top 

Marcus Tullius Cicero

De oratore

LIBER II - deutsch

 

 
vorherige Seite folgende Seite
Übersetzung nach: R.Kühner
 
Zur Zeit unseres Knabenalters, mein Bruder Quintus, herrschte, wenn du dich erinnerst, die Ansicht, Gaius Crassus habe sich nicht mehr gelehrte Bildung angeeignet, als er in jenem ersten Jugendunterricht erlernen konnte, Marcus Antonius aber sei überhaupt in aller Gelehrsamkeit unerfahren und unkundig gewesen; und viele, obwohl sie diese Ansicht nicht teilten, waren doch geneigt, das Erwähnte an jenen Rednern zu rühmen, um uns, die wir von Liebe zur Beredsamkeit brannten, desto leichter von der Gelehrsamkeit abzuschrecken. Denn wenn Männer auch ohne gelehrte Bildung die höchste Staatsklugheit und eine außerordentlich große Beredsamkeit erreicht -hätten, so folge daraus, dass unsere ganze Anstrengung eitel und die Bemühung unseres braven und einsichtsvollen Vaters für unsere gelehrte Bildung töricht erscheinen müsse.
Diese Ansichten pflegten wir damals als Knaben durch Zeugnisse aus unserer eigenen Familie zu widerlegen, indem wir uns auf unseren Vater, auf Gaius Aculeo, unseren Verwandten, und auf Lucius Cicero, unseren Oheim, beriefen. Denn von Crassus hatten uns oft unser Vater und Aculeo, mit welchem unsere Base verheiratet war und welchen Crassus unter allen am meisten achtete, vieles erzählt, sowie unser Oheim, der mit Antonius nach Kilikien gegangen und zugleich mit ihm wieder zurückgekehrt war, von dessen wissenschaftlichem Eifer und Gelehrsamkeit. Und da wir von unseren Vettern, den Söhnen des Aculeo, die von Crassus vorgeschlagenen Lehrgegenstände lernten und von den Lehrern, die dieser selbst benutzte, unterrichtet wurden, so konnten wir auch oft, wenn wir in seinem Haus waren, einsehen, was wir selbst als Knaben beurteilen konnten, dass er griechisch mit solcher Gewandtheit sprach, als ob er keine andere Sprache kenne, und dass er unseren Lehrern solche Fragen vorlegte und solche Gegenstände selbst in seiner ganzen Unterredung behandelte, dass ihm nichts neu, nichts unbekannt zu sein schien.
Von Antonius aber hatte uns zwar oft unser so liebevoller Oheim erzählt, wie eifrig er sich zu Athen und Rhodos den Unterredungen der gelehrtesten Männer gewidmet habe; gleichwohl richtete auch ich, als junger Mensch, soweit es die Schüchternheit meines jugendlichen Alters zuließ, oft manche Fragen an ihn. Es wird dir in der Tat das, was ich schreibe, nicht neu sein; denn schon damals sagte ich dir, dass mir dieser Mann nach den vielen und mannigfaltigen Unterhaltungen mit ihm in keiner Sache, die wenigstens in dem Bereich der Wissenschaften, über welche mir ein Urteil zustehe, liege, unerfahren und unwissend erschienen sei.
Aber es lag in dem Wesen beider Männer etwas Eigentümliches: Crassus wollte sich das Ansehen geben, nicht nur als habe er keine gelehrten Studien gemacht, sondern dass er sie sogar verachte und die Einsicht unserer Landsleute in jeder Beziehung der der Griechen vorziehe; Antonius aber meinte, seine Rede würde sich bei einem Volk, wie das unsrige ist, eines größeren Beifalles zu erfreuen haben, wenn man von ihm die Ansicht habe, dass er überhaupt nie gelehrte Studien gemacht habe. Und so meinten beide, sie würden mehr Gewicht haben, der eine, wenn er die Griechen zu verachten, der andere, wenn er sie nicht einmal zu kennen schiene.
Doch was sie für eine Absicht hierbei gehabt haben mögen, das zu beurteilen eignet sich nicht eben für diese Zeit; wohl aber ist es der Aufgabe dieser unternommenen Schrift und dieser Zeit angemessen, darzulegen, dass nie jemand ohne die wissenschaftliche Erlernung der Redekunst, ja sogar ohne die Kenntnis der gesamten Philosophie in der Beredsamkeit hat glänzen und hervorragen können. Was die anderen Wissenschaften betrifft, so besteht fast jede für sich; die Wohlredenheit aber, d. h. die Kunst, mit Sachkenntnis Geschicklichkeit und Schmuck zu reden, hat nicht ein abgeschlossenes Gebiet, durch dessen Grenzen sie umschlossen gehalten wird. Über alles, was auch immer bei den Menschen Gegenstand der Erörterung werden kann, muss derjenige gut reden, welcher sich für einen geschickten Redner ausgibt, oder er muss auf den Namen eines Redners verzichten.
Daher will ich freilich nicht in Abrede stellen, dass es sowohl in unserem Staat als auch in Griechenland selbst, das diese Wissenschaften von jeher vorzüglich in Ehren gehalten hat, viele geistreiche und im Reden ausgezeichnete Männer auch ohne die höchste Bildung in allen Zweigen der Wissenschaft gegeben hat; das aber muss ich behaupten: Eine solche Beredsamkeit, wie sie Crassus und Antonius besaßen, konnte sich ohne die Kenntnis aller der Dinge, welche zu einer so tiefen Einsicht und einer so großen Redefülle, wie sie jene Männer besaßen, erforderlich sind, nicht entwickeln.
Um so geneigter fühle ich mich daher, die Unterredung, die sie einst unter sich über diese Gegenstände geführt haben, schriftlich aufzuzeichnen, teils um jenes Vorurteil zu entfernen, das von jeher geherrscht hat, als wäre der eine nicht sehr gelehrt, der andere ganz ungelehrt gewesen, teils um die nach meiner Ansicht höchst ausgezeichneten Vorträge der größten Redner über die Beredsamkeit durch die Schrift aufzubewahren, wenn ich sie irgendwie zu begreifen und zusammenzufassen imstande wäre, teils fürwahr auch um den schon fast alternden Ruf dieser Männer, soviel in meinen Kräften steht, der Vergessenheit der Menschen und dem Stillschweigen zu entreißen.
Denn könnte man sie aus ihren eigenen Schriften kennenlernen, so würde ich vielleicht meine Bemühung für minder nötig erachtet haben; aber da der eine nicht viel, was wenigstens noch vorhanden ist, und auch dies aus seinem Jünglingsalter, der andere fast nichts Schriftliches hinterlassen hat, so glaubte ich es dem großen Geist dieser Männer schuldig zu sein, das Andenken an sie, das wir jetzt noch lebendig in uns tragen, unsterblich zu machen, wenn ich es vermöchte.
Und mit um so größerer Hoffnung, meine Behauptungen zu beweisen, schreite ich an das unternommene Werk, weil ich nicht von der Beredsamkeit eines Servius Galba oder eines Gaius Carbo etwas niederschreibe, wobei es mir gestattet wäre, nach Belieben Erdichtetes vorzutragen, da mich nicht mehr die Erinnerung eines Menschen widerlegen könnte; sondern ich veröffentliche diese Schrift, damit sie von denen geprüft werde, welche die Männer selbst, von denen ich rede, oft gehört haben. Und so empfehle ich die beiden großen Männer denen, welche keinen von beiden gesehen haben, indem ich mich auf das Gedächtnis der noch lebenden und gegenwärtigen Männer, die jene beiden Redner persönlich kannten, wie auf ein bestätigendes Zeugnis berufe.
Doch will ich dich jetzt nicht, teuerster und bester Bruder, zu deiner Belehrung mit gewissen rhetorischen Schriften, die du für abgeschmackt hältst, belästigen; denn wie kann ein rednerischer Vortrag an Feinheit oder Schmuck den deinigen übertreffen; aber entweder aus Grundsatz, wie du zu sagen pflegst, oder, wie jener Vater der Beredsamkeit, Isokrates, von sich selbst geschrieben hat, aus einer gewissen edlen Schüchternheit und Ängstlichkeit hast du dich gescheut, öffentlich als Redner aufzutreten, oder auch, wie du selbst im Scherz zu sagen pflegst, weil du meintest, ein Redekünstler sei genug nicht nur in einer Familie, sondern fast in einem ganzen Staat. Nicht jedoch, glaube ich, wirst du diese Bücher zu denjenigen Schriften über die Redekunst zählen, welche man wegen der Dürftigkeit ihrer Verfasser in den edlen Wissenschaften mit Recht verspotten darf.
Denn in der Unterredung des Crassus und Antonius ist nach meiner Ansicht wenigstens nichts übergangen, wovon man annehmen könnte, dass es bei den vortrefflichen Geisteskräften, bei feuriger Lernbegierde, bei dem besten Unterricht und der größten Übung habe erkannt und erlernt werden können, und dies wirst du am leichtesten beurteilen können, der du die wissenschaftliche Kenntnis der Beredsamkeit durch dich selbst, ihre Anwendung aber durch mich erlernen wolltest. Doch damit ich die nicht unwichtige Aufgabe, die ich mir gestellt habe, um so schneller zustande bringe, lass mich mit Übergehung meiner Aufmunterung zu der Unterredung und Untersuchung der beiden Redner, die ich aufgestellt habe, kommen.
Am folgenden Tag also nach der ersten Unterredung etwa um sieben Uhr morgens, als Crassus noch im Bett lag und Sulpicius bei ihm saß, Antonius aber mit Cotta in der Säulenhalle auf und ab ging, kam plötzlich der alte Quintus Catulus mit seinem Bruder Gaius Iulius. Sobald Crassus dies hörte, stand er bewegt auf, und alle verwunderten sich und vermuteten, irgendein wichtiger Grund habe ihre Ankunft veranlasst.
Als sie sich, wie es ihre Bekanntschaft mit sich brachte, auf das freundschaftlichste begrüßt hatten, sagte Crassus: "Wie in aller Welt kommt ihr hierher? Bringt ihr etwas Neues?" "Nichts eben", erwiderte Catulus, "du weißt ja, es ist die Zeit der Spiele; aber – magst du es nun für eine Unschicklichkeit unsererseits oder für Zudringlichkeit halten – als gestern Abend Caesar von seinem Tusculanum zu mir auf mein Tusculanum kam, sagte er mir, er habe auf dem Weg von hier den Scaevola getroffen und von ihm wunderbare Dinge gehört; du nämlich, den ich trotz aller möglichen Versuche nie zu einem wissenschaftlichen Gespräch hätte bringen können, habest dich mit Antonius in eine ausführliche Erörterung über die Beredsamkeit eingelassen und wie in einer Schule beinahe nach Art der Griechen einen gelehrten Vortrag gehalten.
So ließ ich mich von meinem Bruder erbitten, mit ihm hierher zu kommen; denn ich selbst empfand eine nicht geringe Lust, euch zu hören, und war in der Tat nur besorgt, wir möchten euch durch unsere Dazwischenkunft lästig fallen." Scaevola nämlich, versicherte er, habe gesagt, ein guter Teil des Gespräches sei auf den heutigen Tag verschoben. "Glaubst du nun, wir hätten hierin zu leidenschaftlich gehandelt, so miss dem Caesar die Schuld bei; findest du aber darin eine zu große Vertraulichkeit, so halte uns beide für schuldig. Uns wenigstens, wenn wir nicht etwa euch durch unsere Dazwischenkunft lästig fallen, macht es Freude, gekommen zu sein."
Hierauf erwiderte Crassus: "Was nun auch für ein Grund euch hierher geführt haben mag, ich würde mich in der Tat freuen, so teure und befreundete Männer bei mir zu sehen; aber doch – ich will die Wahrheit gestehen – hätte ich jede andere Veranlassung lieber gewünscht als die von dir angeführte. Denn um zu reden, wie ich denke: Nie habe ich mir weniger gefallen als am gestrigen Tag; weit mehr aber habe ich dies durch Nachgiebigkeit als durch irgend etwas anderes verschuldet. Denn während ich mich den jungen Männern willfährig zeigte, vergaß ich mein Alter und tat etwas, was ich nicht einmal in meiner Jugend getan hatte, indem ich über Gegenstände einen Vortrag hielt, die auf einer gewissen Gelehrsamkeit beruhen. Aber das trifft sich doch sehr günstig für mich, dass ihr, nachdem ich meine Rolle schon ausgespielt habe, gekommen seid, um den Antonius zu hören."
Hierauf entgegnete Caesar: "Sosehr ich auch wünschte, dich, lieber Crassus, in einem längeren und zusammenhängenden Vortrag zu hören, so will ich mich doch, wenn mir dieses Glück nicht zuteil werden soll, auch mit deiner gewöhnlichen Unterhaltung begnügen. Und so will ich wenigstens mein Glück versuchen, ob ich es nicht bei dir erreichen kann, dass mein Freund Sulpicius oder Cotta nicht mehr als ich bei dir zu gelten scheinen, und dich in der Tat dringend bitten, auch mir und dem Catulus einigen Anteil an deiner Anmut zu gönnen. Sollte dir aber dies nicht genehm sein, so will ich nicht in dich dringen und nicht verschulden, dass du, während du befürchtest, du möchtest etwas Unschickliches tun, von mir solches denken müsstest."
Hierauf erwiderte jener: "Ich bin immer der Ansicht gewesen, dass unter allen lateinischen Worten dieses die umfassendste Bedeutung hat. Denn wenn wir von einem sagen, er handle unschicklich, so scheint dieser Ausdruck seinen Ursprung daher zu leiten, dass er sich nicht zu schicken wisse, und dies hat in unserem Sprachgebrauch einen weiten Umfang. Denn wer, was die Zeit fordert, nicht sieht oder wer zuviel redet oder von sich viel Aufhebens macht oder auf die Würde und den Vorteil derer, mit denen er verkehrt, keine Rücksicht nimmt oder endlich in irgendeiner Beziehung den Anstand verletzt oder aufdringlich ist, von dem sagt man, er handele unschicklich.
Das ist ein Fehler, mit dem die sonst so gebildete Nation der Griechen in vollem Maß behaftet ist. Daher haben die Griechen, weil sie das Wesen dieses Übels nicht kennen, auch diesem Fehler keinen Namen gegeben. Denn mag man auch alles durchsuchen, so wird man kein Wort finden, mit dem die Griechen den unschicklich Handelnden bezeichneten. Unter allen Unschicklichkeiten aber, deren es unzählige gibt, dürfte vielleicht keine größer sein, als wenn man, wie jene zu tun pflegen, an jedem Ort und unter allen Menschen, wo es auch immer belieben mag, über Gegenstände, die entweder sehr schwierig oder nicht nötig sind, einen spitzfindigen Vortrag hält. Und dies zu tun, sowenig es auch meiner Neigung zusagte und sosehr ich mich auch weigerte, haben mich gestern diese jungen Männer genötigt."
Hierauf sagte Catulus: "Auch die Griechen, mein Crassus, die in ihren Staaten berühmt und groß waren, so wie du es bist und wir alle in unserem Staat zu sein wünschen, waren den jetzigen Griechen, die sich unseren Ohren aufdringen, nicht ähnlich, und doch verschmähten sie in Mußestunden solche Gespräche und gelehrte Vorträge nicht.
20. Und wenn dir diejenigen, welche auf Zeit, auf Ort und Personen keine Rücksicht nehmen, unschicklich zu handeln scheinen, wie sie es auch müssen – meinst du denn, dieser Ort sei nicht passend, wo schon diese Säulenhalle, in der wir umherwandeln, und die Ringschule und die Sitzplätze an so vielen Orten gewissermaßen die Erinnerung an die Gymnasien und die gelehrten Vorträge der Griechen hervorrufen? Oder die Zeit sei nicht gelegen bei so vieler Muße, die sich uns selten darbietet und jetzt sich so ganz nach Wunsch dargeboten hat? Oder die Menschen seien einem derartigen Vortrag abhold, da wir doch alle die Überzeugung hegen, dass ein Leben ohne diese wissenschaftlichen Beschäftigungen gar keinen Wert habe?"
"Dieses alles", erwiderte Crassus, "deute ich auf eine andere Weise. Zuerst nämlich, glaube ich, die Ringschule und die Sitze und die Säulenhallen haben auch die Griechen selbst, mein Catulus, zur Übung und Ergötzlichkeit, nicht zur Untersuchung erfunden. Denn viele Jahrhunderte früher wurden die Gymnasien gegründet, ehe die Philosophen in ihnen zu schwatzen anfingen, und selbst in der Gegenwart, wo die Philosophen alle Gymnasien besetzt halten, wollen doch ihre Zuhörer lieber die Wurfscheibe hören als den Philosophen; denn sobald dieser sich hören lässt, verlassen sie alle, um sich zu salben, den Philosophen wenn er mitten in seinem Vortrag über die erhabensten und wichtigsten Gegenstände begriffen ist. So ziehen sie das geringfügigste Vergnügen einer Unterhaltung vor, deren hohen Nutzen sie selbst rühmen. Wenn du aber sagst, wir hätten Muße, so stimme ich dir bei; aber der Genuss der Muße besteht nicht in einer Anstrengung der Seele, sondern in ihrer Abspannung.
Oft habe ich meinen Schwiegervater erzählen hören, sein Schwiegervater Laelius habe sich fast immer in Gesellschaft des Scipio auf dem Land aufgehalten, und sie seien dann ganz und gar wieder Kinder geworden, wenn sie der Stadt, wie einem Kerker, entflogen seien. Kaum wage ich es von solchen Männern zu behaupten, aber doch pflegte es Scaevola zu erzählen: Muscheln und Meerschnecken hätten sie bei Caieta und bei Laurentum aufgelesen und sich auf allerlei Gemütserholungen und Spiele eingelassen.
Es geht uns ja wie den Vögeln: Wie wir diese für ihre Brut und für ihr eigenes Bedürfnis Nester bauen und einrichten, sobald sie aber etwas zustande gebracht haben, zur Erleichterung ihrer Arbeit ihrer Beschäftigung entbunden, nach allen Seiten hin frei umherfliegen sehen, so frohlocken auch unsere Gemüter, wenn sie sich von den gerichtlichen Geschäften und städtischen Arbeiten ermüdet fühlen und wünschen, frei von Sorge und Mühe umherzufliegen.
Und so habe ich das, was ich bei dem Rechtsstreit des Curius dem Scaevola sagte, nicht anders gesagt, als ich dachte. ‘Denn’, sagte ich, ‘Scaevola, wenn kein Testament richtig gemacht ist, als das du abgefasst hast, so werden wir Bürger alle zu dir mit unseren Tafeln kommen, und aller Testamente wirst du allein abfassen. Wie nun?’ fuhr ich fort. ‘Wann willst du ein Geschäft für den Staat, wann für deine Freunde, wann für dich besorgen? Wann endlich willst du nichts tun? Denn’, fügte ich hinzu, ‘mir scheint der nicht frei zu sein, der nicht zuweilen nichts tut.’ Und bei dieser Ansicht, mein Catulus, verbleibe ich, und nachdem ich hierhergekommen bin, erfreut mich gerade dieses Nichtstun und das völlige Müßigsein.
Was du aber drittens hinzugefügt hast, ihr hättet die Überzeugung, ein Leben ohne diese gelehrten Beschäftigungen sei unerquicklich, das muntert mich zu einem Vortrag nicht auf, nein, es schreckt mich davon ab. Denn so wie Gaius Lucilius, ein gelehrter und sehr fein gebildeter Mann, zu sagen pflegte, er wünsche sich für seine Schriften weder ganz ungelehrte noch sehr gelehrte Leser, weil die ersteren nichts verständen, die letzteren vielleicht mehr als er selbst – und in diesem Sinn sagte er: ‘Dass mich Persius lese, daran liegt mir nichts’, dieser war nämlich, wie wir erfuhren, fast unter allen unseren Landsleuten der gelehrteste; ‘dass aber Decimus Laelius, das wünsche ich’, ihn kennen wir als einen braven und wissenschaftlich nicht ungebildeten Mann, der aber mit dem Persius nicht zu vergleichen war –, ebenso wünschte auch ich, wenn ich nun einen Vortrag über unsere Studien halten sollte, allerdings nicht vor Ungebildeten, aber noch weit weniger vor euch zu reden. Denn es ist mir lieber, wenn meine Rede nicht verstanden, als wenn sie getadelt wird."
Hierauf sagte Caesar: "Ich meinerseits, Catulus, glaube schon, meine Mühe gut angewandt zu haben, dass ich hierhergekommen bin; denn selbst diese Ablehnung des Vortrages war mir wenigstens ein sehr angenehmer Vortrag. Aber warum halten wir den Antonius ab, welchem, wie ich höre, es obliegt, sich über die ganze Beredsamkeit auszusprechen und auf welchen Cotta und Sulpicius schon lange warten?"
"O nein", sagte Crassus, "ich werde den Antonius kein Wort reden lassen und werde selbst verstummen, wofern ihr mir nicht zuvor eine Bitte gewährt." "Und diese wäre?" fragte Catulus. "Dass ihr heute hier bleibt." Hierauf, als er noch unschlüssig war, weil er sich schon bei seinem Bruder versagt hatte, sagte Iulius: "Ich antworte für uns beide: Das wollen wir tun, und zwar unter dieser Bedingung würdest du mich halten, gesetzt auch, du wolltest kein Wort mehr reden."
Da lächelte Catulus und sagte zugleich: "Die Bedenklichkeit ist mir wenigstens abgeschnitten; denn einerseits habe ich zu Hause keine Befehle erteilt, andererseits hat der, bei dem ich bleiben wollte, ohne meine Ansicht anzuhören, so leicht zugesagt." Da waren aller Augen auf Antonius gerichtet, und er ließ sich also vernehmen: "Hört denn, hört! Einen Mann sollt ihr hören aus der Schule, der von einem Lehrmeister gebildet und in der griechischen Literatur unterrichtet ist. Und zwar werde ich mit um so größerem Selbstvertrauen reden, weil Catulus als Zuhörer hinzugekommen ist, dem nicht allein wir in der lateinischen Sprache, sondern auch die Griechen selbst in der ihrigen Feinheit und Zierlichkeit des Ausdrucks zuzugestehen pflegen.
Aber dennoch, weil nun einmal diese ganze Sache, was sie auch sein mag, gleichviel, ob eine Wissenschaft oder kunstmäßige Fertigkeit der Rede, gar nicht bestehen kann, wenn nicht eine dreiste Stirn hinzutritt, so will ich euch, meine Schüler, lehren, was ich selbst nicht gelernt habe, und euch meine Ansicht über die Beredsamkeit im allgemeinen vorlegen."
Man lächelte bei diesen Worten, er aber fuhr also fort: "Ich sehe sie als eine Sache an, die, als Geschicklichkeit betrachtet, ausgezeichnet, als Kunst, unbedeutend ist. Denn die Wissenschaft gehört nur den Dingen an, welche gewusst werden; des Redners ganze Tätigkeit aber beruht auf Meinungen und nicht auf Wissen. Denn wir reden vor Leuten, die unwissend sind, und reden über Gegenstände, von denen wir selbst nichts wissen. So wie nun jene über dieselben Gegenstände bald so, bald anders denken und urteilen, so verteidigen wir oft entgegengesetzte Rechtshändel. So kommt es, dass nicht nur Crassus zuweilen gegen mich redet oder ich gegen Crassus, obwohl einer von beiden notwendig die Unwahrheit sagen muss, sondern auch wir beide über denselben Gegenstand zu verschiedenen Zeiten verschiedene Ansichten verfechten, obwohl es nur eine Wahrheit geben kann. Wie von einem Gegenstand also, der sich auf Unwahrheit gründet, der sich nicht oft bis zum Wissen erhebt, der nach den Meinungen der Menschen und oft nach ihren Irrtümern hascht, so werde ich von der Beredsamkeit reden, wenn ihr Grund zu haben glaubt, mich anzuhören."
"Ei freilich", sagte Catulus, "und zwar recht sehr glauben wir, Grund zu haben, und um so mehr, weil du, wie ich glaube, alle Prahlsucht vermeiden wirst. Denn du hast ohne Ruhmredigkeit mehr mit dem begonnen, was nach deiner Ansicht der eigentliche Sachbestand ist, als mit einer Gott weiß wie erhabenen Würde."
"So wie ich nun von der Beredsamkeit im allgemeinen zugestanden habe", fuhr Antonius fort, "dass sie keine sehr bedeutende Wissenschaft sei, so behaupte ich, dass sich sehr scharfsinnige Vorschriften darüber geben lassen, wie man die Gemüter der Menschen behandeln und ihre Zuneigung erhaschen müsse. Will man die Kenntnis hiervon für eine große Wissenschaft erklären, so habe ich nichts dagegen. Denn da gar viele ohne Plan und Überlegung in Rechtsklagen auf dem Forum als Redner auftreten, einige dagegen wegen der Übung oder einer gewissen Gewohnheit dies mit größerer Geschicklichkeit tun, so unterliegt es keinem Zweifel, dass, wenn man auf die Ursachen achtet, warum die einen besser als die anderen reden, man sich dies aufzeichnen könne. Wer nun dieses in allen Teilen der Rede tut, der wird, wenn auch nicht eine vollständige Wissenschaft doch etwas der Wissenschaft Ähnliches finden.
Und möchte ich doch, wie ich auf dem Forum und in den Rechtssachen solche Beobachtungen zu machen glaube, so auch jetzt imstande sein, euch auseinanderzusetzen, wie sie gefunden werden! Doch ich will versuchen, was ich vermag; jetzt trage ich euch vor, was meine Überzeugung ist: Mag auch immerhin die Beredsamkeit keine Wissenschaft sein, so gibt es doch nichts Herrlicheres als einen vollkommenen Redner. Denn um von dem Nutzen der Rede zu schweigen, der sich in jedem friedlichen und freien Staat so mächtig zeigt, so liegt in der Redefertigkeit selbst ein so großes Vergnügen, dass die Menschen weder für das Gehör noch für den Geist etwas Angenehmeres empfinden können.
Denn welchen Gesang kann man lieblicher finden als den Vortrag einer wohlgemessenen Rede? Welches Gedicht schöner gefügt als einen kunstreich gegliederten Satzbau? Welcher Schauspieler kann uns durch die Nachahmung der Wahrheit mehr anziehen als der Redner durch die Verteidigung derselben? Was erregt mehr unsere Bewunderung, als wenn ein Gegenstand durch den Glanz der Worte beleuchtet wird? Was ist reichhaltiger als eine mit jeder Art von Sachen reichlich ausgestattete Rede? Denn es gibt keinen Gegenstand, der nicht dem Redner angehörte, wenn er mit Schmuck und Nachdruck vorgetragen werden soll.
Dem Redner kommt es zu, wenn Rat erteilt werden soll, über die wichtigsten Angelegenheiten seine Ansicht mit Würde zu entwickeln; ihm gleichfalls, ein Volk, wenn es sich schlaff zeigt, anzufeuern, wenn es zügellos ist, in Schranken zu halten; durch dieselbe Geschicklichkeit wird dem Verbrechen der Menschen Verderben und der Unschuld Sicherheit bereitet. Wer kann feuriger zur Tugend auffordern, wer von den Lastern nachdrücklicher zurückrufen? Wer die Schlechten strenger tadeln? Wer die Guten schöner loben? Wer die Leidenschaft gewaltiger durch Anklage bändigen? Wer die Trauer sanfter durch Trost mildern?
Die Geschichte aber, die Zeugin der Zeiten, das Licht der Wahrheit, das Leben der Erinnerung, die Lehrmeisterin des Lebens, die Verkünderin alter Zeiten, durch welche andere Stimme als durch die des Redners wird sie der Unsterblichkeit geweiht? Denn gäbe es noch irgendeine andere Wissenschaft, welche die Kenntnis, Worte zu schaffen oder auszuwählen, in Anspruch nähme, oder könnte man von irgendeinem andern außer dem Redner behaupten, er verstehe, die Rede zu bilden, ihr eine abwechselnde Färbung des Ausdruckes zu verleihen und sie auszuschmücken mit hervorstechenden Worten und Gedanken; oder würde irgendwo anders als in dieser einzigen Wissenschaft das Verfahren gelehrt, Beweise oder Gedanken zu finden oder überhaupt Einteilung und Anordnung zu gewinnen – so müssten wir bekennen, dass entweder das, was unsere Wissenschaft lehrt, ihr nie angehöre oder dass sie es mit irgendeiner anderen Wissenschaft gemein habe.
Und wenn unsere Wissenschaft allein im Besitz dieser kunstmäßigen Lehrart ist, so bleibt, wenn sich auch manche in anderen Wissenschaften gut auszudrücken verstehen, dieser Vorzug darum nicht weniger unserer Wissenschaft allein als Eigentum, und so wie der Redner über Gegenstände, welche anderen Wissenschaften angehören, sobald er sich nur mit ihnen bekannt gemacht hat wie gestern Crassus sagte, am besten reden kann, so tragen auch Gelehrte anderer Wissenschaften ihre Kenntnisse geschmackvoller vor, wenn sie etwas von unserer Wissenschaft gelernt haben.
Denn wenn sich über landwirtschaftliche Gegenstände ein Landmann oder auch was vielfach geschehen ist, ein Arzt über Krankheiten oder ein Maler über Malerei mündlich oder schriftlich gut ausdrückt, so darf man deshalb die Beredsamkeit noch nicht als ein Eigentum dieser Wissenschaften ansehen; denn in derselben bringen es viele in allen Fächern und Wissenschaften auch ohne gelehrte Bildung zu einer gewissen Fertigkeit, weil die natürlichen Anlagen der Menschen eine große Kraft besitzen. Aber obwohl sich das Eigentümliche jeder Wissenschaft dadurch beurteilen lässt, dass man untersucht, was jede lehrt, so kann doch nichts ausgemachter sein, als dass, weil alle anderen Wissenschaften auch ohne Beredsamkeit ihre Aufgabe lösen können, der Redner aber ohne dieselbe seinen Namen nicht behaupten kann, die anderen, wenn sie beredt sind, etwas von diesem besitzen, er aber, wenn er sich nicht mit eigenen Mitteln gerüstet hat, anderswoher Fülle der Rede nicht entlehnen kann."
Hierauf sagte Catulus: "Obwohl es sich keineswegs geziemt, den Lauf deiner Rede, mein Antonius, durch eine Unterbrechung zu hemmen, so wirst du es doch geschehen lassen und mir verzeihen. ‘Denn ich kann nicht umhin, mich laut auszusprechen’, wie jener im Trinummus sagt; so scharfsinnig schienst du mir die Bedeutung des Redners darzulegen, mit solcher Fülle zu loben. Freilich einem großen Redner muss es am besten gelingen, die Beredsamkeit zu loben; denn um sie zu loben, muss er gerade die Kunst anwenden, die er lobt. Doch fahre nur weiter fort: denn ich stimme dir darin bei, dass diese ganze Kunst, beredt zu reden, euer Eigentum ist und dass, wenn jemand in einer anderen Wissenschaft dieses leistet, er sich eines anderswoher geborgten Gutes, nicht aber seines eigenen bedient."
Und Crassus fügte hinzu: "Die Nacht hat dich uns, mein Antonius, abgeschliffen und dich wieder als Menschen zurückgegeben. Denn in deiner gestrigen Unterredung hattest du uns den Redner als einen Ruderknecht oder Reffträger, der immer dieselbe Taglöhnerarbeit treibt, wie Caecilius sagt, beschrieben, als einen Menschen, der aller höheren und feineren Menschenbildung entbehrt." Hierauf erwiderte Antonius: "Ja, gestern hatte ich mir vorgenommen, dich zu widerlegen und dadurch dir diese Schüler abwendig zu machen; jetzt aber, da Catulus und Caesar Zuhörer sind, glaube ich, nicht so sehr mit dir streiten als vielmehr meine eigene Ansicht darlegen zu müssen.
Zunächst also, weil wir den, von dem wir reden, auf das Forum und vor die Augen der Bürger hinstellen sollen, müssen wir untersuchen, welches Geschäft wir ihm übertragen und welchem Amt wir ihn vorgesetzt sehen wollen. Denn Crassus hat gestern, als ihr, Catulus und Caesar, noch nicht zugegen wart, in betreff der Einteilung der Wissenschaft einen kurzen Abriss gegeben, in derselben Weise, wie es die meisten Griechen getan haben, und, ich möchte wohl sagen, nicht seine eigene Ansicht ausgesprochen, sondern die Lehrsätze jener vorgelegt: Es gebe nämlich zwei Hauptklassen von Streitfragen, mit denen sich die Beredsamkeit beschäftige, die eine der unbestimmten, die andere der bestimmten.
Unbestimmte schien er mir diejenigen zu nennen, bei welchen man im allgemeinen fragt, z. B. auf die Weise: Ist die Beredsamkeit wünschenswert? Sind Ehrenämter wünschenswert?, bestimmte aber diejenigen, bei welchen sich die Frage auf Personen und auf einen festgesetzten und bestimmten Gegenstand bezieht, von welcher Art die Fragen sind, welche auf dem Forum und in den Rechtshändeln und Streitigkeiten der Bürger vorkommen.
Dieselben finden nach meiner Meinung statt, entweder wenn man einen Vortrag über eine Streitsache hält oder wenn man Rat erteilt. Denn jene dritte Klasse, die von Crassus berührt worden ist und die, wie ich höre, selbst Aristoteles, von dem diese Gegenstände am meisten aufgestellt worden sind, hinzugefügt hat, ist, wenn auch ganz nützlich, doch minder notwendig." "Welche denn?" fragte Catulus, "etwa die der Lobreden? Denn diese, weiß ich, nimmt man als die dritte Klasse an."
"So ist es", sagte Antonius, "und was diese Gattung betrifft, so weiß ich, dass ich und alle Anwesenden ein ungemein großes Wohlgefallen an der Lobrede fanden, die du zu Ehren eurer Mutter Popilia hieltest, welche, glaub’ ich, die erste Frau in unserem Staat gewesen ist, der diese Ehre erwiesen wurde. Aber nicht alles, was wir reden, darf man nach meiner Meinung auf Kunstregeln zurückführen.
"So ist es", sagte Antonius, "und was diese Gattung betrifft, so weiß ich, dass ich und alle Anwesenden ein ungemein großes Wohlgefallen an der Lobrede fanden, die du zu Ehren eurer Mutter Popilia hieltest, welche, glaub’ ich, die erste Frau in unserem Staat gewesen ist, der diese Ehre erwiesen wurde. Aber nicht alles, was wir reden, darf man nach meiner Meinung auf Kunstregeln zurückführen.
Dergleichen sind Abkunft, Geld, Verwandte, Freunde, Einfluss, Gesundheit, Schönheit, Körperstärke, geistige Anlagen und die übrigen Vorzüge, die entweder mit dem Körper verbunden sind oder von außen hinzutreten. Besaß jemand dieselben, so zeige man, dass er einen guten Gebrauch von ihnen machte; besaß er sie nicht, dass er sie mit Weisheit entbehrte; verlor er sie, dass er ihren Verlust mit Mäßigung ertrug; ferner, worin der, den er lobt, Weisheit, Edelsinn, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Hochherzigkeit, Pflichttreue, Dankbarkeit, Menschenfreundlichkeit, kurz, worin er irgendeine Tugend bewiesen habe, sei es im Handeln, sei es im Dulden. Dieses, und was dahin gehört, wird man leicht einsehen, wenn man jemanden loben, wie das Gegenteil davon, wenn man jemanden tadeln will."
"Warum trägst du also Bedenken", fragte Catulus, "hieraus eine dritte Klasse zu bilden, da sie doch in dem Verhältnis der Dinge begründet ist? Denn wenn sie auch leichter ist, so darf man sie darum nicht aus der Reihe herausnehmen." "Weil ich", erwiderte er, "keine Lust habe, alles, was einmal dem Redner vorkommen kann, mag es auch noch so geringfügig sein, so zu behandeln, als ob man über keinen Gegenstand ohne besondere Vorschriften darüber reden könne.
So muss man ja oft auch ein Zeugnis ablegen, und zuweilen mit großer Sorgfalt, wie ich es gegen Sextus Titius, einen aufrührerischen und unruhigen Bürger tun musste; ich entwickelte nämlich, als ich ein Zeugnis gegen ihn ablegte, alle Maßregeln, die ich in meinem Konsulat getroffen hatte, um diesem Volkstribun zum Besten des Staates Widerstand zu leisten, und erörterte, was er nach meiner Meinung gegen den Staat unternommen hatte. Lange wurde ich hierbei aufgehalten, vieles musste ich hören, vieles antworten. Meinst du nun, man müsse, wenn man Vorschriften über die Beredsamkeit gibt, auch über die Ablegung von Zeugnissen Unterricht in schulgerechter Weise erteilen?" "O nein", antwortete Catulus, "das dürfte nicht eben nötig sein."
