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Homer

Odyssee

11. Gesang - deutsch

In der Unterwelt

 

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Ein nördlichen Götterwind führt den Odysseus zum Gestade der nächtlichen Kimmerier, wo der Weltstrom Okeanos ins Meer einströmt. An der Kluft, die in Aïdes unterirdisches Reich hinabgeht, opfert er Totenopfer; worauf die Geister aus der Tiefe dein Blute nahn. Elpenor fleht um Bestattung. Die Mutter wird vom Blute gehemmt, bis Teiresias getrunken und geweissagt. Dann trinkt die Mutter, und erkennt ihn. Dann Seelen uralter Heldinnen. Dann Agamemnon mit den Seinigen. Achilleus mit Patroklos und Antilochos; auch Aias, Telamons Sohn. In der Ferne der richtende Minos; Orion jagend; Tityos, Tantalos und Sisyphos gequält. Des Herakles' Bild annahend. Rückfahrt aus dem Okeanos.
Als wir aber das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Zogen wir erstlich das Schiff hinab in die heilige Meersflut,
Stellten die Masten empor und die Segel im schwärzlichen Schiffe,
Brachten darauf die Schafe hinein, und traten dann selber
Herzlich bekümmert ins Schiff, und viele Tränen vergießend.
Jene sandte vom Ufer dem blaugeschnäbelten Schiffe,
Günstigen segelschwellenden Wind, zum guten Begleiter,
Kirke die Schöngelockte, die hehre melodische Göttin.
Eilig brachten wir jetzt die Geräte des Schiffes in Ordnung,
Saßen dann still, und ließen vom Wind und Steuer uns lenken.
Und wir durchschifften den Tag mit vollem Segel die Wasser.
Und die Sonne sank, und Dunkel umhüllte die Pfade.
Jetzo erreichten wir des tiefen Okeanos Ende.
Allda liegt das Land und die Stadt der kimmerischen Männer.
Diese tappen beständig in Nacht und Nebel; und niemals
Schauet strahlend auf sie der Gott der leuchtenden Sonne;
Weder wenn er die Bahn des sternigen Himmels hinansteigt,
Noch wenn er wieder hinab vom Himmel zur Erde sich wendet:
Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden Menschen.
Und wir zogen das Schiff an den Strand, und nahmen die Schafe
Schnell aus dem Raum; dann gingen wir längs des Okeanos Ufer,
Bis wir den Ort erreichten, wovon uns Kirke gesaget.
Allda hielten die Opfer Eurylochos und Perimedes.
Aber nun eilt' ich, und zog das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Eine Grube zu graben, von einer Ell' ins Gevierte.
Hierum gossen wir rings Sühnopfer für alle Toten:
Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite,
Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.
Dann gelobt' ich flehend den Luftgebilden der Toten,
Wann ich gen Ithaka käm, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,
In dem Palaste zu opfern, und köstliches Gut zu verbrennen,
Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder
Unserer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.
Und nachdem ich flehend die Schar der Toten gesühnet,
Nahm ich die Schaf', und zerschnitt die Gurgeln über der Grube;
Schwarz entströmte das Blut: und aus dem Erebos kamen
Viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten.
Jüngling' und Bräute kamen, und kummerbeladene Greise,
Und aufblühende Mädchen, im jungen Grame verloren.
Viele kamen auch, von ehernen Lanzen verwundet,
Kriegerschlagene Männer, mit blutbesudelter Rüstung.
Dicht umdrängten sie alle von allen Seiten die Grube
Mit graunvollem Geschrei; und bleiches Entsetzen ergriff mich.
Nun befahl ich, und trieb aufs äußerste meine Gefährten,
Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getötet,
Abzuziehn und ins Feuer zu werfen, und anzubeten
Aïdes' schreckliche Macht und die strenge Persephoneia.
Aber ich eilt', und zog das geschliffene Schwert von der Hüfte,
Setzte mich hin, und ließ die Luftgebilde der Toten
Sich dem Blute nicht nahn, bevor ich Teiresias fragte.
Erstlich kam die Seele von unserm Gefährten Elpenor.
Denn er ruhte noch nicht in der weitumwanderten Erde;
Sondern wir hatten den Leichnam in Kirkes Wohnung verlassen,
Weder beweint noch begraben; uns drängten andere Sorgen.
Weinend erblickt' ich ihn, und fühlete herzliches Mitleid,
Und ich redet' ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Sag', Elpenor, wie kamst du hinab ins nächtliche Dunkel?
Gingst du schneller zu Fuß, als ich im schwärzlichen Schiffe?
Also sprach ich; und drauf begann er mit schluchzender Stimme:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus,
Ach ein feindlicher Geist und der Weinrausch war mein Verderben!
Schlummernd auf Kirkes Palast, vergaß ich in meiner Betäubung,
Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu steigen;
Sondern ich stürzte mich grade vom Dache hinunter; der Nacken
Brach aus seinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe.
Doch nun fleh' ich dich an bei deinen verlassenen Lieben,
Deiner Gemahlin, dem Vater, der dich als Knaben gepfleget,
Und bei dem einzigen Sohne Telemachos, welcher daheim blieb;
Denn ich weiß es, du kehrst zurück aus Aïdes Herrschaft,
Und dein rüstiges Schiff erreicht die Insel Aiaia!
Dort, begehr' ich von dir, gedenke meiner, o König:
Lass nicht unbeweinet und unbegraben mich liegen,
Wann du scheidest, damit dich der Götter Rache nicht treffe!
