte
45



effugiunt animo pavidae mortisque timores
tum vacuum pectus lincunt curaque solutum.
quod si ridicula haec ludibriaque esse videmus,
re veraque metus hominum curaeque sequaces
nec metuunt sonitus armorum nec fera tela
Und das Leben dir frei und ledig ließen von Sorgen.
Finden wir aber, dass dies nur Spiele der Kinder und Tand sei,
Dass in der Tat die Furcht im Menschen, die nagende Sorge,
Nicht vor Waffengetöse sich scheut noch drohenden Lanzen,
Sondern sich dreist unter Könige mischt und unter der Dinge
50



audacterque inter reges rerumque potentis
versantur neque fulgorem reverentur ab auro
nec clarum vestis splendorem purpureai,
quid dubitas quin omnis sit haec rationis potestas,
omnis cum in tenebris praesertim vita laboret?
Herrscher, und dass sie sich nicht verblenden lässet vom Goldglanz,
Noch vom strahlenden Lichte des purpurfarbenen Kleides:
Zweifelst du noch, dies sei nicht alles Mangel an Einsicht?
Um so mehr, da so tief noch der Menschen Leben die Nacht drückt.
Denn wie die Kinder erzittern und alles fürchten im Finstern,
55



nam vel uti pueri trepidant atque omnia caecis
in tenebris metuunt, sic nos in luce timemus
inter dum, nihilo quae sunt metuenda magis quam
quae pueri in tenebris pavitant finguntque futura.
hunc igitur terrorem animi tenebrasque necessest
Also fürchten auch wir beim hellen Lichte des Tages
Dinge, die eben nicht mehr verdieneten, Furcht zu erwecken,
Als was die Kinder im Finstern erschreckt und womit sie die Angst täuscht.
Durchaus müssen daher des Geistes Schrecken und Dunkel
Nicht durch die Strahlen der Sonne, des Tages leuchtende Pfeile,
60



non radii solis neque lucida tela diei
discutiant, sed naturae species ratioque.
Nunc age, quo motu genitalia materiai
corpora res varias gignant genitasque resolvant
et qua vi facere id cogantur quaeque sit ollis
Sondern sich durch der Natur Anschaun und Erkenntnis zerstreuen.
Auf, und lass dir nunmehr entwickeln, durch welche Bewegung
Jene zeugenden Körper die mannigfaltigen Dinge
Hier durch Vereinigung bilden und dort durch Trennung zerstören;
Welche Kraft so zu wirken sie treibt; die Beweglichkeit, welche
65



reddita mobilitas magnum per inane meandi,
expediam: tu te dictis praebere memento.
nam certe non inter se stipata cohaeret
materies, quoniam minui rem quamque videmus
et quasi longinquo fluere omnia cernimus aevo
Ihnen eigen, den Weg durchs unendliche Leere zu machen:
Du, mein Memmius, leih ein still aufmerkendes Ohr mir! —
Keine Materie hängt ganz unzertrennbar zusammen:
Denn wir sehen es ja, wie alle die Dinge sich mindern,
Gleichsam schwinden dahin vom langaufzehrenden Alter,
70



ex oculisque vetustatem subducere nostris,
cum tamen incolumis videatur summa manere
propterea quia, quae decedunt corpora cuique,
unde abeunt minuunt, quo venere augmine donant.
illa senescere, at haec contra florescere cogunt,
Bis sie endlich die Zeit den Augen gänzlich entrückt hat.
Aber die Summe selbst scheint unverändert zu bleiben;
Denn die Teilchen, die stets den Körpern entweichen, vermindern
Hier die Masse, vergrößern sie dort: wann jenes veraltet,
Dränget sich dieses hervor zu neuer Jugend und Blüte,
75



nec remorantur ibi. sic rerum summa novatur
semper, et inter se mortales mutua vivunt.
augescunt aliae gentes, aliae minuuntur,
inque brevi spatio mutantur saecla animantum
et quasi cursores vitai lampada tradunt.
Bleibt nicht dauernd auch da. So wird die Summe des Ganzen
Immer wieder erneut, so borgt man das Leben von andern.
Ein Volk steiget empor, ein anderes sinket danieder;
Die jetzt lebende Welt ist nicht in kurzem dieselbe:
So wie die Läufer der Bahn nimmt einer die Fackel vom andern.
80



Si cessare putas rerum primordia posse
cessandoque novos rerum progignere motus,
avius a vera longe ratione vagaris.
nam quoniam per inane vagantur, cuncta necessest
aut gravitate sua ferri primordia rerum
Irrig und ungereimt zu denken wär' es, die Stoffe
Könnten im Trieb nachlassen und so, durch Verweilen, den Dingen
Einen veränderten Stand und neue Bewegungen geben.
Weil im Leeren sie schwärmen, so treibet sie eigene Schwere
Oder auch äußerer Stoß: denn oftmals, wenn sie im Fortschuss
85



aut ictu forte alterius. nam <cum> cita saepe
obvia conflixere, fit ut diversa repente
dissiliant; neque enim mirum, durissima quae sint
ponderibus solidis neque quicquam a tergibus obstet.
et quo iactari magis omnia materiai
Gegeneinanderprallen, geschieht's, dass schnell auseinander
Wieder sie springen; und leicht ist das zu begreifen, da hart ist
Ihre Natur und schwer durch Dichtheit, nirgends im Rücken
Etwas entgegensteht, sie aufzuhalten vermögend.
Ja, damit du noch mehr, wie die Körperchen alle sich jagen,
90



corpora pervideas, reminiscere totius imum
nil esse in summa, neque habere ubi corpora prima
consistant, quoniam spatium sine fine modoquest
inmensumque patere in cunctas undique partis
pluribus ostendi et certa ratione probatumst.
Einsiehst, denke zurück, dass nichts im ganzen Gesamten
Irgend das Unterste sei; kein Punkt für Körper des Urstoffs,
Fest zu stehen; ein Raum ohn' alle Grenzen und Ende
Dehnt sich ins Unermessliche aus nach jeglicher Seite.
Dies nun zeigt' ich bereits und bewährt' es durch sichere Gründe.
95



quod quoniam constat, ni mirum nulla quies est
reddita corporibus primis per inane profundum,
sed magis adsiduo varioque exercita motu
partim intervallis magnis confulta resultant,
pars etiam brevibus spatiis vexantur ab ictu.
Ist nun dieses gewiss, so ist auch unter des Urstoffs
Körpern nirgends die Ruh' im unermesslichen Weltraum:
Sondern sie jagt ein beständiger Trieb nach mancherlei Richtung,
Sprenget die einen weiter zurück, wenn zusammen sie treffen,
Und verbindet im engeren Raum die ändern durch Anstoß.
100



et quae cumque magis condenso conciliatu
exiguis intervallis convecta resultant,
indupedita suis perplexis ipsa figuris,
haec validas saxi radices et fera ferri
corpora constituunt et cetera<de> genere horum.
Was nun dichter zusammengedrängt in näheren Räumen
Wieder zurücke springt, wird durch die verworrenen Formen
In sich selber verschränkt und bildet Stoffe der Felsen,
Mächtige, starre des Eisens und andere Körper von der Art,
105



cetera quae porro magnum per inane vagantur,
paucula dissiliunt longe longeque recursant
in magnis intervallis; haec aera rarum
sufficiunt nobis et splendida lumina solis.
multaque praeterea magnum per inane vagantur,
Wenige nur. Was ferner jedoch im Leeren herumschwärmt,
Springt auch weiter zurück und wechselt in weiteren Räumen
Seinen verlängerten Lauf; und dieses schaffet die Luft uns,
Locker und dünn, und das Licht der herrlich strahlenden Sonne.
Übrigens schwärmen im Raum viel Körperchen, die mit den Dingen
110



conciliis rerum quae sunt reiecta nec usquam
consociare etiam motus potuere recepta.
Cuius, uti memoro, rei simulacrum et imago
ante oculos semper nobis versatur et instat.
contemplator enim, cum solis lumina cumque
Keinen Verein erhalten und, ausgeschlossen von diesem,
Nie zu gemeinsamem Trieb zusammengesellen sich können.
Hievon kann ich dir leicht ein Vorbild geben, das immer
Uns vor den Augen schwebt. Schau, wie sich im Strahle der Sonne,
Welchen sie zwischendurch in schattige Örter der Häuser
115



inserti fundunt radii per opaca domorum:
multa minuta modis multis per inane videbis
corpora misceri radiorum lumine in ipso
et vel ut aeterno certamine proelia pugnas
edere turmatim certantia nec dare pausam,
Einschießt, Körperchen drehn und untereinander sich mischen,
Viele, auf mancherlei Art, im eigenen glänzenden Lichtstrahl.
Schlachten erregen und Kampf sie in ununterbrochenem Kriege,
Gleichsam streitend in Scharen ; sie sammeln und trennen sich wieder,
Sonder Ruhe noch Rast: wodurch dir ein deutliches Bild wird,
120



conciliis et discidiis exercita crebris;
conicere ut possis ex hoc, primordia rerum
quale sit in magno iactari semper inani.
dum taxat, rerum magnarum parva potest res
exemplare dare et vestigia notitiai.
Wie sich im Leeren jagen die uranfänglichen Stoffe, —
Lässt sich ein Beispiel anders, von Dingen, welche so groß sind.
Durch so geringe geben, die Spur nur ihrer Erkenntnis.
Auch verdienen sie noch um so mehr Betrachtung, die Körper,
Die in der Sonne Strahl in solcher Verwirrung sich treiben,
125



Hoc etiam magis haec animum te advertere par est
corpora quae in solis radiis turbare videntur,
quod tales turbae motus quoque materiai
significant clandestinos caecosque subesse.
multa videbis enim plagis ibi percita caecis
Weil ihr treibendes Irren auf innre verborgne Bewegung
Aller Materie zielt. Denn oftmals wirst du sie sehen,
Wie vom geheimen Stoß sie erregt die Richtung verändern ;
Rückwärts bald, bald dahin und dorthin, nach jeglicher Seite
Hingetrieben durch ihn. Von diesem lieget der Grund schon
130



commutare viam retroque repulsa reverti
nunc huc nunc illuc in cunctas undique partis.
scilicet hic a principiis est omnibus error.
prima moventur enim per se primordia rerum,
inde ea quae parvo sunt corpora conciliatu
Im ursprünglichen Triebe der erstem Körperchen aller.


Diese bewegen sich erst durch sich selbst, dann erregen sie andre
Durch verborgenen Stoß, die von engem Verein und die gleichsam
135



et quasi proxima sunt ad viris principiorum,
ictibus illorum caecis inpulsa cientur,
ipsaque proporro paulo maiora lacessunt.
sic a principiis ascendit motus et exit
paulatim nostros ad sensus, ut moveantur
An der Materie Urkraft selbst angrenzend zunächst sind;
Diese reizen nachher auch andere größere Teilchen.
Also steigt von Stoffen empor die Bewegung und zeigt sich
Unseren Sinnen zuletzt: so dass sich auch jene bewegen,
140



illa quoque, in solis quae lumine cernere quimus
nec quibus id faciant plagis apparet aperte.
Nunc quae mobilitas sit reddita materiai
corporibus, paucis licet hinc cognoscere, Memmi.
primum aurora novo cum spargit lumine terras
Die wir im Sonnenlichte zu sehn vermögen; der Stoß nur,
Welcher solches bewirkt, erscheint nicht deutlich dem Auge.
Lass dich, mein Memmius, jetzt mit wenigem annoch belehren,
Welche Beweglichkeit sei des Urstoffs Körpern verliehen.
Wann Aurora mit Licht aufs neue die Erde bestreuet
145



et variae volucres nemora avia pervolitantes
aera per tenerum liquidis loca vocibus opplent,
quam subito soleat sol ortus tempore tali
convestire sua perfundens omnia luce,
omnibus in promptu manifestumque esse videmus.
Und das gefiederte Chor, die dünneren Lüfte durchstreichend
Im entlegenen Forst, mit hellen Gesängen ihn anfüllt,
Dann wird jeder gewahr, wie schnell die erwachende Sonne
Mit dem Strahlengewande die ganze Gegend bekleidet.
150



at vapor is, quem sol mittit, lumenque serenum
non per inane meat vacuum; quo tardius ire
cogitur, aerias quasi dum diverberat undas;
nec singillatim corpuscula quaeque vaporis
sed complexa meant inter se conque globata;
Aber der wärmende Strahl, den Sol von oben herabschießt,
Und sein glänzendes Licht gehn nicht durch die ledigen Räume;
Sondern sie werden somehr in ihrem Laufe verspätet,
Da sie durch Wogen der Luft sich gleichsam schlagen; auch einzeln
Geht nicht jedes der Teilchen für sich des wärmenden Lichtstrahls,
155



qua propter simul inter se retrahuntur et extra
officiuntur, uti cogantur tardius ire.
at quae sunt solida primordia simplicitate,
cum per inane meant vacuum nec res remoratur
ulla foris atque ipsa suis e partibus unum,
Sondern zusammengefasst und gleichsam zusammengeballet;
So dass, unter sich selbst gehemmt und durch äußeren Obstand
Aufgehalten, den Weg langsamer sie müssen vollenden.
Doch die von einfach dichter Natur, wann solche durchs Leere
Streichen, hindert sie nichts von außen; und einzeln, als Teilchen,
160



unum, in quem coepere, locum conixa feruntur,
debent ni mirum praecellere mobilitate
et multo citius ferri quam lumina solis
multiplexque loci spatium transcurrere eodem
tempore quo solis pervolgant fulgura caelum.
<.....>
Streben sie einzig allein zum Punkte, zu dem sie begonnen.
Und so müssen sie weit an schneller Bewegung und Eile
Übertreffen die Strahlen des Sols: im nämlichen Zeitpunkt,
Wo nun die Blitze der Sonne die Himmelsräume durchschießen,
Müssen sie mehrere Male die ähnlichen Weiten durchmessen.
165



nec persectari primordia singula quaeque,
ut videant qua quicque geratur cum ratione.
At quidam contra haec, ignari materiai,
naturam non posse deum sine numine reddunt
tanto opere humanis rationibus atmoderate
Denn in der Tat, sie werden sich nicht aus Bedenken verweilen;
Auch erforschen sie nicht mit Sorgfalt jeglichen Umstand,
Sich zu belehren, wodurch die Führung der Dinge bewirkt wird.
Einige doch, Unwissende, streiten dagegen und sagen,
Dass die Materie nicht ohn' allen göttlichen Einfluss
170



tempora mutare annorum frugesque creare
et iam cetera, mortalis quae suadet adire
ipsaque deducit dux vitae dia voluptas
et res per Veneris blanditur saecla propagent,
ne genus occidat humanum. quorum omnia causa
Menschlichen Dingen so sehr sich anzueignen vermöge:
Jahreszeiten zu wechseln und Früchte der Erde zu schaffen;
Ja, auch das übrige noch, wozu die Sterblichen antreibt
Und sich zeiget als Führerin selbst die göttliche Wollust,
Dass sie in schmeichelnder Lust fortpflanzen sich mögen, damit nicht
175



constituisse deos cum fingunt, omnibus rebus
magno opere a vera lapsi ratione videntur.
nam quamvis rerum ignorem primordia quae sint,
hoc tamen ex ipsis caeli rationibus ausim
confirmare aliisque ex rebus reddere multis,
Untergehe der Menschen Geschlecht. Doch wann sie es wähnen,
Dass für diese die Götter allein nur alles erschaffen,
Fallen sie tiefer hinab vom richtigen Wege der Wahrheit.
Denn wenn ich auch die Natur ursprünglicher Stoffe nicht kennte,
Würd' ich mir doch getraun, aus des Himmels Beschaffenheit selber
180



nequaquam nobis divinitus esse creatam
naturam mundi: tanta stat praedita culpa.
quae tibi posterius, Memmi, faciemus aperta;
nunc id quod super est de motibus expediemus.
Nunc locus est, ut opinor, in his illud quoque rebus
Dreist zu behaupten, und noch aus mehreren anderen Gründen:
Dieses Gebäude der Welt, mit solchen Mängeln behaftet,
Sei kein göttliches Werk zu unserm Gebrauche geschaffen.
Doch dies werd' ich, mein Memmius, dir in der Folge noch dartun:
Lass von der Stoffe Beweglichkeit jetzt die Rede mich enden.
185



confirmare tibi, nullam rem posse sua vi
corpoream sursum ferri sursumque meare.
ne tibi dent in eo flammarum corpora frudem;
sursus enim versus gignuntur et augmina sumunt
et sursum nitidae fruges arbustaque crescunt,
Hier nun scheint mir der Ort, dir noch zu beweisen, es könne
Sich durch eigene Kraft aufwärts kein Körper bewegen.
Lass nicht etwa hierin die Flammenkörper dich täuschen:
Aufwärts steigen sie zwar und wachsen empor in die Höhe;
Saaten auch wachsen empor und Pflanzen und herrliche Bäume,
190