"Wie?" fuhr Antonius fort, "wenn, wie es oft bei hochgestellten Männern der Fall ist, Aufträge ausgerichtet werden sollen entweder im Senat von einem Feldherrn oder vom Senat an einen Feldherrn oder an einen König oder an ein Volk, glaubst du, weil in solchen Fällen eine große Sorgfalt im Ausdruck nötig ist, man müsse deshalb dieses als eine besondere Abteilung von Verhandlungen aufzählen und mit besonderen Vorschriften versehen?" "Keineswegs", sagte Catulus, "denn einen beredten Mann wird bei solchen Gelegenheiten die Fertigkeit nicht im Stich lassen, die er durch andere Fälle und Verhandlungen gewonnen hat."
"Aus demselben Grund", fuhr er fort, "finden auch andere Gegenstände, die oft einen beredten Vortrag erfordern und die ich kurz zuvor, als ich die Beredsamkeit lobte, dem Bereich des Redners zugewiesen habe, keine eigene Stelle bei der Zerlegung der Teile und keine besondere Gattung von Vorschriften, obwohl sie nicht minder beredt vorgetragen werden müssen als die Gegenstände, welche bei einer Rechtssache abgehandelt werden, ich meine Verweise, Aufmunterungen, Tröstungen: lauter Gegenstände, welche den ausgezeichnetsten Schmuck der Rede verlangen; aber Regeln der Kunst bedürfen sie nicht." "Ich stimme dir vollkommen bei", sagte Catulus.
"Wohlan denn", fuhr Antonius fort, "welche Beredsamkeit und welche Gewandtheit in der Darstellung, meinst du, muss der Mann besitzen, der eine Geschichte schreiben will?" "Wenn er sie wie die Griechen schreiben will", sagte Catulus, "eine ausnehmend große; wenn wie die unsrigen, so bedarf es nicht des Redners; es genügt, nicht unwahr zu sein." "Doch damit du nicht die Unsrigen verachtest", sagte Antonius, "so wisse, auch die Griechen selbst haben anfänglich so geschrieben wie unser Cato, Pictor, Piso.
Die Geschichte war nämlich nichts anderes als eine Abfassung von Jahrbüchern. Zu diesem Zweck und um das Andenken an die öffentlichen Begebenheiten zu erhalten, war es vom Beginn des römischen Staates bis auf den Oberpriester Publius Scaevola gebräuchlich, dass der Oberpriester alle Begebenheiten jedes Jahres schriftlich verzeichnete und auf eine Tafel eintrug, die er alsdann in seiner Wohnung aufstellte, damit jeder Bürger Gelegenheit habe, sie einzusehen. Das sind die Jahrbücher, die noch heute die großen Jahrbücher heißen.
Eine dieser ähnliche Schreibart befolgten viele andere, welche ohne allen Schmuck der Darstellung nur Urkunden von Jahreszahlen, Namen, Gegenden und Begebenheiten hinterließen. Wie also bei den Griechen Pherekydes, Hellanikos, Akusilaos und sehr viele andere waren, so sind bei uns Cato, Pictor und Piso. Unkundig alles Redeschmuckes – denn erst kürzlich hat dieser bei uns Eingang gefunden – und zufrieden, wenn nur das, was sie sagen, verstanden wird, halten sie die Kürze für den einzigen Vorzug der Rede.
Ein wenig mehr erhob sich und verlieh der Geschichte einen höheren Ton der vortreffliche Antipater, des Crassus vertrauter Freund. Die übrigen trugen die Geschichte ohne Schmuck der Darstellung vor und waren nichts anderes als einfache Erzähler." "Es ist so, wie du sagst", versetzte Catulus. "Aber selbst dieser Caelius verstand es nicht, in die Geschichte durch die Mannigfaltigkeit hervorstechender Punkte Abwechslung zu bringen noch durch die Stellung der Worte und durch sanften und gleichmäßigen Fluss der Rede seinem Werk Feinheit und Glätte zu verleihen, sondern, da er weder ein Gelehrter war noch für Reden sehr befähigt, so hat er die Geschichte, so gut er konnte, aus dem Groben herausgearbeitet; doch hat er, wie du bemerkst, seine Vorgänger übertroffen."
"Man darf sich gar nicht verwundern", sagte Antonius, "wenn die Geschichte in unserer Sprache noch nicht erhellt ist. Den keiner von unseren Landsleuten liegt der Beredsamkeit in anderer Absicht ob, als um in den gerichtlichen Verhandlungen und auf dem Forum zu glänzen; bei den Griechen hingegen waren es die beredtesten Männer, welche, entfernt von Rechtshändeln, sich sowohl anderen erhabenen Beschäftigungen als auch ganz besonders der Geschichtsschreibung zuwandten. So wissen wir von dem berühmten Herodotos, der zuerst die Geschichte mit Geschmack behandelt hat, dass er sich mit gerichtlichen Verhandlungen gar nicht befasst hat; und doch besitzt er eine so außerordentlich große Beredsamkeit, dass er mich wenigstens, soweit ich griechische Schriften zu verstehen vermag, ungemein anzieht.
Und nach ihm hat Thukydides nach meinem Urteil alle an Kunst des Vortrages unbedenklich übertroffen; denn er ist so reich an einer Fülle von Sachen und Gedanken, dass der Zahl seiner Worte beinahe die Zahl seiner Gedanken gleichkommt; so treffend ferner in Ausdruck und genau, dass man nicht weiß, ob die Sache mehr durch den Vortrag oder die Worte mehr durch die Gedanken, erhellt werden. Aber auch dieser, obwohl er an der Staatsverwaltung teilnahm, gehörte, wie uns überliefert ist, nicht zu denjenigen, welche Rechtshändel führten, und seine Geschichtsbücher soll er damals geschrieben haben, als er von Staatsgeschäften entfernt und – ein Schicksal, das den Edelsten zu Athen zu widerfahren pflegte – aus seinem Vaterland verwiesen war.
Auf ihn folgte der Syrakusier Philistos, der dem Herrscher Dionysios sehr befreundet war. Er widmete seine Muße der Geschichtsschreibung und nahm sich in derselben, wie es mir scheint, den Thukydides zum Muster. Später aber gingen aus eines Redekünstlers berühmter Werkstätte, wenn ich mich so ausdrücken darf, zwei hochbegabte Männer hervor, Theopompos und Ephoros, die sich auf Antrieb ihres Lehrers Isokrates der Geschichtsschreibung zuwandten, mit Rechtshändeln sich aber niemals auch nur im entferntesten befassten.
Endlich sind auch aus der Schule der Philosophen Geschichtsschreiber hervorgegangen, zuerst Xenophon, der berühmte Sokratiker, später der Schüler des Aristoteles Kallisthenes, ein Begleiter Alexanders. Der letztere bedient sich einer fast rednerischen Darstellungsweise, der erstere aber eines sanfteren Tones, der nicht den Aufschwung des Redners besitzt; vielleicht ist er minder feurig, aber doch, wie es mir wenigstens scheint, ungleich lieblicher. Der jüngste unter allen diesen, Timaios, aber, soweit mir darüber ein Urteil zusteht, der bei weitem gelehrteste und an Fülle der Sachen und an Mannigfaltigkeit der Gedanken der reichhaltigste, der selbst in der Führung und Anordnung der Worte einer gewissen Glätte nicht entbehrt, brachte große Beredsamkeit zur Geschichtsschreibung mit, aber keine Erfahrung in gerichtlichen Verhandlungen."
Als Antonius sich so ausgesprochen hatte, sagte Caesar: "Wie steht es, mein Catulus? Wo sind die, welche behaupten, Antonius verstehe kein Griechisch? Wie viele Geschichtsschreiber hat er genannt! Wie sachkundig hat er über sie gesprochen und wie treffend eines jeden Eigentümlichkeit auseinandergesetzt!" "Ja wahrlich", erwiderte Catulus, "indem ich dieses bewundere, höre ich jetzt auf, mich über das zu verwundern, was zuvor meine Verwunderung in noch weit höherem Grad erregte, dass er nämlich auch ohne die Kenntnisse ein so ausgezeichneter Redner sei." "Ja, lieber Catulus", sagte Antonius, "allerdings pflege ich die Werke dieser Schriftsteller und einige andere zu lesen, wenn ich Muße habe; aber ich richte hierbei mein Augenmerk nicht auf einen Vorteil für die Beredsamkeit, sondern ich tue es zu meiner Unterhaltung.
Was gewinne ich also hieraus? Jedenfalls, ich will es nur bekennen, ist es etwas. So wie, wenn ich in der Sonne mich ergehe, wiewohl ich es in einer anderen Absicht tue, ich doch natürlich braun gefärbt werde, so merke ich auch, dass, wenn ich diese Schriften bei Misenum – denn zu Rom ist es mir kaum vergönnt – recht eifrig lese, meine Rede durch ihre Berührung eine gewisse Färbung annimmt. Doch; damit ihr euch von dem Umfang meiner griechischen Gelehrsamkeit nicht eine zu hohe Vorstellung macht, so wisst: Nur das verstehe ich in den Schriften der Griechen, was ihre Verfasser auch von den Ungelehrten verstanden wissen wollten.
Verirre ich mich aber einmal zu euren Philosophen, getäuscht durch die Aufschriften ihrer Werke, die sich gemeiniglich auf bekannte und ausgezeichnete Gegenstände beziehen, auf Tugend, Gerechtigkeit, Ehrbarkeit, Vergnügen; so verstehe ich durchaus kein Wort; in so gedrängte und kurzgefasste Untersuchungen haben sie sich verstrickt! Die Dichter vollends, die gleichsam eine andere Sprache reden, wage ich gar nicht anzurühren. Mit denen also verkehre ich, wie gesagt, zu meiner Unterhaltung, welche Geschichte oder ihre eigenen Reden geschrieben haben, oder so reden, dass man sieht, sie wollten auch Lesern meiner Art zugänglich sein, die keine großen Gelehrten sind.
Doch ich kehre zur Sache zurück. Seht ihr nicht, wie schwierig die Aufgabe für den Redner ist, Geschichte zu schreiben? Vielleicht in betreff des Flusses der Rede und der Mannigfaltigkeit des Vortrages die schwierigste. Und dennoch finde ich nirgends die Geschichtsschreibung mit besonderen Vorschriften von den Lehrern der Beredsamkeit versehen; sie liegen ja vor Augen. Denn wer weiß nicht, dass es das erste Gesetz der Geschichte ist, sich zu scheuen, etwas Unwahres zu sagen; das zweite, sich nicht zu scheuen, etwas Wahres zu sagen, damit jeder Verdacht der Gunst oder Feindschaft vermieden werde?
Diese Grundlagen sind natürlich allen bekannt. Die Aufführung des Gebäudes selbst aber beruht auf Sachen und Worten. Das Verhältnis der Sachen verlangt Anordnung der Zeiten und Beschreibung der Gegenden, und weil bei wichtigen und denkwürdigen Ereignissen die Erwartung zuerst auf die Absichten, dann auf die Taten, endlich auf die Folgen gerichtet ist, so ist es auch erforderlich, dass einerseits in betreff der Absichten angedeutet werde, was der Schriftsteller billige, andererseits in betreff der Handlungen nicht bloß erklärt werde, was geschehen oder gesagt sei, sondern auch wie; endlich, wenn von den Folgen die Rede ist, müssen alle Ursachen entwickelt werden, mögen sie nun in Zufälligkeiten oder in Klugheit oder in Unbesonnenheit bestehen, und in Beziehung auf die Menschen genügt es nicht, ihre Taten zu erzählen, sondern wenn sie hervorragende Persönlichkeiten sind, muss man auch ihr Leben und ihren Charakter schildern.
Was aber den Ausdruck und die Art des Vortrages betrifft, so muss man sich eine Schreibart anzueignen suchen, welche in ungezwungener Haltung und gemächlicher Breite sich bewegt und in einem sanften und gleichmäßigen Fluss dahingleitet, ohne die Rauheit gerichtlicher Verhandlungen und ohne die Stacheln richterlicher Urteile. Für diese so vielen und wichtigen Gegenstände, seht ihr, lassen sich in den Lehrbüchern der Redekünstler keine Vorschriften finden. Ein gleiches Stillschweigen herrscht über viele andere Obliegenheiten der Redner, die Ermahnungen, Tröstungen, Belehrungen, Warnungen: lauter Gegenstände, welche sehr beredt vorgetragen sein wollen, aber in unseren Lehrbüchern keine besondere Stelle finden.
Und zu dieser Gattung gehört auch der unendlich reiche Stoff der unbestimmten Fragen. Denn die meisten haben dem Redner, wie auch Crassus gezeigt hat, zwei Gattungen für den rednerischen Vortrag angewiesen, die eine über gewisse und bestimmte Sachen, wie diejenigen sind, welche bei Rechtshändeln und bei Beratungen vorkommen, wozu man auch, wenn man will, die Lobreden hinzufügen mag; die andere, welche fast alle Lehrer der Beredsamkeit anführen, aber keiner erklärt, nämlich die über die allgemeinen und unbestimmten Fragen ohne Beziehung auf gewisse Zeiten und Personen. Was das Wesen und der Umfang dieser Gattung sei, scheine sie mir, wenn sie davon reden, nicht einzusehen.
Denn soll zur Pflicht des Redners gehören, über jede ihm vorgelegte unbestimmte Frage reden zu können, so wird er auch über die Größe der Sonne, über die Gestalt der Erde reden müssen; über Gegenstände der Mathematik und Musik zu reden wird er sich nicht weigern können, sobald er diese Bürde auf sich genommen hat. Kurz, wer es für seine Aufgabe erklärt, nicht allein über solche streitige Gegenstände, die nach Zeiten und Personen bezeichnet sind, d. h. über alle gerichtlichen Verhandlungen, sondern auch über die allgemeinen und unbestimmten Fragen zu reden, für den kann keine Art des Vortrags eine Ausnahme machen.
Aber wenn wir auch jenen ganz unbestimmten, willkürlichen und vielumfassenden Teil der allgemeinen Fragen über das Gute und Böse, über das Wünschenswerte und Verabscheuungswürdige, über das Anständige und Schimpfliche, über das Nützliche und Schädliche, über Tugend, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit, Klugheit, Seelengröße, Edelmut, Pflichtgefühl, Freundschaft, Treue, Pflicht und die übrigen Tugenden und die ihnen entgegenstehenden Laster, desgleichen über Staat, Herrschaft, Kriegswesen, Staatsverfassung und über die Sitten der Menschen dem Redner zuweisen wollen und meinen, er müsse über alle diese Gegenstände reden, so mögen wir immerhin auch diesen Teil hinzunehmen, jedoch nur unter der Bedingung, dass er auf mäßige Grenzen eingeschränkt werde.
Allerdings muss nach meiner Ansicht der Redner alles, was sich auf den Nutzen der Bürger und auf die Sitten der Menschen bezieht, was die Gewohnheit des Lebens, die Verfassung des Staates, unsere bürgerliche Gesellschaft, das allgemeine Menschengefühl, das Wesen und den Charakter der Menschen betrifft, in seinem Geist umfassen, wenn auch nicht auf die Weise, dass er über diese Gegenstände im einzelnen und besonderen Rechenschaft abzulegen imstande sei, aber doch wenigstens so, dass er sie den Verhandlungen auf verständige Weise einflechten könne. Über diese Gegenstände selbst rede er so, wie diejenigen es taten, welche Rechte, Gesetze, Staaten gegründet haben, einfach und deutlich, ohne zusammenhängende Reihenfolge wissenschaftlicher Erörterungen und ohne unfruchtbares Wortgezänk.
Damit ihr euch aber nicht verwundert, wenn über so viele und wichtige Gegenstände keine Vorschriften von mir erteilt werden, so will ich mich jetzt hierüber aussprechen. Ich urteile nämlich so: So wie man es in anderen Wissenschaften nicht für nötig hält, wenn das Schwierigste gelehrt ist, auch das übrige zu lehren, weil es entweder leichter oder dem anderen ähnlich ist, wie z. B. in der Malerei der, welcher die menschliche Gestalt zu malen gründlich erlernt hat, auch Menschen von jeder Gestalt und von jedem Alter, ohne dies besonders gelernt zu haben, malen kann und, wer einen Löwen oder Stier vortrefflich zu malen versteht, von dem nicht zu besorgen ist, er werde bei vielen anderen Vierfüßlern nicht ein Gleiches leisten – es gibt ja überhaupt keine Kunst, in der alles, was durch sie ins Werk gesetzt werden kann, von dem Lehrer vorgetragen wird, sondern wer von gewissen vorzüglichen Dingen das Allgemeine gelernt hat, der weiß auch das übrige ohne Schwierigkeit auszuführen –,
ebenso wird nach meiner Ansicht auch in unserer Redekunst – oder soll ich richtiger sagen Redeübung? – derjenige, welcher in seinem Vortrag eine solche Gewalt besitzt, dass er auf die Gemüter derer, die ihn über den Staat oder über seine eigenen Angelegenheiten oder über diejenigen, für oder gegen welche er auftritt, reden hören und zugleich die Macht der Entscheidung haben, nach seinem Ermessen einwirken kann, in betreff aller übrigen Vorträge über das, was er zu sagen habe, ebenso wenig in Verlegenheit sein, wie es jener Polykleitos bei der Verfertigung der Bildsäule des Herakles war, wie er die Löwenhaut oder Hydra bilden sollte, wiewohl er diese Dinge nie besonders zu verfertigen gelernt hatte."
Hierauf sagte Catulus: "Vortrefflich scheinst du mir, lieber Antonius, vor die Augen geführt zu haben, was der, welcher sich zum Redner ausbilden will, lernen muss und was er, ohne es gelernt zu haben, aus dem Erlernten zu Hilfe nehmen könne. Du hast nämlich die ganze Aufgabe des Redners lediglich auf zwei Gattungen der Verhandlungen beschränkt, die übrigen unzähligen der Übung und der Anwendung auf ähnliche Fälle überlassen. Doch sieh zu, ob sich nicht in diesen beiden Gattungen die Hydra und die Löwenhaut befinden, Herakles hingegen und andere wichtige Werke in den Dingen, die du übergehst, zurückbleiben. Denn mir scheint es keine geringere Arbeit zu sein, über allgemeine Gegenstände als über die Angelegenheiten einzelner, und ungleich schwieriger, über die Natur der Götter als über Streitigkeiten der Menschen zu reden."
"Das ist nicht der Fall", erwiderte Antonius. "Dies werde ich dir, lieber Catulus, zeigen, nicht so sehr als Gelehrter als vielmehr – und das ist wichtiger – aus eigener Erfahrung. Über alle anderen Gegenstände ist der Vortrag, glaube es mir, ein Spiel für einen Mann, der nicht stumpfsinnig und nicht ungeübt ist und der gewöhnlichen wissenschaftlichen Kenntnisse und feineren Bildung nicht entbehrt; in den Streitigkeiten über Rechtssachen aber liegt eine schwierige Arbeit und vielleicht unter allen menschlichen Arbeiten die schwierigste, und in denselben wird die Geschicklichkeit des Redners von den Unverständigen gemeinhin nach dem Ausgang und Sieg beurteilt. Wenn ein gerüsteter Gegner da ist, der geschlagen und zurückgetrieben werden muss; wenn oft der, in dessen Hand die Entscheidung der Sache liegt, abgeneigt und erzürnt oder auch ein Freund des Gegners und dein Feind ist; wenn man diesen unterweisen oder eines Besseren belehren oder in Schranken weisen oder anfeuern, wenn man auf jede Weise nach Zeit und Umständen durch den Vortrag auf seine Stimmung einwirken muss, indem oft sein Wohlwollen in Hass, sein Hass in Wohlwollen verwandelt und sein Gemüt wie durch ein Triebwerk bald zur Strenge, bald zur Nachsicht, bald zur Trauer, bald zur Freude umgelenkt werden muss – da ist der ganze Nachdruck der Gedanken, das ganze Gewicht der Worte erforderlich.
Auch muss hinzutreten ein äußerer Vortrag, der sich durch Mannigfaltigkeit und Lebhaftigkeit auszeichnet, der voll Seele, voll Geist, voll tiefer Empfindung, voll Wahrheit ist. Wer in diesen Werken eine solche Meisterschaft errungen hat, dass er wie ein Pheidias die Statue der Athena schaffen kann, der wird wahrlich wegen der Ausführung jener kleineren Werke ebenso wenig besorgt sein wie dieser Künstler wegen der Ausschmückung des Schildes."
Hierauf sagte Catulus: "Je wichtiger und bewundernswürdiger du diese Dinge geschildert hast, um so begieriger erwarte ich von dir die Mittel und Vorschriften zu vernehmen, durch die man sich eine so große Geschicklichkeit aneignen kann. Um meines Vorteiles willen bin ich jetzt freilich dabei wenig beteiligt; denn einerseits vermisse ich in meinem Alter dies nicht, andererseits habe ich mich einer anderen Art der Beredsamkeit befleißigt, da ich nie Urteilssprüche den Händen der Richter durch die Gewalt der Rede entwunden, sondern vielmehr durch Besänftigung ihrer Gemüter nur so viel, wie sie selbst willig zugaben, erhalten habe; aber dennoch wünsche ich ohne alle Rücksicht auf meinen eigenen Nutzen, aus bloßer Wissbegierde, deine Ansichten kennenzulernen.
Auch brauche ich keinen griechischen Lehrmeister, der mir allbekannte Regeln ableiert, ohne selbst je das Forum, ohne je einen Gerichtshof gesehen zu haben, wie man von dem Peripatetiker Phormion erzählt. Als nämlich Hannibal, aus Karthago vertrieben, nach Ephesos zu Antiochos als Verbannter kam, wurde er seiner allverbreiteten Berühmtheit wegen von seinen Gastfreunden eingeladen, wenn es ihm Vergnügen mache, einem Vortrag des eben genannten Philosophen beizuwohnen. Als er seine Geneigtheit dazu erklärt hatte, sprach der redselige Mann einige Stunden über die Pflichten eines Feldherrn und über das gesamte Kriegswesen. Hierauf, da alle übrigen, die ihn gehört hatten, von dem Vortrag ganz entzückt waren, fragte man Hannibal um sein Urteil über diesen Philosophen. Da erwiderte der Punier, zwar nicht im besten Griechisch, aber doch mit Freimütigkeit, er habe schon oft viele aberwitzige Alte gesehen, aber so aberwitzig wie den Phormion habe er noch keinen gesehen. Und wahrlich nicht mit Unrecht.
Denn kann man sich wohl eine größere Anmaßung und Geschwätzigkeit denken, als wenn einem Hannibal, der so viele Jahre um die Weltherrschaft mit dem römischen Volk, dem Sieger über alle Volksstämme, gekämpft hatte, ein Grieche, der nie einen Feind, nie ein Lager gesehen, nie endlich sich bei der Verwaltung eines öffentlichen Amtes irgendwie beteiligt hatte, Vorschriften über das Kriegswesen erteilen will? Ein Gleiches scheinen mir alle diejenigen zu tun, welche über die Redekunst Unterricht geben; denn was sie selbst nicht aus Erfahrung kennen, das wollen sie andere lehren.'' Doch irren sie vielleicht hierin weniger, weil sie nicht dich, wie einen Hannibal, sondern nur Knaben oder Jünglinge zu belehren suchen."
"Du irrst, Catulus", sagte Antonius, "ich wenigstens bin schon auf viele Phormione gestoßen. Denn wer von diesen Griechen dürfte wohl irgendeinem der Unsrigen irgendeine Einsicht zutrauen? Und was mich betrifft, so sind sie mir eben nicht lästig, ich dulde und ertrage sie ganz gern; denn entweder bringen sie etwas vor, was mir nicht missfällt, oder sie bewirken, dass ich es mir weniger leid sein lasse, keine gelehrten Studien gemacht zu haben; auch fertige ich sie nicht so schmachvoll ab wie Hannibal jenen Philosophen, habe aber auch dafür vielleicht um so mehr mit ihnen zu schaffen. Aber gleichwohl ist ihre Gelehrsamkeit, soweit mir ein Urteil darüber zusteht, sehr lächerlich.
Sie teilen nämlich das Ganze in zwei Teile, in Streitigkeiten von Rechtsfällen und in Streitigkeiten allgemeiner Fragen. Rechtsfall nennen sie einen Gegenstand, der auf den Verhandlungen und dem Streit der rechtenden Parteien vor Gericht beruht; allgemeine Frage aber einen Gegenstand, der auf der Überlegung über einen unbestimmten Gegenstand beruht. Über den Rechtsfall erteilen sie Vorschriften; über den andern Teil der Beredsamkeit herrscht ein seltsames Schweigen.
Zweitens nehmen sie gleichfalls fünf Glieder der Beredsamkeit an, nämlich die Erfindung des Stoffes, die Anordnung des Gefundenen, die Ausschmückung durch den Ausdruck, das Auswendiglernen der Rede, zuletzt den Vortrag und die mündliche Darstellung: eine Vorschrift von einer nicht eben tiefen Weisheit. Denn wer dürfte nicht von selbst einsehen, dass niemand reden könne, ohne zu wissen, was er sagen und mit welchen Worten und in welcher Ordnung er es sagen soll, und ohne es auswendig gelernt zu haben? Nun will ich dieses nicht tadeln, aber ich sage, es liegt vor Augen, so wie dies auch der Fall ist bei den vier, fünf, sechs oder auch sieben Teilen – die einen nehmen nämlich diese, andere eine andere Einteilung an –, in welche sie die ganze Rede zerfallen lassen.
Sie geben nämlich folgende Vorschriften: Zuerst soll man den Eingang der Rede so einrichten, dass man das Wohlwollen der Zuhörer gewinnt, sie unserer Belehrung zugänglich macht und ihre Aufmerksamkeit fesselt; zweitens die Sache in einer Weise erzählen, dass die Erzählung wahrscheinlich, deutlich und kurz sei; drittens den Gegenstand der Verhandlung einteilen und vorlegen, die eigenen Behauptungen durch Beweise und Gründe bekräftigen und dann die des Gegners widerlegen. Hierauf aber setzen einige die Schlussrede und gleichsam das Nachwort; andere schreiben vor, man solle vor dem Schluss zur Ausschmückung und Hebung des Gegenstandes eine Abschweifung einschalten und dann erst die Schlussrede und das Nachwort hinzufügen.
Auch dieses will ich nicht tadeln. Die Einteilung ist ja kunstgerecht, aber doch, wie es bei Menschen, die es nicht mit der Wirklichkeit zu tun haben, ganz natürlich ist, nicht zweckmäßig. Denn die Vorschriften, die sie für den Eingang und die Erzählung erteilt haben, muss man in allen Teilen der Rede beobachten.
Ich kann nämlich das Wohlwollen des Richters leichter im Lauf der Rede gewinnen als da, wo er noch nichts vernommen hat; für meine Belehrung ferner werde ich ihn nicht da zugänglich machen, wo ich die Beweisführung verheiße, sondern da, wo ich sie darlege und entwickele; die Aufmerksamkeit der Richter aber können wir dadurch wecken, dass wir während des ganzen Vortrages immer aufs neue ihre Gemüter aufregen, nicht aber durch eine vorläufige Ankündigung.
Ferner, wenn sie lehren, die Erzählung müsse wahrscheinlich, deutlich und kurz sein, so ist dies eine richtige Bemerkung. Wenn sie aber meinen, diese Eigenschaften gehörten mehr der Erzählung als der ganzen Rede, so scheinen sie mir sehr zu irren. Und überhaupt liegt der ganze Irrtum darin, dass sie der Ansicht sind, die Beredsamkeit beruhe, wie andere Wissenschaften, auf :einem kunstmäßigen Lehrgebäude, wie Crassus am gestrigen Tag behauptete, dass von dem bürgerlichen Recht selbst ein solches aufgestellt werden könne, indem man nämlich zuerst die Gattungen der Dinge aufstelle, wobei es ein Fehler ist, wenn man irgendeine Gattung übergeht, dann die Arten der einzelnen Gattungen, wobei es fehlerhaft ist, wenn sich eine Art zu wenig oder zu viel findet, endlich die Begriffsbestimmungen aller Kunstausdrücke, wobei weder etwas mangeln noch überflüssig sein darf.
Aber wenn auch gelehrte Männer dieses im bürgerlichen Recht oder auch bei anderen unbedeutenden oder nicht umfangreichen Wissenschaften erreichen können, so halte ich es doch in der Beredsamkeit wegen ihrer großen Wichtigkeit und ihres unermesslichen Umfanges nicht für möglich. Wer es dafür hält, den muss man an die Lehrmeister dieser Gegenstände verweisen; bei ihnen wird er alles schon entwickelt und auf das feinste ausgebildet finden; denn es gibt über diese Gegenstände unzählige Schriften, deren Inhalt nicht tief verborgen und deren Verständnis nicht dunkel ist. Aber man bedenke, was man für einen Zweck verfolge, ob man zu einem Spielgefecht oder zu einem wirklichen Kampf die Waffen ergreifen will. Etwas anderes verlangt Kampf und Schlacht, etwas anderes Waffenspiel und unser Marsfeld. Gleichwohl gewährt selbst die Kunst des Waffenspiels dem Fechter und dem Krieger einigen Nutzen; aber feuriger Mut und Geistesgegenwart und Scharfblick und Gewandtheit des Geistes bilden unüberwindliche Männer.
Daher will ich dir jetzt den Redner aufstellen, wie ich es vermag, und zwar so, dass ich zuvor genau zusehe, was er leisten könne. Er soll mir einen Anstrich von wissenschaftlicher Bildung besitzen, einiges gehört und gelesen und selbst diese Regeln der Kunst in sich aufgenommen haben; ich will prüfen, was er für einen Anstand hat, was er hinsichtlich der Stimme, der Körperkraft, des Atems, der Zunge zu leisten vermag. Sehe ich ein, dass er die ausgezeichnetsten Redner erreichen kann, so werde ich ihn nicht bloß aufmuntern, sich eifrig zu bemühen, ja, wenn er mir zugleich ein guter Mann zu sein scheint, ihn inständigst bitten. Eine so große Zierde für den Staat beruht meines Erachtens auf einem ausgezeichneten Redner, der zugleich ein guter Mann ist. Hat es aber den Anschein, als werde er es bei aller Anstrengung doch nur mittelmäßigen Rednern gleichtun können, so werde ich ihm selbst überlassen, zu tun, was er will, und ihm nicht eben sehr beschwerlich fallen. Sollte er aber gar keine Neigung dazu haben und ohne alles Geschick sein, so werde ich ihn ermahnen, sich dieses Faches zu enthalten und sich einem anderen zuzuwenden.
Denn wir dürfen ebenso wenig denjenigen, der Vorzügliches leisten kann, auf jede Weise zu ermuntern unterlassen wie denjenigen, der etwas zu leisten vermag, abschrecken. Denn das eine scheint mir etwas Göttliches zu sein, das andere, etwas zu unterlassen, worin man nicht Vorzügliches leisten kann, oder das zu tun, was man nicht ganz schlecht tun mag, halte ich für menschlich. Das dritte aber, wie ein Marktschreier aufzutreten und wider Anstand und Befähigung zu reden, kann nur ein Mensch tun, der, wie du, Catulus, von einem solchen Schreier sagtest, durch sein eigenes Ausrufergeschrei möglichst viele Zeugen seiner Torheit um sich versammelt.
Von dem nun, der der Ermunterung und Unterstützung würdig ist, wollen wir reden; doch werden wir ihm nur das vortragen, was uns die Erfahrung gelehrt hat, damit er unter unserer Anleitung dahin gelange, wohin wir selbst ohne Anleitung gelangt sind; denn Besseres zu lehren sind wir nicht fähig.
Und um nun mit unserem Freund den Anfang zu machen, so wisse, Catulus, unseren Sulpicius hier hörte ich zuerst in einer unbedeutenden Sache als noch sehr jungen Mann reden. Stimme, Gestalt, Bewegung des Körpers und die übrigen Eigenschaften waren für den Beruf, von dem wir reden, geeignet; seine Rede ferner war schnell und feurig, eine Folge seiner Gemütsart; der Ausdruck aufbrausend und etwas zu überschwänglich, eine Folge seiner Jugend. Ich konnte ihn nicht missbilligen; denn ich wünsche, dass sich bei einem jungen Mann eine üppige Fruchtbarkeit zeige. So wie es nämlich an den Weinstöcken leichter ist, die zu üppig wuchernden Ranken zu beschneiden als, wenn das Holz nichts taugt, neue Reiser durch Pflege hervorzutreiben, so sehe ich es gern, wenn der junge Mann eine Fülle besitzt, von der ich etwas abschneiden kann. Denn von nicht langer Ausdauer kann der Saft in einer Frucht sein, die gar zu schnell zur Reife gediehen ist.
Ich erkannte sofort seine geistige Begabung, und ohne Zeit zu verlieren, forderte ich ihn auf, das Forum als die Schule zu betrachten, wo er lernen müsse, zum Lehrer aber sich einen nach Belieben auszuwählen – wenn er auf mich hören wolle, den Lucius Crassus. Begierig erfasste er diesen Rat und versprach, dies zu tun, und fügte auch noch hinzu, natürlich bloß um sich dankbar zu beweisen, auch ich solle ihm Lehrer sein. Kaum war ein Jahr seit dieser Unterredung mit ihm und meiner Aufforderung verlaufen, als er den Gaius Norbanus anklagte, den ich verteidigte. Es ist unglaublich, welchen Unterschied ich zwischen ihm, wie er damals war, und wie er ein Jahr zuvor gewesen war, bemerkte. Allerdings leitete ihn zu jener großartigen und herrlichen Redeweise des Crassus seine eigene Naturanlage; aber mit dieser allein hätte er nicht genug ausrichten können, wenn er nicht zugleich Fleiß und Nachahmung auf dasselbe Ziel hin gerichtet und sich so zu reden gewöhnt hätte, dass er stets mit ganzem Geist und ganzem Gemüt den Crassus als sein Vorbild anschaute.
Die erste Stelle in meinen Vorschriften möge also die einnehmen, dass wir zeigen, wen man nachahmen soll, und zugleich die Bemerkung hinzufügen, dass man die vorzüglichste Eigenschaften des Vorbildes auf das sorgfältigste ins Auge zu fassen suchen müsse. Hierauf mag die Übung hinzutreten, durch die man das gewählte Vorbild nachahmend abbilde und ausdrücke, aber nicht in der Weise vieler mir bekannten Nachahmer, die sich nur das Leichte oder auch gewisse hervorstechende und fast fehlerhafte Eigenheiten durch Nachahmung anzueignen eifrig bemüht sind.
Nichts ist leichter als jemandes Tracht oder Stellung oder Bewegung nachzuahmen. Findet sich aber etwas Fehlerhaftes, so ist es kein großes Verdienst, dieses aufzunehmen und dadurch selbst wieder in einen Fehler zu verfallen, wie es jener Fufius macht, der selbst jetzt nach dem Verlust seiner Stimme wie ein Rasender im Staat wütet, den kraftvollen Vortrag des Gaius Fimbria aber den doch dieser jedenfalls besaß, nicht erreicht, wohl aber dessen Mundverzerrung und breite Aussprache nachmacht. Aber einerseits verstand er nicht, die rechte Wahl eines Vorbildes, dem er vorzugsweise nachstrebe, zu treffen, andererseits suchte er an dem gewählten selbst sogar die Fehler nachzuahmen.
Wer aber verfährt, wie es sich gebührt, der muss vor allem bei der Auswahl Vorsicht anwenden und dann die hervorragendsten Eigenschaften dessen, den er gebilligt hat, auf das sorgfältigste ins Auge fassen. Denn wie, meint ihr, lässt es sich erklären, dass jedes Zeitalter beinahe eine besondere Art der Beredsamkeit hervorgebracht hat? Dies können wir zwar nicht so leicht bei unseren Rednern beurteilen, weil sie Schriften, aus denen sich das Urteil bilden konnte, nicht eben in großer Anzahl hinterlassen haben, wohl aber bei den griechischen, aus deren Schriften man sehen kann, welche Grundsätze und Bestrebungen in der Beredsamkeit einem jeden Zeitalter eigentümlich gewesen sind.
Die ältesten, von denen wenigstens Schriften vorhanden sind, sind wohl Perikles und. Alkibiades und aus demselben Zeitalter Thukydides, feine, scharfsinnige, kurze Redner, reicher an Gedanken als an Worten. Es wäre nicht möglich gewesen, dass alle eine Art des Vortrages hätten, wenn sie nicht ein Vorbild zur Nachahmung genommen hätten. Auf diese folgten Kritias, Theramenes und Lysias. Von Lysias sind viele Schriften vorhanden, von Kritias einige; von des Theramenes Reden wird uns nur berichtet. Sie alle behaupteten noch immer die kraftvolle Sprache des Perikles, aber der Faden ihres Vortrags war etwas voller ausgesponnen.