Sondern verbrenne mich, samt meiner gewöhnlichen Rüstung,
Häufe mir dann am Gestade des grauen Meeres ein Grabmal,
Dass die Enkel noch hören von mir unglücklichem Manne!
Dieses richte mir aus, und pflanz' auf den Hügel das Ruder.
Welches ich lebend geführt, in meiner Freunde Gesellschaft.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Dies, unglücklicher Freund, will ich dir alles vollenden.
Also saßen wir dort, und redeten traurige Worte;
Ich an der einen Seite, der über dem Blute das Schwert hielt,
Und an der andern der Geist des kummervollen Gefährten.
Jetzo kam die Seele von meiner gestorbenen Mutter,
Antikleia, des großgesinnten Autolykos' Tochter,
Welche noch lebte, da ich zur heiligen Ilios schiffte.
Weinend erblickt' ich sie, und fühlete herzliches Mitleid;
Dennoch verbot ich ihr, obgleich mit inniger Wehmut,
Sich dem Blute zu nahn, bevor ich Teiresias fragte.
Jetzo kam des alten Thebaiers Teiresias' Seele.
Haltend den goldenen Stab; er kannte mich gleich, und begann so:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus,
Warum verließest du doch das Licht der Sonne, du Armer,
Und kamst hier, die Toten zu schaun und den Ort des Entsetzens?
Aber weiche zurück, und wende das Schwert von der Grube,
Dass ich trinke vom Blut und dir dein Schicksal verkünde.
Also sprach er; ich wich, und steckte das silberbeschlagene
Schwert in die Scheid'. Und sobald er des schwarzen Blutes getrunken,
Da begann er und sprach, der hocherleuchtete Seher:
Glückliche Heimfahrt suchst du, o weitberühmter Odysseus:
Aber sie wird dir ein Gott schwer machen; denn nimmer entrinnen
Wirst du dem Erderschüttrer! Er trägt dir heimlichen Groll nach,
Zürnend, weil du den Sohn des Augenlichtes beraubt hast.
Dennoch kämet ihr einst, obzwar unglücklich, zur Heimat,
Möchtest du nur dein Herz und deiner Freunde bezähmen,
Wann du jetzo, den Schrecken des dunkeln Meeres entfliehend,
Mit dem rüstigen Schiff' an der Insel Thrinakia landest,
Und die weidenden Rinder und feisten Schafe da findest,
Heilig dem Sonnengotte, der alles siehet und höret.
Denn so du, eingedenk der Heimkunft, diese verschonest,
Könner ihr einst, obzwar unglücklich, gen Ithaka kommen.
Aber verletzest du sie; alsdann weissag' ich Verderben
Deinem Schiff' und den Freunden. Und wenn du selber entrinnest,
Wirst du doch spät, unglücklich, und ohne Gefährten zur Heimat
Kommen, auf fremdem Schiff', und Elend finden im Hause,
Übermütige Männer, die deine Habe verschlingen,
Und dein göttliches Weib mit Brautgeschenken umwerben:
Aber kommen wirst du, und strafen den Trotz der Verräter.
Hast du jetzo die Freier, mit Klugheit, oder gewaltsam
Mit der Schärfe des Schwerts, in deinem Palaste getötet;
Siehe dann nimm in die Hand ein geglättetes Ruder, und gehe
Fort in die Welt, bis du kommst zu Menschen, welche das Meer nicht
Kennen, und keine Speise gewürzt mit Salze genießen,
Welchen auch Kenntnis fehlt von rotgeschnäbelten Schiffen,
Und von geglätteten Rudern, den Fittichen eilender Schiffe.
Deutlich will ich sie dir bezeichnen, dass du nicht irrest.
Wenn ein Wanderer einst, der dir in der Fremde begegnet,
Sagt, du tragst eine Schaufel auf deiner rüstigen Schulter;
Siehe dann steck' in die Erde das schöngeglättete Ruder,
Bringe stattliche Opfer dem Meerbeherrscher Poseidon,
Einen Widder und Stier und einen mutigen Eber.
Und nun kehre zurück, und opfere heilige Gaben
Allen unsterblichen Göttern, des weiten Himmels Bewohnern,
Nach der Reihe herum. Zuletzt wird außer dem Meere
Kommen der Tod, und dich, vom hohen behaglichen Alter
Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker
Froh und glücklich sind. Nun hab' ich dein Schicksal verkündet.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Ja, Teiresias, selbst die Götter beschieden mir solches!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit.
Dort erblick' ich die Seele von meiner gestorbenen Mutter:
Diese sitzet still bei dem Blut, und würdigt dem Sohne
Weder ein Wort zu sagen, noch grad' ins Antlitz zu schauen.
Wie beginn' ich es, Herrscher, dass sie als Sohn mich erkenne?
Also sprach ich; und schnell antwortete jener, und sagte:
Leicht ist, was du mich fragst; ich will dir's gerne verkünden.
Wem du jetzo erlaubst der abgeschiedenen Toten,
Sich dem Blute zu nahn, der wird dir Wahres erzählen;
Aber wem du es wehrst, der wird stillschweigend zurückgehn.
Also sprach des hohen Teiresias' Seele, und eilte
Wieder in Aïdes' Wohnung, nachdem sie mein Schicksal geweissagt,
Aber ich blieb dort sitzen am Rande der Grube, bis endlich
Meine Mutter kam, vom schwarzen Blute zu trinken.