pondera, quantum in se est, cum deorsum cuncta ferantur.
nec cum subsiliunt ignes ad tecta domorum
et celeri flamma degustant tigna trabesque,
sponte sua facere id sine vi subiecta putandum est.
quod genus e nostro com missus corpore sanguis
Da durch eignes Gewicht doch alles zur Erde sich hinsenkt.
Springet das Feuer empor zum Giebel und Dache des Hauses
Und umzüngelt Gebälk und Sparren mit eilender Flamme,
Darf man nicht glauben, es tu' es von selbst, ohn' äußeren Antrieb;
Etwa so wie das Blut, aus unsern Adern entlassen,
195



emicat exultans alte spargitque cruorem.
nonne vides etiam quanta vi tigna trabesque
respuat umor aquae? nam quo magis ursimus altum
derecta et magna vi multi pressimus aegre,
tam cupide sursum removet magis atque remittit,
Rasch in die Höhe hüpft und die Purpurröte verspritzet.
Sieh doch, mit welcher Gewalt das Wasser Balken und Bohlen
Wieder zur Höhe stößt: je tiefer man solche hinabdrückt
Und mit mächtiger Kraft sie senkrecht dränget zu Boden,
Desto heftiger nur speit aufwärts wieder die Flut sie,
200



plus ut parte foras emergant exiliantque.
nec tamen haec, quantum est in se, dubitamus, opinor,
quin vacuum per inane deorsum cuncta ferantur.
sic igitur debent flammae quoque posse per auras
aeris expressae sursum succedere, quamquam
Dass noch ein größerer Teil als zuvor von ihnen herausspringt.
Niemand zweifelt jedoch, dass diese durch eigene Schwere
Abwärts würden gedrückt im leeren und nichtigen Raume.
Ebenso mögen die Flammen, emporgetrieben vom Lufthauch,
Aufwärts steigen, obgleich im Kampf mit der eigenen Schwere,
205



pondera, quantum in sest, deorsum <de>ducere pugnent.
nocturnasque faces caeli sublime volantis
nonne vides longos flammarum ducere tractus
in quas cumque dedit partis natura meatum?
non cadere in terras stellas et sidera cernis?
Welche dagegen streitet und nieder sie suchet zu leiten.
Siehe die Fackeln der Nacht, die hoch den Himmel durchfliegen:
Wie sie die flammigen Furchen in langen Streifen dahinziehn,
Wo nur immer Natur den Fortgang ihnen gewährt hat!
Siehst du nicht Sterne herab vom Himmel fallen zur Erde?
210



sol etiam <caeli> de vertice dissipat omnis
ardorem in partis et lumine conserit arva;
in terras igitur quoque solis vergitur ardor.
transversosque volare per imbris fulmina cernis,
nunc hinc nunc illinc abrupti nubibus ignes
Streuet nicht allerwärts vom erhabenen Gipfel die Sonne
Aus die strahlende Glut und besät mit Lichte die Felder?
Abwärts gießt sich demnach das Feuer der Sonne zur Erde.
Ebenso siehst du den Blitz die Gewitterwolken durchkreuzen;
Der sich entreißende Strahl trifft hier, trifft dorten zusammen.
215



concursant; cadit in terras vis flammea volgo.
Illud in his quoque te rebus cognoscere avemus,
corpora cum deorsum rectum per inane feruntur
ponderibus propriis, incerto tempore ferme
incertisque locis spatio depellere paulum,
Aber die flammende Kraft stürzt nieder gewöhnlich zur Erde.
Noch verlang' ich, mein Memmius, dir zur Erkenntnis zu bringen,
Dass die Körper des Stoffs, da sie senkrecht fallen im Leeren
Durch ihr eignes Gewicht, in nicht zu bestimmenden Zeiten,
Noch am bestimmten Ort von der Bahn abtreiben ein wenig;
220



tantum quod momen mutatum dicere possis.
quod nisi declinare solerent, omnia deorsum
imbris uti guttae caderent per inane profundum
nec foret offensus natus nec plaga creata
principiis; ita nihil umquam natura creasset.
Wenig, soviel du nur magst die mindeste Änderung heißen.
Fände dieses nicht statt, so fielen die Körper gerade
Wie die Tropfen des Regens herab, durch Tiefen des Leeren:
Anstoß würde nicht sein, nichts würd' auch treffen zusammen;
Und so hätte Natur nichts bilden können noch schaffen.
225



Quod si forte aliquis credit graviora potesse
corpora, quo citius rectum per inane feruntur,
incidere ex supero levioribus atque ita plagas
gignere, quae possint genitalis reddere motus,
avius a vera longe ratione recedit.
Möchte man sagen, vielleicht sind schwere Stoffe vorhanden,
Welche schneller deshalb in gerader Richtung durchs Leere
Fallen, getrieben von oben herab, auf die unteren leichtern,
Also bewirkend den Stoß zur lebenerzeugenden Regung.
Wer dies saget, verfehlet bei weitem die richtigen Gründe:
230



nam per aquas quae cumque cadunt atque aera rarum,
haec pro ponderibus casus celerare necessest
propterea quia corpus aquae naturaque tenvis
aeris haud possunt aeque rem quamque morari,
sed citius cedunt gravioribus exsuperata;
Denn in der Luft, im Wasser beschleuniget jeglicher Körper
Seinen natürlichen Fall, dem Maß nach seines Gewichtes,
Weil die leichtere Luft, das dichtere Wasser nicht können
Jegliches Ding aufhalten auf ein und die nämliche Weise;
Sondern wann schwereres drückt, so müssen sie schneller entweichen.
235



at contra nulli de nulla parte neque ullo
tempore inane potest vacuum subsistere rei,
quin, sua quod natura petit, concedere pergat;
omnia qua propter debent per inane quietum
aeque ponderibus non aequis concita ferri.
Aber der leere Raum setzt niemals sich einem der Dinge
Irgend auf eine Weis' entgegen, so dass es den Weg nicht
Nehmen könne dahin, wohin es die eigne Natur treibt.
Alles muss sich daher, ob bei ungleichem Gewichte,
Abwärts treiben mit nämlicher Eil' im ruhigen Leeren.
240



haud igitur poterunt levioribus incidere umquam
ex supero graviora neque ictus gignere per se,
qui varient motus, per quos natura gerat res.
quare etiam atque etiam paulum inclinare necessest
corpora; nec plus quam minimum, ne fingere motus
Nie kann also das Schwere herab aufs Leichtere stürzen,
Noch erzeugen den Stoß, der aller Entstehungen Grund wird.
Und so müssen durchaus sich ein wenig beugen die Stoffe;
Aber das mindeste nur; denn niemals geben wir eine
245



obliquos videamur et id res vera refutet.
namque hoc in promptu manifestumque esse videmus,
pondera, quantum in sest, non posse obliqua meare,
ex supero cum praecipitant, quod cernere possis;
sed nihil omnino <recta> regione viai
Schräge Bewegung zu; die Erfahrung streitet dagegen.
Zeigt ja der Augenschein, kein Körper, stürzend von oben,
Könne sich schräg hinab durch eigene Schwere bewegen:
Aber ob solcher durchaus vom geraden Wege nicht etwas
250



declinare quis est qui possit cernere sese?
Denique si semper motu conectitur omnis
et vetere exoritur <motus> novus ordine certo
nec declinando faciunt primordia motus
principium quoddam, quod fati foedera rumpat,
Abweicht, könnte das wohl die Schärfe des Auges bemerken?
Ferner, wenn alle Bewegung genau aneinander geknüpft ist,
Also dass stets ein Glied bestimmt erregte das andre;
Wenn nicht läge der Grund, der auf Abweichungen hinzielt,
Schon in den ersten Keimen des Stoffs, zu zerreißen des Schicksals
255



ex infinito ne causam causa sequatur,
libera per terras unde haec animantibus exstat,
unde est haec, inquam, fatis avolsa voluntas,
per quam progredimur quo ducit quemque voluptas,
declinamus item motus nec tempore certo
Bande, damit nicht ewig sich Folg' ankettet an Folge:
Woher ließe sich dann der freie Wille gedenken?
Dieser dem Schicksal entrissene Wille der lebenden Wesen,
Durch den jegliches geht, wohin es die eigene Lust führt.
Auch wir beugen die Richtung, in unbestimmetem Zeitlauf
260



nec regione loci certa, sed ubi ipsa tulit mens?
nam dubio procul his rebus sua cuique voluntas
principium dat et hinc motus per membra rigantur.
nonne vides etiam patefactis tempore puncto
carceribus non posse tamen prorumpere equorum
Und an unbestimmetem Ort, nach eigener Willkür.
Denn wer zweifelte noch, dass unsrer Bewegungen jede
Erst im Willen entsteht, von da in die Glieder sich fortpflanzt?
Siehst du nicht, wann zum Lauf dem Renner die Schranken sich öffnen,
Dass sein Schenkel die Bahn so schnell durchbrechen nicht könne,
265



vim cupidam tam de subito quam mens avet ipsa?
omnis enim totum per corpus materiai
copia conciri debet, concita per artus
omnis ut studium mentis conixa sequatur;
ut videas initum motus a corde creari
Als sie der Sinn schon erreicht? denn alle die Fülle der Stoffe

Muss durch den ganzen Körper erregt, durch alle Gelenke
Sich versammeln, vereint dem Triebe des Sinnes zu folgen.
So, dass hieraus du erkennst, es entspringe die Regung im Herzen,
270



ex animique voluntate id procedere primum,
inde dari porro per totum corpus et artus.
nec similest ut cum inpulsi procedimus ictu
viribus alterius magnis magnoque coactu;
nam tum materiem totius corporis omnem
Geh' anfänglich hervor aus eigenem Willen der Seele
Und in den Körper von da und in alle Gelenke des Körpers.
Anders verhält es sich doch, wann überwiegende Kräfte
Auf uns stoßen und uns mit Gewalt hinzwingen zum Fortgang.
275



perspicuumst nobis invitis ire rapique,
donec eam refrenavit per membra voluntas.
iamne vides igitur, quamquam vis extera multos
pellat et invitos cogat procedere saepe
praecipitesque rapi, tamen esse in pectore nostro
Klar ist's, dass sich alsdann die sämtliche Masse des Körpers
Wider den Willen bewegt und fortgerissen mit werde,
Bis der Wille zuletzt die Obhand wieder gewonnen.
Daraus magst du ersehn, obgleich die äußere Kraft oft
Viele treibet und zwingt, auch wider den eigenen Willen,
280



quiddam quod contra pugnare obstareque possit?
cuius ad arbitrium quoque copia materiai
cogitur inter dum flecti per membra per artus
et proiecta refrenatur retroque residit.
quare in seminibus quoque idem fateare necessest,
Ja, mit Gewalt sie reißt, dass dennoch in unserer Brust selbst
Etwas noch sei, das sich könn' entgegen ihr setzen und streiten;
Und auf dessen Geheiß die angehäufeten Stoffe
Müssen Gehorsam leisten in allen Gelenken und Gliedern,
Dass sie den Fortschuss hemmen, sich wieder in Ruhe zurückziehn.
285



esse aliam praeter plagas et pondera causam
motibus, unde haec est nobis innata potestas,
de nihilo quoniam fieri nihil posse videmus.
pondus enim prohibet ne plagis omnia fiant
externa quasi vi; sed ne res ipsa necessum
Eben dasselbe musst du demnach erkennen im Grundstoff:
Dass noch ein anderes sei, das außer dem Stoß und der Schwere
Ihn in Bewegung setz' und erteile dies innre Vermögen:
Weil aus Nichts nichts wird, wie bereits die Erfahrung es lehret.
Eigene Schwere verhindert, dass äußere Wirkung des Stoßes
290



intestinum habeat cunctis in rebus agendis
et devicta quasi cogatur ferre patique,
id facit exiguum clinamen principiorum
nec regione loci certa nec tempore certo.
Nec stipata magis fuit umquam materiai
Alles allein nicht vermag. Dass aber im Innern der Geist selbst
Nicht notwendig bestimmt zu jeder der Handlungen werde,
Gleichsam gefesselt sei, jedwedes zu dulden und leiden,
Dieses bewirkt allein die geringe Beugung der Stoffe
Am verschiedenen Ort und in nicht zu bestimmenden Zeiten.
295



copia nec porro maioribus intervallis;
nam neque adaugescit quicquam neque deperit inde.
qua propter quo nunc in motu principiorum
corpora sunt, in eodem ante acta aetate fuere
et post haec semper simili ratione ferentur,
Dichter waren die Stoffe der Urmaterie niemals
Denn sie vermehret sich nicht und nichts geht unter von solcher.
Um deswillen auch ist die Bewegung, in welcher die Stoffe
Gegenwärtig noch sind, schon seit undenklichen Zeiten
Eigen ihnen gewesen und wird auch ferner es noch sein.
300



et quae consuerint gigni gignentur eadem
condicione et erunt et crescent vique valebunt,
quantum cuique datum est per foedera naturai.
nec rerum summam commutare ulla potest vis;
nam neque quo possit genus ullum materiai
Was sie erzeugten vordem, das wird auf nämliche Art auch
Künftig wieder erzeugt; denn dasselbe Maß und Bedingnis
Ihres Vermögens, Wachstums und Seins wird immerhin bleiben,
Wie die Natur nach ihrem Gesetz es jeglichem zuteilt:
Nichts, was irgend nur ist, mag ändern die Summe der Dinge.
305



effugere ex omni quicquam est <extra>, neque in omne
unde coorta queat nova vis inrumpere et omnem
naturam rerum mutare et vertere motus.
Illud in his rebus non est mirabile, quare,
omnia cum rerum primordia sint in motu,
Denn wo wäre der Ort, wohin die Teilchen des Urstoffs
Sollten dem All entfliehn? wo sollten auch wieder die neuen
Kräfte sich sammeln, zu dringen ins All, zu verändern der Dinge
Ganze Natur, den Lauf und die Ordnung ihrer Bewegung?
Wundre dich übrigens nicht, dass bei dem beständigen Umtrieb
310



summa tamen summa videatur stare quiete,
praeter quam siquid proprio dat corpore motus.
omnis enim longe nostris ab sensibus infra
primorum natura iacet; qua propter, ubi ipsa
cernere iam nequeas, motus quoque surpere debent;
Aller Urelemente das Ganze doch scheine zu ruhen —
Ausgenommen was sich durch eigene Kräfte beweget —,
Weil von der Sinne Bezirk entfernt liegt alle Natur uns
Jener Urelemente. Da diese du selber nun nicht kannst
Sehen, entziehet sich auch den Augen ihre Bewegung.
315



praesertim cum, quae possimus cernere, celent
saepe tamen motus spatio diducta locorum.
nam saepe in colli tondentes pabula laeta
lanigerae reptant pecudes, quo quamque vocantes
invitant herbae gemmantes rore recenti,
Selbst die Dinge, die wir mit den Augen erkennen, verbergen
Ihre Bewegungen oft, durch weitere Fernen des Ortraums.
Gleiten über die Hügel die wolletragenden Herden,
Äsend die frohe Weidung, wo immer ein jegliches einlädt
Lieblicher Kräuter Genuss, vom frischen Taue beperlet;
320



et satiati agni ludunt blandeque coruscant;
omnia quae nobis longe confusa videntur
et velut in viridi candor consistere colli.
praeterea magnae legiones cum loca cursu
camporum complent belli simulacra cientes,
Lämmerchen spielen gesättigt umher und stutzen zusammen:
Aber von weitem scheinet uns dies ein verworrener Haufe,
Gleichsam ein weißer Fleck auf grünlichem Boden bestehend.
Gleichermaßen, wenn nun, das Bild des Krieges erweckend,
Mächtige Legionen die Ort' im Laufe besetzen:
325



fulgor ubi ad caelum se tollit totaque circum
aere renidescit tellus supterque virum vi
excitur pedibus sonitus clamoreque montes
icti reiectant voces ad sidera mundi
et circum volitant equites mediosque repente
Auf zum Himmel steiget der Blitz, es leuchtet die Erde
Ringsum wider vom ehernen Glanz, und unter dem Fußtritt
Tönt von der Männer Gewalt der Boden; das laute Geschrei prallt
Weit von den Bergen zurück, bis hin zu Gestirnen des Himmels;
Scharen der Reiter fliegen umher und lassen im Fluge
330



tramittunt valido quatientes impete campos;
et tamen est quidam locus altis montibus, <unde>
stare videntur et in campis consistere fulgor.
Nunc age, iam deinceps cunctarum exordia rerum
qualia sint et quam longe distantia formis,
Strecken der Felder zurück, die erzittern unter dem Hufschlag
Dennoch scheinen sie uns, von gewissen Höhen des Berges,
Unbeweglich zu stehn, und der Blitz auf den Feldern zu weilen.
Auf, und höre nunmehr die Eigenschaften der Körper
Urerzeugenden Stoffes: wie mannigfaltig an Formen
335



percipe, multigenis quam sint variata figuris;
non quo multa parum simili sint praedita forma,
sed quia non volgo paria omnibus omnia constant.
nec mirum; nam cum sit eorum copia tanta,
ut neque finis, uti docui, neque summa sit ulla,
Diese sind, an Figur wie sehr voneinander verschieden.
Nicht, dass wenige nur sich ähnlich wären an Bildung,
Sondern weil alle durchaus nicht allen anderen gleich sind.
Auch begreiflich ist das; denn da die Menge so groß ist,
Dass, wie ich oben gelehrt, nicht Maß noch Summe sie kennet,
340



debent ni mirum non omnibus omnia prorsum
esse pari filo similique adfecta figura.
Praeterea genus humanum mutaeque natantes
squamigerum pecudes et laeta armenta feraeque
et variae volucres, laetantia quae loca aquarum
Können auch alle sie nicht gleich sein an Figur und an Umriss.