Siehe, da trat Isokrates auf, der Lehrer aller Redner seines Zeitalters, aus dessen Schule, wie aus dem trojanischen Pferd, lauter Helden hervorgingen; aber von diesen wollten einige in Prunkaufzügen, andere in der Schlachtordnung glänzen. Nun sind zwar Theopompos, Ephoros, Philistos, Naukrates und viele andere an Naturanlagen verschieden, aber in ihrer Absicht sowohl unter sich als auch ihrem Lehrer ähnlich. Ferner diejenigen, die sich den Rechtsverhandlungen zuwandten, wie Demosthenes, Hypereides, Lykurgos, Aischines, Deinarchos und mehrere andere, stimmten, obwohl sie einander nicht gleich waren, doch darin überein, dass sie alle auf gleiche Weise in ihren Reden die Wirklichkeit darzustellen suchten. Und solange man sich diese zum Vorbild bei der Nachahmung nahm, so lange lebte auch diese Art der Beredsamkeit und eine gleiche Bestrebung.
Als aber nach ihrem Tod das Andenken an sie allmählich ganz verdunkelt wurde und verschwand, blühten andere Arten der Beredsamkeit, die einen weichlicheren und minder kräftigen Charakter hatten. Hieraus gingen Demochares, der ein Schwestersohn des Demosthenes gewesen sein soll, dann der berühmte Phalereer Demetrios der meines Erachtens unter. allen diesen Rednern der feingebildetste ist, und andere diesen ähnliche hervor. Wollen wir diese Erscheinungen bis auf unsere Zeit verfolgen, so werden wir sehen, dass, so wie noch heutzutage jener Menekles aus Alabanda und, sein Bruder Hierokles, die ich gehört habe, von ganz Asien zu Vorbildern gewählt werden, so immer ein Redner gelebt hat, dem die meisten ähnlich zu werden wünschten.
Wer nun sein Vorbild durch Nachahmung erreichen will, der muss es sowohl durch häufige und angestrengte Übung als auch ganz besonders durch Schreiben zu erfassen suchen. Täte dies unser Sulpicius hier, so würde sein Vortrag weit bestimmter sein, während sich jetzt bisweilen, wie die Landleute von der Saat zu sagen pflegen, in der größten Fruchtbarkeit eine wuchernde Üppigkeit zeigt, die durch den Griffel beschnitten werden muss."
Da sagte Sulpicius: "Du hast ganz recht, dass du mir diesen Wink gibst, und ich nehme ihn dankbar an; aber auch du, lieber Antonius, glaube ich, hast nicht viel geschrieben." "Ei", entgegnete dieser, "du sprichst ja gerade so, als ob ich anderen nicht in dem Unterricht erteilen sollte, was mir selbst abgeht; ja meint man doch, ich führe nicht einmal Rechnungsbücher. Doch wie ich in dieser Sache verfahre, lässt sich aus meinem Haushalt beurteilen, wie aber in jener, aus meinen Reden, wie unbedeutend sie auch sein mögen.
Doch sehen wir auch viele, die niemand nachahmen und durch eigene Naturanlage ohne irgendein Vorbild ihr Ziel glücklich erreichen. Dies lässt sich mit Recht an euch, Caesar und Cotta, bemerken; denn du hast dir eine unseren Rednern ungewöhnliche Feinheit des Witzes, und du die scharfsinnigste und gründlichste Redeweise angeeignet. Auch euer Altersgenosse Curio scheint mir, obwohl sein Vater meines Erachtens vielleicht der größte Redner seiner Zeit war, niemanden vorzugsweise nachzuahmen, und doch hat er durch Würde, Zierlichkeit und Fülle des Ausdrucks seiner Rede eine eigene Form und ein besonderes Gepräge aufzudrücken verstanden; was ich am besten in der Rechtssache beurteilen konnte, die er gegen mich vor den Centumvirn für die Brüder Cossus führte, in welcher ihm keine Eigenschaft fehlte, die nicht bloß ein beredter, sondern auch ein einsichtsvoller Redner besitzen soll.
Doch um nun unseren Lehrling endlich einmal in die Rechtsverhandlungen einzuführen, und zwar in die, bei denen es etwas mehr Arbeit gibt, in die gerichtlichen und rechtsstreitigen, so wollen wir ihm – vielleicht dürfte mancher über diese Lehre lächeln, denn sie ist weniger scharfsinnig als notwendig und kommt mehr einem nicht einfältigen Ratgeber zu als einem kenntnisreichen Lehrmeister –, also wir wollen ihm zuerst die Vorschrift erteilen, sich mit allen Verhandlungen, die er führen wird, sorgfältig und gründlich bekannt zu machen.
Dies wird in der Schule nicht gelehrt; denn nur leichte Aufgaben werden den Knaben vorgelegt. ‘Das Gesetz verbietet dem Fremden, die Mauer zu besteigen; er hat sie bestiegen, hat die Feinde zurückgetrieben; er wird angeklagt.’ Eine solche Aufgabe zu untersuchen hat gar keine Schwierigkeit. Mit Recht gibt man daher keine Vorschriften über die Untersuchung. des Standes der Sache. Aber auf dem Forum muss man Urkunden, Zeugnisse, Vergleiche, Übereinkünfte, mündliche Verpflichtungen, Blutsverwandtschaften, Verschwägerungen, Erkenntnisse, Rechtsgutachten, endlich alle Lebensverhältnisse derer, die einen Rechtsstreit haben, untersuchen; denn durch Vernachlässigung solcher Dinge sehen wir die meisten Rechtssachen, besonders in Privatangelegenheiten – diese sind ja oft weit dunkler –, verlorengehen.
So führen gar manche, welche, um von der Menge ihrer Geschäfte eine hohe Meinung zu erregen, sich auf dem ganzen Forum herum tummeln und von einem Gericht zum andern eilen, ihre Rechtshändel, ohne sich zuvor mit dem Stand derselben vertraut gemacht zu haben. Hierbei gibt man ein großes Ärgernis entweder durch seine Sorglosigkeit, wenn man eine Sache übernahm, oder durch seine Treulosigkeit, wenn man sich für eine übertragene Sache verbürgte; ja, größer, als man denkt, ist insofern dieses Ärgernis, als niemand über einen Gegenstand, den er nicht kennt, anders als höchst kläglich reden kann. So geschieht es, dass, während sie den Vorwurf der Ungeschicklichkeit, der doch schlimmer ist, gering achten, sie sich auch den der Trägheit, den sie selbst mehr scheuen, zuziehen.
Ich meinerseits pflege dafür Sorge zu tragen, dass jeder selbst mich über seine Angelegenheiten belehre und kein Fremder zugegen sei, damit er sich um so freimütiger ausspreche, und die Sache des Gegners zu führen, damit er die seinige verteidige und alle seine Gedanken über seine Angelegenheit mitteile. Hat er mich nun wieder verlassen, so übernehme ich allein mit der größten Unparteilichkeit drei Rollen, meine eigene, die des Gegners und die des Richters. Findet sich ein Umstand, der für die Sache mehr Vorteil als Nachteil bietet, so bin ich der Ansicht, denselben in der Rede geltend machen zu müssen; worin ich aber mehr ungünstige als günstige Seiten finde, das gebe ich auf und verwerfe es ganz.
Auf diese Weise gewinne ich den Vorteil, dass ich zu einer anderen Zeit über das, was ich vortragen will, nachdenke und zu einer anderen das Überdachte vortrage: zwei Dinge, welche die meisten im Vertrauen auf ihre Geisteskraft zu gleicher Zeit tun. Aber sicherlich würden eben diese Leute ungleich besser reden, wenn sie sich eine andere Zeit zum Nachdenken und eine andere zum Reden wählen zu müssen glaubten.
Sobald ich den Gegenstand der Rechtssache gründlich erforscht habe, so tritt mir sogleich der eigentliche Streitpunkt vor die Seele. Denn worüber nun auch entgegengesetzte Ansichten unter den Menschen obwalten mögen, sei es, dass die Sache auf einer Beschuldigung beruhe, wie bei einer Missetat, oder auf einem Rechtsstreit, wie bei einer Erbschaft, oder auf einer Beratschlagung, wie über Krieg, oder auf einer Person, wie bei einer Belobung, oder auf einer wissenschaftlichen Untersuchung, wie über die Einrichtung unseres Lebens – überall fragt es sich, was geschehen ist oder geschieht oder geschehen wird, oder von welcher Beschaffenheit es ist und wie es benannt wird.
In den bei uns gewöhnlichen Fällen nun wendet man, insofern sie sich auf peinliche Rechtssachen beziehen, zur Verteidigung gemeinhin die Ableugnung des Verbrechens an. So zum Beispiel bei den Klagen wegen des Ersatzes für Erpressungen, welche zu den wichtigsten Verhandlungen gehören, muss man gemeinhin alles ableugnen; auch bei den Klagen wegen Amtserschleichung wird es uns nur selten gestattet, Freigebigkeit und Mildtätigkeit von unrechtmäßiger Bewerbung und Bestechung zu unterscheiden; bei Meuchelmord, Giftmischerei, Veruntreuung öffentlicher Gelder ist Ableugnung unumgänglich notwendig. Dies ist also die erste Klasse der gerichtlichen Verhandlungen, die in einer streitigen Tatsache bestehen. Bei Beratschlagungen betrifft die Frage gemeinhin etwas Zukünftiges, selten etwas Gegenwärtiges oder Geschehenes.
Oft fragt es sich nicht, ob eine Tatsache stattfinde oder nicht, sondern von welcher Beschaffenheit sie sei. So z. B., als der Konsul Gaius Carbo310, dessen Rede ich mit anhörte, die Angelegenheit des Lucius Opimius vor dem Volk verteidigte, leugnete er in betreff der Ermordung des Gaius Gracchus nichts, behauptete aber, die Tat sei rechtmäßig für das Wohl des Vaterlandes geschehen; ferner, als derselbe Carbo Volkstribun war und in der Staatsverwaltung noch anderen Grundsätzen huldigte, erhielt er von Publius Africanus, den er über den Tod des Tiberius Gracchus befragt hatte, die Antwort, er scheine ihm rechtmäßig getötet zu sein. Als rechtmäßig aber werden alle Handlungen verteidigt, die pflichtmäßig oder erlaubt oder notwendig waren oder aus Unvorsichtigkeit oder durch Zufall geschehen zu sein scheinen.
Ferner fragt es sich, wie etwas benannt werde, wenn man streitet, mit welchem Ausdruck etwas benannt werden müsse. So hatte ich selbst mit unserem Sulpicius in der Angelegenheit des Norbanus einen sehr heftigen Streit. Denn während ich die meisten Vorwürfe, die jener diesem machte, eingestand, leugnete ich doch, dass die Staatshoheit von ihm verletzt worden sei; von diesem Ausdruck nämlich hing nach dem Apuleiischen Gesetz jene ganze Rechtssache ab.
Und für diese Klasse von Verhandlungen erteilen einige die Vorschrift, dass beide Parteien den Begriff des Wortes, das den Streitpunkt ausmacht, deutlich und kurz bestimmen sollen. Doch dies scheint mir wenigstens in den meisten Fällen gar sehr knabenhaft. Denn anders verhält es sich mit der Begriffsbestimmung von Worten, wenn sich Gelehrte über wissenschaftliche Gegenstände untereinander besprechen, wie wenn gefragt wird: ‘Was ist Gesetz? Was ist Staat?’ Hier schreibt die wissenschaftliche Lehre vor, dass man die Bedeutung des Dinges, dessen Begriff man bestimmen will, so ausdrücke, dass kein Merkmal fehlt oder zuviel ist.
Doch dies hat weder Sulpicius in jener Verhandlung getan, noch hab’ ich es zu tun versucht. Soviel nämlich jeder von uns vermochte, entwickelten wir mit der ganzen Fülle der Beredsamkeit auf das umständlichste, was es heiße, die Volkshoheit zu verletzen. Denn die Begriffsbestimmung lässt sich erstlich oft durch Aufgreifung eines einzigen Wortes, das entweder zuviel oder zuwenig da ist, aus den Händen entwinden, und dann schmeckt sie schon an und für sich nach Gelehrsamkeit und fast knabenhafter Schulübung; endlich vermag sie auch nicht in das Gefühl und Gemüt des Richters einzudringen; denn sie schlüpft vorbei, ehe sie aufgefasst ist.
Aber in der Klasse von Rechtsstreitigkeiten, in denen die Beschaffenheit einer Sache bestritten wird, entsteht auch oft ein Streit aus der Auslegung einer Schriftstelle, wobei der Streit sich nur auf eine Zweideutigkeit beziehen kann. Denn der Fall selbst, wo das Geschriebene mit der Absicht des Schreibenden in Widerspruch steht, enthält eine Art von Zweideutigkeit, die sich dann aufklären lässt, wenn man die fehlenden Worte einschiebt und zeigt, dass nach Hinzufügung derselben der Sinn des Geschriebenen deutlich sei. Und wenn aus solchen widersprechenden Schriftstellen auf Seiten beider Parteien ein Zweifel hervorgeht, so entsteht keine neue Art, sondern der Fall der vorigen Art verdoppelt sich. Und eine solche Sache wird entweder nie entschieden werden können oder nur dadurch entschieden werden, dass man durch Hinzufügung der übergangenen Worte die von uns, verteidigte Schriftstelle ergänzt. So bleibt also nur eine Gattung für die Fälle zurück, die wegen einer Schriftstelle bestritten werden, wenn die Schriftstelle eine Zweideutigkeit enthält.
Es gibt aber mehrere Arten von Zweideutigkeiten, von denen, wie ich glaube, die sogenannten Dialektiker eine bessere Kenntnis haben, unsere Redekünstler dagegen, die sie nicht weniger kennen sollten, nichts wissen; die häufigste aber in dem ganzen Gebrauch der Rede oder Schrift ist die, wenn durch Weglassung eines oder mehrerer Worte eine Zweideutigkeit hervorgerufen wird:
Einen zweiten Fehler aber begehen sie, dass sie die Art von Rechtsfällen, die sich auf die Auslegung einer Schriftstelle bezieht, als verschieden von den Rechtsfällen, in denen über die Beschaffenheit einer Sache gestritten wird, betrachten. Denn nirgends wird die Frage über die Beschaffenheit einer Sache mehr erörtert als bei der Auslegung einer Schriftstelle, die gar nichts gemein hat mit dem Streit über eine Tatsache.
So gibt es also überhaupt drei Arten von Fragen, die Erörterung und. Streit veranlassen können: ‘Was geschieht, ist oder wird geschehen?’ oder: ‘Wie ist die Sache beschaffen?’ oder: ‘Wie ist sie zu benennen?’ Denn die Frage, die einige Griechen hinzufügen, ob etwas mit Recht geschehen sei, liegt schon in der Frage über die Beschaffenheit der Sache. Doch ich will jetzt zu meinem Vorhaben zurückkehren.
Wenn ich nun die Art des Rechtsfalles vernommen und erforscht habe und zur Behandlung der Sache selbst schreite, so setze ich vor allem den Hauptgegenstand fest, auf den ich meine ganze Rede, die der gerichtlichen Untersuchung angemessen sein muss, zu richten habe. Dann ziehe ich zweierlei auf das sorgfältigste in Erwägung: erstens, was mir und dem, den ich verteidige, zur Empfehlung gereichen könne; zweitens, was geeignet sei, die Gemüter derer, vor denen ich rede, für meine Wünsche zu stimmen.
So stützt sich die ganze Kunst der Rede auf drei zur Überredung taugliche Mittel, indem wir zuerst die Wahrheit dessen, was wir verteidigen, erweisen, dann die Zuneigung der Zuhörer gewinnen, endlich ihre Gemüter in die Stimmung, die jedes Mal der Gegenstand der Rede verlangt, versetzen sollen.
Zur Beweisführung aber steht dem Redner ein zwiefacher Stoff von Sachen zu Gebote: erstlich von solchen, die nicht von dem Redner ausgedacht, sondern, auf Tatsachen beruhend, zweckmäßig behandelt werden, wie Urkunden, Zeugnisse, Verträge, Übereinkünfte, peinliche Untersuchungen, Senatsbeschlüsse, richterliche Entscheidungen, obrigkeitliche Verordnungen, Rechtsgutachten und was sonst noch von dem Redner nicht erzeugt, sondern dem Redner durch die Sache selbst und von dem Beteiligten dargeboten wird. Die zweite Art des Stoffes ist die, die ganz auf der Erörterung und Beweisführung des Redners beruht.
So muss man also in der ersteren Art über die Behandlung der Beweise, in der letzteren aber auch über deren Erfindung nachdenken. Und die eigentlichen Redekünstler bringen nach Scheidung von Rechtsstreitigkeiten in mehrere Klassen für jede davon eine Menge von Beweisgründen bei. Mag dieses Verfahren zur Belehrung junger Leute ganz geeignet sein, damit sie, sobald ihnen eine Aufgabe vorgelegt ist, wissen, wohin sie sich zu wenden haben, um von da sofort fertige Beweise entlehnen zu können, so verrät es doch einerseits eine geistige Trägheit, wenn man abgeleiteten Bächen nachgeht, die Quellen der Sachen aber nicht sieht; andererseits verlangt es schon unser Alter und unsere Erfahrung, aus der Urquelle das Nötige zu schöpfen und zu sehen, woraus alles fließe.
Und was die erste Klasse von Sachen betrifft, die dem Redner dargeboten werden, so müssen diese von uns für alle Zeiten zum Gebrauch für alle ähnlichen Fälle durchdacht sein. Denn für Urkunden oder gegen Urkunden, für Zeugen oder gegen Zeugen, für peinliche Untersuchungen oder gegen peinliche Untersuchungen und ebenso über andere Gegenstände derselben Art pflegen wir entweder ohne alle Beziehungen im allgemeinen oder mit bestimmter Rücksicht auf gewisse Zeiten, Personen und Sachen zu reden. Diese Beweisquellen – zu euch, mein Cotta und Sulpicius, rede ich – müsst ihr durch anhaltendes Nachdenken und fortgesetzte Übung bereit und fertig zur Hand haben.
Es würde für jetzt zu weitläufig sein, wenn ich entwickeln wollte, auf welche Weise man Zeugen, Urkunden, peinliche Untersuchungen entweder bestätigen oder entkräften müsse. Dies sind lauter Dinge, wozu nur mäßige Geistesanlagen, aber eine sehr große Übung erforderlich ist; Kunstregeln bedürfen sie nur insofern, als sie durch gewisse Lichtpunkte des Ausdruckes ausgeschmückt werden sollen.
Ebenso lassen sich die Beweisgründe der zweiten Art, die der Redner aus sich erzeugt, ohne Schwierigkeit ausdenken; wohl aber verlangen sie in höherem Grad eine lichtvolle und fein ausgebildete Entwickelung. Da wir nun zweierlei bei den Verhandlungen untersuchen müssen: einmal, was, und dann, wie wir es sagen sollen, so scheint das erstere allerdings einen Anstrich von Kunst zu haben und bedarf auch wirklich der Kunst; gleichwohl gehört nur eine mäßige Klugheit dazu, um einzusehen, was zu sagen sei. Das andere aber, worin sich jene göttliche Kraft und Tüchtigkeit des Redners zeigt, besteht darin, dass man das, was gesagt werden soll, mit Schmuck, Fülle und Mannigfaltigkeit vortrage.
Demnach will ich mich, weil es euch nun einmal so beliebt hat, nicht weigern, jenen ersteren Teil sorgfältig zu bearbeiten und auszubilden; inwieweit mir dies gelingen wird, möget ihr beurteilen. Ich werde daher zu entwickeln suchen, aus welchen Quellen die Rede hergeleitet werden müsse, um die drei Eigenschaften zu gewinnen, die allein ihr Glauben zu verschaffen fähig sind, nämlich dass die Gemüter gewonnen, dass sie belehrt, dass sie gerührt werden. Wie aber dieses lichtvoll dargestellt werde, das uns alle zu lehren steht hier der Mann, der diese Kunst zuerst unter uns einheimisch gemacht, der sie am meisten verherrlicht, der sie allein vollendet hat.
Denn, lieber Catulus – ich darf es ja sagen, ohne den Verdacht der Schmeichelei zu fürchten –, ich glaube, es gibt keinen einigermaßen berühmten Redner, weder einen griechischen noch einen lateinischen, den unser Zeitalter hervorgebracht hat, den ich nicht oft und mit Aufmerksamkeit gehört hätte. Wenn ich nun einige Geschicklichkeit im Reden besitze – und schon dürfte ich mir damit schmeicheln, da ihr ja, so geistvolle Männer, meinen Worten so eifrig Gehör schenkt –, so rührt es daher, dass nie ein Redner, den ich hörte, einen Vortrag gehalten hat, der sich nicht tief meinem Gedächtnis eingeprägt hätte.
So wie ich nun bin und sowenig ich auch mein Urteil für maßgebend halte, so trage ich doch keine Bedenken, meine Ansicht und mein Urteil dahin auszusprechen, dass unter allen Rednern, die ich gehört habe, keiner so viele und so ausgezeichnete Vorzüge der Beredsamkeit besaß wie  . Seid auch ihr derselben Ansicht, so wird es, wie ich glaube, keine unbillige Teilung der Arbeit sein, wenn ich den Redner, den ich jetzt bilde, nach dem begonnenen Plan erschaffe, ernähre und kräftige und ihn alsdann dem Crassusübergebe, dass er ihn bekleide und ausschmücke."
Hierauf sagte Crassus: "Fahre du nur fort, Antonius, wie du begonnen hast! Denn nicht ziemt es einem guten und edelgesinnten Vater, das Kind, das er erzeugt und aufgezogen hat, nicht auch zu bekleiden und auszuschmücken, zumal da du nicht leugnen kannst, dass du dazu wohl bemittelt bist. Denn welcher Schmuck, welche Kraft, welche Würde fehlte jenem Redner, der am Schluss seines Vortrages kein Bedenken trug, den beklagten Konsular aufzurufen, ihm den Leibrock aufzureißen und den Richtern, die vernarbten Brustwunden des greisen Feldherrn zu zeigen? Der gleichfalls bei der Verteidigung eines aufrührerischen und rasenden Menschen gegen die Anklage unseres Sulpicius kein Bedenken trug, die Empörungen selbst durch den Vortrag auszuschmücken und in den kräftigsten Ausdrücken zu zeigen, dass oftmals ungestüme Erhebungen des Volkes nicht ungerecht seien, für deren Folgen jedoch niemand einstehen könne; dass viele Empörungen oft zum Wohl des Staates stattgefunden hätten, wie z. B. als man die Könige vertrieben, als man die tribunizische Gewalt eingesetzt habe, dass jener Aufstand des Norbanus, hervorgerufen durch die Trauer der Bürger und durch den Hass gegen Caepio, der sein Heer verloren hatte, sich nicht habe dämpfen lassen und mir Recht angestiftet worden sei?
Hätte wohl ein so zweideutiger, so unerhörter, so schlüpfriger, so neuer Gegenstand ohne die vorzüglichste Kraft und Gewandtheit der Rede behandelt werden können? Was soll ich von der Mitleid erregenden Rede für den Gnaeus Mallius, für den Quintus Rest sagen? Was von unzähligen anderen Reden, in denen nicht die Eigenschaft, die dir alle einräumen, dein ausgezeichneter Scharfsinn, am meisten hervorglänzte, sondern gerade das, was du jetzt mir zuweisen willst, sich immer in hoher Vortrefflichkeit und Vollendung kundgab?"
Hierauf sagte Catulus: "Ja, wahrlich, das pflege ich an euch beiden am meisten zu bewundern, dass ihr trotz eurer so großen Verschiedenheit im Reden doch so redet, dass keinem irgend etwas von der Natur versagt oder von der Wissenschaft nicht verliehen zu sein scheint. Darum wirst du einerseits, Crassus, uns nicht deiner Liebenswürdigkeit berauben, so dass du uns nicht, was etwa Antonius überging oder noch übrigließ, entwickeln solltest; andererseits haben wir von dir, Antonius, die Überzeugung, dass, wenn du etwas nicht gesagt hast, du dies nicht aus Unkunde tatest, sondern vielmehr, weil du wünschtest, dass es von Crassus gesagt werde."
Da erwiderte Crassus: "Ei, so übergehe das, Antonius, was du angekündigt hast und was keiner der Anwesenden vermisst, aus welchen Quellen nämlich sich der Gedankenstoff in den gerichtlichen Reden auffinden lasse; denn obwohl du die Vorschriften über diesen Gegenstand auf eine neue Weise und vortrefflich vorträgst, so sind sie doch teils an sich ziemlich leicht, teils durch die Lehrbücher allbekannt; jene Quellen eröffne uns vielmehr, aus denen du das schöpfest, was du so oft und immer so meisterhaft behandelst."
"So will ich sie denn eröffnen", sagte Antonius, "und damit ich desto leichter von dir erhalte, was ich begehre, so will ich dir nichts verweigern, was du von mir verlangst. Meine ganze Redekunst und gerade die Fähigkeit im Reden, die Crassus eben bis in den Himmel erhob, beruhen, wie ich zuvor bemerkte, auf drei Dingen: erstens, die Menschen zu gewinnen, zweitens, sie zu belehren, drittens, sie zu rühren.
Der erste dieser drei Teile erfordert einen sanften, der zweite einen scharfsinnigen, der dritte einen kräftigen Vortrag. Denn notwendig muss der, der zu unseren Gunsten die Sache entscheiden soll, entweder durch die Neigung seines Willens uns gewogen sein oder durch die Beweisgründe unserer Verteidigung überzeugt oder durch Bewegung des Gemütes gezwungen werden. Aber weil jener Teil, der sich mit der Entwickelung und Verteidigung der Sachen selbst beschäftigt, gewissermaßen die ganze Grundlehre für die Redekunst zu enthalten scheint, so will ich zuvörderst von diesem reden und weniges sagen. Nur weniges ist das, was ich mir durch lange Erfahrung angeeignet und gleichsam im Geist verzeichnet zu haben glaube.
Und gern pflichte ich deiner verständigen Erinnerung, Crassus, bei, die Verteidigungen der einzelnen Rechtssachen, worüber die Lehrmeister den Knaben Unterricht zu erteilen pflegen, zu übergehen, dagegen die Hauptquellen zu eröffnen, aus denen für jede Sache und Rede die ganze Erörterung abgeleitet wird. Denn sowenig wir, wenn wir ein Wort zu schreiben haben, immer erst die Buchstaben dieses Wortes in Gedanken zusammensuchen sollen, ebenso wenig geziemt es sich, sooft wir eine Rechtsstreitigkeit führen sollen, immer erst wieder zu den in den Lehrbüchern besonders angeführten Beweisgründen seine Zuflucht zu nehmen, sondern wir müssen gewisse Fundstätten in Bereitschaft haben, die sich uns, so wie die Buchstaben zum Schreiben eines Wortes, ebenso für die Entwickelung der Sache sogleich darbieten.
Aber diese Fundstätten können nur dem Redner von Nutzen sein, der in den Sachen bewandert ist, entweder durch eigene Erfahrung, die das Alter erst verschafft, oder durch Hören und Nachdenken, wodurch man bei Eifer und Fleiß dem Alter voraneilt. Denn magst du mir auch einen Mann vorführen, der noch so gelehrt ist, noch so viel Scharfsinn und durchdringenden Verstand im Denken zeigt, noch so viel Gewandtheit in der Kunst des Vortrages besitzt – es werden ihm, wenn er dabei in dem Herkommen des Staates, in den Beispielen, in den Einrichtungen, in den Sitten und Neigungen seiner Mitbürger ein Fremdling ist, jene Fundstätten, aus denen die Beweisgründe entnommen werden, nicht viel nützen. Eines gründlich durchgebildeten Geistes bedarf ich, wie der Acker nicht einmal, sondern zwei- und dreimal gepflügt werden muss, damit er desto bessere und größere Früchte hervorbringen könne. Eine gründliche Durchbildung des Geistes aber besteht in Übung, in Hören, Lesen und Schreiben.
Zuvörderst nun muss man das Wesen der Sache, das niemals versteckt liegt, betrachten; man untersuche, ob es eine Tatsache sei oder was sie für eine Beschaffenheit habe oder welchen Namen sie führe. Sobald man dies erkannt hat, so lässt uns sogleich der bloße gesunde Menschenverstand ohne die künstlichen Mittel, die die Redekünstler lehren, deutlich vor die Seele treten, was den eigentlichen Hauptpunkt der Sache ausmache, d. h. den Umstand, nach dessen Wegnahme der streitige Fall als solcher sich nicht behaupten kann; sodann, was der Gegenstand der richterlichen Entscheidung sei. Hierbei schreiben die Redekünstler zum Beispiel folgende Fragen vor: Opimius hat den Gracchus getötet. Was macht den Hauptpunkt der Sache aus? Dass er es zum Besten des Staates tat, da er kraft eines Senatsbeschlusses zu den Waffen gerufen hatte. Nimm diesen Umstand weg, und die Sache wird nicht mehr dieselbe sein. Aber gerade dieses, behauptet Decius, sei den Gesetzen zuwider nicht erlaubt gewesen. Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung wird also sein: War die Tat kraft des Senatsbeschlusses zur Erhaltung des Staates erlaubt? Solche Dinge sind freilich einleuchtend und lassen sich mit ganz gewöhnlichem Verstand begreifen; wohl aber muss man die Beweisgründe aufsuchen, die in Beziehung auf den Gegenstand der richterlichen Entscheidung von dem Ankläger und Verteidiger vorgebracht werden müssen.
Hier müssen wir nun einen Punkt berücksichtigen, worin jene Lehrmeister, zu denen wir unsere Kinder schicken, einen sehr großen Irrtum begehen, nicht als ob dies auf die Beredsamkeit einen großen Einfluss hätte, sondern nur, damit ihr seht, wie stumpfsinnig und ungebildet die Klasse von Menschen ist, die sich für Gelehrte halten. Bei der Einteilung der Reden nämlich setzen sie nach ihrer Beschaffenheit zwei Arten von Streitsachen fest. Unter der einen verstehen sie die, wobei ohne Beziehung auf Personen und Zeiten nach dem Allgemeinen gefragt wird; unter der anderen die, die nach gewissen Personen und Zeiten bestimmt wird. Sie sehen aber nicht ein, dass alle Streitsachen auf die Bedeutung und das Wesen des Allgemeinen zurückgeführt werden.
Denn z. B. in der Sache, die ich zuvor erwähnte, hat die Person des Opimius und Decius auf die Beweisgründe des Redners gar keinen Einfluss; es handelt sich ja nur um die allgemeine Frage, ob der für straffällig gehalten werde, der einen Bürger kraft eines Senatsbeschlusses zur Erhaltung des Vaterlandes getötet hat, da dieses nach den Gesetzen nicht erlaubt war. Überhaupt gibt es keine Sache, bei der die richterliche Entscheidung nach den Personen der Beteiligten und nicht vielmehr nach der gesamten Erwägung des Allgemeinen bestimmt würde. Ja, sogar in den Fällen, wo über eine Tatsache gestritten wird, z. B. ob Publius Decius den Gesetzen zuwider Geld genommen habe, müssen die Beweisgründe sowohl der Beschuldigung als auch der Verteidigung auf den Gattungsbegriff und das allgemeine Wesen der Sache zurückgeführt werden.
Denn betrifft die Sache einen Verschwender, so muss man von der Schwelgerei reden; einen nach fremdem Gut Strebenden, von der Habsucht; einen Aufrührerischen, von unruhigen und schlechten Bürgern; einen von vielen Beschuldigten, von der allgemeinen Beschaffenheit der Zeugen; und im entgegengesetzten Fall muss man alles, was man für den Beklagten sagt, notwendig von der Zeit und dem Menschen trennen und auf allgemeine Hauptpunkte und Grundsätze zurückführen.
Und vielleicht dürfte ein Mensch, der, was zum Wesen der Sachen gehört, nicht mit schnellem Blick auffasst, der Ansicht sein, die Anzahl der bei Untersuchung einer Tatsache vor Gericht vorkommenden Fragen sei sehr groß; aber nur die Menge der Beschuldigungen und Verteidigungen ist unendlich, nicht die der Fundstätten.
Was nun aber die Frage über die Beschaffenheit von Rechtsfällen anlangt, wobei über die Tatsache kein Zweifel obwaltet, so sind sie, wenn man sie nach der Zahl der Beteiligten berechnet, unzählig und nicht zu überblicken, wenn man aber auf deren Inhalt sieht, von mäßiger Anzahl und in die Augen fallend. Wenn wir z. B. die Rechtssache des Mancinus auf den Mancinus allein beschränken, so wird, sooft ein vom Bundespriester Ausgelieferter von den Feinden nicht angenommen wird, sogleich eine neue Verhandlung entstehen. Wenn aber die Sache auf der Streitfrage beruht, ob der, den der Bundespriester ausgeliefert hat, wenn er von den Feinden nicht angenommen worden ist, das Recht, in seinen früheren Rechtszustand wieder einzutreten, zu haben scheine, so hat der Name Mancinus auf die Kunst der Rede und auf die Beweise der Verteidigung gar keinen Einfluss.
Und wenn auch außerdem die Würdigkeit oder Unwürdigkeit eines Menschen von einiger Bedeutung ist, so liegt dies außerhalb der Frage, und die Rede selbst muss doch auf die Erörterung der allgemeinen Grundsätze zurückgeführt werden. Diese Bemerkungen mache ich jedoch nicht in der Absicht, um gelehrte Redekünstler zu widerlegen, obwohl sie Tadel verdienen, wenn sie bei der Bestimmung der Gattung lehren, dass solche Verhandlungen mit Beziehung auf bestimmte Personen und Zeiten eine besondere Klasse bilden.
Denn wenn auch Zeiten und Personen vorkommen, so muss man doch einsehen, dass nicht von diesen, sondern von der allgemeinen Frage die Sachen abhängen. Doch dies kümmert mich nicht; es soll ja kein Streit zwischen ihnen und uns stattfinden. Es genügt uns, wenn man nur die Einsicht gewinnt, dass sie nicht einmal das erreicht haben, was sie doch bei ihrer so reichlichen Muße auch ohne unsere gerichtliche Übung hätten bewerkstelligen können, die Gattungen der Dinge zu unterscheiden und sie mit einiger Gründlichkeit zu erläutern.
Doch dies, wie gesagt, kümmert mich nicht; wohl aber muss mir und ungleich mehr euch, mein Cotta und Sulpicius, folgendes beachtenswert sein. Wie sich jetzt die Lehrgebäude dieser Redekünstler verhalten, so muss man sich vor der Menge von Rechtssachen entsetzen; denn sie ist unermesslich, wenn sie nach den Personen bestimmt wird: so viel Menschen, so viel Sachen. Wenn sie aber auf die allgemeinen Fragen zurückgeführt werden, so ist ihre Anzahl so mäßig und gering, dass achtsame, mit einem guten Gedächtnis begabte und besonnene Redner sie sämtlich durchdacht haben und sozusagen an den Fingern herzählen können; es müsste denn sein, dass ihr glaubtet, Lucius Crassus sei erst von Manius Curius unterrichtet worden und habe deshalb so viele Beweisgründe vorgebracht, warum Curius, wenn auch dem Coponius kein Sohn nachgeboren wäre, dennoch der Erbe desselben sein müsse. –
Hierbei hatte der Name des Coponius oder Curius auf die Menge der Beweisgründe ebenso wenig Einfluss wie auf die Bedeutung und das Wesen der Sache. Auf der allgemeinen Untersuchung , über die Sache und den Rechtsfall und nicht auf Zeit und Namen beruhte die ganze Streitfrage, ob nämlich, wenn es im Letzten Willen so lautet: ‘Wenn mir ein Sohn geboren wird und dieser früher stirbt usw., dann soll der oder jener mein Erbe sein’, in dem Fall, dass kein Sohn geboren ist, der, der nach dem Tod des Sohnes zum Erben eingesetzt ist, als Erbe angesehen werde.
Die Untersuchung über das unveränderliche Recht und das allgemein Gültige fragt nicht nach dem Namen der Menschen, sondern hat es nur mit der Lehrweise und den Beweisquellen zu tun. Hierbei legen uns auch die Rechtsgelehrten Schwierigkeiten in den Weg und schrecken uns vom Lernen ab. Denn ich sehe, dass in den Schriften des Cato und Brutus gemeinhin bei den Rechtsbescheiden die Namen des Mannes oder Weibes, dem sie erteilt sind, angeführt sind, vermutlich, um uns glauben zu machen, der Grund der Beratschlagung oder des Zweifels habe auf den Menschen und nicht auf der Sache beruht. So folgt denn, dass wir, weil es unzählig viel Menschen gibt, durch die große Menge des Stoffes entmutigt und von der Erlernung des Rechts abgeschreckt werden und den Wunsch, es zu lernen, zugleich mit der Hoffnung, es gründlich zu erlernen, aufgeben. Doch dieses wird uns Crassus einmal entwickeln und nach Klassen angeordnet auseinandersetzen. Er hat uns nämlich – das musst du wissen, Catulus – gestern versprochen, er wolle das bürgerliche Recht, das jetzt zerstreut und ungeordnet daliegt, nach gewissen Klassen vereinigen und in ein übersichtliches Lehrgebäude bringen."