Und sie erkannte mich gleich, und sprach mit trauriger Stimme:
Lieber Sohn, wie kannst du hinab ins nächtliche Dunkel,
Da du noch lebst? Denn schwer wird Lebenden dieses zu schauen.
Große Ströme fließen und furchtbare Fluten dazwischen;
Und vor allen der Strom des Okeanos, welchen zu Fuße
Niemand, sondern allein im rüstigen Schiffe durchwandert.
Schweifst du jetzo hierher, nachdem du vom troischen Ufer
Mit dem Schiff' und den Freunden so lange geirret? Und kamst du
Noch gen Ithaka nicht, und sahst zu Hause die Gattin?
Also sprach sie; und ich antwortete wieder, und sagte:
Meine Mutter, mich trieb die Not in Aïdes' Wohnung,
Um des thebaiischen Greises Teiresias' Seele zu fragen.
Denn noch hab' ich Achaia, noch hab' ich unsere Heimat
Nicht berührt; ich irre noch stets von Leiden zu Leiden,
Seit ich zuerst in dem Heere des göttlichen Agamemnons
Hin gen Ilion zog, zum Kampf mit den Reisigen Troias.
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Welches Schicksal bezwang dich des schlummergebenden Todes?
Zehrte dich Krankheit aus? Oder traf dich die Freundin der Pfeile
Artemis unversehns mit ihrem sanften Geschosse?
Sage mir auch von dem Vater und Sohne, den ich daheim ließ.
Ruht noch meine Würde auf ihnen, oder empfing sie
Schon ein anderer Mann; und glaubt man, ich kehre nicht wieder?
Melde mir auch die Gesinnung von meiner Ehegenossin:
Bleibt sie noch bei dem Sohn, und hält die Güter in Ordnung;
Oder ward sie bereits die Gattin des besten Achaiers?
Also sprach ich; mir gab die teure Mutter zur Antwort:
Allerdings weilt jene mit treuer duldender Seele
Noch in deinem Palast; und immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Tränen die Nächte.
Deine Würde empfing kein anderer; sondern in Frieden
Baut Telemachos noch des Königes Erbe, und speiset
Mit am Mahle des Volks, wie des Landes Richter gebühret;
Denn sie laden ihn alle. Dein Vater lebt auf dem Lande,
Wandelt nie in die Stadt, und wählet nimmer zum Lager
Bettgestelle, bedeckt mit Mänteln und prächtigen Polstern;
Sondern den Winter schläft er, bei seinen Knechten im Hause,
Neben dem Feuer im Staube, mit schlechten Gewanden umhüllet.
Und in den milderen Tagen des Sommers und reifenden Herbstes,
Bettet er überall im fruchtbaren Rebengefilde
Auf der Erde sein Lager von abgefallenen Blättern.
Seufzend liegt er darauf, bejammert dein Schicksal, und häufet
Größeren Schmerz auf die Seele; und schwerer drückt ihn das Alter.
Denn so starb auch ich, und fand mein Todesverhängnis.
Sohn, mich tötete nicht die Freundin der treffenden Pfeile
Artemis unversehns mit ihrem sanften Geschosse.
Auch besiegten mich nicht Krankheiten, welche gewöhnlich
Mit verzehrendem Schmerze den Geist den Gliedern entreißen.
Bloß das Verlangen nach dir, und die Angst, mein edler Odysseus,
Dein holdseliges Bild nahm deiner Mutter das Leben!
Also sprach sie; da schwoll mein Herz vor inniger Sehnsucht,
Sie zu umarmen, die Seele von meiner gestorbenen Mutter.
Dreimal sprang ich hinzu, an mein Herz die Geliebte zu drücken;
Dreimal entschwebte sie leicht, wie ein Schatten oder ein Traumbild,
Meinen umschlingenden Armen; und stärker ergriff mich die Wehmut.
Und ich redte sie an, und sprach die geflügelten Worte:
Meine Mutter, warum entfliehst du meiner Umarmung?
Wollen wir nicht in der Tiefe, mit liebenden Händen umschlungen,
Unser trauriges Herz durch Tränen einander erleichtern?
Oder welches Gebild' hat die furchtbare Persephoneia
Mir gesandt, damit ich noch mehr mein Elend beseufze?
Also sprach ich; mir gab die treffliche Mutter zur Antwort:
Mein geliebtester Sohn, Unglücklichster aller, die leben!
Ach! sie täuschet dich nicht, Zeus' Tochter Persephoneia!
Sondern dies ist das Los der Menschen, wann sie gestorben.
Denn nicht Fleisch und Gebein wird mehr durch Nerven verbunden;
Sondern die große Gewalt der brennenden Flamme verzehret
Alles, sobald der Geist die weißen Gebeine verlassen.
Und die Seele entfliegt, wie ein Traum, zu den Schatten der Tiefe.
Aber nun eile geschwinde zum Lichte zurück, und behalte
Alles, damit du es einst der lieben Gattin erzählest.
Also besprachen wir uns miteinander. Siehe da kamen
Viele Seelen, gesandt von der furchtbaren Persephoneia,
Alle Gemahlinnen einst und Töchter der edelsten Helden.
Diese versammelten sich um das schwarze Blut in der Grube.
Jetzo sann ich umher, wie ich jedwede befragte.
Aber von allen Entwürfen gefiel mir dieser am besten:
Eilend zog ich das lange Schwert von der nervigen Hüfte,
Und verwehrte den Seelen, zugleich vom Blute zu trinken.
Also nahten sie sich nacheinander; jede besonders
Meldete mir ihr Geschlecht; und so befragt' ich sie alle.