Nimm nun ferner das Menschengeschlecht, der schuppigen Fische
Stumme Herden, das Vieh der Weide, die Tiere des Waldes
Und das bunte Geflügel, das teils an lustigen Wassern
345



concelebrant circum ripas fontisque lacusque,
et quae pervolgant nemora avia pervolitantes,
quorum unum quidvis generatim sumere perge;
invenies tamen inter se differre figuris.
nec ratione alia proles cognoscere matrem
Fröhlich zusammenkömmt, an Ufern der Quellen und Seen,
Teils, Bewohner des Waldes, die stillen Haine durchschwirren:
Sieh, wie jegliches doch, nach Art der eigenen Gattung,
Sich auszeichnet vom andern, an Färb' und Bildung verschieden.
Und wie könnte denn sonst das Junge die Mutter, die Mutter
350



nec mater posset prolem; quod posse videmus
nec minus atque homines inter se nota cluere.
nam saepe ante deum vitulus delubra decora
turicremas propter mactatus concidit aras
sanguinis expirans calidum de pectore flumen;
Wieder ihr Junges erkennen ? Und gleichwohl zeigt die Erfahrung,
Dass sie sich untereinander so gut wie die Menschen erkennen.
Oft vor der Götter Bild, am weihrauchdampfenden Altar
Fällt das geschlachtete Kalb, die warmen Ströme des Blutes
Hauchend aus seiner Brust: dann irrt die verwaisete Mutter
355



at mater viridis saltus orbata peragrans
novit humi pedibus vestigia pressa bisulcis,
omnia convisens oculis loca, si queat usquam
conspicere amissum fetum, completque querellis
frondiferum nemus adsistens et crebra revisit
Durch die grünenden Triften umher und lässt in den Boden
Eingedrücket die Spur der doppelt gespaltenen Klauen.
Jeglichen Ort durchspähet ihr Äug', ob irgend sie möchte
Wieder erblicken ihn, den Säugling, den sie vermisset.
Und nun stehet sie da und füllt mit Klagen den Laubwald,
360



ad stabulum desiderio perfixa iuvenci,
nec tenerae salices atque herbae rore vigentes
fluminaque ulla queunt summis labentia ripis
oblectare animum subitamque avertere curam,
nec vitulorum aliae species per pabula laeta
Kehrt oft wieder zurück zum Stall, durchbohret von Sehnsucht.
Nicht die zarten Weiden, die Kräuter, erfrischet vom Taue,
Reizen sie nicht, noch der Strom, der hoch am Ufer dahinstreicht;
Nichts ergötzt ihr Gemüt, nichts kann den Kummer ihr wenden;
Nicht die übrige Zucht der Kälber auf fröhlichem Anger
365



derivare queunt animum curaque levare;
usque adeo quiddam proprium notumque requirit.
praeterea teneri tremulis cum vocibus haedi
cornigeras norunt matres agnique petulci
balantum pecudes; ita, quod natura resposcit,
Kann ihr anders richten den Sinn, noch heben die Sorge:
So sehr hanget das Herz an dem Eigenen, an dem Bekannten.
Auch das meckernde Böckchen erkennt die gehörnete Mutter,
Und das wollige Schaf am Geblök das stutzige Lämmchen.
Und so findet sich jegliches da, wohin die Natur ruft,
370



ad sua quisque fere decurrunt ubera lactis.
Postremo quodvis frumentum non tamen omne
quidque suo genere inter se simile esse videbis,
quin intercurrat quaedam distantia formis.
concharumque genus parili ratione videmus
Auch das säugende Wild, am eigenen Euter der Mutter.
Nimm noch jegliche Art von Samen und Körnern; du wirst sie
Ganz gleich unter sich nie, auch selbst in der eigenen Gattung,
Finden; es läuft an Form stets etwas Verschiedenes unter.
Auch das Muschelgeschlecht malt, wie wir es sehen, der Erde
375



pingere telluris gremium, qua mollibus undis
litoris incurvi bibulam pavit aequor harenam.
quare etiam atque etiam simili ratione necessest,
natura quoniam constant neque facta manu sunt
unius ad certam formam primordia rerum,
Schoß auf ähnliche Art allda, wo mit sanfterer Welle
Schläget das Meer den saugenden Sand der gekrümmeten Ufer,
Und so müssen aus ähnlichem Grund die Samen der Dinge,
Da sie das Werk der Natur und nicht nach bestimmtem Modelle
380



dissimili inter se quaedam volitare figura.
Perfacile est animi ratione exsolvere nobis
quare fulmineus multo penetralior ignis
quam noster fluat e taedis terrestribus ortus;
dicere enim possis caelestem fulminis ignem
Sind von Menschen geformt, in Figur verschieden auch schweben.
Leicht begreift es sich nun, weswegen das Feuer des Blitzes
Schneller und heftiger wirkt als Feuer entstanden aus Fackeln:
Weil es sich sagen ließe, dass jenes Feuer des Himmels
385



subtilem magis e parvis constare figuris
atque ideo transire foramina quae nequit ignis
noster hic e lignis ortus taedaque creatus.
praeterea lumen per cornum transit, at imber
respuitur. quare, nisi luminis illa minora
Feiner in seinem Stoff', aus kleinern Figuren bestehe.
Deshalb dringet es auch durch Öffnungen, welche das Feuer
Nicht zu durchdringen vermag, das aus Holz und Kerzen erzeugt wird.
Licht durchdringet das Horn; doch dies drängt von sich das Wasser:
Aber warum? deshalb, weil kleiner die Stoffe des Lichtes
390



corpora sunt quam de quibus est liquor almus aquarum?
et quamvis subito per colum vina videmus
perfluere, at contra tardum cunctatur olivom,
aut quia ni mirum maioribus est elementis
aut magis hamatis inter se perque plicatis,
Körperlich sind, als woraus bestehet das lautere Wasser.
Schnell und ohne Verzug, wie man sieht, fließt Wein durch die Seihe,
Dahingegen das Öl nur langsam tröpfelt und zaudert,
Weil die Stoffe vielleicht von diesem größer, vielleicht auch
Mehr aneinandergehakt und mehr ineinander verschränkt sind:
395



atque ideo fit uti non tam diducta repente
inter se possint primordia singula quaeque
singula per cuiusque foramina permanare.
Huc accedit uti mellis lactisque liquores
iucundo sensu linguae tractentur in ore;
Dies ist Ursach, warum so behend nicht einzelne Teilchen
Auseinandergezogen sich trennen können von andern,
Durchzufließen durch jedes der einzelnen Löcher der Seihe.
Kommt noch diesem hinzu, dass der Saft der Milch und des Honigs
Süß in dem Munde zerfließt, hingegen bitterer Wermut
400



at contra taetra absinthi natura ferique
centauri foedo pertorquent ora sapore;
ut facile agnoscas e levibus atque rutundis
esse ea quae sensus iucunde tangere possunt,
at contra quae amara atque aspera cumque videntur,
Oder das strenge Centaurium ihn mit Ekel verziehen.
Leicht erkennt man daraus, was lieblich die Sinne berühret,
Muss' aus glatten bestehn und rundlichen Körpern des Urstoffs,
Dahingegen, was bitter und streng, den Sinnen zuwider,
405



haec magis hamatis inter se nexa teneri
proptereaque solere vias rescindere nostris
sensibus introituque suo perrumpere corpus.
omnia postremo bona sensibus et mala tactu
dissimili inter se pugnant perfecta figura;
Mehr sich verbindet in sich durch hakenförmige Körper.
Dieses pfleget daher die feineren Gänge der Sinne
Aufzureizen und durchzureißen die Teile des Körpers.
Endlich was bös oder gut, was hold oder widrig den Sinnen,
Streitet unter sich selbst durch verschiedenart'ge Figuren.
410



ne tu forte putes serrae stridentis acerbum
horrorem constare elementis levibus aeque
ac musaea mele, per chordas organici quae
mobilibus digitis expergefacta figurant;
neu simili penetrare putes primordia forma
Denke dir etwa nicht, es bestehe der rasselnden Säge
Scharfes Geräusch aus ebenso glatten und schlüpfrigen Stoffen
Als das melodische Lied, das reg' durch die Saiten der Künstler
Mit dem belebenden Finger erweckt und bildet dem Ohre.
Auch ganz anderer Teilchen Figur dringt ein in die Nase
415



in nares hominum, cum taetra cadavera torrent,
et cum scena croco Cilici perfusa recens est
araque Panchaeos exhalat propter odores;
neve bonos rerum simili constare colores
semine constituas, oculos qui pascere possunt,
Von dem eklen Geruche der faulenden gärenden Äser,
Als wann der Bühne frisch nun enthaucht der kilikische Safran
Und der Altar aufdampft panchäische Opfergerüche.
Auch die gefälligen Farben, an welchen das Auge sich weidet,
Halte mit jenen du nicht aus ähnlichen Stoffen bestehend,
420



et qui conpungunt aciem lacrimareque cogunt
aut foeda specie foedi turpesque videntur.
omnis enim, sensus quae mulcet cumque, <figura>
haud sine principiali aliquo levore creatast;
at contra quae cumque molesta atque aspera constat,
Welche durchstechen das Äug' und gleichsam Tränen erzwingen,
Oder den grauen und schmutzigen auch, die hässlich dem Anblick.
Denn was den Sinnen behagt und den Augen schmeichelt, das alles
Ist ursprünglich begabt mit einer gefälligen Glätte;
Alles, was widrig hingegen und rauh und ihnen beschwerlich,
425



non aliquo sine materiae squalore repertast.
Sunt etiam quae iam nec levia iure putantur
esse neque omnino flexis mucronibus unca,
sed magis angellis paulum prostantibus, <utqui>
titillare magis sensus quam laedere possint,
Findet sich immer bereits schon harsch und widrig im Grundstoff.
Aber es gibt der Körperchen auch, die weder für glatte
Noch für krumme zu halten, an denen die Spitzen gebogen;
Sondern sie scheinen vielmehr vorragende Eckchen zu haben,
Minder zu stechen damit die Sinne, als solche zu kitzeln:
430



fecula iam quo de genere est inulaeque sapores.
Denique iam calidos ignis gelidamque pruinam
dissimili dentata modo conpungere sensus
corporis, indicio nobis est tactus uterque.
tactus enim, tactus, pro divum numina sancta,
Unter diese gehört Weinrahm und saftiger Alant.
Endlich beweist auch noch das Gefühl, dass brennendes Feuer
Und der gefrorene Reif, gezahnt auf verschiedene Weise,
Auf verschiedene Art auch unsere Sinne verletzen.
Denn das Gefühl, das Gefühl, bei allen unsterblichen Göttern!
435



corporis est sensus, vel cum res extera sese
insinuat, vel cum laedit quae in corpore natast
aut iuvat egrediens genitalis per Veneris res,
aut ex offensu cum turbant corpore in ipso,
semina confundunt inter se concita sensum;
Ist die Empfindung des Körpers, wann äußre Berührung entweder
Eindringt oder im Innern erzeugt uns etwas beleidigt;
Oder auch süßer Erguss ergötzet in Werken der Liebe;
Oder wann Teile des Stoffs selbst gegeneinander im Körper
Streiten und also erregt den Sinn ineinander verwirren:
440



ut si forte manu quamvis iam corporis ipse
tute tibi partem ferias atque experiare.
qua propter longe formas distare necessest
principiis, varios quae possint edere sensus.
Denique quae nobis durata ac spissa videntur,
Wie du es selber erfährst, wenn irgend an einen der Teile
Deines Körpers du dich mit deiner eigenen Hand schlägst.
Welches beweist, dass die Stoffe, die so verschiedne Gefühle
Wecken können, auch selbst gar sehr verschieden an Form sind.
Endlich: alles, was dicht und hart den Sinnen erscheinet,
445



haec magis hamatis inter sese esse necessest
et quasi ramosis alte compacta teneri.
in quo iam genere in primis adamantina saxa
prima acie constant ictus contemnere sueta
et validi silices ac duri robora ferri
Muss durch Stoffe, die hakiger sind, zusammengehalten,
Gleichsam ästig verschränkt, fest aneinander sich schließen.
Unter diese gehört vor den übrigen allen der Demant,
Steht in der Reihe voran und scheut den gewaltsamen Schlag nicht:
Auch das Kieselgeschlecht und des Eisens trotzende Härte
450



aeraque quae claustris restantia vociferantur.
illa quidem debent e levibus atque rutundis
esse magis, fluvido quae corpore liquida constant.
namque papaveris haustus itemst facilis quod aquarum;
nec retinentur enim inter se glomeramina quaeque
Und das tönende Erz an den Angeln mächtiger Tore.
Aber was nass und feucht aus flüssigen Körpern bestehet,
Muss aus glatten vielmehr und gerundeten Stoffen erzeugt sein.
Auch das Gesäme des Mohns ergießt sich beinahe wie Wasser,
Weil die geballten Kügelchen, los von jeder Verbindung,
455



et perculsus item proclive volubilis exstat.
omnia postremo quae puncto tempore cernis
diffugere ut fumum nebulas flammasque, necessest,
si minus omnia sunt e levibus atque rotundis,
at non esse tamen perplexis indupedita,
Frei fortschießen und leicht hinrollen von neigender Fläche.
Endlich, was irgend du siehst sich augenblicklich zerstreuen,
Als den Nebel, den Rauch, die Flamme, wofern auch die Stoffe
Alle nicht glatt und rund, so müssen doch nicht sie verschränkt sein,
460



pungere uti possint corpus penetrareque saxa,
nec tamen haerere inter se; quod cumque videmus
sensibus dentatum, facile ut cognoscere possis
non e perplexis, sed acutis esse elementis.
sed quod amara vides eadem quae fluvida constant,
Noch auch verwickelt in sich: wie könnten sie Steine durchdringen
Oder zerstechen die Haut? Auch nicht aneinander sich hängen,
Wie man an Kletten es sieht: woraus gar leicht du erkennest,
Dass sie aus spitzigen mehr als verwickelten Stoffen bestehen.
Dass du Dinge bemerkst, die bittern Geschmackes, doch flüssig,
465



sudor uti maris est, minime mirabile habeto.
nam quod fluvidus est, e levibus atque rotundis
est, et squalida multa creant admixta dolores
corpora. nec tamen haec retineri hamata necessust:
scilicet esse globosa tamen, cum squalida constent,
Wie die Nässe des Meers, darf keinesweges dich wundern:
Denn das Flüssige kommt von runden und schlüpfrigen Stoffen;
Aber mit diesen vermischt sind rauhe und schmerzliche Stoffe,
Welche doch nicht notwendig gehakt aneinander sich halten;
Kuglicht müssen sie sein, obgleich von höckriger Bildung,
470



provolvi simul ut possint et laedere sensus.
et quo mixta putes magis aspera levibus esse
principiis, unde est Neptuni corpus acerbum,
est ratio secernendi seorsumque videndi,
umor dulcis ubi per terras crebrius idem
Hinzurollen, und doch zugleich zu verletzen die Sinne.
Auch zum klaren Beweis, dass Rauhes und Glattes gemischt sei
In den Stoffen, woraus Neptunus' Körper bestehet,
Sind ja Mittel zu scheiden sie da, und sie einzeln zu sehen.
Eben dasselbe Nass wird süß, wann öfters geläutert
475



percolatur, ut in foveam fluat ac mansuescat;
linquit enim supera taetri primordia viri,
aspera quo magis in terris haerescere possint.
Quod quoniam docui, pergam conectere rem quae
ex hoc apta fidem ducat, primordia rerum
Durch den Boden es fließt und dann in der Grube sich mildert:
Denn es lässt an der Rinde zurück das widrige Seesalz,
Welches, da rauh sein Stoff, auch leicht an der Erde bekleibet.
Füglich knüpfen wir hier an diese Lehre noch jene,
480



finita variare figurarum ratione.
quod si non ita sit, rursum iam semina quaedam
esse infinito debebunt corporis auctu.
namque in eadem una cuiusvis iam brevitate
corporis inter se multum variare figurae
Die auch ihren Beweis von derselben entlehnet; dass nämlich
Alle Figuren des Stoffs in bestimmtem Maße nur wechseln.
Wär's nicht also, so müsst' ein Teil von denselben an Umfang
Unzuermessend sein; doch können bei ähnlicher Kleinheit
Ihrer Körper sie nicht so sehr in Verschiedenheit ändern.
485