"Und dieses", erwiderte Catulus, "ist für Crassus durchaus keine schwierige Aufgabe; denn er hat nicht bloß alles erlernt, was sich vom Recht erlernen ließ, sondern er wird auch, was seinen Lehrern fehlte, hinzufügen; so wird er alles, was zum Recht gehört, scharfsinnig ordnen und in einem geschmackvollen Vortrag aufklären können." "Nun, so werden wir denn", fuhr Antonius fort, "hierüber von Crassus später belehrt werden, wenn er sich aus dem Gewühl der Gerichte in die Muße, wie er die Absicht hat, und auf seinen Sessel wird zurückgezogen haben."
. "Ja oft schon", sagte Catulus, "habe ich ihn dies äußern hören, es sei sein fester Entschluss, die Gerichte und Rechtshändel aufzugeben; doch, wie ich ihm zu bemerken pflege, es wird ihm nicht vergönnt sein. Denn teils wird er es selbst nicht geschehen lassen, dass wackere Männer seine Hilfe oft vergebens anflehen, teils wird es auch der Staat nicht mit Gleichmut ertragen, der, wenn er der Stimme des Lucius Crassus entbehren sollte, sich einer seiner Zierden beraubt glauben wird." "Ja, wahrlich", sagte Antonius, "wenn diese Äußerung des Catulus richtig ist, so musst du, Crassus, mit mir in derselben Stampfmühle fortleben, und jene gähnende und schläfrige Weisheit müssen wir der Muße der Scaevola und anderer glückseliger Leute überlassen."
Da lächelte Crassus sanft und sagte: "Webe nur das einmal angefangene Werk fertig, lieber Antonius; mir jedoch soll jene gähnende Weisheit, sobald ich meine Zuflucht zu ihr genommen habe, noch zur Freiheit verhelfen." "Das Ergebnis der von mir eben begonnenen Entwickelung", sagte Antonius, "ist nun folgendes: Weil es einleuchtet, dass das Zweifelhafte in den gerichtlichen Verhandlungen nicht auf der Persönlichkeit der Menschen, die sich nicht zählen lassen, noch auf der unermesslichen Mannigfaltigkeit der Zeitverhältnisse, sondern auf den allgemeinen, nach den Gattungen bestimmten Rechtsfragen und auf ihren wesentlichen Beschaffenheiten beruht, die Gattungen aber auf eine gewisse und zwar kleine Anzahl beschränkt sind, so müssen die Redebeflissenen den zu jeder Gattung gehörigen Redestoff, nach allen Beweisquellen – ich meine Sachen und Gedanken – geordnet, ausgerüstet und wohl versehen, mit ihrem Geist auffassen.
Ein solcher Stoff wird von selbst die Worte erzeugen, die mir wenigstens immer schön genug zu dünken pflegen, wenn sie von der Art sind, dass sie die Sache selbst erzeugt zu haben scheint. Und wollt ihr die Wahrheit wissen, wie sie mir wenigstens scheint – nichts anderes kann ich freilich mit Bestimmtheit aussprechen als meine Überzeugung und Ansicht –: Dieses Rüstzeug von allgemeinen, nach den Gattungen bestimmten Rechtsfragen müssen wir auf das Forum mitbringen und nicht erst dann, wenn uns eine Sache übertragen wird, die Fundstätten durchstöbern, aus denen wir die Beweise heraussuchen. Den wiewohl diese von allen, die nur einiges Nachdenken anwenden, bei Fleiß und Übung gründlich erlernt werden können, so muss man doch auf jene Hauptquellen und schon so oft von mir genannten Fundstätten, aus denen für jede Rede alle Erfindungen abgeleitet werden, zurückgehen.
Überhaupt sind Kunst, Beobachtung und Erfahrung erforderlich, um die Gegenden zu kennen, in deren Bereich man jagen und das, was man sucht, aufspüren will. Sobald du diesen ganzen Jagdbezirk mit deinen Gedanken eingezäunt hast, so wird dir, wenn dich nur Erfahrung in den Geschäften tüchtig gewitzigt hat, nichts entfliehen, und alles, was zur Sache gehört, wird dir begegnen und in die Hände geraten.
Und so, da zur Erfindung des Redestoffes drei Dinge erforderlich sind: erstens Scharfsinn, zweitens wissenschaftliche Kenntnis, die wir, wenn wir wollen, auch Kunst nennen können, und drittens Fleiß, muss ich allerdings der natürlichen Anlage die erste Stelle einräumen; aber doch vermag der Fleiß die natürliche Anlage auch aus ihrer Schläfrigkeit aufzurütteln, der Fleiß, sage ich, der, wie in allen Dingen, so ganz besonders in der Verteidigung der Rechtsverhandlungen die größte Geltung hat. Für ihn müssen wir vorzüglich Sorge tragen, ihn stets anwenden, er ist es, der alles zu erreichen vermag. Dass uns die Sache, wie ich anfänglich bemerkte, gründlich bekannt sei, bewirkt der Fleiß; dass wir den Gegner mit Aufmerksamkeit anhören und seine Gedanken nicht allein, sondern auch alle seine Worte auffassen, endlich alle seine Mienen durchschauen, die gewöhnlich das Innere der Seele verraten, bewirkt der Fleiß;
dies jedoch verstohlen zu tun, damit der Gegner sich nicht einbilde, er richte etwas aus, das rät die Klugheit; ferner dass der Geist sich mit den Beweisquellen, die ich bald nachher vorlegen werde, auf das gründlichste beschäftige, dass er tief in die Sache eindringe, dass er gespannte Aufmerksamkeit und Nachdenken anwende, bewirkt der Fleiß; dass er, um den Stoff der Rede in das rechte Licht zu stellen, Gedächtnis, Stimme und Kräfte anstrenge, bewirkt der Fleiß.
Zwischen der Naturanlage und dem Fleiß ist nur ein kleiner Spielraum für die Kunst übrig. Die Kunst zeigt nur, wo man suchen müsse und wo anzutreffen sei, was man aufzufinden sucht; das übrige beruht auf Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Nachdenken, Wachsamkeit, Beharrlichkeit, Arbeitsamkeit; ich will alles in dem einen Wort, das ich schon so oft gebraucht habe, zusammenfassen: auf Fleiß, und in dieser einen Tugend sind alle übrigen Tugenden enthalten.
An Wortfülle freilich, sehen wir, haben die Philosophen einen Überfluss, die, wie ich glaube – doch du, Catulus, weißt dies besser –, keine Vorschriften über die Beredsamkeit erteilen, aber darum nicht weniger sich unterfangen, über jeden ihnen vorgelegten Gegenstand mit dem größten Wortreichtum zu reden."
Hierauf erwiderte Catulus: "Es ist, wie du sagst, Antonius: Die meisten Philosophen erteilen keine Vorschriften über die Beredsamkeit, und doch haben sie in Bereitschaft, was sie über jeden Gegenstand sagen wollen. Aber Aristoteles – er, den ich am meisten bewundere – hat gewisse Fundstätten aufgestellt, aus denen sich das Verfahren der ganzen Beweisführung nicht nur für philosophische Erörterungen, sondern auch für solche Vorträge, wie wir sie bei den Rechtsverhandlungen gebrauchen, herausfinden lässt. Von den Ansichten dieses Mannes weicht dein eben gehaltener Vortrag, Antonius, nicht ab, sei es nun, dass du durch die Ähnlichkeit mit diesem unvergleichlich großen Geist in dieselben Spuren geleitet wirst, sei es, dass du diese Sachen in seinen Schriften gelesen und gelernt hast, und dieses letztere dünkt mir wahrscheinlicher; denn ich sehe, du hast mehr Fleiß auf die griechischen Schriften verwandt, als wir glaubten."
Hierauf entgegnete jener: "Du sollst die Wahrheit von mir hören, mein Catulus. Ich bin immer der Ansicht gewesen, ein Redner würde unserem Volk angenehmer und beifallswerter sein, wenn er sich erstens von Kunst sowenig als möglich und dann von griechischer Weisheit gar nichts merken lasse. Zugleich aber war ich hinwiederum der Ansicht, da die Griechen so wichtige Dinge unternehmen, verheißen und ausführen, da sie versprechen, die Kunst, das Verborgenste zu durchschauen, das Leben wohl zu ordnen und sich beredt auszudrücken, den Menschen mitzuteilen, so müsse man einem Tier ähnlicher als einem Menschen sein, wenn man ihnen nicht das Ohr leihen und, wagte man es auch nicht, sie öffentlich zu hören, um nicht bei seinen Mitbürgern sein Ansehen zu schmälern, doch wenigstens lauschend ihre Worte aufnehmen und aus der Ferne ihren Vorträgen Aufmerksamkeit schenken wollte. Und so habe ich es gemacht, Catulus, und die Untersuchungen aller ihrer Schriftsteller im wesentlichen und allgemeinen gekostet."
"Ja wahrlich, gar zu furchtsam", entgegnete Catulus, "hast du deinen Geist der Philosophie, wie einer Klippe verlockender Lust, zugewandt: einer Wissenschaft, die unser Staat nie verschmäht hat. Denn Italien war einst mit Pythagoreern angefüllt, zu jener Zeit, als es in unserem Land noch ein Großgriechenland gab, weshalb auch einige unseren König Numa Pompilius für einen Pythagoreer ausgeben, obwohl er sehr viele Jahre vor dem Pythagoras selbst gelebt hat. Um so höher aber muss der Mann geachtet werden, da er jene Weisheit der Staatskunst beinahe zwei Jahrhunderte früher gekannt hat, ehe die Griechen von ihrem Dasein etwas wussten. Und dann hat gewiss unser Staat keine Männer hervorgebracht, die einen glänzenderen Ruhm, ein gewichtigeres Ansehen und feinere Bildung besaßen, als Publius Africanus, Gaius Laelius, Lucius Furius, und diese hatten immer die gelehrtesten Männer aus Griechenland vor aller Augen um sich.
Und oft habe ich aus ihrem Mund die Äußerung gehört, die Athener hätten ihnen und vielen angesehenen Männern des Staates einen großen Gefallen erwiesen, dass sie wegen wichtiger Angelegenheiten die drei berühmtesten Philosophen jener Zeit, Karneades, Kritolaos und Diogenes, als Abgeordnete an den Senat abgeschickt hätten; denn während ihrer Anwesenheit in Rom hätten sie und andere ihre Vorträge häufig gehört. Da du dich auf das Beispiel solcher Männer berufen konntest, so wundere ich mich, Antonius, warum du der Philosophie, wie jener Zethos bei Pacuvius, beinahe den Krieg angekündigt hast."
"Keineswegs", erwiderte Antonius, "sondern vielmehr habe ich beschlossen, so zu philosophieren, wie Neoptolemos bei Ennius, ‘ein wenig; denn durchweg mag ich nicht’. Aber gleichwohl ist das meine Ansicht, wie ich sie auseinandergesetzt zu haben glaube: Ich missbillige diese gelehrten Beschäftigungen nicht, nur muss man das rechte Maß darin halten; die Meinung aber, man liege ihnen ob, und die Vermutung, man befleißige sich der Kunstregeln, ist, glaub’ ich, dem Redner bei denen, die das richterliche Amt verwalten nachteilig; denn es verringert das -Ansehen des Redners und die Glaubwürdigkeit der Rede.
Doch, um von dieser Abschweifung auf die Hauptsache wieder zurückzukommen, weißt du nicht, dass von jenen drei berühmten Philosophen, die, wie du sagtest, nach Rom kamen, Diogenes es war, der behauptete, er lehre die Kunst, einen Gegenstand gründlich zu erörtern und das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, die er mit dem griechischen Worte Dialektik benannte? In dieser Kunst, wenn sie anders diesen Namen verdient, findet sich keine Vorschrift, wie man die Wahrheit finden, sondern nur, wie man sie beurteilen könne.
Denn über alles, wovon wir behaupten, es sei oder es sei nicht, unterfangen sich die Dialektiker, wenn die Behauptung unbedingt ausgesprochen ist, zu urteilen, ob es wahr oder falsch sei, und wenn sie bedingt aufgestellt ist und andere Bestimmungen hinzugefügt sind, urteilen sie darüber, ob diese Bestimmungen mit Recht hinzugefügt seien und ob die Folgerung jedes Schlusssatzes richtig sei; und zuletzt schneiden sie sich selbst mit ihren Spitzfindigkeiten ins Fleisch, und durch viele Untersuchungen machen sie Dinge ausfindig, die sie selbst nicht mehr zu lösen vermögen und durch die sie sich sogar genötigt sehen, ihr vorher angezetteltes oder vielmehr fast zu Ende geführtes Gewebe wieder aufzutrennen.
Hier hilft uns also dieser Stoiker nichts, weil er nicht lehrt, wie ich das, was ich sagen soll, auffinden kann; ja, er ist sogar hinderlich, weil er vieles ausfindig macht, wovon er behauptet, es lasse sich auf keine Weise lösen, und dabei sich einer Sprache bedient, die nicht durchsichtig, nicht ungezwungen und fließend, sondern mager, trocken, abgebrochen und zerstückelt ist, einer Sprache, die man nur mit der Einschränkung billigen kann, dass man gesteht, sie eigne sich nicht für den Redner. Denn unser Vortrag muss sich den Ohren der großen Menge anbequemen, damit er die Gemüter ergötze, damit er sie antreibe, Behauptungen zu billigen, die nicht auf der Goldwaage, sondern auf der gewöhnlichen Waage abgewogen werden.
Darum wollen wir auf diese ganze Kunst verzichten, die für die Erfindung der Beweisgründe allzu stumm, für ihre Beurteilung allzu geschwätzig ist. Jener Kritolaos, der, wie du erwähnst, zugleich mit Diogenes kam, hätte nach meiner Ansicht unserem Beruf einen größeren Dienst leisten können. Denn er war aus der Schule des Aristoteles, von dessen Erfindungen ich, wie du meinst, nicht sehr abweiche. Zwischen diesem Aristoteles nun – ich habe nicht nur sein Buch, in dem er die von allen seinen Vorgängern aufgestellten Lehrgebäude über die Redekunst auseinandergesetzt, sondern auch die, in denen er selbst einen Teil seiner eigenen Ansichten über sie vorgetragen hat – und diesen eigentlichen Lehrmeistern unserer Kunst findet meines Erachtens folgender Unterschied statt: Jener hat mit demselben Scharfblick des Geistes, mit dem er das Wesen und die natürliche Beschaffenheit aller Dinge durchschaut hatte, auch das in Augenschein genommen, was sich auf die Redekunst, die er selbst geringachtete, bezog; diese hingegen, die dieses Feld ausschließlich anbauen zu müssen glaubten, haben in dieser einen Wissenschaft ihren Wohnsitz aufgeschlagen, aber in ihrer Behandlung zeigen sie nicht eine gleich tiefe Einsicht wie jener, wenn sie ihn auch an Erfahrung und Fleiß in diesem einen Fach übertreffen.
Des Karneades unglaubliche Kraft und Mannigfaltigkeit der Rede aber dürfte uns sehr erwünscht sein; denn nie hat er in seinen Untersuchungen einen Gegenstand verteidigt, ohne ihn zu erweisen, nie eine Ansicht bekämpft, ohne sie umzustoßen; doch dazu gehört etwas mehr, als man von unseren Redekünstlern fordern darf.
Wenn ich einen völlig unwissenden Lehrling für die Beredsamkeit gebildet zu sehen wünschte, so würde ich ihn lieber den Lehrmeistern übergeben, die unablässig mit derselben Mühe auf denselben Amboss Tag und Nacht schlagen, die alles in die feinsten Stückchen geteilt und möglichst klein gekaut, wie die Ammen kleinen Kindern, ihm in den Mund stecken. Scheint er mir aber durch den Unterricht auf eine freisinnige Weise gebildet, durch einige Erfahrung schon geübt und mit ziemlich lebhaftem Geist begabt zu sein, so werde ich ihn rasch dahin führen, wo nicht ein wenig Wasser in einem abgeschlossenen Raum aufbewahrt wird, sondern woher der ganze Strom hervorbricht, zu einem Mann, der ihm die Fundstätten und gleichsam die Wohnungen aller Beweise zu zeigen und diese kurz zu erläutern und mit Worten zu bestimmen vermag.
Denn wo könnte sich jemand verlegen fühlen, wenn er erkannt hat, dass alle Gründe, die man in der Rede entweder zum Beweisen oder zum Widerlegen anwendet, entweder aus dem inneren Wesen und der natürlichen Beschaffenheit der Sache genommen oder von außen her hinzugenommen werden? Aus dem inneren Wesen, wenn es sich fragt, was die ganze Sache oder ein Teil derselben sei oder was für ein Name ihr zukomme oder was in irgendeiner Beziehung zu ihr stehe, von außen her aber, wenn äußere Umstände, die dem Wesen der Sache nicht innewohnen, zusammengestellt werden.
Bezieht sich die Frage auf die ganze. Sache, so muss man ihr ganzes Wesen durch eine Erklärung entwickeln, wie z. B.: ‘Wenn Hoheit des Staates soviel bedeutet wie Erhabenheit und Würde des Staates, so verletzt sie der, der ein Kriegsheer den Feinden des römischen Volkes übergibt, nicht der, der den, der solches tat, der Gewalt des römischen Volkes übergibt.’
Bezieht sie sich auf einen Teil der Sache, durch Einteilung, auf folgende Weise: ‘Entweder musste er, da es die Wohlfahrt des Staates galt, dem Senat Folge leisten oder eine andere Ratsversammlung einsetzen oder nach eigener Willkür handeln. Eine andere Ratsversammlung einsetzen wäre gewalttätig, nach eigener Willkür handeln anmaßend gewesen. Also musste er sich der Ratsversammlung des Senats fügen.’ Bezieht sie sich aber auf einen Ausdruck, so mache man es wie Carbo: ‘Wenn Konsul einen Mann bedeutet, der für das Vaterland sorgt, was anderes hat Opimius getan?’
Fragt es sich aber um etwas, was in einer gewissen Beziehung zu der Sache selbst steht, so gibt es mehrere Fundstätten und Quellen der Beweisgründe. Denn wir werden das Verwandte aufsuchen und die Gattungen und die den Gattungen untergeordneten Arten, das Ähnliche und Unähnliche, das Entgegengesetzte, die Folgen, das übereinstimmende, das Vorangehende, das Widersprechende, die Ursachen der Dinge erforschen und die aus ihnen entstandenen Wirkungen und das Größere, Gleiche und Kleinere untersuchen.
Aus verwandten Begriffen werden Beweisgründe so abgeleitet: ‘Wenn kindlicher Liebe das höchste Lob erteilt werden muss, so müsst ihr gerührt werden, da ihr den Quintus Metellus mit so viel kindlicher Zärtlichkeit trauern seht.’ Aus der Gattung: ‘Wenn die obrigkeitlichen Personen der Gewalt des römischen Volkes unterwürfig sein müssen, warum klagst du den Norbanus an, der als Tribun dem Willen des Volkes gehorchte?’
Aus der der Gattung untergeordneten Art: ‘Wenn alle, die für die Wohlfahrt des Staates sorgen, uns teuer sein müssen, so müssen es gewiss vorzüglich die Heerführer sein, durch deren Ratschläge, Tapferkeit und Gefahren wir sowohl unsere eigene Wohlfahrt als auch des Reiches Würde behaupten.’ Aus der Ähnlichkeit ferner: ‘Wenn wilde Tiere ihre Jungen lieben, welch zärtliche Liebe müssen wir gegen unsere Kinder hegen?’
Dagegen aus der Unähnlichkeit: ‘Wenn es der Barbaren Sitte ist, nur für den Tag zu leben, müssen nicht unsere Gedanken auf die Ewigkeit gerichtet sein?’ Und zu beiden Arten der Beweisführung aus ähnlichen und unähnlichen Fällen müssen die Beispiele von den Taten, Reden und Ereignissen anderer, oft auch erdichtete Erzählungen gerechnet werden.
Ferner aus dem Gegenteil: Wenn Gracchus frevelhaft handelte, so handelte Opimius edel.’ Aus den Folgen: ‘Wenn jener mit dem Schwert getötet und du, sein Feind, mit einem blutigen Schwert gerade an dem Ort ergriffen und niemand außer dir da gesehen wurde, wenn kein anderer zu dieser Tat Veranlassung hatte, du aber immer verwegen warst, wie sollten wir wegen der Freveltat in Zweifel sein können?’ Aus übereinstimmenden, vorangehenden und widerstreitenden Umständen, wie einst unser Crassus hier in seiner Jugend: ‘Wenn du den Opimius verteidigt hast, Carbo, so werden diese dich darum noch nicht für einen patriotisch gesinnten Bürger halten. Dass du dich verstellt und etwas anderes beabsichtigt hast, ist daraus ersichtlich, dass du des Tiberius Gracchus Tod oft in den Volksversammlungen beklagt, dass du an des Publius Africanus Ermordung teilgenommen, dass du in deinem Tribunat ein solches Gesetz in Vorschlag gebracht, dass du immer mit den Freunden des Vaterlandes in Uneinigkeit gelebt hast.’
Aus den Ursachen der Dinge aber so: ‘Wollt ihr die Habsucht vertilgen, so müsst ihr ihre Mutter, die Schwelgerei, vertilgen.’ Aus den Wirkungen: ‘Wenn wir das Vermögen der Schatzkammer im Krieg zur Hilfe, im Frieden zum Glanz brauchen, so müssen wir uns der Staatseinkünfte annehmen.’
Größeres aber, Kleineres und Gleiches können wir so zusammenstellen: Nach dem Größeren: ‘Wenn der gute Ruf besser ist als der Reichtum und doch das Geld so sehr erstrebt wird,, um wie viel mehr muss der Ruhm erstrebt werden!’ Nach dem Kleineren so:
‘Nach kurzem Umgang nimmt er schon
An ihrem Tod gleich einem Freunde teil. Wie, wenn
Er sie geliebt? Was wird er einst dem Vater tun?’
Nach dem Gleichen so: ‘Wer sich nicht scheut, öffentliche Gelder zu unterschlagen, der scheut sich auch nicht, Gelder zu staatsverderblichen Bestechungen zu verwenden.’
Von außen her aber werden solche Beweisgründe zu Hilfe genommen, die sich nicht auf ihre eigene Kraft, sondern auf äußere Verhältnisse stützen wie z. B. folgende: ‘Das ist wahr; denn Quintus Lutatius hat es gesagt.’ ‘Das ist falsch; denn es ist ein peinliches Verhör angestellt.’ ‘Das ist die notwendige Folge; denn ich lese die Urkunde vor.’ Doch über diese ganze Gattung von Beweisen habe ich kurz zuvor gesprochen.
Über diese Gegenstände habe ich mich möglichst kurz ausgesprochen. So wie es nämlich, wenn ich jemand Gold, das an verschiedenen Stellen vergraben ist, zeigen wollte, hinreichend sein müsste, wenn ich die Kennzeichen und Merkmale dieser Stellen angäbe und er alsdann, sobald er sie kennengelernt hat, selbst für sich graben und das, was er wünschte, mit geringer Mühe, ohne zu irren, finden würde, so habe auch ich nur die Merkmale der Beweisgründe aufgezeichnet, die mir zeigen, wo ich sie zu suchen habe. Das übrige lässt sich durch Sorgfalt und Nachdenken ausfindig machen.
Welche Art von Beweisgründen aber sich für jede Art von Rechtssachen eigne, das vorzuschreiben vermag die vortrefflichste Kunst nicht; um es aber zu beurteilen, dazu gehört nur eine mäßige Geisteskraft. Es ist ja auch jetzt nicht meine Absicht, ein Lehrgebäude der Redekunst aufzustellen, sondern ich will nur gebildeten Männern aus meiner Erfahrung einige Winke mitteilen. Hat also der Redner diese Beweisquellen seinem Geist und seiner Denkkraft tief eingeprägt und sich so angeeignet, dass er sie sich für jeden zum Reden vorgelegten Fall zu vergegenwärtigen vermag, so wird ihm nichts entgehen können, nicht nur bei gerichtlichen Verhandlungen, sondern überhaupt bei jeder Art des Vortrags.
Wenn er nun vollends das erreicht, dass er so erscheint, wie er es wünscht, und die Gemüter seiner Zuhörer in eine solche Stimmung versetzt, dass er sie, wohin er will, mit sich fortzieht und fortreißt, so wird er wahrlich weiter nichts für die Rede vermissen.
Ferner sehen wir, dass es keineswegs hinreichend ist, zu erfinden, was man sagen soll, wofern man nicht auch das Erfundene zu behandeln versteht. Die Behandlung muss aber mannigfaltig sein, damit der Zuhörer weder die Kunst bemerke noch durch die Einförmigkeit des Vortrages ermüdet und mit Überdruss erfüllt werde. Man muss angeben, was man sagen will, und zeigen, warum es sich so verhalte; man muss aus den oben angeführten Beweisquellen bisweilen Schlussfolgerungen bilden, bisweilen aber es unterlassen und auf etwas anderes übergehen; oft muss man den Hauptsatz nicht hinstellen, sondern durch Anführung des Sachverhältnisses selbst deutlich machen, was als Hauptsatz hätte hingestellt werden müssen. Bezieht sich das, was man sagt, auf etwas Ähnliches, so muss man zuvor die Ähnlichkeit des Falles begründen und dann den Fall, auf den es ankommt, hinzufügen; die einzelnen Absätze der Beweise muss man gewöhnlich verbergen, damit sie niemand nachzählen könne, so dass sie der Sache nach geschieden werden, den Worten nach ineinander verschmolzen zu sein scheinen.
Diese Gegenstände aber durchlaufe ich eilig, da ich, als Halbgelehrter, vor so gelehrten Männern rede, um endlich einmal auf Wichtigeres zu kommen. Nichts nämlich, mein Catulus, ist in der Beredsamkeit wichtiger, als dass der Zuhörer dem Redner geneigt sei und selbst so erschüttert werde, dass er sich mehr durch einen Drang des Gemütes und durch Leidenschaft als durch Urteil und Überlegung leiten lasse. Denn weit häufiger urteilen die Menschen nach Hass oder Liebe, nach Begierde, nach Zorn, nach Schmerz oder Freude, nach Hoffnung oder Furcht, nach irrigen Ansichten oder nach einer Aufwallung des Gemütes, als nach Wahrheit oder Vorschrift oder nach einer Regel des Rechtes oder nach einer gerichtlichen Formel oder nach Gesetzen.
Darum lasst uns, wenn euch nicht etwas anderes beliebt, zu diesen Gegenständen fortgehen." "Eine Kleinigkeit", entgegnete Catulus, "scheint mir auch jetzt noch an deinem Vortrag, Antonius, zu fehlen; die musst du zuvor entwickeln, ehe du dahin gehst, wohin du, wie du sagst, deinen Weg zu nehmen gedenkst." "Und die wäre?" fragte er. "Welche Ordnung und Stellung der Beweise", sagte Catulus, "nach deiner Ansicht anzuwenden sei; denn hierin pflegst du mir immer als der erste Meister zu erscheinen."
"Ei sieh doch, Catulus", entgegnete er, "was ich hierin für ein Meister bin! Wahrlich, hättest du mich nicht daran erinnert, es wäre mir nicht eingefallen. Hieraus kannst du beurteilen, dass ich auf diese Dinge, in denen ich zuweilen etwas zu leisten scheine, durch die Übung im Reden oder vielmehr durch den Zufall, geleitet zu werden pflege. Allerdings ist der Gegenstand, bei dem ich, weil ich ihn nicht kannte, wie bei einem unbekannten Menschen vorüberging, von so großer Wichtigkeit in der Beredsamkeit, dass kein anderer dem Redner mehr zum Sieg verhelfen kann; aber gleichwohl hast du, wie ich glaube, vor der Zeit von mir die Lehre von der Anordnung und Stellung der Beweisgründe verlangt.
Hätte ich nämlich die ganze Bedeutung des Redners in die Beweisgründe und in die Bestätigung der Sache an und für sich gesetzt, so wäre es jetzt Zeit, über die Anordnung und Stellung der Beweisgründe etwas zu sagen; aber da ich drei Forderungen an den Redner gestellt und von diesen nur eine besprochen habe, so muss ich erst über die beiden anderen reden, und erst dann wird es zweckmäßig sein, die Untersuchung über die Anordnung der ganzen Rede vorzunehmen.
Viel also trägt zur siegreichen Führung der Sache bei, dass der Charakter, die Grundsätze, die Handlungen und der Lebenswandel derer, die als Sachwalter auftreten, und derer, für die sie auftreten, Beifall, sowie dagegen dieselben Eigenschaften der Gegner Missbilligung finden und dass die Gemüter der Zuhörer soviel als möglich zum Wohlwollen für den Redner und für den, dessen Sache der Redner führt, gestimmt werden. Zum Wohlwollen aber werden die Gemüter gestimmt durch die Würde des Menschen, durch seine Taten und durch den guten Ruf seines Lebenswandels: Eigenschaften, die sich leichter durch die Rede ausschmücken lassen, wenn sie nur vorhanden sind, als erdichten, wenn sie nicht vorhanden sind. Doch förderlich ist dem Redner auch eine sanfte Stimme, die Miene, der Ausdruck der Bescheidenheit, freundliche Worte und, sooft er etwas mit einiger Heftigkeit vorträgt, der Anschein, als tue er es ungern und gezwungen. Von Leutseligkeit, edler Gesinnung, Sanftmut, Pflichtgefühl, Dankbarkeit, einer von Habsucht und Geldgier freien Denkungsart Merkmale an den Tag legen ist sehr nützlich, und alle Eigenschaften eines rechtschaffenen, anspruchslosen, von Heftigkeit, Hartnäckigkeit, Streitsucht, Bitterkeit freien Charakters sind in hohem Grad dazu geeignet, Wohlwollen zu gewinnen und es denen zu entziehen, die diese Eigenschaften nicht besitzen. Die entgegengesetzten Eigenschaften muss man daher den Gegnern zur Last legen.
Aber diese ganze Art der Rede wird sich in solchen Verhandlungen trefflich bewähren, in denen das Gemüt des Redners weniger durch eine feurige und leidenschaftliche Aufregung entflammt werden kann. Denn nicht immer ist eine kraftvolle Rede erforderlich, sondern oft eine ruhige, sanft und gelinde, die vorzüglich den Beteiligten zur Empfehlung dient. Beteiligte aber nenne ich nicht nur die, die verklagt werden, sondern alle, deren Streitsache verhandelt wird. Denn so drückte man sich ehemals aus.
Den Charakter dieser nun in der Rede zu schildern, indem man sie als gerechte, unbescholtene, gewissenhafte, schüchterne, bei Kränkungen duldsame Menschen beschreibt, tut eine wunderbare Wirkung, und dieses Verfahren, mag es im Anfang oder bei der Erzählung oder am Schluss der Rede angewendet werden, hat, wenn es mit Anmut und Gefühl ausgeführt wird, einen so großen Einfluss, dass es oft mehr wirkt als die Sache selbst. Ein gefühlvoller Vortrag hat die Wirkung, dass die Rede gleichsam als der Abdruck des Charakters des Redners angesehen wird. Denn durch eine gewisse Art von Gedanken und Worten in Verbindung mit einem sanften und Leutseligkeit verratenden Vortrag verschaffen sich die Redner das Ansehen von rechtschaffenen, wohlgesitteten und tugendhaften Männern.
An diese Art der Rede aber schließt sich eine andere, von ihr verschiedene, die auf andere Weise die Gemüter der Richter bewegt und sie zu Hass, Liebe, Neid, Verlangen zu retten, Furcht, Hoffnung, Wohlwollen, Abscheu, Freude, Trauer, Mitleid, Rachsucht antreibt oder Empfindungen in ihnen hervorruft, die diesen und solchen Gemütsbewegungen ähnlich und verwandt sind.
Und der Redner muss wünschen, dass die Richter schon von selbst eine dem Vorteil des Redners günstige Gemütsbewegung zu der Verhandlung mitbringen; denn es ist leichter, wie man sagt, den Laufenden anzufeuern, als den Schläfrigen in Bewegung zu setzen. Ist dies aber nicht der Fall oder tritt es nicht deutlich hervor, so mache ich es wie ein gewissenhafter Arzt. So wie nämlich dieser, bevor er bei dem Kranken ein Heilmittel anzuwenden versucht, nicht allein die Krankheit dessen, den er heilen will, sondern auch seine gewohnte Lebensweise in gesundem Zustand und seine Körperbeschaffenheit erforschen muss, ebenso suche ich, wenn ich eine missliche Sache übernehme, wobei es schwerhält, die Gemüter der Richter zu bearbeiten, mit der ganzen Geisteskraft meine Gedanken und meine Sorge darauf zu richten, dass ich mit möglichst großer Scharfsichtigkeit aufspüre, was sie denken, urteilen, erwarten und wünschen und wohin sie wohl durch meine Rede am leichtesten gelenkt werden können.
Wenn sie sich mir hingeben und, wie ich zuvor sagte, von selbst sich dahin wenden und neigen, wohin ich sie bringen will, so benutze ich, was mir geboten wird, und richte meine Segel dahin, woher der Wind kommt. Ist aber der Richter unentschieden und in ruhiger Stimmung, so gibt es mehr Arbeit. Denn alsdann muss durch die Rede alles in Bewegung gesetzt werden, da die Natur nicht zu Hilfe kommt. Aber die Rede, die von einem guten Dichter die Lenkerin der Herzen und die Beherrscherin aller Dinge genannt wird, besitzt eine so gewaltige Kraft, dass sie nicht nur den Sinkenden auffangen und den Stehenden zum Sinken bringen, sondern auch den Widerstrebenden und Widerstand Leistenden, wie ein guter und tapferer Feldherr, gefangen nehmen kann.
Das sind nun meine Ansichten über jene Dinge, deren Entwicklung Crassus soeben scherzend von mir verlangte, als er sagte, sie pflegten von mir meisterhaft behandelt zu werden, und zugleich lobend erwähnte, ich hätte dies in der vortrefflichen Führung der Sache des Manius Aquilius, des Gaius Norbanus und einiger anderen Rechtsklagen bewiesen. Aber wahrlich, wenn diese Gegenstände von dir, Crassus, in Rechtssachen behandelt werden, so pflegt mich ein Schauer zu befallen. Eine so gewaltige Kraft des Geistes, ein solches Feuer, ein so tiefes Gefühl pflegt aus deinen Augen, Mienen, Gebärden, ja sogar aus diesem deinem Finger zu sprechen; so gewaltig ist der Strom der gewichtigsten und vortrefflichsten Worte, so gediegen; so wahr, so neu, so frei von kindischem Anstrich und Schmuck sind deine Gedanken, dass du mir nicht allein den Richter zu entflammen, sondern selbst Feuer und Flamme zu sein scheinst.
Auch ist es nicht möglich, dass der Zuhörer Schmerz, Hass, Unwillen und Furcht empfinde, dass er zu Tränen und Mitleid gerührt werde, wenn sich, nicht von allen den Gemütsbewegungen, die der Redner in dem Richter hervorrufen will, in dem Redner selbst die Merkmale eingedrückt und eingeprägt zeigen. Müsste man einen erheuchelten Schmerz annehmen und wäre in einer solchen Rede nichts als Erdichtetes und durch Nachahmung Erkünsteltes, so dürfte vielleicht eine größere Kunst erforderlich sein. Nun aber weiß ich freilich nicht, wie es dir, mein Crassus, und anderen ergeht; was mich aber betrifft, so habe ich keinen Grund, vor so einsichtsvollen und befreundeten Männern etwas Unwahres zu sagen; wahrlich, ich habe nie bei den Richtern Schmerz oder Mitleid oder Unwillen oder Hass durch meinen Vortrag erregen wollen, ohne mich selbst, sooft ich die Richter zu rühren suchte, von denselben Empfindungen, in die ich sie versetzen wollte, ergriffen zu fühlen.
Denn es ist nicht leicht zu bewirken, dass der Richter dem zürne, gegen den du seinen Zorn lenken willst, wenn du selbst die Sache gleichgültig aufzunehmen scheinst, oder dass er den hasse, den du gehasst sehen willst, wenn er dich selbst nicht zuvor von Hass entbrannt sieht; auch wird er sich nicht zum Mitleid stimmen lassen, wenn du ihm nicht Zeichen deines Schmerzes in Worten, Gedanken, Stimme, Mienen, ja in Tränen gegeben hast. Denn so wie es kein Holz gibt, das so leicht entzündbar ist, dass es ohne Heranbringung von Feuer entzündet werden könnte, ebenso ist auch kein Gemüt so empfänglich, die Gewalt der Rede aufzufassen, dass es entflammt werden könnte, wenn man sich nicht selbst feurig und glühend ihm naht.