Jetzo erblickt' ich zuerst die edelentsprossene Tyro,
Welche sich Tochter nannte des tadellosen Salmoneus,
Und die Ehegenossin von Kretheus, Aiolos' Sohne.
Diese liebte vordem den göttlichen Strom Enipeus,
Der durch seine Gefilde, der Ströme schönster, einherwallt.
Einst lustwandelte sie an Enipeus' schönen Gewässern;
Siehe da nahm der Erderschüttrer seine Gestalt an,
Und beschlief sie im Sand', an der Mündung des wirbelnden Stromes.
Rings um die Liebenden stand, wie ein Berg, die purpurne Woge,
Hochgewölbt, und verbarg den Gott und die sterbliche Jungfrau.
Schmeichelnd löst' er den Gürtel der Keuschheit, und ließ sie entschlummern.
Und da jetzo der Gott das Werk der Liebe vollendet;
Drückt' er des Mädchens Hand, und sagte mit freundlicher Stimme:
Freue dich, Mädchen, der Liebe! Du wirst im Laufe des Jahres
Herrliche Söhne gebären. Denn nicht unfruchtbaren Samen
Streut ein unsterblicher Gott. Du pfleg' und nähre sie sorgsam.
Jetzo gehe nach Haus', und schweig, und sage dies niemand:
Ich, dein Geliebter, bin der Erderschüttrer Poseidon.
Also sprach er, und sprang in des Meers hochwallende Woge.
Tyro ward schwanger, und kam mit Pelias nieder und Neleus,
Welche beide des großen Zeus' gewaltige Diener
Wurden: Pelias einst, der iaolkischen Fluren
Herdenreicher Beherrscher, und Neleus, der sandigen Pylos.
Andere Söhne gebar dem Kretheus die Fürstin der Weiber,
Aison und Pheres, und drauf Amythaon, den Tummler der Rosse.
Auch Antiope kam, die schöne Tochter Asopos',
Rühmend, sie habe geruht in Zeus' des Kroniden Umarmung.
Und sie gebar dem Gott zwei Söhne, Amphion und Zethos.
Diese bauten zuerst die siebentorige Thebai,
Und befestigten sie; denn unbefestigt konnten
Beide, wie stark sie auch waren, die große Thebai nicht schützen.
Hierauf kam Alkmene, Amphitryons Ehegenossin,
Welche den Allbesieger, den löwenbeherzten Herakles
Hatte geboren, aus Zeus', des großen Kroniden, Umarmung.
Auch Megare, die Tochter des übermütigen Kreions,
Und des nimmerbezwungnen Amphitryoniden Gemahlin.
Hierauf kam Epikaste, die schöne, Oidipus' Mutter,
Welche die schrecklichste Tat mit geblendeter Seele verübet.
Ihren leiblichen Sohn, der seinen Vater ermordet,
Nahm sie zum Mann! Allein bald rügten die Götter die Schandtat.
Oidipus herrschte, mit Kummer behäuft, in der lieblichen Thebai,
Über Kadmos' Geschlecht, durch der Götter verderblichen Ratschluss.
Aber sie fuhr hinab zu den festen Toren des Todes,
Denn sie knüpft' an das hohe Gebälk, in der Wut der Verzweiflung,
Selbst das erdrosselnde Seil, und ließ unnennbares Elend
Jenem zurück, den Fluch der blutgeschändeten Mutter.
Jetzo nahte sich Chloris, die schöne Gemahlin von Neleus.
Mit unzähligen Gaben gewann er die schönste der Jungfraun,
Sie, die jüngste Tochter des Iasiden Amphions,
Welcher der Minyer Stadt Orchomenos mächtig beherrschte.
Pylos Fürstin gebar dem Neleus herrliche Söhne,
Nestor gebar sie ihm, und Chromios, und den berühmten
Periklymenos; drauf die weitbewunderte Pero.
Diese liebeten alle benachbarten Fürsten; doch Neleus
Gab sie keinem, der nicht des mächtigen Königs Iphikles'
Breitgestirnete Rinder aus Phylakes Auen entführte.
Schwer war die Tat, und nur der treffliche Seher Melampus
Unternahm sie: allein ihn hinderte Gottes Verhängnis,
Seine grausamen Band', und die Hirten der weidenden Rinder.
Aber nachdem die Monden und Tage waren vollendet,
Und ein neues Jahr mit den kreisenden Horen herankam;
Siehe da löste den Seher der mächtige König Iphikles,
Weil er ihm prophezeit. So geschah der Wille Kronions.
Jetzo erblickt' ich Leda, Tyndareos' Ehegenossin,
Welche ihrem Gemahl zwei mutige Söhne geboren:
Kastor durch Rosse berühmt, und Polydeikes im Faustkampf.
Diese leben noch beid' in der allernährenden Erde.
Denn auch unter der Erde beehrte sie Zeus mit dem Vorrecht,
Dass sie beid' abwechselnd den einen Tag um den andern
Leben und wieder sterben, und göttlicher Ehre genießen.
Drauf kam Iphimedeia, die Ehegenossin Aloeus,
Rühmend, sie habe geruht in Poseidaons Umarmung.
Und sie gebar zwei Söhne, wiewohl ihr Leben nur kurz war:
Otos voll göttlicher Kraft, und den ruchtbaren Ephialtes.
Diese waren die längsten von allen Erdebewohnern,
Und bei weitem die schönsten, nach jenem berühmten Orion.