non possunt. fac enim minimis e partibus esse
corpora prima tribus, vel paulo pluribus auge;
nempe ubi eas partis unius corporis omnis,
summa atque ima locans, transmutans dextera laevis,
omnimodis expertus eris, quam quisque det ordo
Lass den winzigen Körper um drei, um mehrere Teile
Größer werden und nimm die Teile desselbigen Körpers
Alle, setze, was oben, zuunterst, zur Rechten, was links ist:
Alle verschiedne Figuren, die diese Versetzungen geben,
Hast du nun völlig versucht; und willst du sie weiter verändern,
490



formai speciem totius corporis eius,
quod super est, si forte voles variare figuras,
addendum partis alias erit. inde sequetur,
adsimili ratione alias ut postulet ordo,
si tu forte voles etiam variare figuras.
Musst du mehrere noch und andere Teile hinzutun,
Und stets mehrere noch, je mehr du zu ändern gedenkest.
Immer müsste daher mit neuer Bildung die Masse
Sich auch vergrößern; woraus hinlänglicher Grund sich ergibet,
Um zu glauben, es müsse begrenzt der Stoffe Figur sein:
495



ergo formarum novitatem corporis augmen
subsequitur. quare non est ut credere possis
esse infinitis distantia semina formis,
ne quaedam cogas inmani maximitate
esse, supra quod iam docui non posse probari.
Denn man müsste fürwahr von ungeheuerer Größe
Manche sich denken; wozu, wie oben gesagt, der Beweis fehlt.
500



iam tibi barbaricae vestes Meliboeaque fulgens
purpura Thessalico concharum tacta colore,
aurea pavonum ridenti imbuta lepore
saecla novo rerum superata colore iacerent
et contemptus odor smyrnae mellisque sapores,
Und nun lägen dir schon die barbarischen köstlichen Kleider,
Meliböischer Purpur, in Blut thessalischer Schnecken
Eingetaucht, es läge der goldenen Pfauengeschlechter
Lachender Reiz besiegt von neueren Farben darnieder.
505



et cycnea mele Phoebeaque daedala chordis
carmina consimili ratione oppressa silerent;
namque aliis aliud praestantius exoreretur.
cedere item retro possent in deteriores
omnia sic partis, ut diximus in melioris;
Smyrnas Gerüche würden verschmäht, die Süße des Honigs
Und der Schwanengesang und die holden phöbeischen Lieder,
Wechselnd auf Saiten; auch sie verstummten aus ähnlichem Grunde:
Denn ein Neueres stets, ein Besseres, käme zum Vorschein.
Rückwärts könnten auch so zum Schlimmern schreiten die Dinge:
510



namque aliis aliud retro quoque taetrius esset
naribus auribus atque oculis orisque sapori.
quae quoniam non sunt, <sed> rebus reddita certa
finis utrimque tenet summam, fateare necessest
materiem quoque finitis differe figuris.
Immer etwas dem Auge, dem Ohr, dem Geschmack und Gerüche
Widriger als zuvor durch neue Verändrungen werden.
Aber da dies nicht ist, vielmehr da den Dingen gesetzt ist
Grenze von beiden Seiten, zusammenzuhalten das Ganze,
Muss die Verschiedenheit auch in der Stoffe Figuren begrenzt sein.
515



denique ab ignibus ad gelidas hiemum usque pruinas
finitumst retroque pari ratione remensumst.
omnis enim calor ac frigus mediique tepores
interutrasque iacent explentes ordine summam.
ergo finita distant ratione creata,
Gleichergestalt auch ist das Maß der brennenden Hitze
Bis zu dem Winterfrost auf beiderlei Seiten bestimmet.
Denn das Ganze des Jahrs ist Kält' und Hitze; dazwischen
Liegen die lauen Wechsel, die Stufenleiter erfüllend.
Auseinander stehn sie daher in bestimmeten Grenzen,
520



ancipiti quoniam mucroni utrimque notantur,
hinc flammis illinc rigidis infesta pruinis.
Quod quoniam docui, pergam conectere rem quae
ex hoc apta fidem ducat, primordia rerum,
inter se simili quae sunt perfecta figura,
Sind an beiderlei Enden mit schneidender Schärfe bezeichnet;
Hier mit Flammen besetzt, und dort mit dem starrenden Eisfrost.
Füglich knüpf ich annoch an diese Lehre die andre,
Die auch ihren Beweis von solcher entlehnet: dass nämlich
Sich die Zahl derjenigen Stoffe, die gleich an Figur sind,
Ins Unendliche hin erstrecke: sofern ja beschränkt ist
525



infinita cluere. etenim distantia cum sit
formarum finita, necesse est quae similes sint
esse infinitas aut summam materiai
finitam constare, id quod non esse probavi.
versibus †ostendam† corpuscula materiai
Ihrer Formen verschiedene Art, so folgt, dass die Anzahl
Jener unendlich sei, die an Form und an Bildung sich gleichen,
Oder es wäre beschränkt die gesamte Summe des Urstoffs
Selber; wovon ich jedoch zuvor schon zeigte den Urgrund.
Nun da ich dieses gelehrt, so will ich, mein Memmius, annoch
Zwar in wenigen, doch süß redenden Versen dir dartun,
530



ex infinito summam rerum usque tenere
undique protelo plagarum continuato.
nam quod rara vides magis esse animalia quaedam
fecundamque magis naturam cernis in illis,
at regione locoque alio terrisque remotis
Dass die Körper des Stoffs durch ununterbrochenen Fortschuss
Seit undenklicher Zeit erhalten die sämtlichen Dinge.
Seltner sehen wir zwar gewisse Geschlechter der Tiere,
Obgleich ihre Natur auf mehrere Fruchtbarkeit deutet;
Eben dieselben jedoch sind häufig in anderen Ländern,
535



multa licet genere esse in eo numerumque repleri;
sicut quadripedum cum primis esse videmus
in genere anguimanus elephantos, India quorum
milibus e multis vallo munitur eburno,
ut penitus nequeat penetrari: tanta ferarum
Andern Orten und Strichen der Erd' und füllen die Zahl aus.
So wie vor ändern man sieht im Geschlecht vierfüßiger Tiere,
Am Elefanten mit Schlangenrüssel; mit Tausenden ihrer
Gürtet India sich wie mit elfenbeinerner Brustwehr,
Dass man nicht durchzubrechen vermag: so groß ist die Anzahl
540



vis est, quarum nos perpauca exempla videmus.
sed tamen id quoque uti concedam, quam lubet esto
unica res quaedem nativo corpore sola,
cui similis toto terrarum non sit, in orbi;
infinita tamen nisi erit vis materiai,
Derer, von welchen wir hier nur einzelne wenige sehen.
Aber gesetzt, es gäb' auch ein Ding von natürlichem Aufwuchs,
Einzig in seiner Art, wo nirgends das Gleiche sich fände:
Wäre der Vorrat nicht unendlich des ähnlichen Grundstoffs,
Aus dem erzeugt erwachsen es könnte, so wäre sein Dasein
545



unde ea progigni possit concepta, creari
non poterit neque, quod super est, procrescere alique.
quippe etenim sumant alii finita per omne
corpora iactari unius genitalia rei,
unde ubi qua vi et quo pacto congressa coibunt
Nimmer möglich, noch Nahrung dafür, noch weiterer Fortwuchs.
Stelle dir einmal vor, es sei zu den einzelnen Dingen
Nur ein beschränkter zeugender Stoff im Ganzen vorhanden:
Wie und wo, auf welcherlei Art, durch welches Vermögen
Sollte sich dieser zusammen, im Ozeane der Stoffe,
550



materiae tanto in pelago turbaque aliena?
non, ut opinor, habent rationem conciliandi:
sed quasi naufragiis magnis multisque coortis
disiactare solet magnum mare transtra cavernas
antemnas prorem malos tonsasque natantis,
Unter den Strudel gemengt fremdartiger Teile, verbinden ?
Nirgends kann ich den Grund von solcher Vereinigung finden:
Sondern, so wie die wogige See, nach gewaltigem Schiffbruch,
Ruderbänke und Mast und Segelstangen und Steuer,
Kiel und Schnäbel der Schiffe, das bunte flutende Schnitzwerk
555



per terrarum omnis oras fluitantia aplustra
ut videantur et indicium mortalibus edant,
infidi maris insidias virisque dolumque
ut vitare velint, neve ullo tempore credant,
subdola cum ridet placidi pellacia ponti,
Weit an alle Küsten zerstreut entlegener Länder,
Dass sie ein Zeichen werden, ein Beispiel lehrend die Menschen,
Nie des gewaltigen Meeres verborgener Tücke zu trauen,
Ja, noch dann es zu scheun und nicht sich darauf zu verlassen,
Wann sie die spielende Flut mit buhlender Freundlichkeit anlacht:
560



sic tibi si finita semel primordia quaedam
constitues, aevom debebunt sparsa per omnem
disiectare aestus diversi materiai,
numquam in concilium ut possint compulsa coire
nec remorari in concilio nec crescere adaucta;
Ebenso würden, woferne die Zahl von einigen Stoffen
Eingeschränket man nimmt, von wechselnden Wogen des Urstoffs
Ewig umhergewälzt, sie nie zur Verbindung gelangen,
Nie festsetzen sich können und nie sich vergrößern durch Wachstum.
565



quorum utrumque palam fieri manifesta docet res,
et res progigni et genitas procrescere posse.
esse igitur genere in quovis primordia rerum
infinita palam est, unde omnia suppeditantur.
Nec superare queunt motus itaque exitiales
Aber dass dieses geschieht, das sehen wir dennoch vor Augen;
Dass sich Wesen erzeugen und dass das Erzeugete fortwächst:
Und wir schließen daraus, die Zahl ursprünglicher Körper
Sei in jeglicher Art, das Ganze zu stützen, unzählbar.
Und so behalten denn nicht die Bewegungen, welche zerstören,
570



perpetuo neque in aeternum sepelire salutem,
nec porro rerum genitales auctificique
motus perpetuo possunt servare creata.
sic aequo geritur certamine principiorum
ex infinito contractum tempore bellum.
Immer die Oberhand, zu begraben ewig die Wohlfahrt
Aller Dinge; noch können auch die, die Zeugung und Wachstum
Fördern, erschaffene Wesen in ewiger Dauer erhalten.
Und so führt sich der Krieg der uranfänglichen Körper
Seit undenkbarer Zeit mit gleichem Verlust und Gewinn fort.
575



nunc hic nunc illic superant vitalia rerum
et superantur item. miscetur funere vagor,
quem pueri tollunt visentis luminis oras;
nec nox ulla diem neque noctem aurora secutast,
quae non audierit mixtos vagitibus aegris
Hier erhalten den Sieg die lebenerweckenden Dinge,
Werden dort überwunden: es mischt ins Leichengepränge
Sich das Gewimmer des Kindes, das auf zur Schwelle des Tags blickt:
Niemals löset die Nacht den Tag ab, oder das Frührot
Wieder die Nacht, dass sie nicht das Wimmern hörten des Säuglings,
580



ploratus, mortis comites et funeris atri.
Illud in his obsignatum quoque rebus habere
convenit et memori mandatum mente tenere,
nil esse, in promptu quorum natura videtur,
quod genere ex uno consistat principiorum,
Eingemischt in Gestöhn, dem Begleiter des Tods und der Bahre.
Eins nur präge dir fest in den Sinn und erhalt es darinnen:
Dass in der Dinge Natur, so weit uns diese bekannt ist,
Nichts sei, welches aus einerlei Art der Stoffe bestehe;
585



nec quicquam quod non permixto semine constet.
et quod cumque magis vis multas possidet in se
atque potestates, ita plurima principiorum
in sese genera ac varias docet esse figuras.
Principio tellus habet in se corpora prima,
Nichts von allem, das nicht aus vermischtem Samen erzeugt sei:
Und je mannigfacher ein Ding an Vermögen und Kraft ist,
Um so verschiedener ist's an Art und Gestalten der Stoffe.
Also die Erde vorerst: sie hat Urkörper, durch welche
590



unde mare inmensum volventes frigora fontes
adsidue renovent, habet ignes unde oriantur;
nam multis succensa locis ardent sola terrae,
ex imis vero furit ignibus impetus Aetnae.
tum porro nitidas fruges arbustaque laeta
Jenes unendliche Meer durch die Flüsse wälzenden Quellen
Immer sich wieder erneut: sie hat auch Stoffe des Feuers,
Denn der Boden der Erd' entbrennt an verschiedenen Orten;
Aber am heftigsten rast mit wütenden Flammen der Aetna.
595



gentibus humanis habet unde extollere possit,
unde etiam fluvios frondes et pabula laeta
montivago generi possit praebere ferarum.
quare magna deum mater materque ferarum
et nostri genetrix haec dicta est corporis una.
Ferner noch hat sie die Stoffe, woraus sie glänzende Saaten,
Fröhliche Büsche lässt aufsteigen zum Nutzen des Menschen;
Auch dass sie hangende Zweige daraus und blühende Krauter
Kann darreichen zum Futter dem bergdurchschweifenden Wilde.
Darum wird sie zugleich die große Mutter der Götter
600



Hanc veteres Graium docti cecinere poetae
sedibus in curru biiugos agitare leones,
aeris in spatio magnam pendere docentes
tellurem neque posse in terra sistere terram.
adiunxere feras, quia quamvis effera proles
Und der Tiere benannt, die Erzeugerin unsers Geschlechtes.
Diese, so sangen vordem die weisen Dichter der Graien,
Sitzt auf dem Wagen und treibt die doppelspännigen Löwen:
Anzudeuten damit, groß schwebe die Erd' in dem Luftraum,
Könn' auch wieder sich nicht auf die Erde stützen die Erde.
605



officiis debet molliri victa parentum.
muralique caput summum cinxere corona,
eximiis munita locis quia sustinet urbes.
quo nunc insigni per magnas praedita terras
horrifice fertur divinae matris imago.
Wilde Tiere gesellte man bei; zu lehren, so wild auch
Sei ein Geschlecht, so werd' es bezähmt durch Liebe der Eltern.
Eine Mauerkron' umschließt das erhabene Haupt ihr,
Weil an erhabenen Orten sie Festen traget und Städte.
Also gekrönt durchzieht sie die weiten Strecken der Länder;
610



hanc variae gentes antiquo more sacrorum
Idaeam vocitant matrem Phrygiasque catervas
dant comites, quia primum ex illis finibus edunt
per terrarum orbes fruges coepisse creari.
Gallos attribuunt, quia, numen qui violarint
Schauer erregend erscheinet das Bild der göttlichen Mutter.
Auch wird diese von Völkern, nach altem geheiligtem Brauche,
Mutter von Ida benannt: sie geben auch Scharen der Phryger
Ihr zum Geleit, weil erst, wie sie sagen, von phrygischer Grenze
Über der Erde Kreis der Fruchtbau seie gekommen.
615



Matris et ingrati genitoribus inventi sint,
significare volunt indignos esse putandos,
vivam progeniem qui in oras luminis edant.
tympana tenta tonant palmis et cymbala circum
concava, raucisonoque minantur cornua cantu,
Auch entmannete Priester begleiten sie: also zu deuten,
Dass, wer die Mutter nicht ehrt, den Dank versaget den Eltern,
Unwert sei, ein lebend Geschlecht zum Lichte zu bringen.
Pauken donnern von schlagender Hand, die gehöhleten Zymbeln
Schallen umher, es brüllt mit heiserem Rufe das Krummhorn,
620



et Phrygio stimulat numero cava tibia mentis,
telaque praeportant, violenti signa furoris,
ingratos animos atque impia pectora volgi
conterrere metu quae possint numine divae.
ergo cum primum magnas invecta per urbis
Phrygischer Pfeifen Ton reizt heftiger noch die Gemüter.
Spitzige Waffen trägt man voran, die Zeichen der Rachwut,
Um zu erschrecken, durch Furcht vor der Göttin erhabenen Hoheit,
Undankbare Gemüter, des Pöbels frevelnde Sinnen.
Fährt sie in solchem Pomp nun durch die erhabenen Städte,
625



munificat tacita mortalis muta salute,
aere atque argento sternunt iter omne viarum
largifica stipe ditantes ninguntque rosarum
floribus umbrantes matrem comitumque catervam.
hic armata manus, Curetas nomine Grai
Stummbeglückend die Menschen mit ihrem schweigenden Segen,
Streuen sie Silber und Erz auf alle Straßen des Weges,
Spenden ihr reichliche Gaben und überschneien mit einem
Rosenschauer die Göttin und deren begleitend Gefolge.
Aber ein andrer bewaffneter Trupp, ihn nennen die Griechen
630



quos memorant, Phrygias inter si forte catervas
ludunt in numerumque exultant sanguine laeti
terrificas capitum quatientes numine cristas,
Dictaeos referunt Curetas, qui Iovis illum
vagitum in Creta quondam occultasse feruntur,
Phryg'sche Kureten: sie spielen verteilt in Reihen zusammen,
Stampfen nach Maß und Takt, betränt mit Blute, den Boden.
Schüttelnd auf ihren Häuptern die furchtbar wallenden Büsche
Stellen sie jene Kureten aus Dikte vor, die man saget,
Dass in Kreta sie einst das Wimmern des Jupiters bargen,
635



cum pueri circum puerum pernice chorea
[armat et in numerum pernice chorea]
armati in numerum pulsarent aeribus aera,
ne Saturnus eum malis mandaret adeptus
aeternumque daret matri sub pectore volnus
Als die Knaben umtanzten in fliegenden Reihen den Knaben