Und um es nicht etwa schwierig und wunderbar zu finden, dass ein Mensch so oft zürne, so oft Schmerz empfinde, so oft von allen Arten der Gemütsbewegungen ergriffen werde, zumal in fremden Angelegenheiten, so muss man wissen: Groß ist die Gewalt der Gedanken und der Gegenstände, die man in der Rede vorträgt und behandelt, so dass es keiner Verstellung und keines Truges bedarf. Denn an sich schon setzt eine Rede, die man hält, um die Gemüter anderer in Bewegung zu setzen, den Redner selbst mehr noch als irgendeinen der Zuhörer in Bewegung.
Und wir wollen uns nicht wundern, dass dies bei Verhandlungen, vor Gericht, bei Gefahren von Freunden, bei einem Zusammenlauf von Menschen, vor unseren Mitbürgern, auf dem Forum geschieht, nicht allein der Ruf unserer Redegabe auf dem Spiel steht – doch das wäre noch das geringste; wiewohl, wenn man sich öffentlich das Ansehen gegeben hat, etwas leisten zu können, was nur wenige vermögen, auch dies nicht unbeachtet bleiben darf –, nein, auch andere ungleich wichtigere Dinge kommen in Betracht: die Ehrlichkeit, die Pflicht, die Gewissenhaftigkeit, die uns bestimmen, auch wenn wir ganz fremde Menschen verteidigen, diese dennoch, falls wir selbst für redliche Männer gelten wollen, nicht als fremde anzuseilen.
Doch, wie gesagt, um dies an uns nicht wunderbar zu finden, so frage ich: Wo kann mehr Erdichtung herrschen als in Versen, auf der Bühne, in den Schauspielen? Und doch habe ich hier oft gesehen, wie mir die Augen des Schauspielers aus seiner Maske hervorzuglühen schienen, wenn er von seinem Lager herab die Worte sagte:
Ihn verlassend, wagst du nach Salamis zu kommen ohne ihn?
Scheust nicht des Vaters Anblick?
Niemals sagte er das Wort Anblick, ohne dass mir der erzürnte Telamon aus Trauer über den Tod des Sohnes zu rasen schien. Aber wenn derselbe in einer zum Klageton umgewandelten Stimme die folgenden Worte sagte:
Den hochbejahrten, kinderlosen Greis
Hast du zerfleischt, beraubt, gemordet! Dich hat nicht des Bruders Tod,
Nicht der kleine Knabe, dir zur Obhut anvertraut, gerührt!
schien er sie weinend und in tiefer Trauer zu sagen. Wenn nun ein Schauspieler solche Stellen, obwohl er sie täglich vortrug, doch nicht richtig ohne Rührung vortragen konnte, wie, meint ihr, Pacuvius habe sie in ruhiger und gelassener Stimmung niedergeschrieben? Das war unmöglich.
Denn oft habe ich gehört, und man sagt, es stehe auch in den Schriften des Demokritos und Platon, niemand könne ohne innere Feuerglut und ohne den Anhauch der Begeisterung ein guter Dichter werden. Glaubt daher nicht, dass ich selbst, der ich nicht die alten Missgeschicke und die erdichtete Trauer von Heroen durch die Rede nachahmen und darstellen will und nicht eine fremde, sondern meine eigene Rolle spielte, als ich den Manius Aquilius für den Staat erhalten musste, das, was ich am Schluss der Verhandlung tat, ohne inniges Mitgefühl getan habe.
Denn da ich den Mann, von dem ich wusste, dass er Konsul gewesen war, dass er als Heerführer vom Senat ausgezeichnet worden war, dass er in feierlichem Siegeszug das Kapitol bestiegen hatte, niedergeschlagen, gedemütigt, von tiefer Trauer erfüllt, in der größten Gefahr schwebend sah, so versuchte ich nicht eher bei anderen Mitleid zu erregen, als ich selbst von Mitleid ergriffen war. Wohl bemerkte ich, dass die Richter lebhaft erschüttert wurden, als ich den tiefbetrübten und in Trauerkleider gehüllten Greis sich erheben ließ und das tat, was du, Crassus, lobst, nicht nach den Regeln der Kunst, über die ich zu reden nicht verstehe, sondern von heftiger Gemütsbewegung und tiefer Rührung ergriffen, indem ich ihm den Leibross aufriss und die vernarbten Wunden zeigte.
Als Gaius Marius, der sich zu der Verhandlung eingestellt hatte und vor mir saß, meine Trauerrede durch seine Tränen sehr unterstützte, als ich ihn häufig anredete, ihm seinen Amtsgenossen empfahl und ihn selbst aufrief, als Sachverständiger das gemeinsame Geschick der Heerführer zu verteidigen, konnte ich nicht, ohne selbst Tränen zu vergießen; ohne selbst inniges Mitgefühl zu empfinden, Mitleid erregen und den Schutz aller Götter und Menschen und Bürger und Bundesgenossen anflehen. Und hätte allen den Worten, die ich damals gebrauchte, das eigene Mitgefühl gefehlt, so würde mein Vortrag nicht Mitleid, sondern vielmehr Gelächter erregt haben. Daher erteile ich euch, Sulpicius, ich, der treffliche und hochweise Lehrmeister, die Lehre: Ihr müsst beim Reden zürnen, Schmerz empfinden, Tränen vergießen können.
Doch wozu soll ich dir die Lehre geben, der du bei der Anklage meines Freundes und Quästors nicht allein durch deine Rede, sondern weit mehr noch durch die Gewalt der Empfindung, durch das lebhafte Mitgefühl und die Glut der Seele einen solchen Brand angefacht hattest, dass ich kaum wagte, zu dessen Löschung heranzutreten? Alle Vorteile des Redners standen dir in der damaligen Verhandlung zu Gebote: Die Gewalttätigkeit, die Flucht, die Steinigung, die Grausamkeit des Tribunen bei dem harten und bedauernswürdigen Missgeschick des Caepio riefst du vor das Gericht; dann war es bekannt, dass der erste Mann des Senates und Staates, Marcus Aemilius, von einem Stein getroffen war; dass aber Lucius Cotta und Titus Didius, als sie gegen den Antrag Einrede tun wollten, von der Rednerbühne vertrieben worden waren, konnte niemand ableugnen.
Hierzu kam noch, dass dir als einem jungen Mann diese Anklage, als zum Besten des Staates angestellt, zur höchsten Ehre angerechnet wurde, während für mich, einen gewesenen Censor, die Verteidigung eines aufrührerischen Bürgers, der sich bei dem Missgeschick eines Konsulars so grausam bewiesen hatte, kaum recht ehrenhaft erscheinen konnte. Die wackersten Bürger waren Richter, das Forum war angefüllt mit gutgesinnten Bürgern, so dass mir kaum noch darin eine schwache Verzeihung und Entschuldigung blieb, dass ich doch einen Mann verteidigte, der mein Quästor gewesen war. Was für eine Kunst, soll ich sagen, habe ich hierbei angewendet? Ich will erzählen, was ich getan habe. Wenn es euch beliebt, so mögt ihr meine Verteidigung als ein Ergebnis der Kunst ansehen.
Von allen Aufständen stellte ich die Arten, Gebrechen und Gefahren zusammen und ging bei dieser Erörterung auf alle Wechsel der Zeitumstände in unserem Staat zurück und zog hieraus die Folgerung, dass, wenn auch alle Aufstände zu jeder Zeit peinlich, doch einige gerecht und beinahe notwendig gewesen seien. Hierauf trug ich das vor, was Crassus eben erwähnte, dass weder die Könige aus unserem Staat vertrieben, noch die Volkstribunen gewählt, noch durch Volksbeschlüsse so oft die konsularische Macht beschränkt, noch das Berufungsrecht zum Schutz des Bürgertums und zum Schirm der Freiheit dem römischen Volk hätte verliehen werden können, wenn nicht die Bürgerlichen mit den Adeligen in Zwietracht getrennt gewesen wären. Seien aber jene Aufstände unserem Staate heilsam gewesen, so dürfe man nicht sofort, wenn eine Volksbewegung stattgefunden habe, dieses dem Gaius Norbanus als frevelhaftes Vergehen und der Todesstrafe würdiges Verbrechen anrechnen. Wenn nun jemals eine Aufregung des Volkes als rechtmäßig anerkannt worden sei, so habe keine einen gerechteren Grund gehabt als jene. Alsdann leitete und wandte ich meine ganze Rede darauf hin, dass ich die Flucht des Caepio heftig tadelte und den Untergang des Kriegsheeres bejammerte. Auf diese Weise gelang es mir, durch meinen Vortrag den Schmerz derer, die die Ihrigen betrauerten, wiederaufzufrischen und die Gemüter der römischen Ritter, vor denen, als den damaligen Richtern, die Sache verhandelt wurde, zum Hass gegen Quintus Caepio, dem sie ohnehin wegen der Gerichte abgeneigt waren, aufs neue zu entflammen.
Sobald ich nun merkte, dass ich mich zum Herr des Gerichtes gemacht hatte und dass meine Verteidigung auf fester Grundlage ruhe, weil ich einerseits das Wohlwollen des Volkes gewonnen hatte, dessen Recht ich sogar in Verbindung mit Aufruhr verteidigt hatte, andererseits die Gemüter der Richter teils durch die Erinnerung an das Missgeschick des Staates und an die Trauer um die Verwandten und die Sehnsucht nach ihnen, teils durch den persönlichen Hass gegen Caepio gänzlich meiner Sache zugewandt hatte, da fing ich an, dieser leidenschaftlichen und aufgeregten Art des Vortrages jene andere, von der ich zuvor gesprochen habe, die der Milde und Freundlichkeit, beizumischen, indem ich erklärte, ich kämpfte für meinen Amtsgefährten, der mir nach der Sitte der Altvorderen einem Kind gleich gelten müsse und für meinen ganze Ruf beinahe und meine Lebensverhältnisse; nichts könne meiner Ehre schimpflicher sein, nichts mich mit einem empfindlicheren Schmerz erfüllen, als wenn ich, der ich nach dem Urteil der Leute oft ganz fremden Menschen, bloß weil sie meine Mitbürger waren, Rettung verschafft hätte, nicht imstande wäre, meinem Amtsgefährten Hilfe zu leisten.
Ich bat die Richter, sie möchten in Rücksicht auf mein Alter, auf meine verwalteten Ehrenstellen, auf meine Taten gegen mich Nachsicht üben, wenn sie mich von einem gerechten, von einem pflichtmäßigen Schmerz ergriffen sähen, zumal wenn sie bei anderen Verhandlungen die Einsicht gewonnen hätten, dass ich zu jeder Zeit nur für meine von Gefahren bedrohten Freunde, nie für mich selbst Fürbitten eingelegt hätte. So habe ich in jener ganzen Verteidigung und Verhandlung das, was die Kunstregeln zu erheischen schienen, dass ich nämlich von dem Apuleiischen Gesetz redete, dass ich den Begriff der Hoheitsverletzung entwickelte, nur sehr kurz und oberflächlich berührt. Aber die beiden Arten der Beredsamkeit, von denen die eine sich mit der Erregung der Leidenschaft, die andere mit der Erwirkung der Zuneigung beschäftigt, die beide am wenigsten durch Kunstregeln ausgebildet sind, wurden von mir, in der Behandlung meiner ganzen Sache benutzt, so dass ich einerseits, als ich den Hass gegen Caepio erneuerte, sehr heftig, andererseits, als ich meine Gesinnung gegen meinen Schutzbefohlenen an den Tag legte, sehr sanftmütig erschien. So gelang es mir, mehr durch Rührung der Gemüter als durch Belehrung der Richter über deine Anklage, Sulpicius, den Sieg zu erringen."
Da erwiderte Sulpicius: "Wahrlich, du erwähnst dies mit Recht, Antonius. Denn noch nie sah ich mir etwas so aus den Händen entschlüpfen, wie mir damals jene Sache entschlüpfte. Denn als ich dir, wie du bemerktest, nicht ein Gericht, sondern einen Feuerbrand übergeben hatte, wie, unsterbliche Götter, war da der Anfang deiner Rede! Welche Besorgnis, welche Bedenklichkeit! Wie stotternd und langgedehnt deine Worte! Aber kaum hattest du zu Anfang das, was dir allein die Nachsicht der Menschen gewann, erreicht, dass du nämlich für einen dir nahestehenden Mann, deinen Quästor, als Verteidiger auftretest, wie wusstest du da vorerst dir die Bahn zu brechen, um dir Gehör zu verschaffen!
Aber siehe! Da ich meinte, du hättest nichts weiter ausgerichtet, als dass die Menschen dir die Verteidigung eines schlechten Bürgers wegen der Amtsgenossenschaft verzeihen zu müssen meinten, begannst du unmerklich weiter um dich zu greifen, indes die anderen nichts ahnten, ich aber äußerst besorgt wurde, du möchtest die Sache nicht als einen Aufruhr des Norbanus, sondern als die Wirkung des Zornes des römischen Volkes, und zwar eines nicht ungerechten, sondern verdienten und schuldigen, verteidigen. Ferner, welcher Umstand wurde von dir bei dem Angriff auf Caepio unbeachtet gelassen? Wie verstandest du, in allem Hass, Unwillen, Mitleid durcheinanderzumischen! Und das nicht allein bei der Verteidigung, sondern auch gegen Scaurus und meine übrigen Zeugen, deren Zeugnisse du nicht durch Widerlegung, sondern dadurch, dass du deine Zuflucht demselben Ungestüm des Volkes nahmst, entkräftetest.
Als du dieses soeben erzähltest, vermisste ich darin keine Regeln der Kunst, doch glaube ich, dass es an sich schon eine nicht unerhebliche Unterweisung in sich schließt." "Nun denn, wenn es euch so gefällt", sagte Antonius, "so will ich euch vortragen, was ich in meinen Reden zu befolgen und worauf ich mein Augenmerk zu richten pflege; denn ein langes Leben und die Erfahrung in den wichtigsten Angelegenheiten hat mich die Mittel erlernen lassen, wodurch die Gemüter der Menschen in Bewegung gesetzt werden.
Ich pflege daher zuerst zu überlegen, ob die Sache so etwas erfordere. Denn weder bei geringfügigen Gegenständen darf man diese Feuerbrände der Rede anwenden noch auch bei einer solchen Stimmung der Menschen, bei der wir durch unsern Vortrag auf die Rührung der Gemüter durchaus nicht einwirken können, ja uns der Gefahr aussetzen, verspottet zu werden und uns verhasst zu machen, wenn wir bei Possen Trauerspiele aufführen wollen oder das Unbewegliche in Bewegung zu setzen versuchen.
Wenn es nämlich in der Regel besonders folgende Empfindungen sind, die in den Gemütern der Richter oder sonstiger Zuhörer, vor denen wir reden, in Bewegung gesetzt werden müssen: Liebe, Hass, Zorn, Neid, Mitleid, Hoffnung, Freude, Furcht, Verdruss, so sehen wir ein, dass wir Liebe gewinnen, wenn man das, was gerade denen nützlich ist, vor denen man redet, zu verteidigen oder wenn man sich für rechtschaffene Männer oder wenigstens für solche, die in ihren Augen rechtschaffen und tüchtig sind, zu bemühen scheint. Denn das letztere gewinnt mehr Liebe, das erstere hingegen, die Verteidigung der Tugend, mehr Hochachtung, und mehr richtet man aus, wenn man die Hoffnung auf künftigen Vorteil ankündigt, als wenn man eine vergangene Wohltat erwähnt.
Man muss sich Mühe geben zu zeigen, dass die Sache, die man verteidigt, entweder mit Ehre oder mit Nutzen verbunden ist, und anzudeuten, dass der, dem man diese Liebe gewinnen will, nichts auf seinen Vorteil bezogen und überhaupt nichts in eigennütziger Absicht getan habe. Denn die Vorteile der Menschen selbst beneidet man; ihren Bemühungen aber, anderen Vorteile zu gewähren, ist man günstig.
Auch muss man sich hierbei vorsehen, dass wir nicht von den Männern, die wir wegen ihrer guten Handlungen geachtet wissen wollen, Lob und Ruhm, die man am meisten zu beneiden pflegt, allzu sehr zu erheben scheinen. Aus denselben Quellen schöpfen wir auch die Kunst, Hass sowohl gegen andere aufzuregen als auch von uns und den Unsrigen zu entfernen, und ein gleiches Verfahren müssen wir bei Erregung und Besänftigung des Zornes anwenden. Denn wenn man das, was den Zuhörern selbst verderblich oder schädlich ist, mit erhöhter Farbe darstellt, so erzeugt man Hass; wenn man aber in gleicher Weise bei der Erwähnung schlechter Handlungen, die man gegen brave Männer oder gegen solche, die es am wenigsten verdient hatten, oder gegen den Staat ausgeübt hat, verfährt, so erregt man, wenn auch nicht einen gleich bitteren Hass, doch eine dem Unwillen oder dem Hass nicht unähnliche Abneigung.
Auf gleiche Weise jagt man Furcht durch die Beschreibung eigener oder gemeinsamer Gefahren ein. Tiefer ins Herz dringt die Furcht vor eigener Gefahr; aber auch die gemeinsamen müssen so geschildert werden, dass sie jener gleichzukommen scheinen. Ein ganz gleiches Verhältnis findet bei der Hoffnung, der Freude und dem Verdruss statt; doch unter allen Gemütsbewegungen dürfte der Neid wohl die heftigste sein, und es ist nicht weniger Anstrengung erforderlich, um ihn zu unterdrücken, als um ihn zu erregen. Es beneiden aber die Menschen vorzüglich die ihnen Gleichgestellten oder auch Niedrigere, wenn sie meinen, dass sie zurückgeblieben sind, und die schmerzliche Bemerkung machen, dass diese sie überflügelt haben. Aber auch gegen Höhere empfindet man oft heftigen Neid, und um so mehr, je unerträglicher sie sich brüsten und wegen ihres Vorranges an Würde und Glück die Grenze des allen gleichmäßig zukommenden Rechts überschreiten. Sollen diese Vorzüge zur Entflammung des Neides benutzt werden, so muss man vor allem behaupten, dass sie nicht durch Tugend, und dann, dass sie sogar durch Laster und Vergehungen erworben seien; ferner, wenn sie zu ehrenvoll und bedeutend sein sollten, so erkläre man, dass doch kein Verdienst einen so hohen Wert habe, dass es der Anmaßung und dem schnöden Stolz des Menschen gleichkomme.
Zur Beschwichtigung des Neides hingegen muss man zeigen, dass jene Vorzüge durch große Anstrengung unter großen Gefahren erworben seien, dass ihr Besitzer sie nicht zu eigenem, sondern zu anderer Nutzen verwendet habe, dass er an dem Ruhm, den er sich etwa erworben zu haben scheine, obwohl er kein unbilliger Lohn der Gefahr sei, doch kein Vergnügen finde, ihn vielmehr ganz fallen lasse und aufgebe. Und weil die meisten Menschen neidisch sind und dieses Laster so allgemein und überall verbreitet ist, ein hervorragendes und blühendes Glück aber der Gegenstand des Neides zu sein pflegt, so muss man überhaupt sich eifrig bemühen, diese Meinung hiervon den Leuten auszureden und zu zeigen, dass jenes dem Schein nach so glänzende Glück durch Mühseligkeiten und Kümmernisse verbittert werde.
Das Mitleid ferner wird erregt, wenn der Zuhörer in die Gemütsstimmung versetzt werden kann, dass er das Traurige, was an einem andern beklagt wird, nach den eigenen bitteren Schicksalen, die er entweder erduldet hat oder befürchtet, bemisst oder bei der Betrachtung eines andern häufig auf sich selbst zurückblickt. So wie nun alle Zufälle des menschlichen Elendes schmerzlich empfunden werden, wenn man sie mit teilnehmender Rührung schildert, so ist es besonders die misshandelte und mit Füßen getretene Tugend, die tiefe Betrübnis hervorruft; und so wie die eine Art der Beredsamkeit, die den Charakter eines Menschen durch die Empfehlung seiner Rechtschaffenheit in einem vorteilhaften Licht zeigen soll, einen sanften und gelassenen Vortrag, wie ich schon oft bemerkte, erfordert, so muss die andere, deren sich der Redner bedient, um die Gemüter umzustimmen und auf jede Weise zu lenken, mit gespannter Kraft und mit Feuer vorgetragen werden.
Aber zwischen diesen beiden Arten, von denen wir die eine sanft, die andere feurig wissen wollen, findet eine gewisse, schwer zu unterscheidende Ähnlichkeit statt. Denn so wie von jener Sanftheit, durch die wir uns bei den Zuhörern beliebt machen, etwas in diesen leidenschaftlichen Nachdruck, durch den wir sie erregen, einfließen muss, so müssen wir hingegen von diesem Nachdruck zuweilen etwas Belebendes in jene Sanftheit hineinbringen, und keine Rede hat eine bessere Mischung als die, in der die Rauheit des leidenschaftlichen Vortrags durch die Freundlichkeit des Redners selbst gemildert und die Schlaffheit der Sanftmut durch Ernst und Nachdruck gekräftigt wird.
Bei beiden Arten des Vortrags aber, sowohl bei jener, in der Kraft und Nachdruck erforderlich ist, als auch bei dieser, deren man sich bei der Schilderung des Lebens und Charakters bedient, müssen die Eingänge langsam sein, aber auch die Ausgänge sich Zeit nehmen und gedehnt sein. Man darf nämlich weder sogleich zu jener Art des Vortrags überspringen – denn sie geht ganz von dem Streitpunkt ab, und die Menschen wünschen zuerst den eigentlichen Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung zu erfahren – noch auch, wenn man diesen Ton einmal angestimmt hat, ihn schnell verlassen.
Denn ein Beweisgrund wird allerdings, sobald er vorgelegt ist, gefasst, und ein zweiter und dritter wird verlangt; aber nicht auf gleiche Weise kann man Mitleid oder Neid oder Zorn so schnell, wie man davon zu reden begonnen hat, erregen. Der Beweisgrund erhält seine Kraft durch den vernünftigen Gedanken selbst, der, sobald er ausgesprochen ist, sofort im Geist haftet; jene Art des Vortrages aber legt es nicht auf Belehrung des Richters an, sondern mehr auf seine Erschütterung, und diese kann niemand auf eine andere Weise hervorbringen als durch einen umfangreichen, mannigfaltigen und reichhaltigen Vortrag, der von einer entsprechenden Lebhaftigkeit des Mienen- und Gebärdenspieles begleitet ist.
Wer daher kurz oder in sanftem Ton redet, der kann den Richter belehren, aber ihn zu erschüttern vermag er nicht; worauf doch alles beruht. Ferner ist auch das einleuchtend, dass die Fähigkeit, über alle Gegenstände dafür oder dagegen zu reden, aus denselben Quellen geschöpft wird. Aber den Beweisgrund des Gegners muss man entkräften teils dadurch, dass man das verwirft, was zu seiner Bestätigung angeführt wird, teils dadurch, dass man zeigt, dass das, was die Gegner daraus schließen wollen, nicht aus ihren Vordersätzen erwiesen werde und nicht folgerichtig sei; oder wenn auf diese Weise die Widerlegung nicht möglich ist, so muss man für das Gegenteil Beweisgründe beibringen, die entweder stärker oder gleich stark sind.
Was aber der Gegner entweder, um die Gemüter zu gewinnen, sanft oder, um sie zu erschüttern, leidenschaftlich vorträgt, das muss man durch Erregung entgegengesetzter Gemütsbewegungen zu entkräften suchen, indem man Hass durch Wohlwollen, Mitleid durch Neid aufhebt. Angenehm aber und oft ausnehmend nützlich sind der Scherz und die witzigen Einfälle; aber wenn sich alles andere durch Kunstregeln vortragen lässt, so sind diese doch Naturgaben und bedürfen keiner Kunst. Hierin zeichnest du dich, Caesar, nach meinem Urteil vor anderen ganz besonders aus. Um so mehr kannst du mir auch bezeugen, dass es keine Kunstregeln über den Witz gibt, oder gibt es solche, so wirst du uns hierin den besten Unterricht geben."
"Ja wahrlich", erwiderte er, "über jeden Gegenstand, glaube ich, kann ein Mann von einiger Bildung leichter reden als über den Witz. Als ich einst einige griechische Bücher sah, die die Aufschrift ‘Vom Lächerlichen’ führten, so machte ich mir einige Hoffnung, hieraus etwas lernen zu können. Ich fand allerdings viele lächerliche und witzige Äußerungen der Griechen; denn die Sizilier, die Rhodier, die Byzantiner und vor allen die Attiker zeichnen sich hierin aus; aber die, die versucht haben, Kunstregeln und ein Lehrgebäude hiervon aufzustellen, zeigen sich so alles Witzes bar, dass man über nichts anderes bei ihnen lachen kann als eben über ihre Witzlosigkeit.
Daher lässt sich meines Erachtens ein kunstmäßiger Unterricht über diesen Gegenstand auf keine Weise erteilen. Allerdings gibt es zwei Arten des Witzes, von denen die eine gleichmäßig über die ganze Rede verbreitet ist, die andere in kurzen, scharf treffenden Einfällen besteht; die erstere nennen die Alten Laune, die letztere Spottwitz. Einen unbedeutenden Namen hat beides natürlich; unbedeutend ist ja die ganze Sache, die Erregung des Lachens.
Jedoch habe ich sehr oft die Erfahrung gemacht, dass man, wie du bemerkst, Antonius, in den Rechtsverhandlungen durch Laune und Witz viel ausrichtet. Aber da man für die erstere Art, für die gemütliche Laune, die sich durch den ganzen Vortrag hindurchzieht, keine Kunstregeln vermisst, denn die Natur bildet und schafft die witzigen Nachahmer und Erzähler, indem die Mienen, die Stimme und die ganze Ausdrucksweise das Ihrige dazu beitragen, wie könnte denn wohl bei der letzteren Art, bei dem beißenden Witz, von Kunst die Rede sein, da das entsandte Witzwort eher haften muss, als man den Gedanken daran für möglich hielt?
Was konnte z. B. meinem Bruder die Kunst helfen, als er dem Philippus auf die Frage: ‘Warum bellst du so?’ zur Antwort gab: ‘Ich sehe einen Dieb’? Was dem Crassus in der ganzen Rede vor den Centumvirn gegen Scaevola oder gegen den Ankläger Brutus in seiner Verteidigung des Gnaeus Plancus? Denn das Lob, das du mir erteilst, Antonius, muss man nach aller Urteil dem Crassus viel mehr zugestehen. Denn nicht leicht wird man außer ihm jemand finden, der in beiden Arten des Witzes ausgezeichnet ist, sowohl in der, die sich durch die ganze Rede hindurchzieht, als auch in der, die sich in schnellen, scharf treffenden Einfällen äußert.
Denn diese ganze Verteidigung des Curius gegen den Scaevola floss durchweg von Heiterkeit und Scherz über; aber jene kurzen Witzworte enthielt sie nicht. Denn er schonte die Würde des Gegners, und dadurch bewahrte er seine eigene; dies ist aber für witzige und spottsüchtige Menschen höchst schwierig, auf Menschen und Zeiten Rücksicht zu nehmen und die guten Einfälle da zurückzuhalten, wo sie sich am witzigsten anbringen lassen.
So wissen denn einige Witzlinge eben dieses auf eine nicht abgeschmackte Weise zu erklären, indem sie des Ennius Ausspruch anführen, der Weise könne leichter eine Flamme im brennenden Mund erdrücken, als gute Worte zurückhalten. Gute Worte bedeuten nämlich witzige Worte. Denn mit dieser besonderen Benennung bezeichnet man jetzt Witzworte. Aber so wie sich Crassus gegen den Scaevola dieser enthielt und sich jener anderen Art, in der sich keine beschimpfenden Stachelreden befinden, bediente, indem er jene Verhandlung und Erörterung mit launigem Scherz führte, so kämpfte er gegen den Brutus, den er hasste und den er der Beschimpfung wert achtete, mit beiden Arten.
Wie vieles sagte er von den Bädern, die dieser verkauft hatte, wie vieles von dem durchgebrachten väterlichen Erbgut! Und ferner jene kurzen Stachelreden! Als jener sagte, er schwitze ohne Ursache, versetzte er: "Kein Wunder; du bist ja eben aus deinem Badehaus herausgegangen." Unzähliges derart kam vor; aber nicht minder anziehend war die heitere Laune, die den ganzen Vortrag durchdrang. Als zum Beispiel Brutus zwei Vorleser auftreten ließ, von denen er dem einen die Rede des Crassus von der Niederlassung zu Narbo, dem anderen die über das Servilische Gesetz zum Vorlesen gab, und die in beiden Reden in betreff der Staatsverwaltung sich widersprechenden Stellen gegeneinander hielt, hatte unser Freund den höchst witzigen Einfall, drei anderen Vorlesern drei Schriften von dem Vater des Brutus über das bürgerliche Recht zum Vorlesen zu geben.
Aus der ersten Schrift ließ er folgende Stelle verlesen: ‘Zufällig traf es sich, dass wir uns auf unserem Landgut bei Privernum befanden.’ – ‘Brutus, dein Vater bezeugt, dass er dir ein Grundstück bei Privernum hinterlassen habe.’ Hierauf aus der zweiten Schrift: ‘Auf dem Landgut bei Alba befanden wir uns, ich und mein Sohn Marcus.’ – ‘Er, einer der klügsten Männer unseres Staates, kannte nämlich diesen Schlemmer; er war besorgt, wenn dieser nichts mehr habe, so möchte man glauben, es sei ihm nichts hinterlassen worden.’ Dann aus der dritten Schrift, mit der er seine Schriftstellerei beschloss – denn nur so viel Bücher des Brutus sind, wie ich aus des Scaevola Mund weiß, echt -: ‘Auf unserem Landgut bei Tibur saßen wir zufällig beieinander, ich und mein Sohn Marcus.’ – ‘Wo sind diese Grundstücke, Brutus, die von deinem Vater in öffentlichen Denkschriften aufgezeichnet und dir hinterlassen sind? Wärest du nicht schon erwachsen gewesen’, fährt er fort, ‘er würde eine vierte Schrift abgefasst und schriftlich hinterlassen haben, er habe sich mit seinem Sohn auch in seinen Bädern unterhalten.’
Wer sollte also nicht gestehen, dass durch diese Laune und durch diese witzigen Einfälle Brutus nicht minder widerlegt wurde als durch die feierliche Sprache, die jener erhob, als zufällig während derselben Verhandlung die alte Iunia zu Grabe getragen wurde? O ihr unsterblichen Götter, welche wie große, wie unerwartete, wie plötzliche Wirkung brachte es hervor, als er, die Blicke auf ihn heftend, mit allen drohenden Gebärden in dem ernstesten Ton und mit hinreißender Schnelligkeit der Worte ihn so anredete: ‘Brutus, was sitzest du hier? Was soll diese alte Frau deinem Vater verkünden? Was allen denen, deren Bildnisse du vorüberziehen siehst? Was deinen Ahnen? Was dem Lucius Brutus, der unser Volk von der Zwingherrschaft der Könige befreite? Soll sie ihm erzählen, was du tust, welches Geschäftes, welches Ruhmes, welcher Tugend du dich befleißigst? Etwa der Vermehrung des väterlichen Gutes? Doch das ziemt deinem Adel nicht.
Aber angenommen, es zieme sich, es ist ja nichts mehr übrig: deine Lüste haben alles vergeudet. Oder des bürgerlichen Rechtes? Das wäre deines Vaters würdig. Aber sie wird ihm sagen, du habest bei dem Verkauf deines Hauses unter den beweglichen Gütern nicht einmal den väterlichen Lehnsessel dir vorbehalten. Oder des Kriegswesens? Aber du hast nie ein Feldlager gesehen. Oder der Beredsamkeit? Aber von dieser weißt du gar nichts, und was du noch durch Stimme und Zunge vermagst, hast du zu dem niederträchtigsten Gewerbe der Verleumdung verwendet. Und du wagst es noch, das Tageslicht anzuschauen? Diese Männer anzublicken? Auf dem Forum, in der Stadt, vor den Augen deiner Mitbürger zu verweilen? Du entsetzest dich nicht vor jener Leiche, nicht vor jenen Ahnenbildern selbst, für deren Aufstellung, um von ihrer Nachahmung ganz und gar zu schweigen, du dir kein Plätzchen übriggelassen hast?!’
Doch dies ist die feierliche und erhabene Sprache des Trauerspiels; aber geistreiche und witzige Äußerungen sind euch noch unzählige aus einer einzigen Rede erinnerlich. Denn nie fand ein größerer Wettstreit statt, nie wurde vor dem Volk eine eindringlichere Rede gehalten als die, die unser Crassus neulich gegen seinen Amtsgenossen in der Censur hielt; nie war eine Rede von Laune und heiterem Scherz gewürzter. Daher stimme ich dir, Antonius, in beiden Hinsichten bei, dass der Witz beim Reden von großer Wirkung sei und dass er auf keine Weise kunstmäßig gelehrt werden könne; aber das befremdet mich, dass du mir in diesem Stück einen so großen Vorzug beilegst und nicht vielmehr auch hierin, wie in allem übrigen, dem Crassus den Siegespreis zu erkennst."
"Ja", erwiderte Antonius, "das würde ich auch wirklich getan haben, wenn ich nicht zuweilen den Crassus ein wenig darum beneidete. Allerdings ist selbst die ausgezeichnetste Anlage zur Laune und zum Witz an und für sich nicht eben sehr beneidenswert; aber dass er alle an Anmut und Feinheit des Witzes übertrifft und zugleich ein Mann von der höchsten Würde und dem tiefsten Ernst ist und dafür gilt – ein Vorzug, der diesem allein zuteil geworden ist –, das schien mir kaum erträglich."
Bei diesen Worten konnte sich Crassus selbst des Lachens nicht enthalten und Antonius fuhr fort: "Du hast zwar behauptet, Iulius, es gebe keine Kunst des Witzes; aber gleichwohl hast du etwas dargelegt, was man, wie es scheint, als eine Regel ansehen muss. Du bemerktest nämlich, man müsse Rücksicht nehmen auf Personen, Sachen und Zeiten, damit der Scherz der Würde keinen Abbruch tue; was ganz besonders Crassus zu beachten pflegt. Aber diese Vorschrift sagt nur, man solle den Witz nicht anwenden, wo er durchaus nicht nötig ist. Wir aber wollen wissen, wie wir ihn gebrauchen sollen, wo er nötig ist, wie zum Beispiel wider einen Gegner, und zwar vorzüglich, wenn man seinen Unverstand verhöhnen kann, oder gegen einen törichten, parteiischen und leichtsinnigen Zeugen, wenn man hoffen darf, von den Menschen gern gehört zu werden.
Überhaupt werden witzige Einfälle beifälliger aufgenommen, wenn wir sie gereizt, als wenn wir sie ohne vorhergehende Veranlassung vorbringen. Denn einerseits ist die Raschheit des Geistes größer, die sich in Antworten zeigt, andererseits entspricht die Antwort dem Wesen des menschlichen Gefühls. Denn es hat den Schein, als ob wir uns ruhig verhalten haben würden, wenn wir nicht gereizt worden wären, wie auch gerade in jener Rede fast keine Äußerung, die nämlich für eine witzige gelten konnte, von Crassus vorgebracht wurde, die nicht eine Entgegnung auf eine Herausforderung gewesen wäre. Auch zeigte Domitius so viel Würde, so viel Ansehen, dass es zweckmäßiger schien, seine Vorwürfe durch einen launigen Vortrag zu entkräften, als durch heftigen Streit in ihrer Nichtigkeit darzustellen."
Hierauf sagte Sulpicius: "Wie nun? Sollen wir zulassen, dass Caesar, der zwar dem Crassus die Gabe des Witzes einräumt, aber sich mit ihm weit mehr wissenschaftlich beschäftigt, uns nicht das ganze Wesen des Scherzes entwickele und seine Beschaffenheit und seine Quellen darlege, zumal da er gesteht, der Witz und der feine Scherz sei von so großer Wirkung und so großem Nutzen?" "Wie", versetzte Julius, "wenn ich der Behauptung des Antonius beistimme, dass es kein wissenschaftliches Lehrgebäude des Witzes gebe?"
