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Cicero schildert, wie er Sizilien
bei seinen Ermittlungen fünf Jahre nach seiner Quästur in
Lilybäum vorfand.
non mehercule augendi criminis
causa, iudices, dicam, sed, quem ipse accepi oculis animoque sensum,
hunc vere apud vos et, ut potero, planissime exponam.
[32] itaque primum illum actum istius vitae turpissimum et
flagitiosissimum praetermittam. nihil a me de pueritiae suae
flagitiis audiet, nihil ex illa impura adulescentia sua; quae
qualis fuerit aut meministis, aut ex eo quem sui simillimum
produxit recognoscere potestis. omnia praeteribo quae mihi turpia
dictu videbuntur, neque solum quid istum audire, verum etiam
quid me deceat dicere considerabo. vos, quaeso, date hoc et
concedite pudori meo ut aliquam partem de istius impudentia
reticere possim. [33] omne illud tempus quod fuit antequam iste
ad magistratus remque publicam accessit, habeat per me solutum
ac liberum. sileatur de nocturnis eius bacchationibus ac vigiliis;
lenonum, aleatorum, perductorum nulla mentio fiat; damna, dedecora,
quae res patris eius, aetas ipsius pertulit, praetereantur;
lucretur indicia veteris infamiae; patiatur eius vita reliqua
me hanc tantam iacturam criminum facere.
Interpretationsaspekte:
Mit welchem Deutungsansatz werden wir diesem Text am ehesten gerecht?
Es fällt zunächst auf (war es Clara oder Bettina?),
dass auch hier die Ermittlung vor Ort eine durchgängige und
zentrale Hervorhebung erfährt. Die Gründe
dafür sind dieselben, die Cicero noch 16 Jahre später
in seiner Verteidigung für Scaurus (Cic.
Scaur. 24 - 26) angibt. Hier leitet er den Textabschnitt
nicht nur mit der ausdrücklichen Erklärung ein (Autopsie
im Dienste der Wahrheit [vere, 1] und Klarheit [ut potero planissime,
2]), sondern unterläßt auch im folgenden keine Gelegenheit,
um durch die Wahl der sprachlichen Mittel diesen Eindruck zu unterstützen.
Wortwahl: besonders venissem (3); visa est (3); vidissem (4);
videbam (5); videretur (5); species (8); vidisses (8).
anschaulicher Vergleich: sic... - ut terrae.., in quibus bellum...
Personifikation Siziliens
im Dienste der emotionalen Betroffenheit des Beobachters: ut
ager ipse cultorem desiderare ac lugere dominum videretur (5).
Häufung von Beobachtungen, denen sich in auffälliger
Parallelität (komparativisches und konsekutives "ut")
subjektive Beurteilungen des Beobachters anschließen.
Es wäre irrig anzunehmen, dass das hohe Maß an Subjektivität
und Emotionalität den Beweiswert der Aussagen mindere.
Es fördert im Gegenteil ihre Plastizität und Authentizität
und somit ihre Überzeugungskraft:
- sic mihi adfecta visa est, ut eae terrae solent (3)
- hos ita vastatos nunc ac desertos videbam, ut ager ipse ...
videretur. (4f)
- ita relictus erat ex maxima parte, ut ... quaereremus. (5f)
- sic erat deformis atque horridus, ut ... quaereremus
Statt eines summarischen Sammelbegriffs gehäufte
Nennung von Orten , die Cicero im einzelnen aufgesucht hat
(man erkennt als Zentrum der Reise die früher landwirtschaftlich
ergiebigsten "agri" et "campi"). Auch dieses
Mittel wird er primär nicht "augendi criminis causa"
(1) einsetzen, sondern um den Richtern ein plastisches Bild
ganz konkreter Orte, deren Wohlstand die meisten vom Augenschein
her kannten (Scaur. 25: campus ille nobilissimus ac feracissimus
...Leontinus), in Erinnerung zu rufen. Wie muss den Richtern
zu Mute werden, wenn sie erfahren, wie falsch ihr Erinnerungsbild
ist: Wohlstand einst, jetzt nichts als Elend! Herbita, Henna,
Morgentia, Assoros, Imachara, Agyrion; Aetna, Leontinoi!