Und bewaffnet im Takt an die Schilde schlugen die Schwerter,
Dass Saturnus ihn nicht, ihn ergreifend, möchte verschlingen
Und der Mutter ins Herz die ewige Wunde versetzte:
640



propterea magnam armati matrem comitantur,
aut quia significant divam praedicere ut armis
ac virtute velint patriam defendere terram
praesidioque parent decorique parentibus esse.
quae bene et eximie quamvis disposta ferantur,
Darum begleiten sie auch die große Mutter in Waffen;
Oder auch anzudeuten, die Göttin verlange, mit Waffen
Und mit tapferem Mut sein väterlich Land zu verteid'gen,
Sich zu rüsten, der Schutz und die Zierde der Eltern zu werden.
Ist dies alles nun gleich gar schön und trefflich ersonnen,
645



longe sunt tamen a vera ratione repulsa.
omnis enim per se divom natura necessest
inmortali aevo summa cum pace fruatur
semota ab nostris rebus seiunctaque longe;
nam privata dolore omni, privata periclis,
Weicht es doch gänzlich ab vom richtigen Grunde der Wahrheit.
Denn es müssen die Götter, durch sich und ihrer Natur nach,
In der seligsten Ruh unsterbliches Leben genießen,
Weit von unserm Tun und unseren Sorgen entfernet.
Frei von jeglichem Schmerz und befreit von allen Gefahren,
650



ipsa suis pollens opibus, nihil indiga nostri,
nec bene promeritis capitur neque tangitur ira.
terra quidem vero caret omni tempore sensu,
et quia multarum potitur primordia rerum,
multa modis multis effert in lumina solis.
Selbst sich in Fülle genug, nicht unserer Dinge bedürftig,
Rührt sie nicht unser Verdienst noch reizet sie unser Vergehen.
Zwar Empfindung und Sinn ist gänzlich der Erde versaget;
Aber da solche besitzt die Stoffe zu mancherlei Dingen,
Bringt sie vieles hervor ans Licht auf vielerlei Weise.
655



hic siquis mare Neptunum Cereremque vocare
constituet fruges et Bacchi nomine abuti
mavolt quam laticis proprium proferre vocamen,
concedamus ut hic terrarum dictitet orbem
esse deum matrem, dum vera re tamen ipse
Will nun einer das Meer Neptunus nennen, die Feldfrucht
Ceres, vielmehr missbrauchen des Bacchus göttlichen Namen,
Als das Getränk mit selbst ihm eigner Benennung bezeichnen:
Sei es doch unbenommen auch ihm, zu sagen, der Erdkreis
Sei die Mutter der Götter, wofern nur die Sache gemeint ist.
660



religione animum turpi contingere parcat.
Saepe itaque ex uno tondentes gramina campo
lanigerae pecudes et equorum duellica proles
buceriaeque greges eodem sub tegmine caeli
ex unoque sitim sedantes flumine aquai

Grasend findet sich oft auf derselben Weide zusammen
Wolletragendes Vieh, die Zucht der kriegrischen Rosse
Und das gehörnete Rind: bedeckt vom nämlichen Himmel,
Von der nämlichen Flut getränket des strömenden Flusses;
Doch, ungleich an Gestalt, erhalten der Eltern Natur sie,

665



dissimili vivont specie retinentque parentum
naturam et mores generatim quaeque imitantur.
tanta est in quovis genere herbae materiai
dissimilis ratio, tanta est in flumine quoque.
Hinc porro quamvis animantem ex omnibus unam
Ahmen sie nach die Sitten der Art, zu der sie gehören.
Solche Verschiedenheit ist der Grundmaterie eigen,
Selbst in jeglichem Gras und selbst in dem Wasser der Flüsse.
Ferner, das nämliche Blut, dieselbigen Knochen und Adern,
Farben und Feuchtigkeiten, Gedärm und Nerven und Sehnen
670



ossa cruor venae calor umor viscera nervi
constituunt, quae sunt porro distantia longe,
dissimili perfecta figura principiorum.
Tum porro quae cumque igni flammata cremantur.
si nil praeterea, tamen haec in corpore tradunt,
Sind bei jeglichem Tier nach dem Anschein immer dieselben,
Da sie doch unter sich selbst weit voneinander verschieden,
Ganz aus verschiedner Figur der Anfangsstoffe sich bilden.
Ebenso ist es mit dem, was das Feuer flammend verzehret;
Nähret es sonst auch nichts, so sind doch Teilchen darinnen,
675



unde ignem iacere et lumen submittere possint
scintillasque agere ac late differre favillam.
cetera consimili mentis ratione peragrans
invenies igitur multarum semina rerum
corpore celare et varias cohibere figuras.
Feuer zu schleudern von sich, in die Höhe zu schießen den Lichtstrahl,
Funken zu sprühen und weit umher zu zerstreuen die Asche.
Wenn du das übrige noch mit ähnlichem Geiste durchwanderst,
Wirst du finden, dass stets von mehreren Dingen die Körper
Samen verbergen in sich, verschiedne Figuren enthaltend.
680



Denique multa vides, quibus et color et sapor una
reddita sunt cum odore in primis pleraque poma.
haec igitur variis debent constare figuris;
nidor enim penetrat qua fucus non it in artus,
fucus item sorsum, <sorsum> sapor insinuatur
Endlich finden wir noch viel Dinge, worin sich die Farbe
Mit dem Geruch und Geschmacke vereint; besonders in Gaben,
Wo die Religion durch schändlichen Tausch sich versühnet:
Diese bestehen sonach aus vielgestaltetem Grundstoff.
Denn der Geruch dringt ein, wohin der Geschmack nicht gelanget;
685



sensibus; ut noscas primis differre figuris.
dissimiles igitur formae glomeramen in unum
conveniunt et res permixto semine constant.
Quin etiam passim nostris in versibus ipsis
multa elementa vides multis communia verbis,
Wieder zu anderem Sinn der Geschmack und die Nahrung des Saftes:
Welches den Unterschied der Grundgestalten erweiset.
Dieser verschieden gestaltete Stoff verbindet zu einer
Masse sich nun, und alles besteht aus gemischetem Samen.
Also bemerkest du selbst zum Teil in unseren Versen
690



cum tamen inter se versus ac verba necesse est
confiteare alia ex aliis constare elementis;
non quo multa parum communis littera currat
aut nulla inter se duo sint ex omnibus isdem,
sed quia non volgo paria omnibus omnia constant.
Lettern, die vielen Worten gemein, da die Wort' und die Verse
Immer zusammengesetzt aus andern Lettern bestehen.
Nicht weil diese vielleicht nur selten in jenen erschienen,
Oder der Worte nicht zwei aus sämtlichen ähnlich sich fänden;
Sondern indem überhaupt nicht alle in allem sich gleich sind.
695



sic aliis in rebus item communia multa
multarum rerum cum sint, primordia rerum
dissimili tamen inter se consistere summa
possunt; ut merito ex aliis constare feratur
humanum genus et fruges arbustaque laeta.
Eben auch, wenn sich gemeinsamer Stoff bei anderen Dingen
Findet in großer Zahl, so können sie untereinander,
Was das Ganze betrifft, doch sehr verschiedner Natur sein:
Dass man behaupten könnte mit Recht, aus anderen Stoffen
Sei das Menschengeschlecht und Tier' und Pflanzen entstanden.
700



Nec tamen omnimodis conecti posse putandum est
omnia; nam volgo fieri portenta videres,
semiferas hominum species existere et altos
inter dum ramos egigni corpore vivo
multaque conecti terrestria membra marinis,
Stelle dir aber nicht vor, dass alle auf allerlei Weise
Sich verbinden; du sähst voll Ungeheuer die Welt dann.
Menschen mit Tiergestalt, zuweilen aus lebenden Körpern
Wachsende Zweige des Baums, und oft mit Gliedern des Seetiers
In Verbindung gesetzt des Landtiers mancherlei Glieder.
705



tum flammam taetro spirantis ore Chimaeras
pascere naturam per terras omniparentis.
quorum nil fieri manifestum est, omnia quando
seminibus certis certa genetrice creata
conservare genus crescentia posse videmus.
Alsdann würde Natur auf allgebärender Erde
Wilde Chimären weiden, mit flammenschnaubendem Rachen.
Dass doch niemals dergleichen geschieht, ist klar; denn wir sehen,
Dass aus eigenem Samen erzeugt, in eigener Mutter,
Alles in seiner Art sich erhalten könne beim Fortwuchs.
710



scilicet id certa fieri ratione necessust.
nam sua cuique cibis ex omnibus intus in artus
corpora discedunt conexaque convenientis
efficiunt motus; at contra aliena videmus
reicere in terras naturam, multaque caecis
Und dies muss notwendig geschehn nach bestimmten Gesetzen.
Denn die besonderen Stoffe, die jeglichem eigen gebühren,
Scheiden aus jeder Nahrung sich ab in die eignen Gefäße
Und erregen darin, sobald sie verbunden sich haben,
Schickliche Lebensbewegung; hingegen die Teile, die fremd sind,
Wirft die Natur von sich: viel andere fliehen unmerkbar
715



corporibus fugiunt e corpore percita plagis,
quae neque conecti quoquam potuere neque intus
vitalis motus consentire atque imitari.
sed ne forte putes animalia sola teneri
legibus his, quaedam ratio res terminat omnis
Aus dem Körper hinweg, von anderen wieder getrieben.
Sie sind's, welche sich nicht zum Gebrauch des Körpers verbinden,
Nicht zustimmen und nicht eintreten zur Lebensbewegung.
Denke doch nicht, dies Gesetz beschränke die tierische Welt nur;
Irgend ein ähnlicher Grund setzt alle Ding' auseinander.
720



nam vel uti tota natura dissimiles sunt
inter se genitae res quaeque, ita quamque necessest
dissimili constare figura principiorum;
non quo multa parum simili sint praedita forma,
sed quia non volgo paria omnibus omnia constant.
Denn wie jegliches Ding, das erzeugt wird, anderen ungleich
Ist in seiner Natur, so muss auch jedes beinahe
Aus verschiedner Figur ursprünglicher Stoffe bestehen:
Nicht dass wenige nur von ähnlichen Formen sich fänden,
Sondern indem überhaupt nicht alle in allem sich gleich sind.
725



semina cum porro distent, differre necessust
intervalla vias conexus pondera plagas
concursus motus; quae non animalia solum
corpora seiungunt, sed terras ac mare totum
secernunt caelumque a terris omne retentant.
Ist. nun verschieden der Stoff, so sind verschieden die Räume,
Zwischengänge, Gewicht, die Art der Verbindung, der Forttrieb
Und der Zusammenstoß und Bewegung: welche die Tierwelt
Nicht nur, welche sogar das weite Meer und die Erde
Scheiden, und welche zurück von dem Erdraum halten den Himmel.
730



Nunc age dicta meo dulci quaesita labore
percipe, ne forte haec albis ex alba rearis
principiis esse, ante oculos quae candida cernis,
aut ea quae nigrant nigro de semine nata;
nive alium quemvis quae sunt inbuta colorem,
Auf, und vernehme du jetzt die Worte, die süßes Bemühen
Ausgeforschet: dass nicht, was weiß dem Auge sich darstellt,
Weiß erscheine deshalb, weil weiße Stoffe der Grund sind;
Oder, was schwarz aussieht, aus schwarzem Samen erzeugt sei:
Noch auch jegliches Ding, das irgend gefärbt wir erblicken,
735



propterea gerere hunc credas, quod materiai
corpora consimili sint eius tincta colore;
nullus enim color est omnino materiai
corporibus, neque par rebus neque denique dispar.
in quae corpora si nullus tibi forte videtur
Also sich zeige, dieweil schon ähnliche Farbe von dieser
In der Materie selbst, in dem Ursprungsstoffe, vorhanden.
Alle Materie ist ganz ohne Farbe; den Dingen
Weder hierinnen gleich, noch ungleich ihnen zu nennen.
Sagst du, der menschliche Geist vermöge nicht Körper zu fassen
740



posse animi iniectus fieri, procul avius erras.
nam cum caecigeni, solis qui lumina numquam
dispexere, tamen cognoscant corpora tactu
ex ineunte aevo nullo coniuncta colore,
scire licet nostrae quoque menti corpora posse
Solcherlei Art, so irrest du sehr und täuschest dich gänzlich.
Nimm dir den Blindgebornen doch: die göttliche Sonne
Hat er nimmer gesehn, doch kennet er, durch das Gefühl bloß,
Dinge, die nie im Leben mit Farbe verbunden ihm waren.
Ebenso lässt sich verstehn, wie die Seele Begriffe von Körpern
745



vorti in notitiam nullo circum lita fuco.
denique nos ipsi caecis quaecumque tenebris
tangimus, haud ullo sentimus tincta colore.
Quod quoniam vinco fieri, nunc esse docebo.
omnis enim color omnino mutatur in omnis;
Machen sich könne, die nicht mit Farbe von außen getüncht sind.
Selbst die Dinge, die wir bei Nacht und im Dunkeln betasten,
Unterscheiden sich uns, obgleich wir die Farbe nicht fühlen.
Was die Erfahrung bezeugt, lass jetzt durch Gründe mich dartun.
Jegliche Farbe verwandelt sich leicht in jegliche Farbe;
750



quod facere haud ullo debent primordia pacto;
immutabile enim quiddam superare necessest,
ne res ad nihilum redigantur funditus omnes;
nam quod cumque suis mutatum finibus exit,
continuo hoc mors est illius quod fuit ante.
Aber das dürfen doch nie die Urelemente der Dinge.
Stets muss etwas bestehn, das unveränderlich bleibe,
Soll nicht alles in Nichts von Grund aus wieder sich kehren:
Denn was irgend verlässt die Grenzen des eigenen Daseins,
Stirbt als das, was es war, wird augenblicklich ein andres.
755



proinde colore cave contingas semina rerum,
ne tibi res redeant ad nihilum funditus omnes.
Praeterea si nulla coloris principiis est
reddita natura et variis sunt praedita formis,
e quibus omnigenus gignunt variantque colores,
Hüte dich also, den Stoff mit wechselnden Farben zu tünchen,
Soll ins völlige Nichts zuletzt nicht alles zurückgehn.
Sind die Stoffe nun gleich nicht farbig ihrer Natur nach,
Sind sie dennoch begabt mit mannigfaltigen Formen,
Wechselnde Farben daraus von allerlei Arten zu schaffen.
760



propterea magni quod refert, semina quaeque
cum quibus et quali positura contineantur
et quos inter se dent motus accipiantque,
perfacile extemplo rationem reddere possis,
cur ea quae nigro fuerint paulo ante colore,
Dann auch lieget noch viel an Mischung und Lage der Stoffe,
Wie sie sich unter sich selbst und wieder zu andern verhalten,
Welche Bewegung sie geben und welche sie wieder empfangen;
Also dass leicht sich hieraus ein rechenschaftlicher Grund gibt,
Wie, was kurz noch zuvor von Farbe dunkel und schwarz war,
765



marmoreo fieri possint candore repente,
ut mare, cum magni commorunt aequora venti,
vertitur in canos candenti marmore fluctus;
dicere enim possis, nigrum quod saepe videmus,
materies ubi permixta est illius et ordo
Könn' urplötzlich darauf sich in Marmorweiße verwandeln.
Ebenso wird auch das Meer, von heftigen Winden erreget,
Umgewandelt in Wogen von heller und glänzender Weiße.
Sagen ließe sich dann, dass das, was öfters wir schwarz sehn,
Wann es die Stoffe durchmischt, die Ordnung derselben verändert,
770



principiis mutatus et addita demptaque quaedam,
continuo id fieri ut candens videatur et album.
quod si caeruleis constarent aequora ponti
seminibus, nullo possent albescere pacto;
nam quo cumque modo perturbes caerula quae sint,
Einige sich vermindern und andre dagegen vermehren,
Dieses auf einmal alsdann sich weiß und glänzend erzeige.
Wären die Fluten des Meeres jedoch schon dunkel im Grundstoff,
Dann so könnten auf keinerlei Art ins Weiße sie wandeln;
Möchtest du noch so sehr ineinander jagen die Stoffe,
775



numquam in marmoreum possunt migrare colorem.
sin alio atque alio sunt semina tincta colore,
quae maris efficiunt unum purumque nitorem,
ut saepe ex aliis formis variisque figuris
efficitur quiddam quadratum unaque figura,
Nimmer würden ins Weiße sie übergehen, die dunkeln.
Wären die Samen jedoch, aus denen der einfache, klare
Meeresschimmer besteht, mit verschiedenen Farben gefärbet,
Wie man ein Viereck oft und andre bestimmte Figuren
Bildet aus anderen Formen und unterschiednen Figuren:
780



conveniebat, ut in quadrato cernimus esse
dissimiles formas, ita cernere in aequore ponti
aut alio in quovis uno puroque nitore
dissimiles longe inter se variosque colores.
praeterea nihil officiunt obstantque figurae
Müsste man auch, wie hier die verschiedenen Formen im Viereck,
So in der Fläche des Meers und in jeder lauteren Glanzflut
Bunte, und weit voneinander verschiedene Farben bemerken.
Übrigens zeigt sich die äußre Figur vollkommen im Viereck,
785



dissimiles, quo quadratum minus omne sit extra;
at varii rerum inpediunt prohibentque colores,
quo minus esse uno possit res tota nitore.
Tum porro quae ducit et inlicit ut tribuamus
principiis rerum non numquam causa colores,
Sind auch die Glieder, woraus es besteht, verschieden an Bildung:
Aber verschiedene Farb' an den Dingen verhindert es gänzlich,
Dass dasselbige Ding einfarbig jemals erscheine.
Irgendein Grund, der uns noch verführen könnte, den Stoffen
Einzuräumen die Farbe, zerfällt und verlieret sich gänzlich,
790



occidit, ex albis quoniam non alba creantur,
nec quae nigra cluent de nigris, sed variis ex.
quippe etenim multo proclivius exorientur
candida de nullo quam nigro nata colore
aut alio quovis, qui contra pugnet et obstet.
Wenn man bedenket, dass nicht aus weißen entstünde das Weiße,
Noch, was Schwärze man nennt, aus schwarzen, vielmehr aus verschiednen.
Weit natürlicher ist's, dass Weißes aus Stoffen entspringe
Ganz farbloser Natur, als dass es aus schwarzen sich zeuge,
Oder aus jeglicher Farbe, mit welcher es gänzlich im Streit liegt.
795