Hier schwieg Sulpicius, und Crassus nahm das Wort: "Ei wie? Als ob es gerade von den Dingen, über die Antonius schon lange spricht, irgendein wissenschaftliches Lehrgebäude gäbe. Nach seinem eigenen Geständnis ist es eine Beobachtung solcher Dinge, die beim Reden eine Wirkung hervorbringen. Könnte aber dies die Menschen zu Rednern bilden, wer würde da nicht ein Redner sein? Denn wer vermöchte nicht so etwas leicht oder wenigstens einigermaßen zu erlernen? Aber die Bedeutung und der Nutzen solcher Vorschriften besteht meines Erachtens zwar nicht darin, dass wir durch sie zu der Erfindung dessen, was wir sagen sollen, kunstmäßig geleitet werden, wohl aber darin, dass wir zu einer festen Überzeugung und Einsicht gelangen, ob das, was wir durch Naturanlagen, durch Fleiß und Übung erlangen, recht oder verkehrt ist, wenn wir gelernt haben, wo jedes zweckmäßig zu gebrauchen sei.
Deshalb ersuche auch ich dich, lieber Caesar, uns, wenn es dir gefällig ist, über das ganze Wesen des Scherzes deine Ansichten zu eröffnen, damit nicht etwa irgendein Teil der Beredsamkeit, weil ihr es nun einmal so gewünscht habt, in einer solchen Gesellschaft und in einer so gründlichen Unterredung übergangen zu sein scheine." "Nun ja", erwiderte jener, "weil du nun einmal, mein Crassus, von deinem Gast eine Beisteuer verlangst, so will ich nicht die Schuld tragen, als gäbe ich durch meine Ablehnung auch dir einen Vorwand zur Weigerung, wiewohl ich mich oft über die Unverschämtheit derer zu verwundern pflege, die vor den Augen des Roscius auf der Bühne als Schauspieler auftreten. Denn wer kann hier eine Bewegung machen, an der dieser nicht Fehler bemerkte? Ebenso werde ich jetzt vor Crassus zum ersten Mal von dem Witz reden und, wie das Schwein im Sprichwort, den Redner belehren, von dem neulich Catulus, als er ihn reden gehört hatte, sagte, im Vergleich mit ihm müssten die anderen Heu essen."
"Catulus scherzte", erwiderte jener, "zumal da er selbst so redet, dass er mit Ambrosia gespeist zu werden verdient. Doch, lieber Caesar, lass uns dich hören, um auf das zurückkehren zu können, was Antonius noch übriggelassen hat." Und Antonius sagte: "Es ist zwar nur sehr wenig noch übrig; aber von dem mühsamen Weg meines Vortrags fühle ich mich jetzt ermüdet, und die Rede Caesars wird mir wie ein bequemes Gasthaus Gelegenheit zur Erholung geben."
"Aber", entgegnete Iulius, "die Bewirtung, die du bei mir findest, wirst du eben nicht sehr freundlich nennen. Denn sobald du einige Bissen gekostet hast, werde ich dich wieder auf die Straße stoßen und hinauswerfen. Doch, um euch nicht länger aufzuhalten, will ich euch über diesen ganzen Gegenstand meine Ansicht ganz kurz darlegen. In betreff des Lachens sind es fünf Punkte, die zur Untersuchung kommen: erstens, was es sei; zweitens, woher es entstehe; drittens, ob die Absicht, Lachen zu erregen, dem Redner gezieme; viertens, inwieweit; fünftens, was es für Arten des Lächerlichen gebe. Was nun den ersten Punkt anlangt, was das Lachen selbst sei, wie es erregt werde, wo es seinen Sitz habe, wie es entstehe und so plötzlich hervorbreche, dass wir es beim besten Willen nicht zurückhalten können, und wie es zugleich Brust, Mund, Adern, Augen, Mienen ergreife, das mag Demokritos zum Gegenstand seiner Untersuchungen machen. Denn dies steht in keiner näheren Beziehung zu unserem Gespräch, und wäre dies auch der Fall, so würde ich mich meiner Unwissenheit in einer Sache nicht schämen, die nicht einmal denen bekannt ist, die sich rühmen, sie zu kennen.
Der Sitz und sozusagen das Gebiet des Lächerlichen – denn dies ist die nächste Frage – findet sich in dem Unschicklichen und Hässlichen; denn nur das oder doch vorzüglich das wird belacht, wodurch eine Unschicklichkeit auf nicht unschickliche Weise kenntlich gemacht und bezeichnet wird. Um aber auf den dritten Punkt zu kommen, so kommt es dem Redner zu, Lachen zu erregen, teils, weil die Heiterkeit an sich dem Wohlwollen gewinnt, durch den sie erregt worden ist, teils, weil alle den Scharfsinn bewundern, der oft in einem einzigen Wort liegt, vorzüglich in Antworten, zuweilen auch im Angriff, teils, weil dadurch der Gegner entmutigt, verwirrt, geschwächt, abgeschreckt, zurückgeschlagen wird, teils, weil es den Redner selbst als einen feingebildeten, aufgeklärten, geistreichen Mann ankündigt, und ganz besonders, weil es den finsteren Ernst mildert und mäßigt und oft verdrießliche Angelegenheiten, die sich durch Beweisgründe nicht leicht widerlegen lassen, durch Scherz und Lachen entschieden werden.
Inwieweit aber der Redner das Lächerliche behandeln soll, was wir als die vierte Frage aufgestellt hatten, das verdient eine sehr sorgfältige Erwägung. Denn weder die Verspottung einer ungewöhnlichen und mit Ruchlosigkeit verbundenen Schlechtigkeit noch hinwiederum die eines ungewöhnlichen Elends erregt Lachen. Denn lasterhafte Menschen will man mit schärferen Waffen als mit denen des Lächerlichen verwundet sehen; unglückliche aber will man nicht verspottet sehen, es müsste denn sein, dass sie sich wichtig machten. Ganz besonders aber muss man die Hochachtung schonen, damit man nicht unbesonnen gegen die rede, die in Achtung stehen.
Diese Mäßigung muss man nun zuerst beim Scherzen anwenden. Darum kann man sich am leichtesten über solche Dinge zu scherzen erlauben, die weder großen Hass noch sehr großes Mitleid verdienen. Aus diesem Grund liegt der ganze Stoff des Lächerlichen in den Fehlern, die sich im Leben von Menschen zeigen, die weder geachtet noch unglücklich sind noch auch wegen ihrer Handlungen die Todesstrafe zu verdienen scheinen, und eine feine Verspottung solcher Fehler ist geeignet, Lachen zu erregen.
Einen recht hübschen Stoff zum Scherzen bieten auch Missgestalt und körperliche Gebrechen; aber wir stellen hier dieselbe Frage auf, die man auch in allen anderen Dingen vorzüglich aufstellen muss: ‘Inwieweit?’ Hierbei wird nicht nur die Vorschrift gegeben, dass man nichts Abgeschmacktes sage, sondern der Redner muss auch, selbst wenn er etwas sehr Scherzhaftes vorbringen kann, beides vermeiden, dass der Scherz nicht in Possenreißerei oder in das Niedrigkomische ausarte. Wie dies zu verstehen sei, werden wir bald leichter einsehen, wenn wir zu den Arten des Lächerlichen selbst kommen.
Es gibt zwei Arten des Witzigen, von denen die eine sich mit der Sache, die andere sich mit dem Wort beschäftigt. Mit der Sache, wenn man etwas als eine Anekdote erzählt, wie du, Crassus, einst von dem Memmius, er habe dem Largius ein Stück aus dem Arm gebissen, als er sich mit ihm zu Tarracina um ein Mädchen gezankt hatte. Die Erzählung war schneidender Spott, aber ganz von dir selbst erdichtet. Zum Schluss fügtest du hinzu, in ganz Tarracina hätten damals an allen Wänden die Buchstaben L. L. L. M. M. geschrieben gestanden. Auf deine Frage, was das bedeuten solle, habe dir ein alter Mann aus der Stadt gesagt: ‘Largius’ Linke letzt Memmius’ Maulgier.’
Ihr seht, wie witzig, wie artig, wie rednerisch diese Art des Lächerlichen ist, mag man nun eine wahre Geschichte erzählen können, die man jedoch mit kleinen erdichteten Zügen versetzen muss, oder mag man etwas erdichten. Eine vorzügliche Eigenschaft in dieser Art des Witzes besteht darin, dass man das Geschehene so veranschaulicht, dass die Sitten dessen, von dem man erzählt, seine Sprache, alle seine Mienen ausgedrückt werden, so dass die Zuhörer meinen, die Sache geschehe und ereigne sich eben jetzt vor ihren Augen.
In der Sache liegt auch das Lächerliche, was man von einer spaßhaften Nachahmung zu entlehnen pflegt, wie gleichfalls Crassus tat, als er sagte: ‘Bei deinem Adel, bei eurer Familie!’ Was war es anderes, worüber die Versammlung lachte, als jene Nachahmung der Miene und Stimme? Als er aber sagte: ‘Bei deinen Bildsäulen!’ und den Arm ausstreckte und noch einige Gebärden hinzufügte, mussten wir, noch heftiger lachen. Hierher gehört auch, wenn Roscius bei den Worten: ‘Für dich, Antipho, pflanze ich diese!’ den Greis nachahmt. Die Altersschwäche selbst sehe ich vor mir, wenn ich ihn diese Worte sagen höre. Diese Art des Witzes ist zwar an sich schon lächerlich, verlangt aber die vorsichtigste Behandlung. Denn die übertriebene Nachahmung wie das Zotige gehört in das Gebiet der gemeinen Possenreißer und Gebärdenspieler. Der Redner soll die Nachahmung nur verstohlen anwenden, so dass der Zuhörer dabei mehr zu denken als zu sehen hat; auch soll er Seelenadel und Schamgefühl bewahren, indem er in den Worten das Schmutzige und in den Sachen das Unanständige vermeidet.
Das sind also die beiden Arten des Lächerlichen, das in der Sache liegt. Sie sind eine Eigentümlichkeit der sich durch den ganzen Vortrag hindurchziehenden Laune, durch die die Sitten der Menschen geschildert und dargestellt werden, dass man sie entweder durch eine Erzählung in ihrem Wesen erkennt oder durch eine kurze, wohl angebrachte Nachahmung mit einem auffallend lächerlichen Fehler behaftet findet.
In dem Wort aber liegt das Lächerliche, das durch die Spitze eines Ausdrucks oder Gedankens erregt wird. Aber so wie in jener ersten Art des Witzes, sowohl in der Erzählung als auch in der Nachahmung, der Redner die Ähnlichkeit mit den nachäffenden Gebärdenspielern vermeiden muss, so muss er sich auch in dieser sorgfältig vor den Witzeleien eines Possenreißers in acht nehmen. Wie nun wollen wir von Crassus, Catulus und euren anderen Bekannten den Granius oder meinen Freund Vargula unterscheiden? Wahrlich, das ist mir noch nicht in den Sinn gekommen; sie haben ja beide beißenden Witz, und keiner mehr als Granius. Dadurch, glaube ich zuerst, dass wir Redner nicht, sooft sich eine Gelegenheit zu einem witzigen Einfall darbietet, ihn immer anbringen zu müssen meinen.
Es trat ein winzig kleiner Zeuge auf. ‘Ist es erlaubt, eine Frage an ihn zu richten?’ sagte Philippus. Hierauf erwiderte der Vorsitzende des Gerichtes, der Eile hatte: ‘Nur mach es kurz!’ Da sagte jener: ‘Du sollst dich nicht beschweren. Ein kleines Ding will ich nur fragen.’ Ein witziger Einfall! Aber zu Gericht saß Lucius Aurifex, der selbst noch kleiner war als der Zeuge. Das ganze Gelächter wandte sich gegen den Richter, und so erschien der Witz als eine Possenreißerei. Also das, was eine Person treffen kann, die wir nicht getroffen wissen wollen, gehört, mag es auch noch so hübsch sein, seinem Wesen nach in das Gebiet des Possenhaften.
So sehen wir den Appius, der für einen Witzkopf gelten will und es auch wirklich ist, zuweilen in diesen Fehler der Possenreißerei verfallen. ‘Ich will heute bei dir speisen’, sagte er zu meinem Freund Gaius Sextius, der einäugig war, denn ich sehe, du hast für einen noch Platz übrig.’ Das ist Possenreißerei; denn teils kränkte er ohne Veranlassung, teils passten seine Worte auf alle Einäugige. Weil man solche Witzeleien für gesucht hält, so werden sie weniger belacht. Aber vortrefflich war die Gegenantwort, die Sextius auf der Stelle gab: ‘Wasche dir die Hände und iss mit!’
Berücksichtigung der Zeit also, Mäßigung und Beschränkung des Spottes und seltene Anwendung witziger Einfälle wird den Redner vom Possenreißer unterscheiden und dann der Umstand, dass wir uns des Spottes nur zu einem Zweck bedienen, nicht um für Witzlinge zu gelten, sondern um dadurch einen Vorteil zu gewinnen; das tun jene den ganzen Tag und ohne Zweck. Denn welchen Gewinn hatte Vargula davon, dass er, als ihn Aulus Sempronius als Amtsbewerber mit seinem Bruder Marcus umarmte, ausrief: ‘Bursche, jage mir die Fliegen fort!’? Lachen suchte er zu erregen, und das ist meines Erachtens der geringste Gewinn geistiger Begabung. Die rechte Zeit also zu witzigen Einfällen müssen wir mit Klugheit und Ernst abmessen. Möchten wir doch dafür Kunstregeln haben; aber hier ist die Natur allein unsere Gebieterin.
Jetzt wollen wir die Arten des Witzigen selbst in Kürze erörtern, die das Lachen vorzüglich erregen. Die Haupteinteilung besteht nun darin, dass alles Witzige teils in der Sache, teils im Wort stattfinde, wobei es sich von selbst versteht, dass die Menschen das größte Wohlgefallen finden, wenn das Lachen durch Sache und Wort zugleich erregt wird. Doch das müsst ihr bedenken, dass fast alle Quellen, die ich als die berühren werde, aus denen das Lächerliche abgeleitet wird, zugleich auch die sind, aus denen sich ernste Gedanken ableiten lassen. Es findet nur der Unterschied statt, dass der Ernst in würdevoller Strenge sich mit dem Sittlichguten, der Scherz hingegen mit dem Schimpflichen und sozusagen Verzerrten beschäftigt. So kann man zum Beispiel mit denselben Worten einen Sklaven, wenn er brav ist, loben und, wenn er ein Taugenichts ist, verspotten. Lächerlich ist jener alte Ausspruch des Nero über einen diebischen Sklaven: ‘Er ist der einzige, dem im Haus nichts weder versiegelt noch verschlossen ist.’ Ganz dasselbe pflegt man auch von einem ehrlichen Sklaven zu sagen. Und in diesem Fall bedient man sich sogar ganz derselben Worte; die Quellen aber, aus denen alles entspringt, sind dieselben.
Zum Beispiel die Worte, die zu Spurius Carvilius, der infolge einer im Dienst des Staates empfangenen Wunde schwer hinkte und sich deshalb unter die Leute zu gehen scheute, seine Mutter sagte: ‘Warum gehst du nicht aus, mein Spurius? Bei jedem Schritt, den du tust, kannst du dich deiner Verdienste erinnern!’ sind herrlich und würdig. Wenn aber Glaucia zu dem hinkenden Calvinus sagt: ‘Wo bleibt hier die alte Frage: Es hinkt doch nicht? Dieser führt ja den Hinker auf!’, so ist dies geeignet, Lachen zu erregen. Und doch sind beide Aussprüche von dem abgeleitet, was sich beim Hinken wahrnehmen ließ. ‘Kann man sich wohl einen untätigeren Menschen denken als diesen Tätig?’ sagte Scipio in ernstem Ton; aber gegen einen übelriechenden Menschen sagte Philippus witzelnd: ‘Ich sehe mich durch dich von Geruch umgeben!’, indem er das Wort Betrug wie Geruch aussprach. Beide Fälle beruhen auf der Ähnlichkeit von Worten, die durch Veränderung von Buchstaben entsteht.
Der aus Zweideutigkeit entspringende Witz wird für ganz besonders sinnreich gehalten; aber er wird nicht immer im Scherz, sondern auch im Ernst angewendet. Zu dem berühmten älteren Africanus, als er bei einem Gastmahl sich einen Kranz auf den Kopf setzen wollte und dieser öfter brach, sagte Publius Licinius Varus: ‘Wundere dich nicht, wenn er nicht passt, denn dein Kopf ist groß!’. Schöne und ehrenvolle Worte! Aber zu derselben Art gehört auch folgendes: ‘Kahl ist er in reichlichem Maß; denn er sagt gar zu wenig.’ Kurz, es gibt keine Art des Scherzes, aus der nicht zugleich auch Ernstes und Würdevolles abgeleitet werden könnte.
Auch die Bemerkung muss man noch hinzufügen, dass nicht alles Lächerliche witzig ist. Was kann zum, Beispiel so lächerlich sein wie ein Hanswurst? Aber man lacht nur über sein Gesicht, über seine Mienen, über sein Nachäffen der Eigenheiten anderer Menschen, über seine Stimme, kurz über seine ganze Figur. Einen solchen Menschen kann ich allerdings einen Spaßmacher nennen; doch ich kann nur wünschen, dass ein Possenreißer so beschaffen sei, aber nicht ein Redner.
LXII. Demnach geziemt sich diese erste Art, die ganz besonders Lachen erregt, für uns nicht, ich meine das Mürrische, Abergläubische, Argwöhnische, Prahlsüchtige, Alberne. Solche Charaktere sind an und für sich lächerlich, und Persönlichkeiten dieser Art pflegen wir durchzuziehen, aber nicht darzustellen.
Die zweite Art ist durch die Nachahmung recht sehr geeignet, Lachen zu erregen; aber, wenn wir einmal von ihr Gebrauch machen wollen, so dürfen wir sie nur verstohlen und flüchtig anwenden, denn sonst ist sie keineswegs anständig; die dritte aber, die Verzerrung des Gesichtes, ist unser nicht würdig; die vierte, der zotige Scherz, ist nicht allein des Forums unwürdig, sondern kaum bei einem Gastmahl freier Männer zulässig. Nach Entfernung so vieler Gegenstände also von unserer Stellung, die wir als Redner einnehmen, bleiben nur noch die Witze übrig, die nach meiner vorigen Einteilung entweder in der Sache oder im Wort liegen. Denn was, mit welchen Worten man es auch sagen mag, doch witzig bleibt, besteht in der Sache; was aber nach Veränderung der Worte seine Spitze verliert, hat das Anziehende gänzlich in den Worten.
Zweideutigkeiten haben eine vorzügliche Schärfe und liegen im Wort; aber sie erregen nicht oft großes Gelächter, mehr als feine und von gelehrterer Bildung zeugende Witzworte werden sie gelobt. So zum Beispiel jene Äußerung gegen den Titius. Dieser spielte nämlich leidenschaftlich Ball, aber zugleich stand er im Verdacht, er zerbreche des Nachts die heiligen Bildsäulen; als er nun einmal auf das Marsfeld kam und seine Spielgenossen nach ihm fragten, entschuldigte ihn Vespa Terentius, indem er sagte, er habe einen Arm gebrochen. Ein anderes Beispiel ist jene Äußerung des Africanus, die sich bei Lucilius findet:
‘Wie?’ entgegnete Decius, willst du das Nüsslein zermalmen?’
Ein drittes die Äußerung deines Freundes Granius, mein Crassus: ‘Er ist nicht ein Sechstel wert.’ Und in der Tat, der sogenannte Witzbold wird sich in dieser Art besonders hervortun, doch anderes erregt größeres Gelächter. Das Zweideutige findet zwar an und für sich, wie ich oben bemerkte, ganz vorzüglichen Beifall; denn in der Fähigkeit, die Bedeutung eines Wortes in einer anderen Beziehung, als es andere tun, zu nehmen, scheint sich geistreicher Kopf zu offenbaren; aber es erregt mehr Bewunderung als Lachen, wenn es nicht etwa zugleich in eine andere Art des Lächerlichen schlägt.
Die Arten will ich in Kürze behandeln. Aber ihr wisst, es gibt eine sehr bekannte Art des Lächerlichen, wenn wir etwas anderes erwarten, als was gesagt wird. Hier werden wir durch unseren eigenen Irrtum zum Lachen gebracht. Wird dieser Art auch noch das Zweideutige beigemischt, so gewinnt sie an Schärfe. So zum Beispiel tritt bei Novius ein Mann auf, der voller Mitleid zu sein scheint; denn als er einen von den Richtern seinen Gläubigern Zugesprochenen wegführen sah, fragte er: ‘Zu welchem Preis ist er dir zugesprochen?’ ‘Für tausend Sesterzien.’ Hätte er nun bloß hinzugesetzt: Du magst ihn wegführen!', so gehörte dies in die Art des Lächerlichen, das durch das Unerwartete veranlasst wird; aber weil er hinzusetzte: ‘Ich füge nichts hinzu; du magst ihn wegführen!’, war seine Äußerung durch Hinzufügung der anderen Art des Lächerlichen, nämlich der Zweideutigkeit, nach meinem Urteil wenigstens, höchst witzig. Am anziehendsten ist ein solcher Scherz, wenn in einem Wortwechsel von dem Gegner eine Äußerung des andern aufgegriffen und hiermit, wie es von Catulus gegen Philippus geschah, etwas auf den Angreifer selbst geschleudert wird.
Aber da es mehrere Arten des Zweideutigen gibt, die sich ohne grübelnde Spitzfindigkeit auf Kunstregeln nicht zurückführen lassen, so muss man auf die Worte des Gegners lauernd achten. Wenn wir hierbei auch alles vermeiden, was zu frostig ist – denn man muss sich hüten, dass das Witzige nicht gesucht erscheine –, so werden wir doch sehr vieles Sinnreiche sagen können. Eine andere Art des Lächerlichen besteht in einer kleinen Veränderung des Wortes. Die Griechen nennen sie, wenn sie auf einem Buchstaben beruht, Paronomasie; so zum Beispiel änderte Cato Nobilior in Mobilior; oder als derselbe zu jemand sagte: ‘Las uns deambulieren!’ und dieser versetzte: ‘Wozu war de nötig?’, entgegnete er: ‘O nein; vielmehr wozu warst du nötig?’ oder ferner die Antwort, die derselbe einem andern gab: ‘Wenn du mit dem Gesicht zugewandt und abgewandt unzüchtig bist.’
Auch die Deutung eines Namens ist stechend, wenn man die Ursache, warum einer so heiße, ins Lächerliche zieht, wie ich jüngst von dem Austeiler der Stimmtäfelchen Nummius sagte, wie Neoptolemos vor Troja, so habe er auf dem Marsfeld sein Namen erhalten. In allen diesen Arten beruht das Lächerliche auf dem Wort.
LXIV. Oft wird auch ein Vers witzig eingeschaltet, entweder wie er ist oder mit einer kleinen Veränderung, oder ein Teil eines Verses. So zum Beispiel rief Statius dem zürnenden Scaurus folgende Verse zu, die, wie einige meinen, zu deinem Gesetz, Crassus, über das Bürgerrecht Veranlassung gegeben haben:
Schweigt! Was lärmt ihr hier so? Weder Vater noch Mutter wisst ihr zu nennen
Und doch zeigt ihr solche Unverschämtheit! Fort mit eurem Dünkel!
Ja, in der Sache des Caelius hatte sogar auf den Gang der Verhandlung jener Vers einen sehr großen Einfluss, den du, Antonius, als jener, der einen schwelgerischen Sohn hatte, als Zeuge aussagte, das Geld sei von ihm hergegeben, ihm beim Weggehen nachriefst:
Merkst du’s nicht? Den Alten wurmen die dreißig Minen!
 258 In diese Art wirft man auch die Sprichwörter, wie zum Beispiel Scipio, als Asellus sich rühmte, auf seinen Feldzügen alle Provinzen durchzogen zu haben, das Sprichwort anführte: ‘Du magst ein Eselein treiben’ usw. Auch von diesen, weil sie bei Veränderung der Worte nicht in gleichem Grad anziehend bleiben, dürfte man die Ansicht haben, dass sie nicht auf der Sache, sondern auf den Worten beruhen.
 259 Es besteht auch noch eine andere, nicht abgeschmackte Art des Witzes, die im Wort liegt, ich meine die, die daraus entspringt, dass man eine Äußerung wörtlich und nicht nach ihrem Gedanken aufzufassen scheint. In dieser einen Art besteht der ganze ‘Vormund’, ein altes, gewaltig lustiges Mimenspiel. Doch ich wende mich ab von den Mimenspielen; ich wünsche nur, dass das Wesen dieses Lächerlichen durch ein auffallendes und bekanntes Beispiel kenntlich gemacht werde. Dahin gehört die Antwort, die du, Crassus, neulich jemand erteiltest, der dich gefragt hatte, ob er dir lästig fallen würde, wenn er ganz früh vor Tagesanbruch zu dir käme. ‘O nein’, sagtest du, ‘du wirst mir nicht lästig sein.’ ‘Willst du dich also wecken lassen?’ fuhr jener fort. Und du hierauf: ‘Ich hatte ja gesagt, du würdest mir nicht lästig sein.’
 260 Hierher gehört gleichfalls jene alte Erzählung von jenem Marcus Scipio Maluginensis: Als dieser nämlich nach der Abstimmung seiner Centurie die Wahl des Acidinus zum Konsul verkünden sollte und der Ausrufer ihn hierzu mit den Worten aufgefordert hatte: ‘Erkläre dich über Lucius Manlius!’, sagte er: ‘Ich erkläre, dass er ein guter Mann und vortrefflicher Bürger ist.’ – Witzig ist auch jene Antwort, die Lucius Nasica dem Censor Cato auf die Frage: ‘Nach deines Herzens Meinung hast du eine Frau?’ erteilte: ‘Nein, wahrlich, nicht nach meines Herzens Meinung!’ – Solche Reden sind frostig und nur dann witzig, wenn man etwas anderes erwartete. Denn, wie ich zuvor bemerkte, es liegt in unserer Natur, dass wir in unserem eigenen Irrtum etwas Ergötzliches finden, und wir müssen lachen, wenn wir uns in unserer Erwartung gleichsam hintergangen sehen.
 261 Zu der Art des Lächerlichen, die auf Worten beruht, gehört auch das, was aus sinnbildlicher Darstellung oder aus dem bildlichen Gebrauch eines Wortes oder aus der versteckten Spottrede abgeleitet wird. Von der sinnbildlichen Darstellung folgendes Beispiel: Als einst Rusca sein Gesetz über die Jahresbestimmung in Vorschlag brachte, sagte Marcus Servilius, der dasselbe widerriet, zu ihm: ‘Sage mir, Marcus Pinarius, wirst du wohl, wenn ich gegen dich spreche, mich ebenso lästern, wie du es gegen andere getan hast?’ Hierauf versetzte dieser: ‘Wie die Saat, so die Ernte!’
 262 Von dem bildlichen Gebrauch eines Wortes will ich als Beispiel die Antwort Scipios des Älteren anführen, die er den Korinthiern erteilte, als sie ihm eine Bildsäule an dem Ort, wo auch die Bildsäulen von anderen Feldherren standen, versprachen, indem er sagte: ‘Ich frage nichts danach, im Geschwader zustehen.’ Von der versteckten Spottrede hat uns Crassus ein Beispiel gegeben. Als er nämlich vor dem Richter Marcus Perperna den Aculeo verteidigte, trat gegen den Aculeo zu des Gratidianus Gunsten Lucius Aelius Lamia auf, ein missgestalteter Mann, wie ihr wisst. Da dieser ihm auf widerwärtige Weise in die Rede fiel, sagte er: ‘Nun lasst uns den hübschen Knaben hören!’ Es erhob sich ein Gelächter. Da erwiderte Lamia: ‘Die Gestalt konnte ich mir selbst nicht bilden, wohl aber den Geist.’ Hierauf Crassus: ‘Nun, so lasst uns den großen Redner hören!’ Jetzt erhob sich ein noch heftigeres Gelächter. Solche Äußerungen haben einen gewissen Reiz sowohl in ernsten Gedanken als auch im Scherz. Denn soeben bemerkte ich, dass Scherz und Ernst zwar ein verschiedenes Verhältnis haben, dass aber dem Ernsthaften und dem Scherzhaften ein und derselbe Stoff zugrunde liege.
 263 Einen besonders schönen Schmuck verleihen der Rede sodann die Gegensätze, in denen die Worte aufeinander bezogen werden; in ihnen liegt zugleich auch oft etwas Witziges. Als zum Beispiel der bekannte Servius Galba dem Volkstribunen Lucius Scribonius seine vertrauten Freunde zu Richtern vorschlug und Libo hierauf sagte: ‘Wann wirst du doch einmal, Glaucia, dein Speisezimmer verlassen?’, entgegnete dieser: ‘Sobald du das fremde Schlafgemach verlassen wirst.’ Hiervon unterscheidet sich auch nicht sehr die Antwort, die Glaucia dem Metellus erteilte: ‘Ein Landgut hast du bei Tibur, einen Viehhof auf dem Palatium.’
 264 Die auf den Worten beruhenden Arten des Lächerlichen glaube ich nun angeführt zu haben; die aber, die auf den Sachen beruhen, sind noch zahlreicher und werden, wie ich zuvor bemerkte, mehr belacht. Denn man muss hier nicht allein die wahrscheinlichen Umstände ausdrücken und vor Augen stellen, worauf das Wesen des Lächerlichen beruht. Hiervon mag, um kurz zu sein, immerhin als Beispiel jene oben erwähnte Erzählung des Crassus von Memmius gelten. Und zu dieser Art können wir auch die Fabelerzählungen rechnen.
 265 Auch aus der Geschichte wird zuweilen ein Umstand herangezogen. Als zum Beispiel Sextus Titius sagte, er sei eine Kassandra, entgegnete Antonius: ‘Ich könnte auch manche nennen, die bei dir den Aias Oïleus spielten.’ Auch von der Ähnlichkeit lässt sich Lächerliches herleiten, wenn sie entweder eine Vergleichung oder gleichsam ein Bild darbietet. Als Beispiel der Vergleichung führe ich folgendes an: Einst erklärte Gallus als Zeuge gegen Piso, dieser habe seinem Präfekten Magius eine überaus große Summe Geldes gegeben; Scaurus dagegen suchte dies durch die Armut des Magius zu widerlegen. ‘Du irrst dich, Scaurus!’ erwiderte Gallus. ‘Ich behaupte ja nicht, Magius habe das Geld aufbewahrt, sondern wie ein Nackter, der Nüsse aufliest, im Bauch weggeschleppt.’ So sagte der alte Marcus Cicero, der Vater unseres vortrefflichen Freundes: ‘Unsere Landsleute sind den Sklaven aus Syrien ähnlich: je besser einer Griechisch versteht, um so nichtswürdiger ist er.’
Recht sehr werden aber auch Bilder belacht, die man gemeinhin in eine Missgestalt oder ein körperliches Gebrechen verdreht, indem man sie mit einem hässlicheren Gegenstand vergleicht. So verfuhr ich gegen Helvius Mancia. ‘Ich werde sogleich zeigen, was du für ein Mensch bist!’ sagte ich. Als er nun erwiderte: ‘Nun, so zeige es, ich bitte dich!’, wies ich mit dem Finger auf das Bild eines Galliers, der auf dem cimbrischen Schild des Marius unter den Neuen Buden mit verzerrtem Gesicht, ausgestreckter Zunge und hängenden Backen gemalt war. Es erhob sich ein Gelächter; nichts schien dem Mancia ähnlicher. So sagte ich ferner zu Titus Pinarius, der das Kinn beim Reden schief zu ziehen pflegte: ‘Knacke nur erst die Nuss auf; dann rede, was du willst!’
Hierher gehört noch der Fall, wenn man zur Verkleinerung oder Vergrößerung eines Gegenstandes ihn so wunderbar darstellt, dass er allen Glauben übersteigt, wie du zum Beispiel, Crassus, in einer Volksversammlung sagtest, Memmius dünke sich so groß, dass er sich jedes Mal, wenn er sich auf das Forum begebe, bei dem Triumphbogen des Fabius mit dem Kopf bücke. Auch die Äußerung gehört hierher, die Scipio bei Numantia in einem Zank mit Gaius Metellus gegen diesen getan haben soll, indem er sagte, wenn seine Mutter zum fünften Mal niederkäme, so würde sie mit einem Esel niederkommen.
Sinnreich ist auch die Andeutung, wenn man durch einen kleinen Umstand und oft durch ein Wort einen dunklen und versteckten Gegenstand aufhellt. Als zum Beispiel Publius Cornelius, der für einen habgierigen und raubsüchtigen Menschen, aber für einen ausgezeichnet tapferen und tüchtigen Feldherrn galt, dem Gaius Fabricius Dank sagte, dass er, obgleich sein Feind, ihn zum Konsul erwählt habe, zumal bei einem so wichtigen und schweren Krieg, erwiderte dieser: ‘Du hast keinen Grund, mir zu danken, wenn ich lieber geplündert als verkauft werden wollte.’ Ähnlich war die Äußerung, die Africanus gegen den Asellus, der ihm jenes unglückliche Sühnopfer vorwarf, tat, indem er sagte: ‘Wundere dich nicht; denn der, der dich aus der Klasse der Ararier wieder heraussetzte, hat das Sühnopfer verrichtet und den Stier geopfert.’ In diesen Worten liegt der stillschweigende Verdacht, als habe Mummius den Staat mit einer Sündenschuld belastet, weil er den Asellus von seiner Beschimpfung befreit habe.
Feiner Witz liegt auch in der Verstellung, wenn man anderes sagt als denkt, nicht aber in der Weise, von der ich oben redete, wenn man das Gegenteil sagt, wie Crassus von Lamia, sondern wenn man nach dem ganzen Wesen der Rede in ernstem Ton scherzt, indem man anders denkt als redet. Zum Beispiel unser Scaevola gab dem berüchtigten Septumuleius aus Anagnia, dem für das Haupt des Gaius Gracchus Gold ausgezahlt worden war, als er ihn bat, er möchte ihn als Präfekten nach Asien mitnehmen, zur Antwort: ‘Was fällt dir ein, Unkluger? Die Menge schlechter Bürger ist so groß, dass ich dir versichern kann, wenn du zu Rom bleibst, wirst du in wenigen Jahren zu großem Reichtum gelangen.’
In dieser Art des Witzes zeichnete sich unser Africanus Aemilianus aus, wie Fannius in seinen Jahrbüchern berichtet, der ihn mit einem griechischen Wort eiron nennt; aber nach dem, was Männer, die in diesen Dingen eine bessere Kenntnis haben, behaupten, glaube ich, dass Sokrates in dieser Ironie und Verstellung an Laune und Feinheit alle bei weitem überragt hat. Die Ironie ist sehr geschmackvoll, verbindet Witz mit Würde und eignet sich ebenso gut für rednerische Vorträge wie für den feinen Unterhaltungston.
Und fürwahr, alle diese Arten des Witzigen, die ich besprochen habe, sind eine Würze in gleichem Grad für die gerichtlichen Verhandlungen wie für alle Unterhaltungen. Denn so, wie etwas bei Cato, der viele Sinnsprüche erwähnt hat, von denen ich mehrere als Beispiele anführe, geschrieben steht, das mir sehr treffend gesagt zu sein scheint, Gaius Publicius habe zu sagen gepflegt, Publius Mummius sei ein Mann für jede Zeit, so verhält sich auch wirklich hier die Sache: Es gibt keine Zeit im Leben, in der sich nicht der Gebrauch heiterer Laune und feinen Witzes geziemte. Doch ich kehre zu dem übrigen zurück.
Verwandt mit dieser Verstellung ist die Benennung einer fehlerhaften Sache mit einem beschönigenden Ausdruck. Als zum Beispiel Africanus als Censor einen Centurio, der der Schlacht des Paulus nicht beigewohnt hatte, aus seiner Zunft stieß, dieser aber sich damit entschuldigte, dass er zur Bewachung des Lagers zurückgeblieben sei, und ihn nach dem Grunde seiner Beschimpfung fragte, entgegnete er: ‘Ich liebe nicht die allzu Bedächtigen.’
Geistreich ist es auch, wenn man aus der Rede eines andern etwas anders auffasst, als jener es aufgefasst wissen will, wie Maximus mit dem Salinator verfuhr. Livius hatte nämlich nach dem Verlust von Tarentum doch die Burg behauptet und von ihr herab viele rühmliche Treffen geliefert. Als nun einige Jahre darauf Maximus diese Stadt wieder einnahm, bat ihn Salinator, er möchte sich erinnern, dass er durch seine Bemühung Tarentum wiedergenommen habe. Da erwiderte Maximus: ‘Wie sollte ich mich dessen nicht erinnern? Denn nimmermehr würde ich es wiedergenommen haben, wenn du es nicht verloren hättest.’
Es gibt auch Äußerungen, die etwas ungereimt sind, aber gerade deshalb oft Lachen erregen und nicht bloß für die niedrige Komik wohlgeeignet sind, sondern auch einigermaßen für uns.
Der dumme Mensch,
Kaum hat er gut zu leben, sieh, da stirbt er schon.