Denn im neunten Jahre, da maß neun Ellen die Breite
Ihres Rumpfes, da maß neun Klaftern die Höhe des Hauptes.
Und sie drohten sogar den Unsterblichen, ihren Olympos
Mit verheerendem Sturm und Schlachtengetümmel zu füllen.
Ossa mühten sie sich auf Olympos zu setzen, auf Ossa
Pelions Waldgebirg', um hinauf in den Himmel zu steigen.
Und sie hätten's vollbracht, wär' ihre Jugend gereifet.
Aber sie traf Zeus' Sohn, den die reizende Leto geboren,
Beide mit Todesgeschoss, eh' unter den Schläfen des Bartes
Blume wuchs, und dem Kinn die zarten Sprösslinge bräunten.
Drauf kam Phaidra und Prokris, und Ariadne die schöne,
Jene Tochter Minos des Allerfahrnen, die Theseus
Einst aus Kreta entführte zur heiligen Flur von Athenai.
Aber er brachte sie nicht; denn in der umflossenen Dia
Hielt sie Artemis an, auf Dionysos Verkündung.
Mära und Klymene kam, und das schändliche Weib Eriphyle,
Welche den teuren Gemahl um ein goldenes Kleinod verkaufte.
Aber ich kann unmöglich sie alle beschreiben und nennen,
Welche Weiber und Töchter berühmter Helden ich schaute.
Sonst vergeht die ambrosische Nacht; und die Stunde befiehlt mir,
Schlafen zu gehn, bei den Freunden in unserm gerüsteten Schiffe,
Oder auch hier, Die Reise befehl' ich euch und den Göttern.
Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen,
Horchten noch, wie entzückt, im großen schattigen Saale.
Endlich begann Arete, die lilienarmige Fürstin:
Sagt mir doch, ihr Phaiaken, was haltet ihr von dem Manne,
Seiner Gestalt und Größe, mit solchem Geiste vereinigt?
Seht, das ist mein Gast! Doch jeder hat teil an der Ehre.
Darum sendet ihn nicht so eilend, und spart die Geschenke
Bei dem darbenden Manne nicht allzukärglich; ihr habt ja
Reiche Schätze daheim, durch die Gnade der Götter, verwahret!
Hierauf sprach zur Versammlung der graue Held Echeneos,
Welcher der älteste war von allen phaiakischen Männern:
Freunde, nicht unserem Wunsch, noch unsrer Erwartung entgegen,
Redete jetzt voll Weisheit die Königin; darum gehorchet!
Aber Alkinoos selber gebührt es zu reden und handeln.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Ja dies Wort soll wahrlich erfüllet werden, wofern ich
Leben bleib', ein König der rudergeübten Phaiaken!
Aber der Fremdling wolle, wie sehr er zur Heimat verlanget,
Noch bis morgen bei uns verweilen, bis ich das ganze
Ehrengeschenk ihm bereitet. Die Fahrt liegt allen am Herzen,
Aber vor allen mir; denn mein ist die Herrschaft des Volkes.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Zwänget ihr mich allhier auch ein ganzes Jahr zu verweilen,
Und betriebt nur die Fahrt, und schenktet mir Ehrengeschenke;
Gerne willigt' ich ein; auch wäre mir besser geraten,
Wenn ich mit vollerer Hand in mein liebes Vaterland kehrte.
Weit willkommener würd' ich und weit ehrwürdiger allen
Männern in Ithaka sein, die mich Heimkehrenden sähen.
Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:
Deine ganze Gestalt, Odysseus, kündet mit nichten
Einen Betrüger uns an, noch losen Schwätzer; wie viele
Sonst die verbreiteten Völker der schwarzen Erde durchstreifen,
Welche Lügen erdichten, woher sie keiner vermutet.
Aber in deinen Worten ist Anmut und edle Gesinnung;
Gleich dem weisesten Sänger, erzähltest du die Geschichte
Von des argeiischen Heers und deinen traurigen Leiden.
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit,
Ob du einige sahst der göttlichen Freunde, die mit dir
Hin gen Ilion zogen, und dort ihr Schicksal erreichten.
Diese Nächte sind lang, sehr lang! und noch ist die Stunde
Schlafen zu gehn nicht da. Erzähle mir Wundergeschichten.
Selbst bis zur heiligen Frühe vermöcht' ich zu hören, so lange
Du in diesem Gemache mir deine Leiden erzähltest!
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
Reden hat seine Stund', und seine Stunde der Schlummer.
Aber wenn du verlangst, mich weiter zu hören, so will ich
Ohne Weigern dir jetzt noch tränenwerteres Unglück
Meiner Freunde verkünden, die nachmals ihr Leben verloren;
Die den blutigen Schlachten des troischen Krieges entrannen,
Und auf der Heimkehr starben, durch List des heillosen Weibes.
Als sich auf den Befehl der schrecklichen Persephoneia
Alle Seelen der Weiber umher in die Tiefe zerstreuet;
Siehe da kam die Seele von Atreus' Sohn Agamemnon
Traurend daher, umringt von anderen Seelen, die mit ihm,
In Aigisthos' Palaste, das Ziel des Todes erreichten.
Dieser erkannte mich gleich, sobald er des Blutes gekostet.
Und nun weint' er laut, und vergoss die bittersten Tränen,
Streckte die Hände nach mir, und strebte mich zu umarmen.
Aber ihm mangelte jetzo die spannende Kraft und die Schnelle,
Welche die biegsamen Glieder des Helden vormals belebte.