Praeterea quoniam nequeunt sine luce colores
esse neque in lucem existunt primordia rerum,
scire licet quam sint nullo velata colore;
qualis enim caecis poterit color esse tenebris?
lumine quin ipso mutatur propterea quod
Ferner, da ohne Licht nicht können bestehen die Farben,
Aber hervor ans Licht ursprüngliche Stoffe nicht treten,
Folgt natürlich hieraus, dass diese von Farben entblößt sind.
Wie kann Farbe sich eignen dem lichtberaubeten Dunkel?
Sie, die sich selbst verändert im Licht und verschieden zurückglänzt,
800



recta aut obliqua percussus luce refulget;
pluma columbarum quo pacto in sole videtur,
quae sita cervices circum collumque coronat;
namque alias fit uti claro sit rubra pyropo,
inter dum quodam sensu fit uti videatur
Je nachdem sie der Strahl schief oder gerade getroffen.
An dem Gefieder der Tauben, womit sich Hals und ihr Nacken
Rings umkränzt, kannst dieses du schaun im Strahle der Sonne:
Anders gewandt erscheinet es rot, im Glanz des Pyropus,
805



inter caeruleum viridis miscere zmaragdos.
caudaque pavonis, larga cum luce repleta est,
consimili mutat ratione obversa colores;
qui quoniam quodam gignuntur luminis ictu,
scire licet, sine eo fieri non posse putandum est.
Wieder anders Lasur, in grüne Smaragden gemischet.
So auch des Pfauen Schweif; zur volleren Sonne gewendet,
Wandelt auf ähnliche Art er die mannigfaltigen Farben.
Da nun des Lichtes eigener Wurf die Wirkung hervorbringt,
Ist es auch klar, dass, ohne das Licht, nicht solches geschähe.
810



Et quoniam plagae quoddam genus excipit in se
pupula, cum sentire colorem dicitur album,
atque aliud porro, nigrum cum et cetera sentit,
nec refert ea quae tangas quo forte colore
praedita sint, verum quali magis apta figura,
Ferner noch, da die Pupille durch andere Stöße gereizt wird,
Wann sie das Weiße fühlt, durch andere wieder vom Schwarzen,
Wieder auf andere Art von jeglicher anderen Farbe,
Auch an der Farbe des Dinges, wofern du solches berührest,
Wenig lieget, vielmehr an der Form und der eigenen Bildung:
815



scire licet nihil principiis opus esse colore,
sed variis formis variantes edere tactus.
Praeterea quoniam non certis certa figuris
est natura coloris et omnia principiorum
formamenta queunt in quovis esse nitore,
Also erhellt, dass Stoffe durchaus nicht Farbe bedürfen,
Sondern verschiedener Formen, verschiedne Gefühle zu wecken.
Sollte gewisser Farben Natur bestimmten Figuren
Eigen nicht sein, und könnte daher mit jeglicher Farbe
820



cur ea quae constant ex illis non pariter sunt
omnigenus perfusa coloribus in genere omni?
conveniebat enim corvos quoque saepe volantis
ex albis album pinnis iactare colorem
et nigros fieri nigro de semine cycnos
Jegliche Bildung der Stoffe bestehn: wie kommt es, dass Dinge
Nicht auf ähnliche Art in jegliche Farbe sich kleiden?
Dann so traf es sich wohl, dass zuweilen den fliegenden Raben
Weißer Schimmer entglänzte, vom weißen Gefieder und Flügel;
Schwarze Schwanen entstünden, aus schwarzem Samen erzeuget,
825



aut alio quovis uno varioque colore.
Quin etiam quanto in partes res quaeque minutas
distrahitur magis, hoc magis est ut cernere possis
evanescere paulatim stinguique colorem;
ut fit ubi in parvas partis discerpitur austrum:
Oder auch einfach und bunt, in jeder beliebigen Färbung.
Ja du bemerkest sogar, je kleiner man Dinge zerteilet,
Desto mehr nur verliert sich die Farbe, die endlich verschwindet.
So wenn man Gold zerreibet zu feinem Staube, des Purpurs
830



purpura poeniceusque color clarissimus multo,
filatim cum distractum est, disperditur omnis;
noscere ut hinc possis prius omnem efflare colorem
particulas, quam discedant ad semina rerum.
Postremo quoniam non omnia corpora vocem
Glänzendes Rot zerlegt in die aller zartesten Fäden:
Welches dir klar erweist, dass, ehe zum Stoffe sie kehren,
Alle die Teilchen zuvor aushauchen jegliche Farbe.
Endlich, indem du Ton und Geruch nicht jeglichem Körper
835



mittere concedis neque odorem, propterea fit
ut non omnibus adtribuas sonitus et odores:
sic oculis quoniam non omnia cernere quimus,
scire licet quaedam tam constare orba colore
quam sine odore ullo quaedam sonituque remota,
Zugestehest, so räumest du ein, dass Körper es gebe
Ohne Ton und Geruch: auf ähnliche Weise begreift sich's,
Dass, indem wir nicht alles mit Augen zu fassen vermögen,
Dennoch Körper vorhanden, die also der Farbe beraubt sind,
Wie des Geruches und wie des tönenden Schalles die andern:
840



nec minus haec animum cognoscere posse sagacem
quam quae sunt aliis rebus privata notare.
Sed ne forte putes solo spoliata colore
corpora prima manere, etiam secreta teporis
sunt ac frigoris omnino calidique vaporis,
Und es erkennt der forschende Geist nicht minder dieselben,
Als die in anderen Dingen auch anderer Zeichen entbehren.
Bilde dir aber nicht ein, als seien die Körper des Urstoffs
Nur der Farbe beraubt: auch mangelt es ihnen an Wärme,
845



et sonitu sterila et suco ieiuna feruntur,
nec iaciunt ullum proprium de corpore odorem.
sicut amaracini blandum stactaeque liquorem
et nardi florem, nectar qui naribus halat,
cum facere instituas, cum primis quaerere par est,
Sowie an Kälte: sie sind tonlos und ledig des Saftes;
Auch verhauchen sie nicht aus dem Körper eigne Gerüche.
So, wann aus Majoran und Myrrhen und aus des Jasmines
Nektarblüten man Duft süß hauchender Salben bereitet,
Suchen vor allem man muss, wo möglich, geruchlosen Öles
850



quod licet ac possis reperire, inolentis olivi
naturam, nullam quae mittat naribus auram,
quam minime ut possit mixtos in corpore odores
concoctosque suo contractans perdere viro,
propter eandem <rem> debent primordia rerum
Reine Natur, wovon kein Hauch die Nerven berühret:
Dass es im mindesten nicht die eingemischeten Düfte
Mit dem eignen Geruch ansteck' und solche verderbe.
Und so müssen, aus ähnlichem Grund, ursprüngliche Stoffe
855



non adhibere suum gignundis rebus odorem
nec sonitum, quoniam nihil ab se mittere possunt,
nec simili ratione saporem denique quemquam
nec frigus neque item calidum tepidumque vaporem,
cetera, quae cum ita sunt tamen ut mortalia constent,
Weder Geruch noch Ton zu den Dingen bringen, die durch sie
Werden erzeugt: weil nichts aus sich selbst entlassen sie können.
Aus demselbigen Grund sind eben die Stoffe geschmacklos,
Können nicht Kälte von sich, noch Wärme, noch Hitze versenden.
Alles übrige noch, hinfällig der eignen Natur nach:
860



molli lenta, fragosa putri, cava corpore raro,
omnia sint a principiis seiuncta necessest,
inmortalia si volumus subiungere rebus
fundamenta, quibus nitatur summa salutis;
ne tibi res redeant ad nihilum funditus omnes.
Nämlich das Schmeidige, Brüchige, Hohle, von lockerem Körper,
Dies muss gänzlich getrennt von allem ursprünglichem Stoff sein,
Wenn wir auf unvergänglichen Grund das Wesen der Dinge
Wollen erbauen, worauf doch das Heil des Ganzen gestützt ist,
Und nicht wieder in Nichts hingeben, was irgend nur da ist.
865



Nunc ea quae sentire videmus cumque necessest
ex insensilibus tamen omnia confiteare
principiis constare. neque id manufesta refutant
nec contra pugnant, in promptu cognita quae sunt,
sed magis ipsa manu ducunt et credere cogunt
Nunmehr fordr' ich dich auf mir einzugestehen, dass alles,
Was nur Empfindung hat, aus unempfindlichen Stoffen
Sei zusammengesetzt. Dagegen streitet Erfahrung
Nicht noch der Augenschein; sie führen beide vielmehr uns
Selbst bei der Hand und zwingen zu glauben, dass, wie ich behaupte,
870




ex insensilibus, quod dico, animalia gigni.
quippe videre licet vivos existere vermes
stercore de taetro, putorem cum sibi nacta est
intempestivis ex imbribus umida tellus.
Praeterea cunctas itidem res vertere sese.
Aus unfühlendem Stoffe die lebenden Wesen erzeugt sind.
Siehet man nicht aus stinkendem Mist lebendige Maden
Kriechen, wenn häufiger Regen den Boden in Fäulnis gesetzt hat?
Siehet man nicht überdem, wie alle die Dinge sich wandeln?
875



vertunt se fluvii in frondes et pabula laeta
in pecudes, vertunt pecudes in corpora nostra
naturam, et nostro de corpore saepe ferarum
augescunt vires et corpora pennipotentum.
ergo omnes natura cibos in corpora viva
Wasser sich wandelt in grünendes Laub, die blühenden Auen
In der Tiere Natur, in unsere Leiber die Tiere?
Ebenso geben auch wir, durch unsere Körper, dem Raubtier
Kräfte zuweilen, zuweilen den fittichmächtigen Vögeln.
Also verkehrt die Natur die Nahrung in lebende Wesen
880



vertit et hinc sensus animantum procreat omnes,
non alia longe ratione atque arida ligna
explicat in flammas et <in> ignis omnia versat.
iamne vides igitur magni primordia rerum
referre in quali sint ordine quaeque locata
Und erzielet aus ihr Sinn und Empfindung für alle:
Nicht auf andere Art, als wie sie die Flammen aus dürrem
Holz entwickelt und wie in Feuer sie alles verkehret.
Wirst du nunmehr es gewahr, dass es sei von großer Bedeutung,
Wie sich in Lage geordnet die Stoffe befinden, mit welchen
885



et commixta quibus dent motus accipiantque?
Tum porro, quid id est, animum quod percutit, ipsum,
quod movet et varios sensus expromere cogit,
ex insensilibus ne credas sensile gigni?
ni mirum lapides et ligna et terra quod una
Anderen Stoffen gemischt sie Bewegung empfangen und geben ?
Ferner, was ist's, das selbst das Gemüt uns oftmals erschüttert,
Das uns erregt und in uns verschiedne Gefühle hervortreibt,
Wenn das Empfindliche nicht aus Unempfindlichem herkommt?
Wahr ist's, Stein' und Holz und Erde, zusammengemischet,
890



mixta tamen nequeunt vitalem reddere sensum.
illud in his igitur rebus meminisse decebit,
non ex omnibus omnino, quaecumque creant res
sensilia, extemplo me gigni dicere sensus,
sed magni referre ea primum quantula constent,
Können zwar nicht die lebendige Kraft des Gefühles erzeugen:
Doch man erinnre sich nur der Bedingung, die ich gesetzet,
Dass nicht jeglicher Stoff, woraus die Erschaffungen werden,
Immer und alsogleich das Empfindungsvermögen erzeuge;
Sondern, dass viel zuvörderst daran gelegen, wie klein sie
895



sensile quae faciunt, et qua sint praedita forma,
motibus ordinibus posituris denique quae sint.
quarum nil rerum in lignis glaebisque videmus;
et tamen haec, cum sunt quasi putrefacta per imbres,
vermiculos pariunt, quia corpora materiai
Sind und von welcher Figur, sie, die das Empfindende wirken:
Dann an der Ordnung, Bewegung, der Lage gegeneinander,
Wo von allem du nichts an Holz und Schollen gewahr wirst.
Diese bringen jedoch, wofern sie in Fäulnis geraten,
Maden und Würmer hervor: weil, wann nun die Nässe hinzudringt,
900




antiquis ex ordinibus permota nova re
conciliantur ita ut debent animalia gigni.
Deinde ex sensilibus qui sensile posse creari
constituunt, porro ex aliis sentire sueti
<.....>
mollia cum faciunt; nam sensus iungitur omnis
Solche die Körper des Stoffs aus den vorigen Ordnungen rücket
Und sie also vereint, dass sie lebende Wesen gebären.
Ferner noch, wenn das Empfindende sie aus empfindlichen Stoffen
Lassen erzeugen und diese so fort aus Empfindlichem wieder,
Machen die Stoffe sie weich: denn alles Empfindende wohnet
905



visceribus nervis venis, quae cumque videmus
mollia mortali consistere corpore creta.
sed tamen esto iam posse haec aeterna manere;
nempe tamen debent aut sensum partis habere
aut similis totis animalibus esse putari.
Nur in den inneren Teilen, in Adern und Nerven; und diese
Sind von weicher Natur, in ihrer Erschaffung vergänglich.
Aber gesetzt, es könnten auch sie fortdauernd sich halten,
Müssten entweder sie doch Empfindung haben des Teiles,
Oder sie wären auch selbst gleichartig vollendeten Tieren.
910



at nequeant per se partes sentire necesse est:
namque animus sensus membrorum respuit omnis,
nec manus a nobis potis est secreta neque ulla
corporis omnino sensum pars sola tenere.
linquitur ut totis animantibus adsimulentur,
Teile können jedoch durchaus nicht für sich empfinden;
Keiner der Teile nimmt der anderen Glieder Gefühl an:
Auch vermag nicht die Hand, noch irgendein anderes Gliedmaß
Abgetrennet vom Leib und allein Empfindung erhalten.
Übrig bleibt, dass sie ganz an Gefühl vollkommenen Tieren
915



vitali ut possint consentire undique sensu.
qui poterunt igitur rerum primordia dici
et leti vitare vias, animalia cum sint,
atque animalia <sint> mortalibus una eademque?
quod tamen ut possint, at coetu concilioque
Gleichen, von allen Seiten den Lebenssinn zu vereinen.
Aber wie hießen sie nun ursprüngliche Stoffe der Dinge?
Könnten, als wirkliche Tiere, vermeiden die Wege des Todes
Sie, die mit jedem Geschöpf, das sterblich, einer Natur sind?
Doch es sei ihm nun so; was könnte durch ihre Verbindung
920



nil facient praeter volgum turbamque animantum,
scilicet ut nequeant homines armenta feraeque
inter sese ullam rem gignere conveniundo.
sic itidem quae sentimus sentire necessest.
quod si forte suum dimittunt corpore sensum
Anders werden als bloßes Gemisch und Schwärme von Tieren?
So wie Menschen und zahmes Vieh und Tiere der Wildnis
Nicht, miteinander vereint, durch Zeugung etwas bewirken:
Immer müssten daher sie empfinden nach unserer Weise.
Aber verlieren vielleicht die empfindenden Stoffe, verbunden
925



atque alium capiunt, quid opus fuit adtribui id quod
detrahitur? tum praeterea, quod fudimus ante,
quatinus in pullos animalis vertier ova
cernimus alituum vermisque effervere terra,
intempestivos quam putor cepit ob imbris,
Nun mit andern, das eigne Gefühl und nehmen ein anders?
Wozu gabst du, was wieder du nimmst? — So bleibet denn immer
Das, was zuvor wir gesucht: weil nämlich die Eier der Vögel
Können in Küchelchen sich verwandeln, und weil des Gewürmes
Wimmelnde Heere kriechen aus nassem und faulendem Boden.
930