Und:
Was stellt das Weib da bei dir vor? –
Sie ist ja meine Frau. – Bei Gott, dein Ebenbild!
Und:
Solang’ er noch am Wasser lebte, starb er nie.
Diese Art des Scherzes ist geringfügig und, wie gesagt, der niedrigen Komik eigentümlich; aber zuweilen tritt auch bei uns der Fall ein, dass selbst ein nicht törichter Mann unter dem Schein der Torheit etwas mit Witz sagt. So zum Beispiel, als Mancia gehört hatte, dass du, Antonius, als Censor wegen unrechtmäßiger Amtsbewerbung von Marcus Duronius gerichtlich belangt seiest, sagte er zu dir: ‘Endlich wird es dir nun einmal erlaubt sein, dein eigenes Geschäft zu treiben.’ Solche Äußerungen werden sehr belacht und wahrlich alles, was von gescheiten Menschen mit einer gewissen Verstellung, als ob sie keine Einsicht besäßen, auf etwas ungereimte und doch witzige Weise gesagt wird. Hierher gehört auch der Fall, dass man etwas nicht zu verstehen scheint, was man doch versteht, wie Pontidius auf die Frage: ‘Wofür hältst du den, der im Ehebruch ertappt wird?’, erwiderte: ‘Für einen Langsamen!’ und wie ich dem Metellus, der bei einer Aushebung meine Entschuldigung mit Augenschwäche nicht annehmen wollte und mich gefragt hatte: ‘Du siehst also nichts?’, zur Antwort gab: ‘O ja, von dem Esquilinischen Tor aus sehe ich dein Landhaus.’
So die Äußerung des Nasica: Als dieser zu dem Dichter Ennius kam und an der Haustür nach ihm fragte, sagte ihm die Magd, er sei nicht zu Hause. Nasica merkte, dass sie dies auf Geheiß ihres Herrn gesagt habe und dass dieser zu Hause sei. Einige Tage darauf kam Ennius zu Nasica und fragte an der Haustür nach ihm. Da rief Nasica mit lauter Stimme, er sei nicht zu Hause. Hierauf Ennius: ‘Wie? Vernehme ich nicht deine Stimme?’ Worauf Nasica entgegnete: ‘Du bist ein unverschämter Mensch. Als ich nach dir fragte, glaubte ich deiner Magd, dass du nicht zu Hause seiest, und du willst mir selbst nicht glauben?’
Recht hübsch ist auch die Art des Witzes, durch die man den Spott des andern auf ihn selbst zurückfallen lässt. Als zum Beispiel der Konsular Quintus Opimius, der in seiner Jugend in üblem Ruf gestanden hatte, zu einem feinen Herrchen namens Egilius, der sehr verweichlicht zu sein schien, ohne es in Wirklichkeit zu sein, sagte: ‘Nun, meine Egilia? Wann willst du mich mit deinem Spinnrocken und deiner Wolle besuchen?’, entgegnete dieser: ‘Nein wahrlich, das wage ich nicht. Meine Mutter hat mir verboten, anrüchige Dirnen zu besuchen.’
Witzig sind auch solche Äußerungen, in denen das Lächerliche so versteckt liegt, dass man es nur erraten kann. Hierher gehört die Antwort, die ein Sizilier einem Freund gab, der ihm unter Wehklagen erzählte, seine Frau habe sich an einem Feigenbaum aufgehängt. ‘Ei’, sagte er, ‘ich werde dir sehr verbunden sein, wenn du mir von diesem Baum einige Pfropfreiser zum Verpflanzen gibst.’ Ebendahin gehört auch, was Catulus zu einem schlechten Redner sagte. Dieser meinte nämlich, am Schluss seiner Rede Mitleid erregt zu haben, und sobald er sich niedergesetzt hatte, fragte er ihn, ob er glaube, dass er Mitleid eingeflößt habe. ‘Ja gewiss’, erwiderte Catulus, ‘und zwar recht großes. Denn niemand, glaub’ ich, ist so hartherzig, dass ihm deine Rede nicht hätte Mitleid einflößen sollen.’
Auf mich wenigstens macht in der Tat auch da Lächerliche einen großen Eindruck, das in Unwillen und etwas mürrisch vorgetragen wird, jedoch nicht, wenn es von einem mürrischen Menschen ausgeht; denn alsdann wird nicht der Witz, sondern der Charakter belacht. Von dieser Art ist meines Bedünkens jene Stelle bei Novius sehr witzig:
Sohn: Warum, mein Vater, weinest du?
Vater: Ich soll wohl singen, nachdem ich verurteilt bin?
Zu dieser Art des Lächerlichen bildet die gleichsam einen Gegensatz, die in der Äußerung eines Geduldigen und Gleichgültigen besteht, wie zum Beispiel Cato, als er von einem Menschen, der eine Kiste trug, gestoßen worden war und dieser ihm alsdann zurief: ‘Vorgesehen!’, ihn fragte, ob er außer der Kiste noch etwas anderes trage.
Auch der Tadel der Dummheit kann mit Witz verbunden sein. Ein Beispiel hiervon gibt uns jener Sizilier, dem der Prätor Scipio zum Anwalt in seiner Rechtsstreitigkeit seinen Gastfreund, einen vornehmen, aber sehr dummen Mann, gab. ‘Ich bitte dich, Prätor’, sagte er, ‘gib meinem Gegner diesen Anwalt; dann brauchst du mir keinen zu geben!’ Wirksam ist auch, wenn man etwas durch Mutmaßung ganz anders, als es gemeint ist, erklärt, aber geistreich und treffend. Zum Beispiel: Scaurus klagte den Rutilius, obwohl er selbst das Konsulat erlangt hatte, dieser hingegen zurückgesetzt worden war, wegen unrechtmäßiger Amtsbewerbung an und zeigte in dessen Rechnungsbüchern die Buchstaben A. F. P. R. vor, die er so deutete: Actum Fide Publii Rutilii, d. h.: ‘Aufgewandt auf Kredit des Publius Rutilius’, Rutilius hingegen so: Ante Factum, Post Relatum, d. h.: ‘Erst ausgegeben, dann eingetragen.’ Da rief Gaius Canius, ein römischer Ritter, der den Rutilius verteidigte, mit lauter Stimme aus, weder das eine noch das andere werde durch jene Buchstaben bezeichnet. ‘Was also?’ fragte Scaurus. Aemilius Fecit, Plectitur Rutilius, d. h.: ‘Aemilius ist der Schuldige, Rutilius der Büßende.’
Belacht wird auch die Zusammenstellung von Dingen, die miteinander in Widerspruch stehen, wie ‘Was fehlt diesem als Geld und Verdienst?’ Recht hübsch ist auch die freundschaftliche Zurechtweisung eines Menschen, als ob er sich irre. Auf diese Weise machte Granius dem Albius einen Vorwurf, dass er, obwohl aus seinen Rechnungsbüchern von Albucius ein Umstand bewiesen schien, sich dennoch über die Lossprechung des Scaevola sehr freute und nicht begriff, dass der Urteilsspruch gegen seine Rechnungsbücher gefällt sei.
Dem ähnlich ist auch die freundschaftliche Erinnerung bei Erteilung eines Rates. So gab Granius einem schlechten Anwalt, der sich beim Reden heiser geschrieen hatte, den Rat, kalten Met zu trinken, sobald er nach Hause zurückgekehrt sei. ‘Ich werde’, sagte jener, ‘meine Stimme verlieren, wenn ich das tue.’ ‘Besser’, erwiderte Granius, ‘als deine Rechtshändel.’
Hübsch ist es auch, wenn eine Äußerung getan wird, die jemandes Charakter trifft. Zum Beispiel: Scaurus hatte sich dadurch, dass er die Güter des Phrygio Pompeius, eines wohlhabenden Mannes, ohne Testament in Besitz genommen hatte, nicht wenig verhasst gemacht. Da er nun als Beistand des angeklagten Bestia mit im Gericht saß und eben ein Leichenzug vorbeiging, sagte der Ankläger Gaius Memmius: ‘Sieh, Scaurus, da wird ein Toter fortgeführt; vielleicht kannst du dich in den Besitz seiner Güter setzen!’
Aber unter allen diesen witzigen Einfällen wird nichts mehr belacht als das Unerwartete, wovon es unzählige Beispiele gibt, wie das von dem älteren Appius. Als im Senat über die öffentlichen Äcker und das Thorische Gesetz verhandelt und Lucilius von denen hart bedrängt wurde, die sagten, dass von seinem Vieh die öffentlichen Äcker abgeweidet würden, sagte Appius: ‘Das ist nicht des Lucilius Vieh; ihr irrt euch’ – er schien den Lucilius zu verteidigen –, ‘ich glaube, es ist herrenloses Vieh, es weidet, wo es Lust hat.’
Auch gefällt mir die Äußerung jenes Scipio, der den Tiberius Gracchus erschlug. Als ihm Marcus Flaccus unter vielen Lästerungen den Publius Mucius zum Richter vorschlug, sagte er: ‘Diesen lehne ich feierlich ab; er ist übelgesinnt.’ Als sich hierüber ein Gemurmel erhob, fuhr er fort: ‘Ach, versammelte Väter, ich lehne ihn ab, nicht weil er gegen mich übelgesinnt ist, sondern weil er es gegen alle ist.’ Das Witzigste aber, das ich von unserem Crassus gehört habe, ist folgendes: Silus hatte als Zeuge den Piso durch die Behauptung, er habe Nachteiliges über ihn reden hören, beleidigt. Da sagte Crassus: ‘Es ist möglich, Silus, dass der, von dem du es gehört zu haben behauptest, es im Zorn gesagt hat.’ Silus stimmte zunickend bei. ‘Möglich auch, dass du es nicht recht verstanden hast.’ Auch dazu nickte er mit dem ganzen Kopf, um sich dem Crassus gefällig zu beweisen. ‘Möglich auch’, fuhr dieser fort, ‘dass du das, was du gehört zu haben behauptest, überhaupt nie gehört hast.’ Dies kam so unerwartet, dass ein allgemeines Gelächter den Zeugen ganz außer Fassung brachte. An Witzen dieser Art ist Novius reich, und bekannt von ihm ist der Scherz: ‘Weiser, wenn du frierst, so – zitterst du!’ und vieles andere.
Oft können wir auch unserem Gegner gerade das einräumen, was er uns abspricht. So zum Beispiel tat Gaius Laelius. Als zu diesem ein Mensch von schlechter Herkunft sagte, er sei seiner Ahnen unwürdig, versetzte er: ‘Du hingegen bist der deinigen würdig.’ Oft liegt auch das Lächerliche in einer geistreichen Äußerung, die wie ein Sinnspruch lautet. So Marcus Cincius. Als an dem Tag, an dem er sein Gesetz über die Gaben und Geschenke vorschlug, Gaius Cento auftrat und ihn in ziemlich ehrenrühriger Weise fragte: ‘Was schlägst du vor, kleiner Cincius?’, erwiderte er: ‘Dass du kaufst, mein Gaius, wenn du etwas haben willst.’
Oft liegt auch das Witzige in dem Wunsch von etwas Unmöglichem. So sagte Marcus Lepidus, als er sich, während die anderen sich auf dem Marsfeld übten, ins Gras gelegt hatte: ‘Ich wünschte, dies hieße arbeiten.’ Witzig ist es auch, wenn man Fragenden und gewissermaßen Ausforschenden in gleichem Ton eine Antwort erteilt, die sie nicht wünschen. So der Censor Lepidus. Als er dem Marcus Antistius aus Pyrgi sein Pferd genommen hatte, beklagten sich dessen Freunde laut darüber und fragten ihn, was jener seinem Vater antworten solle, wenn er ihn nach dem Grund frage, warum ihm das Pferd genommen sei, da er doch ein so guter, sparsamer, mäßiger und ordnungsliebender Landwirt sei. ‘Er mag ihm sagen’, erwiderte jener, ‘dass ich von alledem nichts glaube.’
Die Griechen haben noch einige andere Arten gesammelt, wie Verwünschungen, Verwunderungen, Drohungen. Doch ich glaube, schon das Erwähnte in zu viele Klassen zerlegt zu haben. Denn das Witzige, das auf der Beschaffenheit und der Bedeutung eines Wortes beruht, lässt sich wohl auf gewisse und bestimmte Arten zurückführen, die gemeinhin, wie ich zuvor bemerkte, mehr gelobt als belacht zu werden pflegen.
Von dem hingegen, das in der Sache und in dem Gedanken selbst liegt, gibt es zwar unzählige Arten, doch nur wenige Gattungen. Denn dadurch, dass man die Erwartungen täuscht, die Charaktere anderer verspottet, seinen eigenen von einer lächerlichen Seite zeigt, Hässliches mit noch Hässlicherem vergleicht, Verstellung anwendet, etwas ungereimte Äußerungen tut, Torheiten rügt, erregt man Lachen. Daher muss der, der sich des Scherzes im Reden bedienen will, sich gleichsam eine solche Gemütsart und ein solches Sittengepräge aneignen, das für die Arten des Witzes geeignet ist, so dass selbst die Mienen sich jeder Art des Lächerlichen anbequemen, und je strenger und ernster diese sind, wie bei dir, Crassus, um so witziger pflegen die Äußerungen zu erscheinen.
Doch jetzt, lieber Antonius, gebe ich dir, der du erklärt hast, du wollest in meinem Vortrag, wie in einem Gasthaus, gern Erholung finden, den Rat, du mögest, als ob du in den Pomptinischen Sümpfen, einer weder anmutigen noch gesunden Gegend, eingekehrt wärest, der Ansicht sein, lang genug ausgeruht zu haben, und dich aufmachen, um den noch übrigen Weg zurückzulegen." "Ja", erwiderte er, "du hast mich aufgenommen, und zwar freundlich aufgenommen, und ich bin durch dich nicht allein gelehrter geworden, sondern habe auch an Mut zum Scherzen gewonnen. Denn ich bin nicht mehr besorgt, dass man mich in dieser Rücksicht für leichtfertig halte, da du mir ja Männer wie Fabricius, Africanus, Maximus, Cato, Lepidus als Vorgänger angeführt hast.
Doch ihr habt nun das vernommen, was ihr von mir zu hören wünschtet, wenigstens was einen sorgfältigeren Vortrag und Nachdenken erheischte. Denn das andere ist leichter, und aus dem, was ich gesagt habe, ergibt sich alles übrige. Wenn ich nun eine Rechtsfrage übernommen und alles soviel als möglich durchdacht und die Beweisgründe der Sache und die Mittel, durch die die Gemüter der Richter gewonnen, sowie die, durch die sie erschüttert werden, überschaut und erkannt habe, dann setze ich fest, was für gute und was für schlimme Seiten die Sache habe. Denn fast keine Sache kann Gegenstand der Erörterung oder des Streites werden, die nicht beides in sich schlösse; es kommt nur darauf an, wie viel sie davon in sich schließe.

Mein Verfahren aber beim Reden pflegt darin zu bestehen, dass ich die guten Seiten, die die Sache hat, ergreife, ausschmücke und erhebe, hier verweile, hier wohne, hier mich festsetze, von den schlimmen und fehlerhaften Seiten der Sache hingegen mich zurückziehe, nicht jedoch so, dass meine Flucht in die Augen fällt, sondern dass dadurch, dass ich das Gute verschönere und vergrößere, das Schlimmere gänzlich verdeckt und in den Schatten gestellt wird. Und wenn die Rechtssache auf Beweisgründen beruht, so fasse ich immer die festesten am meisten ins Auge, mögen es mehrere oder auch nur ein einziger sein; beruht sie aber auf Gewinnung und Erschütterung der Gemüter, so wende ich mich vor allem nach der Seite, die am meisten geeignet ist, die Gemüter der Menschen in Bewegung zu setzen.

Kurz, mein ganzes Verfahren hierin läuft darauf hinaus, dass ich, wenn meine Rede in der Widerlegung des Gegners festeren Fuß fassen kann als in der Erhärtung unserer Beweise, alle Geschosse gegen ihn richte; lassen sich aber meine Ansichten leichter erweisen, als die des Gegners widerlegen, so versuche ich, die Gemüter von der Verteidigung des Gegners abzulenken und auf meine eigene hinüberzuleiten.
Zwei Maßregeln endlich, die sehr leicht sind, halte ich mich berechtigt, weil ich schwierigeren nicht gewachsen bin, für mich in Anspruch zu nehmen. Die eine von ihnen besteht darin, dass ich auf einen lästigen und schwierigen Beweisgrund oder Beweisstelle zuweilen gar nicht antworte. Dies mag vielleicht mancher verlachen; denn wer sollte das nicht tun können? Doch ich rede jetzt von meiner und nicht von anderer Fähigkeit, und ich gestehe, dass, wenn ein Umstand mich hart bedrängt, ich zwar zu weichen pflege, aber so, dass es den Schein hat, als ob ich, ohne den Schild wegzuwerfen, ja ohne ihn auf den Rücken zu werfen, die Flucht ergriffe; vielmehr nehme ich im Reden ein gewisses Ansehen und Gepränge an und mache meinen Rückzug einem Kampf gleich und setze mich hinter einer Verschanzung so fest, dass ich nicht, um den Feind zu fliehen, sondern um eine bessere Stellung einzunehmen, zurückgewichen zu sein scheine.
Die andere Maßregel, bei der jedoch nach meiner Ansicht der Redner die größte Behutsamkeit und Vorsicht anwenden muss und die mich mit der höchsten Besorgnis zu erfüllen pflegt, ist folgende: Mein Bestreben ist gewöhnlich nicht so sehr darauf gerichtet, dass ich meinen Rechtsklagen nütze, als vielmehr darauf, dass ich ihnen keinen Nachteil zufüge. Dies ist jedoch nicht so gemeint, als ob der Redner nicht auf beide Zwecke hinarbeiten müsse; aber es ist doch für den Redner weit schimpflicher, wenn er seiner Sache geschadet, als wenn er ihr nicht genützt zu haben scheint. Doch was flüstert ihr da untereinander, Catulus? Achtet ihr dies etwa für gering, wie es auch wirklich ist?" "Keineswegs", erwiderte dieser, "aber Caesar schien über den eben angeregten Gegenstand eine Bemerkung hinzufügen zu wollen." "Das wird mir in der Tat sehr erwünscht sein, sei es nun, dass er mich widerlegen oder dass er mich fragen will."
Hierauf sagte Iulius: "Fürwahr, mein Antonius, ich habe von dir von jeher die Ansicht gehabt und mich so ausgesprochen, du seiest ein ganz vorzüglich bedächtiger Redner und dir gebühre das eigentümliche Lob, nie etwas gesagt zu haben, was dem, für den du redest, hätte schaden können. Und es ist mir noch erinnerlich, als ich einst das Gespräch mit unserem Crassus hier vor vielen Anwesenden auf dich brachte und Crassus deine Beredsamkeit ausführlich lobte, dass ich damals die Behauptung aufstellte, neben deinen sonstigen lobenswerten Eigenschaften sei die die größte, dass du nicht allein sagtest, was nötig sei, sondern auch nicht sagtest, was nicht nötig sei.
Hierauf entgegnete mir jener, wie ich mich erinnere, alle übrigen Eigenschaften, die du besäßest, seien höchst lobenswert; das aber zeuge von einem bösen und treulosen Menschen, wenn man etwas sage, was der Sache fremd sei und dem schade, für den man rede. Daher halte er den, der dies nicht tue, nicht für einen beredten, wohl aber den, der es tue, für einen schlechten Menschen. Darum wünsche ich, dass du uns jetzt, Antonius, wenn es dir beliebt, zeigest, warum du darauf, dass man seiner Sache keinen Schaden zufüge, einen so großen Wert legst, dass dir beim Redner nichts wichtiger zu sein scheint."
"Ich will, lieber Caesar", sagte er, "meine Ansicht hierüber aussprechen; nur musst du und ihr alle nicht vergessen, dass ich nicht von der Erhabenheit eines vollendeten Redners spreche, sondern von der Mittelmäßigkeit meiner eigenen Übung und Gewohnheit. Crassus’ Antwort zeugt von einem hervorragenden und unvergleichlichen Geist; denn ihm dünkt es ganz unnatürlich, dass sich ein Redner finden lassen könne, der durch seine Rede dem, dessen Verteidigung er übernommen hat, Nachteil und Schaden zufüge.
Er macht nämlich von sich einen Schluss auf andere. Denn er besitzt eine so ausnehmende Geisteskraft, dass er meint, niemand könne anders als vorsätzlich etwas sagen, was ihm selbst nachteilig sei. Doch ich redete nicht von einem ausgezeichneten und außerordentlichen Verstand, sondern von einem fast gewöhnlichen und alltäglichen. So erzählt man von dem Griechen Themistokles aus Athen, der bekanntlich eine unglaublich große Klugheit und Geisteskraft besaß, es sei einst ein gelehrter und hochgebildeter Mann zu ihm gekommen und habe sich erboten, ihn die Gedächtniskunst, eine damals eben erst gemachte Erfindung, zu lehren. Als Themistokles ihn nun fragte, was jene Kunst leisten könne, sagte dieser Lehrmeister, dass man alles im Gedächtnis behalten könne; hierauf, erwiderte Themistokles, er würde ihm einen größeren Gefallen tun, wenn er ihn die Kunst lehre, alles, was er wolle, zu vergessen, als im Gedächtnis zu bewahren.
Siehst du, welche Kraft eines durchdringenden Verstandes, welch mächtiger und großer Geist in diesem Mann wohnte? Aus seiner Antwort können wir ersehen, dass nie etwas aus seiner Seele, was einmal hineingeflossen war, wieder herausfließen konnte, da es ihm ja erwünschter war, vergessen zu können, was er nicht im Gedächtnis behalten wollte, als zu behalten, was er einmal gehört oder gesehen hatte. Aber sowenig man wegen dieser Antwort des Themistokles der Übung des Gedächtnisses seine Mühe entziehen darf, ebenso wenig darf die von mir angeratene Vorsicht und ängstliche Behutsamkeit bei den gerichtlichen Verhandlungen wegen der ausgezeichneten Klugheit des Crassus vernachlässigt werden. Denn beide geben mir nichts von ihrer Fähigkeit ab, sondern lassen mich bloß die ihrige erkennen.
Denn man muss bei den Rechtssachen in jedem Teil der Rede sehr vieles erwägen, damit man nicht irgendwo anstoße, irgendwo anrenne. Oft schadet ein Zeuge wenig oder gar nicht, wenn er nicht gereizt wird. Der Beklagte bittet, seine ihn unterstützenden Freund drängen, dass ich dem Gegner zu Leibe gehe, dass ich ihn schmähe, dass ich ihm Fragen vorlege; ich rühre mich nicht, ich willfahre nicht, ich gehe auf keinen Wunsch ein. Allerdings wird mir auf diese Weise auch nicht das geringste Lob zuteil; denn die unverständigen Menschen können leichter das tadeln, was man töricht gesagt hat, als loben, was man weislich verschwiegen hat.
Wie viel Unheil wird aber hier angerichtet, wenn man einen erzürnten, einen nicht unverständigen, einen nicht leichtsinnigen Zeugen verletzt! Denn die Erbitterung gibt ihm den Willen, zu schaden, seine Geisteskraft das Vermögen dazu, sein Lebenswandel den Nachdruck. Und wenn ein Crassus hierin kein Versehen macht, so tun es darum doch viele, und zwar oft. Aber nichts halte ich für schimpflicher, als wenn ein Redner durch eine Äußerung oder eine Antwort oder eine Frage den Leuten Anlass gibt, zu sagen: ‘Der hat ihn zugrunde gerichtet.’ ‘Seinen Gegner?’ ‘O nein’, heißt es dann, ‘sondern sich und den, den er verteidigte.’
Dieses, glaubt Crassus, könne nur durch Treulosigkeit geschehen; ich aber sehe, dass sehr oft Menschen, die durchaus nicht bösartig sind, in ihren Rechtssachen Unheil anrichten. Wie? Wenn, was ich oben von mir bemerkte, dass ich mich zurückzuziehen und, um mich deutlicher auszudrücken, das zu fliehen pflegte, was meine Sache sehr ins Gedränge bringen kann, andere dies nicht tun, sondern vielmehr sich im feindlichen Lager herumtummeln und ihre eigenen Verschanzungen aufgeben – schaden sie dadurch nicht recht sehr ihrer Sache, indem sie entweder die Hilfsmittel ihrer Gegner verstärken oder Wunden, die sie nicht heilen können, noch mehr aufreißen?
Wie? Wenn sie auf die Personen, die sie verteidigen, keine Rücksicht nehmen, indem sie die gehässigen Seiten derselben nicht durch Verkleinerung mildern, sondern durch Lobeserhebungen noch gehässiger machen, wie viel Nachteil liegt doch hierin! Wie? Wenn man auf geachtete und den Richtern teure Männer, ohne vorher seine Rede irgendwie zu verwahren, mit zu großer Bitterkeit und Schmähsucht losstürmt, wird man dadurch nicht die Richter von sich abwendig machen?
Wie? Wenn man Fehler oder Mängel, die sich an einem oder mehreren Richtern finden, den Gegnern zum Vorwurf macht und nicht einsieht, dass man die Richter angreift, ist das ein geringes Versehen? Wie? Wenn man, statt die Sache des andern zu verteidigen, seine Rechtssache daraus macht oder wegen einer erlittenen Kränkung sich vom Zorn fortreißen lässt und die Hauptsache vergisst, sollte man dadurch nichts schaden? In dieser Beziehung lasse ich mir, nicht als ob ich gerne Vorwürfe hörte, sondern weil ich meine Sache nicht gerne vernachlässige, den Namen eines allzu geduldigen und unempfindlichen Menschen gefallen, wie einst, als ich dich selbst, Sulpicius, tadelte, dass du deinen Angriff wider den Zeugen und nicht wider den Gegner richtetest. Durch ein solches Verfahren erlange ich den Vorteil, dass, wenn jemand mich schmäht, dieser für mutwillig oder ganz unklug gehalten wird.
Wenn man aber unter den Beweisgründen selbst etwas aufstellt, was entweder offenbar falsch ist oder dem, was man gesagt hat oder noch sagen will, widerspricht oder seinem Wesen nach sich mit dem vor Gericht oder auf dem Forum üblichen Gebrauch nicht verträgt, sollte man dadurch nichts schaden? Kurz, meine ganze Sorge ist – ich wiederhole es nochmals – stets darauf gerichtet, dass ich durch meine Rede womöglich etwas Gutes, wo nicht, wenigstens nichts Nachteiliges bewirke.
Jetzt nun kehre ich zu dem zurück, Catulus, worin du mich kurz zuvor lobtest, nämlich zu der Anordnung und Stellung des Stoffes und der Beweisgründe. Hierbei findet eine doppelte Rücksicht statt: die eine bringt die Natur der Gegenstände mit sich; die andere wird durch die Urteilskraft und die Einsicht des Redners gewonnen. Denn dass wir etwas zum Eingang sagen, dann dass wir die Sache selbst auseinandersetzen, nachher sie beweisen, indem wir unsere Beweismittel bekräftigen und die des Gegners widerlegen, endlich dass wir aus dem Ganzen Folgerungen ziehen und so den Redeschluss bilden, das schreibt schon die Natur der Rede vor.
Aber die Anordnung dessen festzusetzen, was man zum Beweis, zur Belehrung und zur Überzeugung sagen muss, das ist eine durchaus wesentliche Eigenschaft der Einsicht des Redners. Denn viele Beweisgründe bieten sich dar, vieles, was in der Rede als nützlich erscheinen dürfte. Aber ein Teil hiervon ist so unbedeutend, dass er keine Beachtung verdient; ein anderer Teil ist, wenn er auch einige Hilfe verheißt, zuweilen von der Art, dass er etwas Fehlerhaftes in sich schließt und das etwa darin liegende Nützliche nicht Wichtigkeit genug hat, um es mit einem Nachteil zu verbinden.
Aber auch von den nützlichen und sicheren Beweismitteln muss man doch, wie ich glaube, wenn sie, wie es oft der Fall ist, in großer Anzahl vorhanden sind, die unbedeutendsten oder die, die anderen wichtigeren ganz gleich sind, aussondern und von der Rede entfernen. Ich wenigstens pflege, wenn ich die Beweisgründe zu meinen Rechtsangelegenheiten sammle, sie nicht so sehr zu zählen als vielmehr abzuwägen.
Und obwohl wir, wie ich schon oft bemerkte, drei Mittel besitzen, durch die wir unsere jedesmaligen Zuhörer für unsere Ansicht gewinnen, indem wir sie belehren oder uns geneigt machen oder rühren, so dürfen wir doch von diesen drei Mitteln nur eines durchblicken lassen. Es muss nämlich den Anschein haben, als ob es uns lediglich um die Belehrung zu tun sei; die beiden anderen müssen, wie das Blut im Körper, über den ganzen Vortrag verteilt sein. Denn der Eingang und die übrigen Teile der Rede, von denen ich bald darauf einiges sagen werde, müssen in hohem Grad von solcher Wirkung sein, dass sie in die Gemüter der Zuhörer eindringen und sie in Rührung versetzen.
Aber obschon die Teile der Rede, die zwar nichts durch Beweisführung lehren, aber doch durch Überredung und Rührung sehr viel ausrichten, ihre geeignetste Stelle am Eingang und am Schluss der Rede einnehmen, ist es doch nützlich, von dem Vorwurf und dem eigentlichen Gegenstand der Rede abzuschweifen, um die Gemüter aufzuregen.
Zu solchen Abschweifungen und zur Erregung der Leidenschaften bietet sich oft Gelegenheit dar, sei es nach der Erzählung und Auseinandersetzung der Sache oder nach der Bekräftigung unserer Beweisgründe oder nach der Widerlegung der Gegengründe oder auch an beiden Stellen; ja, überall kann dies auf vorteilhafte Weise geschehen, wenn die Sache die gehörige Wichtigkeit und die gehörige Fülle des Stoffes hat; und die Rechtssachen sind für die Behandlung des Gegenstandes und die Ausschmückung der Rede die gewichtigsten und reichhaltigsten, die die meisten Wege zu solchen Abschweifungen eröffnen, so dass man sich der Mittel bedienen kann, durch die man in den Gemütern der Zuhörer heftige Bewegungen entweder erregt oder beschwichtigt.
Und in dieser Beziehung muss ich die tadeln, die die schwächsten Beweisgründe gerade an die Spitze stellen, so wie auch meines Erachtens die irren, die, wenn sie bisweilen, was ich nie gebilligt habe, mehrere Sachwalter zu Hilfe nehmen, immer den zuerst reden lassen, den sie für den schwächsten halten. Die Sache erheischt es nämlich, dass man der Erwartung der Zuhörer möglichst schnell entgegenkomme; denn hat man diese nicht gleich anfangs befriedigt, so hat man im Fortgang der Sache mit um so größeren Schwierigkeiten zu kämpfen. Schlecht steht es um die Sache, wenn sie nicht gleich nach dem Anfang der Rede einen besseren Anschein gewinnt.
So wie nun unter den Rednern immer der beste, so muss in der Rede immer der stärkste Beweis die erste Stelle einnehmen; nur muss man jedoch in beiderlei Rücksicht die Regel beobachten, dass man Hervorragendes auch für den Schluss aufspare, das Mittelmäßige aber – denn Fehlerhaftes sollte nirgends eine Stelle finden – in das Gewühl und die Menge der Mitte werfe.
Wenn ich nun dieses alles erwogen habe, so pflege ich ganz zuletzt an das zu denken, was zuerst gesagt werden muss, an den Eingang der Rede, den ich anwenden will. Denn wenn ich einmal diesen zuerst aussinnen wollte, so fiel mir nur Dürftiges, Wertloses, Gewöhnliches und Alltägliches ein.
[78] Die Eingänge der Reden aber müssen mit Sorgfalt und Scharfsinn ausgearbeitet, reich an Gedanken, treffend im Ausdruck und ganz besonders den Gegenständen der Verhandlungen angemessen sein. Denn die erste Beurteilung und Empfehlung des Redners liegt gewissermaßen im Eingang, und dieser muss den Zuhörer sofort einnehmen und anziehen.
In dieser Beziehung verwundere ich mich oft, freilich nicht über die, die auf diesen Gegenstand keinen Fleiß verwenden, wohl aber über den vorzüglich beredten und gebildeten Mann, den Philippus, welcher sich so zum Reden zu erheben pflegt, dass er nicht weiß, mit welchem Wort er seine Rede anheben will, wie er denn auch selbst sagt, er pflege erst dann zu kämpfen, wenn ihm der Arm warm werde; wobei er jedoch nicht bedenkt, dass gerade die, von denen er dieses Gleichnis entlehnt, ihre Speere anfänglich so gelassen schwingen, dass sie nicht allein auf einen schönen Anstand ganz besondere Rücksicht nehmen, sondern auch einen guten Teil ihrer Kräfte für den nachfolgenden Kampf aufzusparen besorgt sind.
Es leidet allerdings keinen Zweifel, dass der Eingang der Rede nur selten heftig und streitsüchtig sein darf; aber wenn selbst in dem Fechterkampf, in dem auf Leben und Tod mit dem Eisen gestritten wird, doch vor dem Gefecht manches geschieht, was nicht auf Verwundung des Gegners, sondern nur auf ein schönes Ansehen zu zielen scheint, um wie viel mehr muss man dieses in der Rede berücksichtigen, wo man nicht sowohl eine Kraftäußerung als eine anziehende Unterhaltung verlangt! Es gibt überhaupt nichts in der ganzen Natur, was plötzlich mit aller Wucht hervorströmte und mit ganzer Kraft sich aufschwänge. So hat die Natur selbst alles, was geschieht, selbst die gewaltigsten Wirkungen, durch gelinde Anfänge vorbereitet.
Die Eingänge der Reden aber dürfen nicht irgendwoher von außen gesucht, sondern müssen aus dem Innersten der Sache entlehnt werden. Deshalb darf man erst dann, wenn man die ganze Sache nach allen Seiten geprüft und durchschaut und alle Beweismittel aufgefunden und angeordnet hat, überlegen, welcher Eingang angewendet werden müsse.
So lässt er sich leicht finden; denn man entlehnt ihn aus den Sachen, die die reichhaltigsten sind, mögen sie sich nun unter den Beweisgründen befinden oder unter den Teilen, zu denen man, wie ich bemerkte, oft Abschweifungen machen muss. Auf diese Weise werden die im Eingang berührten Sachen etwas zur Entscheidung beitragen, wenn sie aus dem Innersten der Verteidigung geschöpft sind und wenn es sich deutlich zeigt, dass sie nicht von ganz allgemeiner Bedeutung sind und sich nicht auf andere Fälle übertragen lassen, sondern aus dem inneren Wesen der eben behandelten Sache gleichsam hervorgewachsen sind.
[79] Jeder Eingang aber muss entweder eine Andeutung der ganzen zu verhandelnden Sache geben oder den Weg zur Verhandlung eröffnen und anbahnen oder der Rede Zier und Würde verleihen. Aber so wie man Häusern und Tempeln Vorhöfe und Eingänge vorsetzen muss, die in einem richtigen Verhältnis zu dem Gebäude stehen, so den Reden Eingänge, die dem Verhältnis der Sachen entsprechen. Daher ist es bei geringfügigen und wenig besuchten Verhandlungen oft zweckmäßiger, mit der Sache selbst zu beginnen.
Wenn man aber einen Eingang anwenden muss, wie es gemeinhin der Fall ist, so kann man seine Gedanken entweder von dem Angeklagten oder von dem Gegner oder von der Sache oder von denen, vor denen die Sache verhandelt wird, herleiten. Von dem Angeklagten oder Schutzbefohlenen – Schutzbefohlene nenne ich die, deren Sache wir verteidigen –, wenn man das anführt, was geeignet ist, ihn als einen braven, edlen, unglücklichen, des Mitleids würdigen Mann darzustellen und falschen Beschuldigungen entgegenzutreten; von dem Gegner, wenn man dieselben Beweisquellen für das Gegenteil benutzt
von der Sache, wenn man sie als grausam, als ruchlos, als unerwartet, als unverschuldet, als jammervoll, als unangenehm, als unwürdig, als unerhört, als unersetzlich und unheilbar schildert; von denen, vor denen die Sache verhandelt wird, wenn man ihr Wohlwollen und ihre Geneigtheit zu gewinnen sucht. Dies wird freilich besser durch den Vortrag als durch Bitten erreicht. Denn dieses Bestreben muss sich über die ganze Rede erstrecken und besonders am Schluss hervortreten; aber dennoch fließen viele Eingänge aus dieser Quelle.