Weinend erblickt' ich ihn, und fühlete herzliches Mitleid;
Und ich redet' ihn an, und sprach die geflügelten Worte:
Atreus' rühmlicher Sohn, weitherrschender Held Agamemnon,
Welches Schicksal bezwang dich des schlummergebenden Todes?
Tötete dich auf der Fahrt der Erderschüttrer Poseidon,
Da er den wilden Orkan lautbrausender Winde dir sandte?
Oder ermordeten dich auf dem Lande feindliche Männer,
Als du die schönen Herden der Rinder und Schafe hinwegtriebst,
Oder indem sie die Stadt und ihre Weiber verfochten?
Also sprach ich; und drauf antwortete jener und sagte:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus,
Nein, mich tötete nicht der Erderschüttrer Poseidon,
Da er den wilden Orkan lautbrausender Winde mir sandte;
Noch ermordeten mich auf dem Lande feindliche Männer.
Sondern Aigisthos bereitete mir das Schicksal des Todes,
Samt dem heillosen Weibe! Er lud mich zu Gast, und erschlug mich
Unter den Freuden des Mahls: so erschlägt man den Stier an der Krippe!
Also starb ich den kläglichsten Tod; und alle Gefährten
Stürzten in Haufen umher, wie hauerbewaffnete Eber,
Die man im Hause des reichen gewaltigen Mannes zur Hochzeit,
Oder zum Feiergelag' abschlachtet, oder zum Gastmahl.
Schon bei vieler Männer Ermordung warst du zugegen,
Die in dem Zweikampf blieben, und in der wütenden Feldschlacht;
Doch kein Anblick hätte dein Herz so innig gerühret,
Als wie wir um den Kelch und die speisebeladenen Tische
Lagen im weiten Gemach, und rings der Boden in Blut schwamm!
Jämmerlich hört' ich vor allen Kassandra, Priamos' Tochter,
Winseln, es tötete sie die tückische Klytämnestra
Über mir; da erhob ich die Hände noch von der Erde,
Und griff sterbend ins Schwert der Mörderin. Aber die Freche
Ging von mir weg, ohn einmal die Augen des sterbenden Mannes
Zuzudrücken, noch ihm die kalten Lippen zu schließen.
Nichts ist scheußlicher doch, nichts unverschämter auf Erden,
Als ein Weib, entschlossen zu solcher entsetzlichen Schandtat,
Wie sie jene verübt, die Grausame! welche den Liebling
Ihrer Jugend mit List hinrichtete! Ach wie entzückte
Mich die Hoffnung, daheim von meinen Leuten und Kindern
Freudig begrüßt zu werden; doch jene, das Scheusal an Bosheit!
Hat ihr eignes Gedächtnis, und alle Weiber der Nachwelt
Ewig entehrt, wenn eine sich auch des Guten befleißigt!
Also sprach er; und ich antwortete wieder und sagte:
Wehe! wie fürchterlich hat Kronions waltende Vorsicht
Durch arglistige Weiber, den Samen Atreus' von Anfang
Heimgesucht! Wie viele sind Helenens halber gestorben!
Und du verlorst, heimkehrend, durch Klytämnestra dein Leben!
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Lass deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,
Und vertrau' ihr nicht aus Zärtlichkeit jedes Geheimnis;
Sondern verkündige dies, und jenes halte verborgen!
Aber Odysseus, du wirst nicht sterben durch deine Gemahlin;
Denn sie ist rechtschaffen, und Weisheit adelt die Seele
Von Ikarios Tochter, der klugen Penelopeia.
Ach wir verließen sie einst als junge Frau im Palaste,
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmündiges Knäblein
Lag an der Brust, der nun in den Kreis der Männer sich hinsetzt.
Glücklicher Sohn! ihn schaut einst wiederkehrend sein Vater,
Und er begrüßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick
Meines Sohnes erlaubt; sie hat zuvor mich ermordet.
Höre nun meinen Rat, und bewahr' ihn sorgsam im Herzen:
Lande mit deinem Schiff ans vaterländische Ufer
Heimlich, nicht öffentlich an; denn nimmer ist Weibern zu trauen!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Habt ihr etwa gehört von meinem noch lebenden Sohne,
In Orchomenos, oder vielleicht in der sandigen Pylos,
Oder bei Menelaos in Spartas weiten Gefilden?
Denn noch starb er nicht auf Erden, der edle Orestes.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Warum fragst du mich das, Sohn Atreus? Ich weiß nicht, ob jener
Tot sei, oder noch lebe; und Eitles schwatzen ist unrecht.
Also standen wir beide, mit trauervollen Gesprächen
Herzlich bekümmert da, und viele Tränen vergießend.
Siehe da kam die Seele des Peleiden Achilleus,
Und die Seele Patroklos', des tapfern Antilochos' Seele,
Und des gewaltigen Aias, des ersten an Wuchs und Bildung
In dem achaiischen Heer, nach dem tadellosen Achilleus.
Mich erkannte die Seele des schnellen äakischen Helden,
Und sie begann wehklagend, und sprach die geflügelten Worte:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus,
Welche noch größere Tat, Unglücklicher, wagest du jetzo?
Welche Kühnheit, herab in die Tiefe zu steigen, wo Tote
Nichtig und sinnlos wohnen, die Schatten gestorbener Menschen!
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Peleus' Sohn, o Achilleus, du trefflichster aller Achaier,
Wegen Teiresias musst' ich herab, wenn etwa der Seher
Mir weissagte, wie ich zur felsigen Ithaka käme.