scire licet gigni posse ex non sensibus sensus.
Quod si forte aliquis dicet, dum taxat oriri
posse ex non sensu sensus mutabilitate,
aut aliquo tamquam partu quod proditur extra,
huic satis illud erit planum facere atque probare,
Kann auch Sinn und Gefühl aus Nichtgefühle hervorgehn.
Möchte man sagen, aus Nichtempfindendem könn' insofern nur
Etwas Empfindendes kommen, als solches Veränderung leidet,
Gleichsam durch eine Geburt hervor zum Leben gebracht wird:
Dieser möge vorerst aus Gründen begreiflich sich machen,
935



non fieri partum nisi concilio ante coacto,
nec quicquam commutari sine conciliatu.
Principio nequeunt ullius corporis esse
sensus ante ipsam genitam naturam animantis,
ni mirum quia materies disiecta tenetur
Dass nichts kömmt zur Geburt als durch die Vereinung des Urstoffs,
Nichts verändert auch wird durch ähnliche Wiedervereinung:
So, dass Empfindung zuvor nicht statt hat, ehe das Tier nicht
Selbst gebildet schon ist. Die Stoffe, woraus es sich bildet,
Liegen im Wasser zuvor, in der Luft zerstreut, in der Erde
940



aere fluminibus terris terraque creatis,
nec congressa modo vitalis convenientes
contulit inter se motus, quibus omnituentes
accensi sensus animantem quamque tuentur.
Praeterea quamvis animantem grandior ictus,
Und in dem Erderzeugten und können auch, wann sie zusammen
Sind getreten, sogleich die schickliche Lebensbewegung
Nicht ausfinden, wodurch des Tiers allschauende Sinnen
Angezündet, ihm selbst den Schutz zur Erhaltung gewähren.
Ferner, wann irgendein Tier ein Schlag trifft, härter als solchen
945



quam patitur natura, repente adfligit et omnis
corporis atque animi pergit confundere sensus.
dissoluuntur enim positurae principiorum
et penitus motus vitales inpediuntur,
donec materies omnis concussa per artus
Seine Natur erträgt, so wirft er sogleich es danieder,
Und in dem Augenblick ist Sinn und Gefühl in Verwirrung.
Auseinander gelöst wird nämlich der Stoffe Verbindung
Und die Lebensbewegung gehemmt, bis gänzlich zerrüttet
Alle Materie nun im Baue der sämtlichen Glieder
950



vitalis animae nodos a corpore solvit
dispersamque foras per caulas eiecit omnis;
nam quid praeterea facere ictum posse reamur
oblatum, nisi discutere ac dissolvere quaeque?
fit quoque uti soleant minus oblato acriter ictu
Los von dem Körper trennet die Lebensknoten der Seele
Und dann diese zerstreut durch alle Kanäle hinausjagt.
Denn was könnte der Schlag wohl anders bewirken, als dass er
Alle Teile zerstößt und ihre Verbindungen aufhebt?
Doch es ereignet sich auch, wann minder gewaltig der Schlag traf,
955



reliqui motus vitalis vincere saepe,
vincere et ingentis plagae sedare tumultus
inque suos quicquid rursus revocare meatus
et quasi iam leti dominantem in corpore motum
discutere ac paene amissos accendere sensus;
Dass nun wieder die Reste der Lebensbewegungen siegen;
Siegen, und sie den Tumult des tödlichen Streiches besänft'gen,
Alles nun wieder in Gang und die vorige Lage versetzt wird,
Gleichsam die in dem Körper schon herrschende Todesbewegung
Wieder zerstreut und entzündet der halberloschene Sinn wird.
960



nam qua re potius leti iam limine ab ipso
ad vitam possint conlecta mente reverti,
quam quo decursum prope iam siet ire et abire?
Praeterea, quoniam dolor est, ubi materiai
corpora vi quadam per viscera viva per artus
Denn was wäre der Grund, der diese Reste zum Leben
Wiederum riefe zurück, zur Besinnung vom Rande des Todes,
Nicht hingehen sie ließe die fast vollendete Laufbahn?
Über dieses; wo findet sich Schmerz als da, wo in Gliedern,
965



sollicitata suis trepidant in sedibus intus,
inque locum quando remigrant, fit blanda voluptas,
scire licet nullo primordia posse dolore
temptari nullamque voluptatem capere ex se;
quandoquidem non sunt ex ullis principiorum
In den lebendigen Teilen die Stoffe gewaltig gereizet,
In dem innersten Sitz erschüttert werden? und wieder
Folgt ein schmeichelnd Gefühl bei hergestelleter Ordnung.
Ist es hieraus nicht klar, dass weder Schmerz noch Vergnügen
Eigen den Stoffen sei? da sie selbst nicht Teilchen besitzen.
970



corporibus, quorum motus novitate laborent
aut aliquem fructum capiant dulcedinis almae.
haut igitur debent esse ullo praedita sensu.
Denique uti possint sentire animalia quaeque,
principiis si iam est sensus tribuendus eorum,
Die durch veränderten Gang Empfindungen litten des Schmerzes
Oder welche durch ihn des Vergnügens Süße genössen:
Und so sind sie durchaus beraubt jedweder Empfindung.
Endlich, wenn jeglichem Tiere zu seinem Empfindungsvermögen
Stoffe empfindsamer Art sind beizulegen, so möcht' ich
975



quid, genus humanum propritim de quibus auctumst?
scilicet et risu tremulo concussa cachinnant
et lacrimis spargunt rorantibus ora genasque
multaque de rerum mixtura dicere callent
et sibi proporro quae sint primordia quaerunt;
Wissen, woraus der Mensch doch eigentümlich bestünde?
Nämlich die Stoffe kichern und werden vom Lachen erschüttert,
Oder ein Tränentau fließt ihnen die Wangen herunter?
Auch verstehen sie klug von der Mischung der Dinge zu sprechen,
Forschen den Stoffen nach, aus welchen sie selber gemacht sind?
980



quando quidem totis mortalibus adsimulata
ipsa quoque ex aliis debent constare elementis,
inde alia ex aliis, nusquam consistere ut ausis;
quippe sequar, quod cumque loqui ridereque dices
et sapere, ex aliis eadem haec facientibus ut sit.
Sintemal sie belebt und gleich sind eignen Geschöpfen,
Müssen aus anderen Stoffen auch sie zusammengesetzt sein,
Diese wieder aus andern, dass nirgends ein Ende zu finden.
Denn ich folgere fort: was spricht und lacht, wie du sagest,
Klug auch ist, das besteht aus andern, die Gleiches vermögen.
985



quod si delira haec furiosaque cernimus esse
et ridere potest non ex ridentibus auctus,
et sapere et doctis rationem reddere dictis
non ex seminibus sapientibus atque disertis,
qui minus esse queant ea quae sentire videmus
Ist nun dieses, wie jeder erkennt, wahnsinnig und rasend,
Kann man lachen und sprechen und kluge Sachen bedenken,
Ohne aus Stoffen zu sein, die ähnliches tun und vermögen:
Sollten denn andere Dinge, die wir mit Empfindung begabt sehn,
990



seminibus permixta carentibus undique sensu?
Denique caelesti sumus omnes semine oriundi;
omnibus ille idem pater est, unde alma liquentis
umoris guttas mater cum terra recepit,
feta parit nitidas fruges arbustaque laeta
Minder aus Elementen bestehn, die des Sinnes beraubt sind?
Sind wir nicht alle zuletzt aus himmlischem Samen entsprungen,
Alle von Einem Vater? von ihm empfanget die Erde,
Sie, die gütige Mutter, die Tropfen schmelzenden Regens
Und erzeuget im Schöße die glänzenden Saaten und Bäume
995



et genus humanum, parit omnia saecla ferarum,
pabula cum praebet, quibus omnes corpora pascunt
et dulcem ducunt vitam prolemque propagant;
qua propter merito maternum nomen adepta est.
cedit item retro, de terra quod fuit ante,
Samt dem Menschengeschlecht und allen Geschlechten der Tiere,
Denen das Futter sie reicht, womit sie die Leiber ersätt'gen
Und fortpflanzen die Art und der Süße des Lebens genießen:
Und so wird ihr mit Recht der Muttername gewähret.
Auch kehrt wieder zurück zur Erde, was aus ihr entstanden,
1000



in terras, et quod missumst ex aetheris oris,
id rursum caeli rellatum templa receptant.
nec sic interemit mors res ut materiai
corpora conficiat, sed coetum dissupat ollis;
inde aliis aliud coniungit et efficit, omnis
Was von dem Aether kam, steigt aufwärts wieder zum Aether,
Zu den Gewölben des Himmels. So ganz zerstöret der Tod nicht
Alle Dinge, dass selbst der Materie Grund er zernichte:
Sondern er trennt die Verbindungen nur; dann füget er anders
Wieder zusammen, bewirkt die Verwandlung der äußeren Formen,
1005



res ut convertant formas mutentque colores
et capiant sensus et puncto tempore reddant;
ut noscas referre earum primordia rerum
cum quibus et quali positura contineantur
et quos inter se dent motus accipiantque,
Ändert Farb' und Gestalt, bis zuletzt zur Empfindung die Dinge
Wiedergelangen, die auch zur gesetzten Zeit sich verlieret.
Daraus magst du ersehn, von welcher Bedeutung es seie,
Wie, und mit welchen, die Stoffe gemischt und zusammengefügt sind,
Welche Bewegungen sie mitteilen und wieder erhalten.
1010



neve putes aeterna penes residere potesse
corpora prima quod in summis fluitare videmus
rebus et interdum nasci subitoque perire.
quin etiam refert nostris in versibus ipsis
cum quibus et quali sint ordine quaeque locata;
Bilde dir auch nicht ein, dass minder deshalben die Stoffe
Ewiger Dauer sind, dieweil du in äußeren Dingen
Immer sie schwanken siehst, entstehen und plötzlich verschwinden.
Auch in unseren Versen sogar kommt vieles darauf an,
Wie sie zusammengestellt, wie jedes darinnen gemischt sei.
1015



namque eadem caelum mare terras flumina solem
significant, eadem fruges arbusta animantis;
si non omnia sunt, at multo maxima pars est
consimilis; verum positura discrepitant res.
sic ipsis in rebus item iam materiai
Eben dieselben Lettern bezeichnen Himmel und Erde
Und die Sonne, das Meer und die Fluss', und eben die selben
Saaten und Bäum' und Tier'; und sind sie nicht alle die gleichen,
Ist's doch der größere Teil: die Stellung ändert die Sachen.
Ebenso ist's mit den Dingen auch selbst: verändern die Stoffe
1020



[intervalla vias conexus pondera plagas]
concursus motus ordo positura figurae
cum permutantur, mutari res quoque debent.
Nunc animum nobis adhibe veram ad rationem.
nam tibi vehementer nova res molitur ad auris
Zwischenräume und Gang' und Bindung, die Schwere, den Antrieb
Und den Zusammenstoß, Bewegung und Ordnung und Lage,
Ändern sie in der Figur, - so ändern auch selber die Dinge.
Nunmehr wende den Geist auf tiefere Sätze der Wahrheit:
Neue Sache verlangt mit Gewalt ins Ohr dir zu dringen,
1025



accedere et nova se species ostendere rerum.
sed neque tam facilis res ulla est, quin ea primum
difficilis magis ad credendum constet, itemque
nil adeo magnum neque tam mirabile quicquam,
quod non paulatim minuant mirarier omnes,
Neuer Dinge Gestalt dir hin vor die Augen zu treten.
Aber es ist kein Ding so leicht zu begreifen, dass anfangs
Schwerer den Eingang nicht zum Glauben es fände; und nichts ist
Wieder so wunderbar und so groß, dass nicht durch Gewohnheit
Nach und nach die Bewundrung verlör', und mindre die Achtung.
1030



principio caeli clarum purumque colorem
quaeque in se cohibet, palantia sidera passim,
lunamque et solis praeclara luce nitorem;
omnia quae nunc si primum mortalibus essent
ex improviso si sint obiecta repente,
Nimm das glänzende Blau und die reine Farbe des Himmels
Und das strahlende Licht der irrenden Himmelsgestirne
Und den Mond und den herrlichen Glanz der leuchtenden Sonne:
Würde zum erstenmal dies alles dem Auge des Menschen
Dargestellet, als trät' es hervor nun eben am Schauplatz,
1035



quid magis his rebus poterat mirabile dici,
aut minus ante quod auderent fore credere gentes?
nil, ut opinor; ita haec species miranda fuisset.
quam tibi iam nemo fessus satiate videndi,
suspicere in caeli dignatur lucida templa.
Könnte was Wundernswürdigers wohl man nennen, nur etwas,
Das die Menschen zuvor nie hoffen durften zu sehen?
Nein, in der Tat, so groß und so herrlich wäre der Anblick.
Dennoch würdiget kaum, des Schauspiels müde, nur einer,
Aufzuschlagen die Augen zum leuchtenden Tempel des Himmels.
1040



desine qua propter novitate exterritus ipsa
expuere ex animo rationem, sed magis acri
iudicio perpende, et si tibi vera videntur,
dede manus, aut, si falsum est, accingere contra.
quaerit enim rationem animus, cum summa loci sit
Darum wolle du nicht, von der Neuheit selber erschrecket,
Werfen die Gründe von dir, vielmehr mit geschärfetem Urteil
Prüfen dieselben; und findst du sie wahr, so reiche die Hand mir;
Findest du aber sie falsch, so rüste dagegen zum Kampf dich.
Denn es suchet der denkende Geist, da unendlich der Raum ist
1045



infinita foris haec extra moenia mundi,
quid sit ibi porro, quo prospicere usque velit mens
atque animi iactus liber quo pervolet ipse.
Principio nobis in cunctas undique partis
et latere ex utroque <supra> supterque per omne
Außer den Mauern der Welt, was weiter noch möchte daselbst sein,
Das mit dem Sinn des Gemüts erreichen er könne; wohin er
Einen freieren Wurf des Gedankens zu richten vermöge.
Erstlich, es ist in dem All, wie gesagt, kein Ende der Dinge;
Nirgends, von keiner Seite, nicht unten, noch oben; zur Rechten
1050



nulla est finis; uti docui, res ipsaque per se
vociferatur, et elucet natura profundi.
nullo iam pacto veri simile esse putandumst,
undique cum vorsum spatium vacet infinitum
seminaque innumero numero summaque profunda
Nicht, noch zur Linken: es spricht die Sache sich selbst durch sich laut aus,
Und es leuchtet hervor aus des Unbegrenzten Natur schon.
Unwahrscheinlich daher ist's, dass bei unendlichem Raume,
Bei unzählbarer Zahl der Stoffe, welche die Tiefen
Allenthalben durchschwärmen, von ewiger Rege getrieben,
1055



multimodis volitent aeterno percita motu,
hunc unum terrarum orbem caelumque creatum,
nil agere illa foris tot corpora materiai;
cum praesertim hic sit natura factus et ipsa
sponte sua forte offensando semina rerum
Dass sich nur eine Welt, nur dieser Himmel gebildet,
Jener unendliche Stoff ohn alle Wirkung geblieben.
Und vorzüglich auch noch, da die Welt das Werk der Natur ist;
Selbst sich von ungefähr, aus freien Stücken, der Dinge
Samen gegeneinander auf mancherlei Weise getroffen,
1060



multimodis temere in cassum frustraque coacta
tandem coluerunt ea quae coniecta repente
magnarum rerum fierent exordia semper,
terrai maris et caeli generisque animantum.
quare etiam atque etiam talis fateare necesse est
Sonder Absicht und Zweck, zufällig zusammengedränget;
Endlich in solcher Gestalt sich vereinet haben zur Masse,
Dass sie im plötzlichen Wurfe der Ursprung wurden von großen
Dingen: der Erde, des Meers, des Himmels, der lebenden Wesen.
Dass kein Zweifel demnach zur Überzeugung dir obsteht,
1065



esse alios alibi congressus materiai,
qualis hic est, avido complexu quem tenet aether.
Praeterea cum materies est multa parata,
cum locus est praesto nec res nec causa moratur
ulla, geri debent ni mirum et confieri res.
Dass die Materie nicht an anderen mehreren Orten
Gleiche Verbindungen habe, wie diese Verbindung der Welt ist,
Welche der Aether umfasst mit weit umschließenden Armen.
Wo die Materie nun in ergiebiger Menge vorhanden,
Wo es an Raum nicht gebricht, kein Ding, das hindert, im Weg ist,
Da muss etwas entstehn, da müssen die Wesen sich bilden.
1070



nunc et seminibus si tanta est copia, quantam
enumerare aetas animantum non queat omnis,
quis eadem natura manet, quae semina rerum
conicere in loca quaeque queat simili ratione
atque huc sunt coniecta, necesse est confiteare
Ist nun die Zahl der Stoffe so groß, dass solche zu zählen
Nicht hinreichte das Alter von allen erschaffenen Wesen;
Bleibt fortdauernd dieselbige Kraft, dieselbe Natur da,
Hinzuschleudern an jeglichen Ort die Samen der Dinge,
Auf die nämliche Art, wie sie hierher wurden geworfen:
1075



esse alios aliis terrarum in partibus orbis
et varias hominum gentis et saecla ferarum.
Huc accedit ut in summa res nulla sit una,
unica quae gignatur et unica solaque crescat,
quin aliquoius siet saecli permultaque eodem
Könntest du zweifeln, dass nicht in anderen Gegenden andre
Erden noch sind, ein andres Geschlecht der Tiere, der Menschen ?
Dazu kömmt, dass in weiter Natur kein Wesen zu finden,
Das nur einzig in Art, nur einzig entstehet und aufwächst:
Immer gehört es zu einem Geschlecht, und eben der Art sind
1080



sint genere. in primis animalibus indice mente
invenies sic montivagum genus esse ferarum,
sic hominum geminam prolem, sic denique mutas
squamigerum pecudes et corpora cuncta volantum.
qua propter caelum simili ratione fatendumst
Mehrere da. So ist's vorzüglich bei lebenden Wesen;
Mehrere sind der Arten des bergdurchschweifenden Wildes
Und des Doppelgeschlechts der Menschen, der schuppigen Fische
Stummen Herden, der sämtlichen Schar geflügelter Wesen.
Dieses beweiset uns klar, dass Erd' und Meer und der Himmel,
1085



terramque et solem, lunam mare cetera quae sunt,
non esse unica, sed numero magis innumerali;
quando quidem vitae depactus terminus alte
tam manet haec et tam nativo corpore constant
quam genus omne, quod his generatimst rebus abundans.
Und die Sonne, der Mond und alle die übrigen Dinge
Auf die nämliche Art, nicht einzig, sondern unzählbar
Da sind: ihnen das Ziel so gewiss vom Schicksal gesteckt sei,
Und sie eben sowohl aus sterblicher Masse bereitet
Als ein jedes Geschlecht, so zahlreich solches in Art ist.
1090