Denn die Griechen lehren, dass man im Eingang den Richter aufmerksam und gelehrig machen soll. Dies ist nützlich, gehört aber den übrigen Teilen der Rede ebenso gut an wie dem Eingang; es ist jedoch im Eingang leichter, weil die Zuhörer teils dann die gespannteste Aufmerksamkeit haben, wenn sie noch alles erwarten, teils im Anfang in höherem Grad für Belehrung empfänglich sein können. Denn was in den Eingängen gesagt wird, fällt mehr in die Augen, als was in der Mitte der Verhandlung vorkommt, sei es nun in der Beweisführung oder in der Widerlegung.
Den reichlichsten Stoff der Eingänge für die Gewinnung oder Aufreizung der Richter wird man aber aus den Quellen herleiten, die die Sache selbst für Erregung der Gemütsbewegungen bietet; jedoch darf man diese im Eingang nicht ganz erschöpfen, sondern man muss im Anfang dem Richter nur einen leisen Stoß geben, damit die nachfolgende Rede auf den schon sich neigenden losdränge.
[80] Der Eingang muss aber mit der nachfolgenden Rede so eng verbunden sein, dass er nicht, wie das Vorspiel des Zitherspielers, als etwas bloß Angedichtetes, sondern als ein mit dem ganzen Körper zusammenhängendes Glied erscheint. Manche Redner gehen allerdings, nachdem sie einen wohldurchdachten Eingang vorgetragen haben, so zu den übrigen Teilen der Rede über, als ob ihnen an der Aufmerksamkeit der Zuhörer gar nichts läge. Auch darf dieses Vorspiel nicht dem Vorkampf der samnitischen Fechter gleichen, die vor dem Kampf Speere schwingen, die sie während des Kampfes gar nicht gebrauchen; sondern gerade mit den Gedanken, deren man sich im Vorspiel bedient hat, muss man auch kämpfen.
In betreff der Erzählung aber erteilt man die Vorschrift, dass sie kurz sein müsse. Nennt man nun Kürze, wenn kein Wort überflüssig ist, so ist die Rede des Lucius Crassus kurz. Besteht die Kürze aber darin, dass man gerade nur so viel Worte gebraucht, wie unumgänglich notwendig sind, so ist dies bisweilen zweckmäßig, aber oft ist es in der Erzählung ganz besonders nachteilig, nicht allein, weil es Dunkelheit veranlasst, sondern auch, weil es die vorzüglichste Eigenschaft der Erzählung, dass sie nämlich anziehend und zum Überreden geschickt sei, aufhebt.
Betrachte folgende Erzählung:
Seitdem er aus dem Kindesalter herausgetreten ist usw.
Wie lang ist sie! Der Charakter des jungen Mannes selbst, das neugierige Ausfragen der Sklaven, der Tod der Chrysis, ihr Gesicht, ihre Gestalt, die Wehklage der Schwester und das übrige wird mit großer Mannigfaltigkeit und Anmut erzählt. Hätte sich der Dichter einer Kürze beflissen, wie in den Worten:
Sie wird zu Grabe getragen; wir folgen; kommen zum Grabe;
Ins Feuer legt man sie ...,
so hätte er das Ganze in zehn Versen abmachen können, wiewohl die Worte selbst: ‘Sie wird zu Grabe getragen; wir folgen’ zwar gedrängt sind, doch so, dass dabei nicht so sehr auf Kürze als vielmehr auf Anmut gesehen ist.
Wäre weiter nichts gesagt worden als: ‘Ins Feuer legt man sie’, so hätte man doch das Ganze leicht verstehen können. Aber die Erzählung enthält launige Anmut, wenn in ihr die Personen unterschieden sind und eine Abwechselung des Gesprächs stattfindet; auch schenkt man einem erzählten Ereignis weit eher Glauben, wenn man auseinandersetzt, wie es geschehen ist, und das Verständnis ist weit leichter, wenn man zuweilen innehält und nicht mit solcher Kürze darüber hineilt.
Denn deutlich muss die Erzählung ebenso gut sein wie die übrigen Teile der Rede; aber in jener muss man sich um soviel mehr der Deutlichkeit befleißigen, weil es schwieriger ist, in der Erzählung die Dunkelheit zu vermeiden, als im Eingang oder bei der Beweisführung oder am Schluss; dann ist auch die Dunkelheit in diesem Teil der Rede gefährlicher als in den übrigen; denn ist in einer andern Stelle etwas zu dunkel gesagt, so geht nur das verloren, was dunkel ausgedrückt ist; eine dunkle Erzählung aber macht die ganze Rede unverständlich; auch kann man das andere, wenn man es einmal zu dunkel gesagt hat, an einer andern Stelle deutlicher sagen; die Erzählung hingegen hat in der Verhandlung nur eine einzige Stelle. Deutlich aber wird die Erzählung sein, wenn sie in gebräuchlichen Worten, wenn sie mit Beachtung der Zeitfolge, wenn sie ohne Unterbrechung vorgetragen wird.
[81] Aber wann man die Erzählung anwenden müsse, wann nicht, das muss man überlegen. Denn ist die Sache bekannt und das Geschehene nicht zweifelhaft, so darf man nicht erzählen, sowie auch nicht, wenn der Gegner schon erzählt hat, es müsste denn sein, dass wir ihn widerlegen wollten. Und wenn die Erzählung nötig ist, so dürfen wir die Umstände, die Verdacht und Beschuldigung veranlassen können und uns nachteilig sind, nicht mit großer Sorgfalt ausführen, sondern wir müssen soviel als möglich davon weglassen, damit wir nicht in den Fehler verfallen, den Crassus, wenn er begangen wird, der Treulosigkeit und nicht dem Unverstand zuschreibt, nämlich, dass wir unserer Sache schaden. Denn es ist für die Entscheidung der ganzen Sache von Belang, ob die Erzählung mit Vorsicht vorgetragen wird oder nicht, weil die Erzählung die Quelle der ganzen übrigen Rede ist.
Jetzt folgt die Feststellung der Hauptfrage, wobei man betrachten muss, was der Gegenstand des Streites sei. Hierauf muss man die Bekräftigungsmittel der Sache herbeischaffen, und zwar in der Weise, dass beides, Widerlegung der Gegengründe und Bestätigung der eigenen Gründe, miteinander verbunden ist. Denn in den Verhandlungen gibt es für den Teil der Rede, der sich auf die Darlegung der Beweisführung bezieht, nur ein einziges Verfahren, und dieses besteht in Bestätigung und Widerlegung. Aber weil die Widerlegung der Gegengründe ohne die Bestätigung der eigenen Gründe nicht möglich ist, so wie auch nicht die Bestätigung dieser ohne die Widerlegung jener, so ist dieses sowohl von Natur als auch hinsichtlich des Nutzens und der Behandlung miteinander verbunden.
Den Schluss der Rede endlich muss man gewöhnlich so machen, dass man durch Vergrößerung der Dinge den Richter entweder anfeuert oder besänftigt, und überhaupt muss man hierin alles, was sowohl an den früheren Stellen als ganz besonders am Ende der Rede gesagt ist, zusammenfassen, um die Gemüter der Richter so sehr als möglich zu erschüttern und für unsern Vorteil zu stimmen.
Und jetzt, dünkt mich, habe ich wahrlich nicht mehr nötig, besondere Vorschriften über die Erteilung von Ratschlägen und über Lobreden zu geben; sie stimmen ja größtenteils mit den anderen überein, aber gleichwohl bin ich der Ansicht, dass nur eine würdige Persönlichkeit zur Erteilung eines Rates für oder wider eine Sache geeignet ist. Denn nur ein weiser, rechtschaffener und beredter Mann vermag über die wichtigsten Angelegenheiten seinen Rat so darzulegen, dass er mit seinem Verstand in die Zukunft sehen, durch sein Ansehen Glauben finden und durch seinen Vortrag überzeugen kann.
[82] Im Senat bedürfen solche Vorträge geringerer Zurüstungen; denn hier findet sich eine weise Versammlung, und vielen anderen muss man Zeit zum Reden lassen. Auch muss man den Verdacht meiden, als wolle man das Licht seines Geistes leuchten lassen.
Die Volksversammlung hingegen gestattet die ganze Kraft der Rede und erfordert allen Nachdruck und alle Mannigfaltigkeit des Vortrages. Bei Erteilung von Ratschlägen nun muss man vor allen Dingen die sittliche Würde der Sache ins Auge fassen; denn wer den Nutzen für das wichtigste hält, durchschaut nicht die Hauptabsicht des Ratgebers, sondern betrachtet nur das, worauf dieser zuweilen sein Augenmerk mehr richtet. Es gibt ja wohl niemand, zumal in einem so berühmten Staat, der nicht der Ansicht wäre, dass die sittliche Würde am meisten zu erstreben sei, aber der Nutzen gewinnt dann gewöhnlich die Oberhand, wenn sich die Besorgnis eingeschlichen hat, dass sich nach Hintansetzung des Nutzens auch die sittliche Würde nicht behaupten lasse.
Der Streit der Ansichten unter den Menschen bezieht sich entweder auf die Frage, ob das eine oder das andere nützlicher sei; oder wenn man darüber einig ist, streitet man, ob man auf das Sittlichgute oder auf den Nutzen mehr Rücksicht nehmen soll. Weil nun dieses oft miteinander in Widerspruch zu stehen scheint, so wird der Verteidiger des Nutzens die Vorteile des Friedens, des Reichtums, der Staatseinkünfte, der militärischen Besatzungen und aller anderen Dinge, deren Wert wir nach dem Nutzen bemessen, aufzählen, sowie auch die Nachteile der entgegengesetzten Dinge. Wer hingegen zur sittlichen Würde auffordert, wird die Beispiele der Altvordern, die selbst unter Gefahren Ruhm erstrebten, sammeln, das unsterbliche Andenken bei der Nachwelt hervorheben und die Behauptung aufstellen, dass dem Ruhm Nutzen entsprieße und immer mit der sittlichen Würde verbunden sei.
Aber was möglich sei oder nicht, sowie auch, was notwendig sei oder nicht, muss man in beiden Fällen auf das sorgfältigste untersuchen. Denn alle Beratung wird sofort aufgehoben, wenn man die Unmöglichkeit einer Sache einsieht oder wenn ihre Notwendigkeit gezeigt wird, und wer dies dartut, während andere es nicht sehen, der hat am schärfsten gesehen.
Um Rat über Staatsangelegenheiten zu erteilen, ist die Kenntnis des Staates das Haupterfordernis, um überzeugend zu reden, die Kenntnis der Sitten des Staates; weil diese sich häufig ändern, so muss man auch die Art des Vortrages ändern. Und obwohl das Wesen der Beredsamkeit sich fast durchweg gleich bleibt, so muss man doch, wie es scheint, weil die Würde des Volkes die erhabenste, die Sache des Staates die wichtigste, die Leidenschaften der Menge die größten sind, auch eine höhere und glänzendere Redeweise anwenden, und der größte Teil der Rede muss auf Erregung der Gemüter gerichtet werden, indem man in ihnen zuweilen durch Ermahnung oder durch Erinnerung Hoffnung, Furcht, Begierde, Ruhmliebe hervorruft, oft auch sie von Unbesonnenheit, Jähzorn, Hoffnung, Ungerechtigkeit, Neid, Grausamkeit abhält.
[83] Weil aber die Volksversammlung dem Redner gleichsam als die größte Bühne erscheint, so ist es ganz natürlich, dass er durch diese zu einer geschmückteren Art des Vortrags aufgefordert wird. Denn eine zahlreiche Versammlung übt einen mächtigen Einfluss aus, und so wie der Flötenspieler ohne Flöten nicht blasen kann, so kann der Redner ohne eine ihn anhörende Versammlung nicht beredt sein. Und da der Redner oft und vielfältig beim Volk verstoßen kann, so muss er zu vermeiden suchen, dass sich nicht ein Geschrei des Missfallens gegen ihn erhebe.
Ein solches wird entweder durch einen Fehler der Rede hervorgerufen, wenn eine Äußerung derselben in einem rauhen Ton, mit Anmaßung, auf unsittliche Weise, gegen allen Anstand getan zu sein oder irgendeinen Fehler des Charakters zu verraten scheint, oder durch der Menschen Ärgernis und Hass, die entweder aus gerechten Ursachen oder aus Verleumdung und bösem Leumund entstehen, oder wenn die Sache missfällt, oder wenn das Volk sich wegen einer Begierde oder Furcht in leidenschaftlicher Aufregung befindet. Gegen diese vier Ursachen lassen sich ebenso viele Heilmittel anwenden: bald der Verweis, wenn der Redner in Ansehen steht, bald die Vermahnung, die gleichsam ein gelinderer Verweis ist, bald das Versprechen, dass man uns beistimmen werde, wenn man uns erst anhören wolle, bald die Abbitte, was das niedrigste Mittel ist, aber zuweilen nützlich.
Nirgends sind geistreiche Einfälle, der Blitz eines Gedankens, ein kurzes, mit Anstand und Feinheit verbundenes Witzwort von größerer Wirkung. Denn nichts lässt sich so leicht wie die Menge durch einen treffenden, kurzen, scharfsinnigen und lustigen Einfall von einer verdrießlichen, ja oft von einer feindseligen Stimmung abbringen.
[84] Ich habe euch nun etwa, so gut ich konnte, über beide Gattungen der Reden meine Ansichten entwickelt, indem ich zeigte, welche Grundsätze ich zu befolgen, welche Fehler ich zu meiden, welche Rücksichten ich zu nehmen und welches Verfahren ich überhaupt in den gerichtlichen Verhandlungen anzuwenden pflege.
Auch die dritte Gattung, die Lobreden, die ich anfänglich gewissermaßen von meinen Vorschriften ausgeschlossen hatte, ist nicht schwer; aber ich wollte diesen ganzen Gegenstand ausschließen, teils weil es viele wichtigere und umfangreichere Gattungen der Rede gibt, über die jedoch nicht leicht jemand Vorschriften erteilt, teils weil wir Lobreden nicht eben häufig anzuwenden pflegen. Denn selbst die Griechen haben mehr zum Lesen und zum Vergnügen oder zur Verherrlichung einer Person als zum Bedürfnis der gerichtlichen Verhandlungen Lobreden geschrieben, und sie besitzen Schriften, in denen Themistokles, Aristeides, Agesilaos, Epameinondas, Philipp, Alexander und andere gelobt werden. Unsere Lobreden hingegen, die wir auf dem Forum halten, haben entweder die nackte und schmucklose Kürze eines Zeugnisses oder werden in der Form einer Leichenrede geschrieben, die für die vorzüglichen Eigenschaften der Rede durchaus nicht geeignet ist. Gleichwohl, weil wir sie doch zuweilen halten, zuweilen auch schreiben müssen, wie zum Beispiel Gaius Laelius für Publius Tubero die Lobrede auf dessen Oheim Africanus geschrieben hat und wie wir selbst nach Art der Griechen eine Lobrede schreiben könnten, wenn wir eine Person verherrlichen wollten, möge auch dieser Gegenstand von uns behandelt sein.
Offenbar ist es nun, dass andere Eigenschaften in einem Menschen wünschenswert, andere lobenswert sind. Abkunft, Schönheit, Kräfte, Macht, Reichtum und die übrigen Glücksgüter, die sich entweder auf unsere äußeren Umstände oder auf unseren Körper beziehen, schließen in sich kein wahres Lob, das man der Tugend allein erteilt. Gleichwohl muss man, weil sich die Tugend selbst in dem richtigen Gebrauch dieser Dinge hauptsächlich zeigt, auch in Lobreden diese Güter der Natur und des Glückes behandeln. Hierbei ist es das größte Lob, wenn jemand sich seiner Macht nicht überhoben hat, im Besitz von Geld nicht anmaßend gewesen ist, im Überfluss des Glückes sich nicht anderen vorgezogen hat, so dass ihm Macht und Reichtum nicht zu Stolz und Willkür, sondern zu Guttätigkeit und Mäßigung Mittel und Werkzeug geboten zu haben scheinen.
Die Tugend aber ist zwar schon an und für sich lobenswürdig, und ohne sie kann nichts gelobt werden, aber dennoch schließt sie mehrere Arten in sich, von denen die eine sich mehr als die andere zu Lobeserhebungen eignet. Einige Tugenden nämlich beruhen auf dem Charakter der Menschen, auf einer gewissen Leutseligkeit und Wohltätigkeit, andere auf Vorzügen des Geistes oder auf Größe und Stärke der Seele. Denn die Erwähnung der Milde, Gerechtigkeit, Güte, Treue, Tapferkeit bei gemeinsamen Gefahren hört man gern in Lobreden.
Von allen diesen Tugenden hat man ja die Ansicht, dass sie nicht so sehr denen selbst, die sie besitzen, als vielmehr dem Menschengeschlecht gewinnreich sind. Hingegen Weisheit und Seelengröße, nach der alle menschlichen Dinge als geringfügig und nichtig angesehen werden, sowie auch eine erfinderische Geisteskraft und selbst die Beredsamkeit werden zwar ebenso sehr bewundert, sind aber minder angenehm; denn sie scheinen mehr denen selbst, die wir loben, als denen, vor denen wir loben, zur Zierde und zum Schutz zu gereichen. Indes muss man doch auch diese Arten der Tugenden in einer Lobrede mit den anderen verbinden; denn die Ohren der Menschen lassen es sich gefallen, dass nicht allein das Liebenswürdige und Angenehme, sondern auch das Bewunderungswürdige der Tugend gelobt wird.
[85] Und weil nun die einzelnen Tugenden ihre bestimmten Pflichten und Obliegenheiten haben und einer jeden Tugend ihr eigentümliches Lob gebührt, so muss man zum Beispiel bei dem Lob der Gerechtigkeit entwickeln, worin der, der gelobt wird, seine Treue, seine Unparteilichkeit und andere solche Pflichten erwiesen hat. Auf gleiche Weise müssen auch bei dem Lob der übrigen Tugenden die Handlungen nach der Art, der Bedeutung und dem Namen jeder einzelnen Tugend bestimmt werden.
Als das angenehmste Lob sieht man das an, das den Taten gezollt wird, die von wackeren Männern ohne Rücksicht auf eigenen Vorteil und Belohnung unternommen scheinen; die vollends mit eigener Anstrengung und Gefahr verbunden sind, die bieten den reichsten Stoff zum Lob, weil sie sich am schönsten ausschmücken lassen und am liebsten gehört werden. Denn nur die scheint die Tugend eines ausgezeichneten Mannes zu sein, die anderen gewinnreich, für ihn selbst aber mühsam und gefahrvoll oder wenigstens mit keiner Belohnung verbunden ist. Groß und bewunderungswürdig pflegt auch das Lob zu erscheinen, das dem erteilt wird, der Unglücksfälle mit Weisheit ertrug, sich durch das Schicksal nicht beugen ließ, in Widerwärtigkeiten des Lebens seine sittliche Würde behauptete.
Doch auch andere Dinge gereichen zur Zierde, wie Ehrenbezeigungen, die jemand erwiesen, Belohnungen, die seinem Verdienst zuerkannt wurden, Taten, die nach dem Urteil der Menschen Beifall ernteten; und sogar das Glück in diesen Dingen dem günstigen Urteil der unsterblichen Götter zuzuschreiben ist dem Lobredner gestattet. Man muss aber Taten auswählen, die durch Größe vorzüglich oder hinsichtlich der Neuheit die ersten oder in ihrem Wesen selbst einzig sind. Denn weder unbedeutende noch gewöhnliche noch gemeine Dinge pflegen der Bewunderung oder überhaupt des Lobes würdig zu erscheinen.
Auch ist die Vergleichung mit anderen ausgezeichneten Männern in einer Lobrede etwas sehr Schönes. Ich habe für gut gefunden, über diese Gattung etwas ausführlicher zu reden, als ich versprochen hatte, nicht so sehr wegen des gerichtlichen Gebrauches, den ich in dieser ganzen Unterredung entwickelt habe, sondern damit ihr einseht, dass, wenn die Lobreden zum Beruf des Redners gehören, was niemand leugnet, dem Redner die Kenntnis aller Tugenden notwendig sei, ohne welche er eine Lobrede nicht zustande bringen kann.
In betreff der Regeln des Tadels ferner leuchtet ein, dass man sie den entgegengesetzten Lastern entnehmen muss. Zugleich ist auch das augenscheinlich, dass, so wie man einen guten Mann ohne Kenntnis der Tugenden nicht angemessen und beredt loben, so auch einen schlechten Menschen ohne Kenntnis der Laster nicht kenntlich und scharf genug zeichnen und tadeln kann. Diese Quellen des Lobes und Tadels müssen wir oft in allen Arten von Verhandlungen anwenden.
Hier habt ihr nun meine Ansichten über die Erfindung und Anordnung der Gegenstände. Ich will noch einiges über das Gedächtnis hinzufügen, um dem Crassus die Arbeit zu erleichtern und ihm für seine Erörterung weiter nichts übrigzulassen als die Lehre von der Ausschmückung der Rede."
[86] "Fahre nur fort", sagte Crassus, "denn mit Vergnügen erkenne ich dich als den feinen Kunstkenner, wofür ich dich schon längst gehalten habe, und sehe, wie du endlich einmal aus der Hülle deiner Vorstellung hervortrittst und dich in deiner wahren Gestalt zeigst; und dass du mir nichts oder doch nicht viel übriglässest, daran tust du sehr wohl, und ich bin dir dafür verbunden."
"Nun, wie viel ich dir übriglasse", sagte Antonius, "das zu bestimmen wird von dir abhängen. Denn willst du ehrlich verfahren, so lasse ich dir die Hauptsache zurück; willst du aber dich verstellen, so magst du selbst zusehen, wie du den Anwesenden Genüge leistest. Doch um auf die Sache zurückzukommen, ich bin nicht ein so großer Geist, wie Themistokles es war, dass ich mir lieber die Kunst der Vergessenheit als die des Gedächtnisses wünschen sollte, und ich weiß es dem Simonides aus Keos Dank, dass er, wie man sagt, zuerst die Kunst des Gedächtnisses gelehrt hat.
Man erzählt nämlich, Simonides habe einst zu Krannon in Thessalien bei Skopas, einem begüterten und vornehmen Mann, gespeist und ein auf ihn gedichtetes Lied gesungen, worin er vieles nach Art der Dichter zur Ausschmückung auf das Lob des Kastor und Polydeukes eingestreut hatte; Skopas habe hierauf gar zu knickerig zu Simonides gesagt, er werde ihm nur die Hälfte der ausbedungenen Summe für dieses Lied geben, die andere Hälfte möge er sich, wenn es ihm beliebe, von seinen Tyndariden erbitten, die er eben so sehr gelobt habe.
Bald darauf, erzählt man weiter, wurde dem Simonides gemeldet, er möchte herauskommen; zwei junge Männer ständen vor der Tür, die ihn dringend zu sprechen wünschten. Er erhob sich von seinem Sitz, ging hinaus, sah aber niemand. In der Zwischenzeit stürzte das Zimmer, wo Skopas speiste, zusammen, und er mit den Seinigen wurde durch den Einsturz unter den Trümmern begraben und kam um. Als nun die Angehörigen diese zu bestatten wünschten und die Zerschmetterten durchaus nicht unterscheiden konnten, soll Simonides dadurch, dass er sich erinnerte, welchen Platz jeder bei Tisch eingenommen hatte, allen gezeigt haben, wen jeder zu begraben habe. Durch diesen Vorfall aufmerksam gemacht, erzählt man, machte er damals ausfindig, dass es besonders die Ordnung sei, die dem Gedächtnis Licht verschaffe.
Es müssten daher die, die dieses Geistesvermögen üben wollten, gewisse Plätze auswählen, das, was man im Gedächtnis behalten wollte, sich unter einem Bild vorstellen und in diese Plätze einreihen. So würde die Ordnung der Plätze die Ordnung der Sachen bewahren; die Sachen selbst aber würden durch Bilder bezeichnet, und so könnten wir uns der Plätze statt der Wachstafeln und der Bilder statt der Buchstaben bedienen.
[87] Wie gewinnreich aber, wie nützlich und wie wichtig das Gedächtnis für den Redner sei, wozu soll ich das erwähnen? Dass wir nämlich mittelst seiner das behalten, was wir bei Annahme der Sache vernommen, was wir selbst ausgedacht haben, dass alle Gedanken in unserer Seele festhaften, dass der ganze Vorrat von Worten gehörig angeordnet ist, dass wir sowohl den, von dem wir uns belehren lassen, als auch den, dem wir antworten müssen, so anhören, dass sie die Reden nicht in unsere Ohren hineinzugießen, sondern in die Seele einzugraben scheinen. Nur die also, die ein starkes Gedächtnis haben, wissen, was, wie viel und wie sie reden müssen, was sie beantwortet haben und was noch übrig ist; ebenso haben sie auch aus anderen Verhandlungen vieles im Gedächtnis, was sie irgendeinmal vorgetragen haben, vieles, was sie von anderen gehört haben.
Ich muss nun allerdings gestehen, dass diese Gabe wie alle die Eigenschaften, von denen ich zuvor sprach, hauptsächlich von der Natur ausgehen; beruht doch das Wesen unserer ganzen Kunst der Beredsamkeit – wenn man sie nicht vielleicht lieber ein Abbild oder Nachbild der Kunst nennen will – darauf, dass sie zwar nicht ein Ganzes, von dem in unserem Geist gar keine Spur vorhanden ist, erzeuge und hervorbringe, wohl aber die uns angeborenen und in uns bereits erzeugten Naturanlagen aufziehe und kräftige.
Indes besitzt nicht leicht jemand ein so starkes Gedächtnis, dass er ohne vorhergegangene Anordnung und Bezeichnung der Sachen die Reihenfolge der Worte und Gedanken auffassen könnte, sowie auch nicht ein so schwaches Gedächtnis, dass ihm nicht durch eine solche Gewohnheit und Übung einige Erleichterung gewährt werden sollte. Denn einsichtsvoll erkannte Simonides, oder wer sonst der Erfinder dieser Kunst war, dass das am leichtesten in unserer Seele hafte, was ihr durch die Sinne zugeführt und eingeprägt ist, und dass unter allen Sinnen der des Gesichts der schärfste ist; daher ließen sich die durch das Gehör oder durch die Denkkraft aufgefassten Vorstellungen am leichtesten in der Seele festhalten, wenn sie zugleich auch durch Vermittelung des Gesichtssinnes der Seele zugeführt würden; auf die Weise könnten wir unsichtbare und der Beurteilung durch die Augen entrückte Gegenstände durch die sinnliche Vorstellung in Bildern und Gestalten so bezeichnen, dass wir Dinge, von denen wir uns keine Vorstellung zu machen imstande sein würden, gleichsam durch Anschauung festhalten.
Durch solche sinnliche Bilder sowie durch alles, was Gegenstand der Anschauung ist, wird unser Gedächtnis erweckt und angeregt. Aber man hat Plätze nötig; denn ein Körper lässt sich nicht denken, ohne dass er einen Platz einnimmt. Wir müssen also, um nicht in einer allgemein bekannten Sache zu weitläufig und lästig zu werden, viele Plätze gebrauchen, und zwar solche; die in die Augen fallen, leicht übersehbar und durch mäßige Zwischenräume getrennt sind; die Bilder aber müssen lebhaft, eindringlich und hervorstechend sein, so dass sie der Seele leicht entgegentreten und sie schnell erregen können. Die Geschicklichkeit gewinnen wir teils durch Übung, aus der Gewohnheit entsteht, teils durch Bildung ähnlicher Wörter entweder mittelst Umwandlung und Abänderung ihrer Endungen oder durch Übertragung ihrer Bedeutung vom Teil auf das Ganze, teils durch die Vorstellung eines ganzen Gedankens unter dem Bild eines einzigen Wortes nach der Verfahrungsart eines großen Malers, der durch Verteilung der Gestalten die einzelnen Stellen seines Gemäldes gegeneinander abstechen lässt.
[88] Aber das Wortgedächtnis, das für uns jedoch minder notwendig ist, unterscheidet sich durch eine größere Mannigfaltigkeit der Bilder. Es gibt nämlich viele Wörter, welche, gleichsam wie Gelenke, die Glieder der Rede verknüpfen. Die lassen sich durch keine sinnliche Bezeichnung vorstellen, und wir müssen uns daher für sie willkürliche Bilder aussinnen, die wir immer gebrauchen können. Das Sachgedächtnis ist eine wesentliche Eigenschaft des Redners. Dieses können wir durch einzelne aufgestellte Bilder kenntlich machen, indem wir die Gedanken an die Bilder, die Gedankenfolge aber an die Plätze knüpfen.
Auch ist nicht wahr, was von trägen Menschen gesagt wird, das Gedächtnis erliege unter der Last der Bilder, und sogar das werde hierdurch verdunkelt, was es durch sich selbst vermöge seiner natürlichen Kraft hätte festhalten können. Denn ich habe ausgezeichnete Männer von einem fast übermenschlichen Gedächtnis gekannt, zu Athen den Charmadas, in Asien den Metrodoros aus Skepsis, der noch jetzt leben soll, die mir beide versicherten, dass sie, wie durch Buchstaben auf Wachs, so durch Bilder auf den Plätzen, die sie sich ausgewählt hätten, das, was sie im Gedächtnis behalten wollten, niederschrieben. Durch diese Übung nun lässt sich zwar das Gedächtnis, wo keines von Natur vorhanden ist, nicht herausarbeiten, aber sicherlich, wo es versteckt liegt, hervorlocken.
Hier habt ihr nun die ziemlich lange Rede eines Menschen, der, wenn er auch eben nicht auf große Bescheidenheit Ansprüche machen darf, doch nicht für unverschämt gelten möge, weil er vor dir, mein Catulus, und vor Lucius Crassus so viel von der Redekunst gesprochen hat. Denn der übrigen Alter durfte mir vielleicht weniger Bedenklichkeit machen. Doch ihr werdet mir in der Tat verzeihen, wenn ihr nur die Ursache vernehmen werdet, die mich zu dieser ungewöhnlichen Geschwätzigkeit verleitet hat."
[89] "Was uns betrifft", erwiderte Catulus, " – ich antworte nämlich für mich und meinen Bruder –, so verzeihen wir dir nicht nur, sondern sind auch von Hochachtung und inniger Dankbarkeit gegen dich erfüllt; und so wie wir deine freundliche Gesinnung und Güte anerkennen, so müssen wir die Fülle deines Wissens bewundern. Ich meinerseits glaube daraus auch noch den Gewinn gezogen zu haben, dass ich mich jetzt eines großen Irrtums entledigt und von der Verwunderung, die ich immer mit vielen anderen zu teilen pflegte, befreit fühle, woher du nämlich deine Kunstmeisterschaft in der gerichtlichen Beredsamkeit habest. Ich glaubte ja nicht, dass du dich mit den Kunstregeln befasst hättest, die du doch, wie ich jetzt sehe, auf das Gründlichste erforscht und überallher gesammelt und, durch Erfahrung belehrt, teils verbessert, teils anerkannt hast.
Aber darum bewundere ich um nichts weniger deine Beredsamkeit, ja deine Tüchtigkeit und Sorgfalt noch weit mehr, und ich freue mich zugleich, meine Herzensüberzeugung bestätigt zu finden; denn von jeher war ich der Ansicht, niemand könne das Lob der Weisheit und Beredsamkeit ohne den größten Fleiß, ohne die größte Anstrengung und Gelehrsamkeit erlangen. Doch was sollte wohl deine Äußerung bedeuten, wir würden dir verzeihen, wenn wir den Grund erführen, der dich zu dieser Unterredung veranlasst habe? Was kann es für ein anderer Grund sein als dein Wunsch, uns und dem Streben dieser jungen Männer, die dir mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zugehört haben, zu willfahren?"
Hierauf sagte Antonius: "Ich wollte dem Crassus allen Anlas zur Weigerung benehmen, weil ich wusste; dass er aus zu großer Bescheidenheit oder Unlust – denn von einem so liebenswürdigen Mann möchte ich nicht sagen: aus stolzer Verachtung – sich in eine solche Unterhaltung nicht einlässt. Denn was wird er vorschützen können? Etwa, er sei Konsul und Censor gewesen? Dasselbe Verhältnis findet auch bei mir statt. Oder wird er sein Alter anführen? Er ist um vier Jahre jünger als ich. Oder er verstehe diese Dinge nicht? Was ich erst spät, was ich flüchtig, was ich, wie man zu sagen pflegt, in Nebenstunden aufgerafft habe, das hat er von Kindheit an mit dem größten Eifer von den besten Lehrern erlernt. Nichts will ich von seiner geistigen Begabung sagen, worin ihm niemand gleichkommt. Nie hat jemand, der mich reden hörte, eine so geringe Meinung von sich gehabt, dass er nicht hätte hoffen sollen, entweder besser als ich oder ebenso gut reden zu können; wenn aber Crassus redete, so war niemand so sehr von sich eingenommen, dass er sich hätte zutrauen sollen, es ihm je gleichzutun. Damit nun diese uns so werten Männer nicht vergeblich gekommen sein mögen, so lass es uns, Crassus, nun endlich einmal vergönnt sein, dich zu hören."
[90] Hierauf erwiderte Crassus: "Gesetzt, ich wollte zugeben, Antonius, die Sache verhalte sich wirklich so, wiewohl sie sich ganz anders verhält, was hast du denn heute mir oder irgendeinem anderen zu sagen übriggelassen? Ich will euch, meine lieben Freunde, aufrichtig sagen, was ich denke. Ich habe oft gelehrte Männer – doch wie sage ich oft, nein bisweilen; denn wie wäre es mir oft möglich gewesen, da ich als Knabe auf das Forum kam und dasselbe nie länger, als während meines Quästoramtes, verließ? – gleichwohl, ich habe, wie ich gestern bemerkte –, sowohl während meines Aufenthaltes in Athen sehr gelehrte Männer als auch in Asien den Skepsier Metrodoros selbst, dessen du eben gedachtest –, gerade über diese Gegenstände reden hören. Aber nie schien mir jemand mit größerer Fülle und Gründlichkeit diesen Stoff zu behandeln als heute unser Antonius. Wäre dieses anders und sähe ich ein, dass Antonius etwas weggelassen habe, so würde ich nicht so unhöflich und – fast möchte ich sagen – so lieblos sein, dass ich eurem Wunsch zu willfahren solche Schwierigkeiten machen sollte."
"Nun", erwiderte Sulpicius, "hast du denn vergessen, Crassus, was für eine Teilung Antonius mit dir getroffen hat? Er selbst nämlich wollte den Hausrat des Redners auseinandersetzen, dir aber die Verzierung und Ausschmückung desselben überlassen." Da entgegnete Crassus: "Zuerst, wer hat dem Antonius die Erlaubnis gegeben, eine solche Teilung zu machen und den Teil, der ihm gefiel, sich vorwegzunehmen? Zweitens, wenn ich ihn recht verstanden habe, und ich denke es, da ich ihm mit so großem Vergnügen zuhörte, schien er mir über beide Gegenstände zugleich zu reden." "O nein", versetzte Cotta, "die Ausschmückung der Rede hat er nicht berührt und somit auch nicht den Vorzug, von dem die Beredsamkeit gerade ihren Namen erlangt hat". "Die Worte also", erwiderte Crassus, "hat mir Antonius übrig gelassen, die Sache für sich selbst genommen."
"Wenn er dir", versetzte Caesar, "den schwereren Teil übriggelassen hat, so haben wir einen Grund, warum wir dich zu hören wünschen; wenn aber den leichteren, so hast du keinen Grund, dich zu weigern." Und Catulus fügte hinzu: "Wie? Dein Versprechen, Crassus, du wolltest uns willfahren, wenn wir heute bei dir blieben, glaubst du nicht, dass es dich verpflichte, dein Wort zu halten?" Da lachte Cotta und sagte: "Ich könnte dir, Crassus, wohl nachgeben; aber sieh zu, ob nicht Catulus dein Gewissen gerührt hat. Ein solches Vergehen unterliegt der Ahndung des Censors, und dazu Anlas zu geben, weißt du, wie das einem gewesenen Censor zukommt." "Nun denn", erwiderte jener, "so geschehe euer Wille. Doch für jetzt, weil es schon so weit an der Zeit ist, halte ich es für gut, uns zu erheben und der Ruhe zu pflegen; nach Mittag, wenn es euch so genehm ist, wollen wir etwas von unserem Gegenstand besprechen, wenn ihr es nicht etwa bis morgen aufschieben wollt." Alle sprachen ihren Wunsch aus, ihn sogleich oder, wenn er es lieber wolle, nachmittags, jedenfalls je eher, je lieber zu hören.
   
   
vorherige Seite folgende Seite
 

 

[ Homepage | Klassen | Hellas 2000 | Stilistik | Latein | Lat.Textstellen | Griechisch | Griech.Textstellen  | Varia | Mythologie | Ethik | Links | Literaturabfrage | Forum zur Homepage | Spende | Passwort | Feedback ]

Site-Suche:
Benutzerdefinierte Suche
bottom  © 2000 - 2024 - Letzte Aktualisierung: 13.06.2019 - 14:35