Denn noch hab' ich Achaia, noch hab' ich unsere Heimat
Nicht berührt; ich leide noch stets! Doch keiner, Achilleus,
Glich an Seligkeit dir, und keiner wird jemals dir gleichen.
Vormals im Leben ehrten wir dich, wie einen der Götter,
Wir Achaier; und nun, da du hier bist, herrschest du mächtig
Unter den Geistern: drum lass dich den Tod nicht reuen, Achilleus!
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Preise mir jetzt nicht tröstend den Tod, ruhmvoller Odysseus.
Lieber möcht' ich fürwahr dem unbegüterten Meier,
Der nur kümmerlich lebt, als Tagelöhner das Feld baun,
Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen.
Aber verkündige mir von meinem trefflichen Sohne,
Ob an der Spitze des Heers er schaltete, oder daheim blieb.
Melde mir auch, wo du Kunde vom großen Peleus vernahmest,
Ob er noch weitgeehrt die Myrmidonen beherrsche,
Oder ob man ihn schon durch Hellas und Phthia verachte,
Weil vor hohem Alter ihm Händ' und Schenkel erheben.
Denn ich wandle nicht mehr ein Helfer im Lichte der Sonnen,
Wie ich war, da ich einst in Troias weitem Gefilde,
Für die Danaer streitend, die tapfersten Völker erlegte.
Käm' ich in jener Kraft nur ein wenig zum Hause des Vaters;
Schaudern vor der Gewalt der unüberwundenen Hände
Sollte, wer ihn antastet, des Königes Ehre zu rauben.
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte:
Keine Kunde hab' ich vom großen Peleus vernommen.
Aber von deinem Sohn Neoptolemos, deinem Geliebten
Will ich, wie du verlangst, dir lautete Wahrheit verkünden.
Denn ich selber hab' ihn im gleichgezimmerten Schiffe
Her von Skyros gebracht zu den schöngeharnischten Griechen.
Wann wir Achaier vor Ilions Stadt uns setzten zum Kriegsrat;
Redet' er immer zuerst, und sprach nicht flatternde Worte:
Nur der göttliche Nestor und ich besiegten den Jüngling.
Wann wir Achaier vor Ilions Stadt auszogen zur Feldschlacht;
Blieb er nimmer im Schwarm, noch unter den Haufen der Heerschar:
Sondern er eilte vorauf mit freudiger Kühnheit, und stürzte
Viele Männer dahin im schrecklichen Waffengetümmel.
Alle will ich sie dir nicht nennen oder beschreiben,
Wie viel Volkes dein Sohn, für die Danaer streitend, erlegte;
Sondern Eurypylos nur, den kriegrischen Telephiden.
Diesen durchstach er mit ehernem Spieß, und viele Keteier
Sanken blutig um ihn, durch Weibergeschenke verleitet.
Nach dem göttlichen Memnon war er der schönste der Feinde.
Als wir nun stiegen ins Ross, wir tapfersten Helden Achaias,
Welches Epeios gebaut; und mir die Sorge vertraut ward,
Unser festes Gehäuse zu öffnen, oder zu schließen:
Siehe da saßen viele der hohen Fürsten und Pfleger,
Trockneten ihre Tränen, und bebten an Händen und Füßen.
Aber ich habe nie mit meinen Augen gesehen,
Dass der blühende Jüngling erblasste, oder sein Antlitz
Feige Tränen benetzten; mit Flehen bat er mich oftmal,
Ihn aus dem Rosse zu lassen, ergriff die eherne Lanze,
Legte die Hand an das Schwert, und drohte den Troern Verderben.
Als wir die hohe Stadt des Priamos endlich zerstöret;
Stieg er, mit Ehrengeschenken und großer Beute bereichert,
Unbeschädigt ins Schiff, von keinem fliegenden Erze,
Noch von der Schärfe des Schwerts verwundet; welches doch selten
Tapfere Streiter verschont; denn blindlings wütet der Kriegsgott.
Also sprach ich; da ging die Seele des schnellen Achilleus
Zur Asphodeloswiese mit großen Schritten hinunter,
Freudenvoll, dass ich ihm des Sohnes Tugend verkündigt.
Aber die anderer Seelen der abgeschiedenen Toten
Standen traurend da, und sprachen von ihrer Betrübnis.
Nur allein die Seele des telamonischen Aias
Blieb von ferne stehn, und zürnte noch wegen des Sieges,
Den ich einst vor den Schiffen, mit ihm um die Waffen Achilleus
Rechtend, gewann; sie setzte zum Preis die göttliche Mutter,
Und die Söhne der Troer entschieden und Pallas Athene.
Hätt' ich doch nimmermehr in diesem Streite gesieget!
Denn ein solches Haupt birgt ihrenthalben die Erde:
Aias, der an Gestalt und Edeltaten der größte
Unter den Danaern war, nach dem tadellosen Achilleus.
Diesen redet' ich an, und sagte mit freundlicher Stimme:
Aias, Telamons Sohn, des Herrlichen! musstest du also
Selbst nach dem Tode den Groll forttragen wegen der Rüstung,
Welche der Götter Rat zum Verderben der Griechen bestimmte?
Denn du sankst, ihr Turm in der Feldschlacht; und wir Achaier
Müssen, wie um das Haupt des Peleiden Achilleus,
Stets um deinen Verlust leidtragen! Doch keiner ist hieran
Schuldig, als Zeus, der, entbrannt vom schrecklichen Eifer, Achaias
Kriegerscharen verwarf, und dein Verhängnis dir sandte!