Damit sind wir bei einem zweiten Punkt, der den Text bestimmt:
die durchgängige Antithese von einst und jetzt.
sic erat deformis
atque horridus, ut in uberrima Siciliae parte Siciliam quaereremus
campus Leontinus, cuius antea
species haec erat, ut...annonae caritatem non vererere
In den Dienst der Antithese treten andere stilistische Mittel,
wie etwa der kunstvoll verschachtelte Chiasmus,
mit der auffälligen Kopfstellung der Prädikate (Parallelismus)
im Relativsatz: "solebat" soll betonen: so war es einst,
jetzt ist es nicht mehr so!
.
Aetnensis
vero ager, qui
solebat esse cultissimus
et
.
.
a
( a : b) :
B =
B :
A ( b : a)
.
.
quod
caput est rei frumentariae, campusLeontinus,
.
Die Antithese gipfelt in der emphatischen Zuspitzung "in
uberrima Siciliae parte Siciliam quaerere": Sizilien
ist nicht mehr Sizilien;
es ist gleichsam ein von einem bitteren und langwierigen Krieg
verwüstetes Land (ut eae terrae solent, in quibus bellum
acerbum diuturnumque versatum est, 3f).
Mit diesem Ergebnis unserer Interpretation hätten wir uns
zufrieden gegeben, wenn nicht Florian den Deutungsansatz gefunden
hätte, der uns noch ein Stück weiter führte, weil
er alle bisherigen Beobachtungen übergreift und zusammenfasst:
"Wie Cicero in unserem vorigen Text (Cic.
Scaur. 24-26) die Absicht verfolgte, den Ankläger Triarius
durch Kontrastierung seiner eigenen Ermittlungsarbeit in Sizilien
in ein schlechtes Licht zu setzen und seine Anklagepunkte so
zu entwerten, verfolgt er auch hier eine klare Redestrategie."
"Natürlich jede Rede intendiert eine psychagogische
oder, wie es in unserer Ausgabe heißt, manipulatorische
Wirkung. Und welche wäre es hier, Florian?"
"Dieses Mal wird der Angeklagte, also Verres, in ein
schlechtes Licht gesetzt"
"In welchem Licht zeichnet Cicero den Angeklagten?"
"Am deutlichsten in dem Bild vom "bellum acerbum
diuturnumque". Er ist kein "Dieb" oder "Räuber",
der er wirklich war, sondern er wütet wie ein feindliches
Heer, das nichts außer verbrannter Erde und Menschenleere
hinter sich zurückläßt. Sizilien
selbst muss nach einem rufen, der es bebaut. Wer sollte es auch
sonst tun? Die früheren "domini" leben nicht
mehr. Sizilien
trauert um sie."
"Steht dieses Verständnis nicht in direktem Widerspruch
zu dem Einleitungssatz? Cicero sagt doch ausdrücklich,
dass er das folgende 'non... augendi criminis causa' ausführe.Ihre
Deutung postuliert aber ein "criminis causa!"
"Welches andere Ziel sollte er denn in einer Anklagerede
verfolgen? Man muss ja seine Absichten nicht immer offen zur
Schau tragen. Das wäre taktisch unklug. Und zu einer klugen
Strategie gehört auch eine kluge Taktik."
"Dann war also falsch, wenn wir vorhin sagten, Cicero
sei es nur darauf angekommen, den Richtern ein möglichst
plastisches Bild zu vermitteln? Wir wären Cicero, der seine
Strategie kaschieren wollte, auf den Leim gegangen?"
"Sicher nicht! Wir haben wohl nur das vordergründige
Ziel (oder besser das Mittel) für das endgültige Ziel
gehalten."
Wenn wir Sie recht verstehen, sollten wir also für heute
festhalten: Cicero verfolgt die Strategie, die Gegenseite abzuwerten.
Dabei bedient er sich der psychagogischen Methode, die positiv
besetzten Erinnerungsbilder der Richter, (wie sie sich z.B.
in den hellen Vokalen von "collis nitidissimos viridissimosque
vidissem" manifestieren) durch Bilder des jetzigen Elends
(hos ita vastatos nunc ac desertos videbam) zu ersetzen und
die Wut, die bei ihnen darüber aufkommt, auf den Sündenbock
Verres abzulenken."
"Ja, so scheint es mir irgendwie zu verstehen zu sein."
(Es klingelt)