Quae bene cognita si teneas, natura videtur
libera continuo, dominis privata superbis,
ipsa sua per se sponte omnia dis agere expers.
nam pro sancta deum tranquilla pectora pace
quae placidum degunt aevom vitamque serenam,
Hast du dieses erkannt, so wird hinfort die Natur dir
Frei erscheinen und fern von der Herrschaft stolzer Gebieter,
Alles bewirkend durch sich, ohn allen göttlichen Einfluss.
Denn bei der Götter heiligem Sinn, die in friedlicher Ruhe
Ungestöret genießen ein ewig heiteres Leben:
1095



quis regere immensi summam, quis habere profundi
indu manu validas potis est moderanter habenas,
quis pariter caelos omnis convertere et omnis
ignibus aetheriis terras suffire feracis,
omnibus inve locis esse omni tempore praesto,
Wer vermöchte dies All, das Unbegrenzte, zu lenken;
Wer mit mächtiger Hand zu halten die leitenden Zügel?
Wer vermöchte zugleich die Himmel alle zu drehen
Und mit ätherischem Feuer zu dünsten die fruchtbaren Erden?
Gegenwärtig zu sein an allen Orten, zu allen
1100



nubibus ut tenebras faciat caelique serena
concutiat sonitu, tum fulmina mittat et aedis
saepe suas disturbet et in deserta recedens
saeviat exercens telum, quod saepe nocentes
praeterit exanimatque indignos inque merentes?
Zeiten? damit er den Tag in Wolken hülle, des Himmels
Auen mit Donner erschüttre; dann Blitze schleudre, die eignen
Tempel damit zu stürzen; darauf voll Grimm in die Wüsten
Ziehend übe noch da das Geschoss, das öfters vorüber
Schuldigen geht, hinschmettert den Unverschuldeten, Biedern?
1105



Multaque post mundi tempus genitale diemque
primigenum maris et terrae solisque coortum
addita corpora sunt extrinsecus, addita circum
semina, quae magnum iaculando contulit omne,
unde mare et terrae possent augescere et unde
Nach der Geburtszeit unserer Welt und nach dem entstandnen
Erstgeborenen Tag des Meeres, der Erde, der Sonne
Kamen von außen hinzu noch viele der Körper, noch viele
Samen von außen herbei, aus dem großen Ganzen geschleudert:
Dass die Erde, das Meer dadurch anwachsen noch könne
1110



appareret spatium caeli domus altaque tecta
tolleret a terris procul et consurgeret aer.
nam sua cuique, locis ex omnibus, omnia plagis
corpora distribuuntur et ad sua saecla recedunt,
umor ad umorem, terreno corpore terra
Und sich erweitern daraus der Raum des himmlischen Hauses,
Höher sich hebe sein Dach, von der Erd' aufsteige der Luftraum.
Denn aus jeglichem Ort wird jedem der eigene Grundstoff
Zugeteilet durch Trieb und wendet zu seiner Natur sich.
Wasser erwächst zum Wasser, durch erdige Stoffe die Erde,
1115



crescit et ignem ignes procudunt aetheraque <aether>,
donique ad extremum crescendi perfica finem
omnia perduxit rerum natura creatrix;
ut fit ubi nihilo iam plus est quod datur intra
vitalis venas quam quod fluit atque recedit.
Feuer schmiedet das Feuer, zum Aether steiget der Aether:
Bis die Vollenderin dann, die schaffende rege Natur, sie
Alle zum letzten Ziel des eigenen Wuchses gebracht hat.
Dieses geschiehet, sobald die schöpfenden Lebensgefäße
Mehr nicht fassen des Stoffs, als ihnen entweichet und abgeht:
1120



omnibus hic aetas debet consistere rebus,
hic natura suis refrenat viribus auctum.
nam quae cumque vides hilaro grandescere adauctu
paulatimque gradus aetatis scandere adultae,
plura sibi adsumunt quam de se corpora mittunt,
Dann erreichen die Dinge die höchste Stufe des Zustands;
Hier beschränkt die Natur durch eigene Kräfte den Anwuchs.
Denn was immer in fröhlichem Wuchs aufschießet und groß wird,
Nach und nach zu den Stufen des reiferen Alters emporklimmt,
Nimmt mehr Stoffe zu sich, als es austreibt: weil die Gefäße
1125



dum facile in venas cibus omnis inditur et dum
non ita sunt late dispessa, ut multa remittant
et plus dispendi faciant quam vescitur aetas.
nam certe fluere atque recedere corpora rebus
multa manus dandum est; sed plura accedere debent,
Leichter die Nahrung empfangen und selbst so weit nicht gedehnt sind,
Viel zu entlassen davon, den Aufwand größer zu machen,
Als der Ertrag einbringt und der Mensch durch die Speise zu sich nimmt:
Denn nur allzu gewiss entdünstet gar vieles den Dingen
Und entweichet davon; doch bis sie den Gipfel des Wachstums
1130



donec alescendi summum tetigere cacumen.
inde minutatim vires et robur adultum
frangit et in partem peiorem liquitur aetas.
quippe etenim quanto est res amplior, augmine adempto,
et quo latior est, in cunctas undique partis
Völlig haben erreicht, muss mehr ansetzen sich ihnen.
Nachher bricht allmählich die Zeit Vermögen und Mannkraft,
Und es schmilzt das Leben dahin zur schlimmeren Hälfte.
Denn je größer ein Ding an Umfang oder an Masse,
Nimmt man den Zuwachs ihm, so werden nur mehrere Teile
1135



plura modo dispargit et a se corpora mittit,
nec facile in venas cibus omnis diditur ei
nec satis est, pro quam largos exaestuat aestus,
unde queat tantum suboriri ac subpeditare.
iure igitur pereunt, cum rarefacta fluendo
Allenthalben von ihm zerstreuet und weiter versendet:
Selbst auch die Nahrung verteilt nicht mehr so ganz und so leicht sich;
Und sie reichet nicht hin, bei solch ausströmender Menge,
Zu des Verlustes Ersatz, durch den die Natur sich erneuet.
Also verzehrt sich ein Ding, indem sich dasselbe durch Abgang
1140



sunt et cum externis succumbunt omnia plagis,
quando quidem grandi cibus aevo denique defit,
nec tuditantia rem cessant extrinsecus ullam
corpora conficere et plagis infesta domare.
Sic igitur magni quoque circum moenia mundi
Mindert, auch alles zuletzt den äußeren Schlägen erlieget:
Denn die Nahrung entgeht mit dem hohen Alter dem Körper;
Niemals lassen auch ab die hämmernden Körper, von außen
Zu zermalmen ein Ding und feindlich es niederzuschlagen.
Also werden, bekämpft von allen Seiten, des Weltbaus
1145



expugnata dabunt labem putris<que> ruinas;
omnia debet enim cibus integrare novando
et fulcire cibus, <cibus> omnia sustentare,
ne quiquam, quoniam nec venae perpetiuntur
quod satis est, neque quantum opus est natura ministrat.
Mächtige Mauern dereinst in Schutt und Ruinen zerfallen.
Alles muss sich allein durch Speise wieder ergänzen,
Wird durch Speise gestützt und unterhalten durch Speise.
Aber umsonst; es nehmen nicht mehr den nötigen Zufluss
Auf die Gefäße; hinlänglichen Dienst versagt die Natur auch.
1150



Iamque adeo fracta est aetas effetaque tellus
vix animalia parva creat, quae cuncta creavit
saecla deditque ferarum ingentia corpora partu.
haud, ut opinor, enim mortalia saecla superne
aurea de caelo demisit funis in arva
Solches erweist die entkräftete Zeit: die erschöpfete Erde
Bringt kaum kleine Tiere hervor; sie, die alle Geschlechter
Sonst erzeugte, die Mutter von Ungeheuern Gestalten.
Denn nicht hat, wie mich dünkt, die Geschlechter lebender Wesen
Niedergelassen ein goldenes Seil vom Himmel zur Erde,
1155



nec mare nec fluctus plangentis saxa crearunt,
sed genuit tellus eadem quae nunc alit ex se.
praeterea nitidas fruges vinetaque laeta
sponte sua primum mortalibus ipsa creavit,
ipsa dedit dulcis fetus et pabula laeta;
Noch das Meer sie erzeugt, noch die klippenschlagenden Wogen,
Sondern die Erde, die jetzt sie ernährt, die hat sie geboren.
Auch hat üppige Saat, auch hat sie den fröhlichen Weinstock,
Selbst, aus eigener Kraft, zuerst dem Menschen gestiftet.
Sie gab liebliche Zucht auf fröhlichen Angern und Weiden,
1160



quae nunc vix nostro grandescunt aucta labore,
conterimusque boves et viris agricolarum,
conficimus ferrum vix arvis suppeditati:
usque adeo parcunt fetus augentque laborem.
iamque caput quassans grandis suspirat arator
Deren Gedeihen wir kaum durch Fleiß und Arbeit erzwingen.
Wir ermatten den Stier, erschöpfen die Kräfte des Landmanns;
Kräfte, die nun kaum mehr den trägen Feldern genug sind:
Also verzehrt sich der Keim, so mehret sich Arbeit und Mühe!
Und schon schüttelt das Haupt der graue Pflüger und seufzet,
1165



crebrius, in cassum magnos cecidisse labores,
et cum tempora temporibus praesentia confert
praeteritis, laudat fortunas saepe parentis.
tristis item vetulae vitis sator atque <vietae>
temporis incusat momen saeclumque fatigat,
Dass ihm die Arbeit so oft hinab ins Eitle gefallen.
Dann vergleicht er die Zeit, die jetzt ist, mit der vergangnen,
Preiset der Väter Glück. Auch klaget der traurige Winzer,
Wann er die vorige Zeit durchschaut, die veraltete Rebe
Und die Götter an, den nicht mehr günstigen Himmel.
1170



et crepat, antiquum genus ut pietate repletum
perfacile angustis tolerarit finibus aevom,
cum minor esset agri multo modus ante viritim;
nec tenet omnia paulatim tabescere et ire
ad capulum spatio aetatis defessa vetusto.
Schilt, wie doch ehemals, wo mehrere Frömmigkeit herrschte,
Auch bei begrenzetem Gut die Menschen gemächlicher lebten,
Als weit weniger Acker und Feld für den einzelnen da war.
Aber er sieht nicht ein, wie alles allmählich sich abzehrt,
Alles zu Grabe geht, von dem langen Alter ermattet.
 
 
 
Sententiae excerptae:
Lat. zu "Lucr"
80
ex nihilo nihil fit
aus nichts entsteht nichts
nach Lucr.1,150

130
Nomen atque omen.
Name und zugleich Vorbedeutung (von einem Mädchen namens Lucris, d.h. "Profit").
Plaut.Pers.625

1547
Qui dormiunt libenter, sine lucro et cum malo quiescunt.
Wer gerne schläft, der ruhet ohne Gewinn zu seinem Schaden.
Plaut.Rud.923

322
Avarus animus nullo satiatur lucro.
Kein noch so großer Gewinn macht einen Geizhals satt.
Publil.Syr.A55

426
Damnum appellandum est cum mala fama lucrum.
Verlust muss heißen ein Gewinn, der Schande macht.
Publil.Syr.D13

617
Lucrum est dolorem posse damno exstinguere.
Ein Schaden ist, wenn er den Schmerz auslöscht, Gewinn. (Verlust ist, löscht er nur den Schmerz aus, ein Gewinn.)
Publil.Syr.L18

605
Lucrum sine damno alterius fieri non potest.
Gewinn ist möglich nur durch anderer Verlust.
Publil.Syr.L6

1177
Quisquis dixit "vixi", cotidie ad lucrum surgit.
Wer sagen kann: "Ich habe gelebt", steht täglich zum Gewinn auf.
Sen.epist.12,9

1381
Avarus animus nullo satiatur lucro.
Die Habgier wird durch keinen Gewinn satt.
Sen.epist.94,43

1077
Praevalet in manibus sexcentis una volucris.
Besser ein Spatz (Vogel) in der Hand als sechshundert (auf dem Dach).
vulgo


Literatur:
zu "Lukr"
3348
Albrecht, M. v.
Lukrez in der europäischen Tradition
in: Gymn.110/2003, S.333-361
booklooker
zvab

1264
Barié, P.
Poesie als Medium der Wahrheit...zum Selbstverständnis d..Lukrez
in: AU XXXIII 6/1990,20
booklooker
zvab

3425
Buchheit, Vinzenz
Novos decerpere flores. Geistiges Schöpfertum bei Lukrez und Vergil
in: Herm. 132/2004, 426
booklooker
zvab

2190
Büchner, K.
Epikur bei Menander. Die Atticus-Vita des Cornelius Nepos
in: Stud.I: Lukrez, Wiesbaden 1964
booklooker
zvab

1732
Fauth, W.
Divus Epicurus: Zur Problemgeschichte philosophischer Religiosität bei Lukrez
in: ANRW I.4 (1974) 205-225
booklooker
zvab

3528
Grimm, Jürgen
Die literarische Darstellung der Pest in der Antike und in der Romania
München 1965 (Freibuger Schriften zur romanischen Philologie 6)
booklooker
zvab

4596
Hross, K.
Unsterblichkeit der Seele, Lukr.3 – Cic. Tusc.1
in: Anr. 13/1967, 389
booklooker
zvab

3169
Klingner, Friedrich
Römische Geisteswelt
München, Ellermann, 5/1965
booklooker
zvab

3170
Klingner, Friedrich
Studien zur griechischen und römischen Literatur. Herausgegeben von Klaus Bartels, mit einem Nachwort von Ernst Zinn.
Zürich, Stuttgart (Artemis) 1964
booklooker
zvab

4589
Long, A.A. / Sedley, D.N.
Die hellenistischen Philosophen, Texte und Kommentare (nur deutsch), übers. v. Karlheinz Hülser
Stuttgart, Weimar (J.B.Metzler) 2000 (Cambridge 1987)
booklooker
zvab

3641
O'Hara, James J.
Inconsistency in Roman Epic. Studies in Catullus, Lucretius, Vergil, Ovid and Lucan
Cambridge Univ. Press, 2007
booklooker
zvab

3832
Pigeaud, J.
Medizin in der Lehrdichtung des Lukrez und des Vergils
in: Binder: Saec.Aug.II, Darmstadt 1988
booklooker
zvab

2292
Regenbogen, Otto
Lukrez. Seine Gestalt in seinem Gedicht. I: Fragestellung, Zeithintergrund, Interpretationsaufgabe, Proömien, ... innere Form, Grundantinomie
in: Kleine Schriften, München (Beck) 1961, S. 296-386
booklooker
zvab

3846
Schetter, W.
Römische Lehrgedicht.
in: Fuhrmann: HB Litwft.III, Ffm 1974
booklooker
zvab

3532
Schröder, H.
Lukrez und Thucydides
Straßburg 1898
booklooker
zvab

3530
Stettler, A.
Lepra und Pest in der Antike
in: Antike Welt 9/1978,1,47
booklooker
zvab

2962
Wegner, Norbert (Hg.)
Römische Dichtung : Auswahl aus Lukrez, Catullus, Vergilius, Horatius [Horaz], Tibullus, Propertius [Properz], Ovidius. Text und Anmerkungen.
Stuttgart : Klett, (Litterae Latinae ; 3.) 1984
booklooker
zvab


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