Aber wohlan, tritt näher zu mir, o König, und höre
Meine Red', und bezwinge den Zorn des erhabenen Herzens.
Also sprach ich; er schwieg, und ging in des Erebos Dunkel
Zu den übrigen Seelen der abgeschiedenen Toten.
Dennoch hätte mich dort der Zürnende angeredet,
Oder ich ihn; allein mich trieb die Begierde des Herzens,
Auch die Seelen der andern gestorbenen Helden zu schauen.
Und ich wandte den Blick auf Minos, den göttlichen, Zeus' Sohn!
Dieser saß, in der Hand den goldenen Zepter, und teilte
Strafe den Toten und Lohn; sie rechteten rings um den König,
Sitzend und stehend, im weitgeöffneten Hause des Aïs.
Und nach diesem erblickt' ich den ungeheuren Orion.
Auf der Asphodeloswiese verfolgt' er die drängenden Tiere,
Die er im Leben einst auf wüsten Gebirgen getötet:
In den Händen die eherne, nie zerbrechliche Keule.
Auch den Tityos sah ich, den Sohn der gepriesenen Erde.
Dieser lag auf dem Boden, und maß neun Hufen an Länge;
Und zwei Geier saßen ihm links und rechts, und zerhackten
Unter der Haut ihm die Leber: vergebens scheuchte der Frevler,
Weil er Leto entehrt, Zeus' heilige Lagergenossin,
Als sie gen Pytho ging, durch Panopeus' liebliche Fluren.
Auch den Tantalos sah ich, mit schweren Qualen belastet.
Mitten im Teiche stand er, den Kinn von der Welle bespület,
Lechzte hinab vor Durst, und konnte zum Trinken nicht kommen.
Denn so oft sich der Greis hinbückte, die Zunge zu kühlen;
Schwand das versiegende Wasser hinweg, und rings um die Füße
Zeigte sich schwarzer Sand, getrocknet vom feindlichen Daimon.
Fruchtbare Bäume neigten um seine Scheitel die Zweige,
Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.
Aber sobald sich der Greis aufreckte, der Früchte zu pflücken;
Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken.
Auch den Sisyphos sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert,
Einen schweren Marmor mit großer Gewalt fortheben.
Angestemmt, arbeitet' er stark mit Händen und Füßen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt' er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehn: da mit einmal stürzte die Last um;
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.
Und von vorn arbeitet' er, angestemmt, dass der Angstschweiß
Seinen Gliedern entfloss, und Staub sein Antlitz umwölkte.
Und nach diesem erblickt' ich die hohe Kraft Herakles,
Seine Gestalt; denn er selber feiert mit den ewigen Göttern
Himmlische Wonnegelag', und umarmt die blühende Hebe,
Zeus des Gewaltigen Tochter und Heres mit goldenen Sohlen.
Ringsum schrie, wie Vögelgeschrei, das Geschrei der gescheuchten
Flatternden Geister um ihn; er stand der greulichen Nacht gleich,
Hielt den entblößten Bogen gespannt, und den Pfeil auf der Sehne,
Schauete drohend umher, und schien beständig zu schnellen.
Seine Brust umgürtet' ein fürchterlich Wehrgehenke,
Wo, getrieben aus Gold, die Wunderbildungen strahlten:
Bären, und Eber voll Wut, und grimmig funkelnde Löwen,
Treffen und blutige Schlachten und Niederlagen und Morde.
Immer feire der Künstler, auf immer von seiner Arbeit,
Der ein solches Gehenke mit hohem Geiste gebildet!
Dieser erkannte mich gleich, sobald er mit Augen mich sahe,
Wandte sich seufzend zu mir, und sprach die geflügelten Worte:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus,
Armer, ruht auch auf dir ein trauervolles Verhängnis,
Wie ich weiland ertrug, da mir die Sonne noch strahlte?
Zeus' des Kroniden Sohn war ich, und duldete dennoch
Unaussprechliches Elend; dem weit geringeren Manne
Dient' ich, und dieser gebot mir die fürchterlichsten Gefahren.
Selbst hier sandt' er mich her, den Hund zu holen; denn dieses
Schien dem Tyrannen für mich die entsetzlichste aller Gefahren.
Aber ich brachte den Hund empor aus Aïdes Wohnung;
Hermes geleitete mich und Zeus' blauäugige Tochter.
Also sprach er, und ging zurück in Aïdes Wohnung.
Aber ich blieb, und harrete dort, ob etwa noch jemand
Von den gestorbenen Helden des Altertumes sich nahte.
Und noch manchen vielleicht, den ich wünschte, hätt' ich gesehen:
Theseus und seinen Freund Peirithoos, Söhne der Götter;
Aber es sammelten sich unzählige Scharen von Geistern
Mit graunvollem Getös, und bleiches Entsetzen ergriff mich.
Fürchtend, es sende mir jetzo die strenge Persephoneia
Tief aus der Nacht die Schreckengestalt des gorgonischen Unholds,
Floh ich eilend von dannen zum Schiffe, befahl den Gefährten,
Hurtig zu steigen ins Schiff, und die Seile vom Ufer zu lösen;
Und sie stiegen hinein, und setzten sich hin auf die Bänke.
Also durchschifften wir die Flut des Okeanosstromes,
Erst vom Ruder getrieben, und drauf vom günstigen Winde.
   
  Übersetzung nach J.H.Voß bearbeitet von E.Gottwein

 

 

 

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